ARD-Jahrbuch

Menschen. Und so gewinnen Themen aus der
Grenzregion immer größere Bedeutung in den
Berichten der Neubrandenburger Reporter.
_ Mit »Radio Pomerania« für mehr deutschpolnischen
Austausch
Hörfunkredakteur Steffen Münch ist mehrfach
im Monat in Polen unterwegs, um zu recherchieren
und zu berichten – für die Programme
des NDR sowie der anderen ARD-Anstalten
und für »Radio Pomerania«. Das ist eine Magazinsendung
aus dem Haff-Müritz-Studio Neubrandenburg,
die in NDR 1 Radio MV einmal
im Monat ausgestrahlt wird. »Radio Pomerania«
arbeitet regelmäßig mit dem »Ostseemagazin«
der NDR 1 Welle Nord in Schleswig-Holstein
zusammen.
Die Themen sind vielfältig: Es geht zum
Beispiel um die Kooperation deutscher und
polnischer Landwirte im Ökolandbau, um neue
Straßenverbindungen im Grenzland, Polnisch-
Hörfunk-Redakteur Steffen Münch
beim Interview im polnischen Kolberg
unterricht in deutschen Kindergärten oder den
Tourismus im Grenzgebiet. Immer mehr Deutsche
zieht es im Urlaub oder zur Kur an die
polnische Ostseeküste.
Eine große Herausforderung sind Berichte,
die sich mit der Geschichte des Grenzlandes
befassen. Bis 1945 war Stettin die Hauptstadt
von Pommern, dann wurde es zu einem Verwaltungszentrum
der Wojewodschaft Westpommern.
Als Folge der Grenzziehung an der Oder
nach dem Zweiten Weltkrieg verlor die Stadt
einen Teil ihrer Geschichte und ihr Hinterland.
Viele Jahrzehnte war die deutsche Vergangenheit
Stettins ein Tabu-Thema. Erst nach den
politischen Veränderungen rückte dieser Teil der
Geschichte mehr in den Blickpunkt.
NDR 1 Radio MV hat diesen Prozess begleitet
– in Berichten über die Aussiedlung der
deutschen Bewohner aus Stettin oder das Leid
von Deutschen, Polen und Ukrainern, die eine
neue Heimat suchen und finden mussten. Damit
wurden natürlich alte, bislang kaum vernarbte
Wunden aufgerissen. Inzwischen ist die
Aufgeregtheit einer Sachlichkeit gewichen, wie
Steffen Münch nach seinen regelmäßigen Recherchereisen
zu berichten weiß. Das Verhältnis
ist entspannt, auch Journalisten aus Deutschland
werden die Amtstüren in Westpommern
immer häufiger freundlich geöffnet, Pressekonferenzen
sogar zweisprachig gehalten.
Schwieriger scheint die Situation in Deutschland.
So ist es für viele deutsche Kommunen
emotional offenbar schwierig, sich als »Hinterland«
der Großstadt Stettin zu begreifen. Aber
auch mittelständische Wirtschaftsunternehmen
scheuen sich vor dem polnischen Markt.
Sprachprobleme, unterschiedliche gesetzliche
Regelungen und verschiedene Währungen behindern
die Wirtschaftsentwicklung.
Auch kulturell engagiert sich der NDR in
Polen, so machte zum Beispiel die Ausstellung
»Weite und Licht« aus der Kunstsammlung des
NDR Station im Schloss der pommerschen
Herzöge in Stettin. Die erfolgreiche Ausstellung
schaffte es, Brücken zu bauen. Die meisten
Bilder zeigten nämlich Landschaftsmotive, die
nicht an Grenzen haltmachen. So stand die
Ausstellung auch für gemeinsame Geschichte
und den gemeinsamen Raum, in dem man sich
bewegt und der miteinander verbindet.
In Zeiten des Auf- und Umbruchs ist ein
modernes, grenzüberschreitendes Heimatverständnis
in Europa gefragt. Und auch dazu
wollen die Kollegen im Haff-Müritz-Studio
Neubrandenburg mit ihrer Arbeit einen kleinen
Beitrag leisten.
An spannenden neuen und weiterführenden
Themen für die Berichterstattung herrscht also
kein Mangel. Und ganz nebenbei bleibt meist
auch noch Zeit für ein wenig geografischen
Nachhilfeunterricht am Telefon, wenn mal wieder
ein nachfragendes »NDR-Studio Neu-was?«
am anderen Ende der Leitung zu hören ist.
Michael Elgaß,
Leiter des Haff-Müritz-Studios
in Neubrandenburg
Steffen Münch,
Hörfunk-Redakteur des NDR
Modern und grenzüberschreitend A R D - J A H R B U C H 0 9 59