April 2011 - Bund Freiheit der Wissenschaft eV
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freiheit <strong>der</strong> wissenschaft online – <strong>April</strong> <strong>2011</strong><br />
<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
formuliert werden. Vergleichsmaßstab sollen deshalb Anwendungen von Wissen und Können<br />
sein - natürlich nur in <strong>der</strong> Fassung, in <strong>der</strong> sie vorher definiert wurden und so, daß sie mit dem<br />
Raster <strong>der</strong> benutzten empirischen Verfahren auch erfaßt werden können. Welche<br />
Wirklichkeitsnähe - etwa im Hinblick auf beson<strong>der</strong>s favorisierte beruflich brauchbare<br />
Fähigkeiten ("employability") - damit tatsächlich erreicht wird, bedürfte einer genaueren<br />
Prüfung; die dafür verwendeten Testaufgaben erscheinen jedenfalls teilweise eher<br />
lebensfremd.<br />
Es gibt also inzwischen ein wechselseitiges Bedingungsgefüge von Inhalten des Lehrens und<br />
Lernens, institutionalisiertem Forschungsinteresse, gouvernementalem Verwalten und<br />
Reduktion von pädagogischer Wirklichkeit auf solche Daten, die empirisch erfaßt werden<br />
können. Die Folgen sind erheblich: Der aufklärerische Impetus <strong>der</strong> ersten PISA-Studie z.B.<br />
ist längst verflogen. Scheinbar unaufhaltsam führt die empirische Bildungs-Großforschung zu<br />
einem Diktat von Kennziffern und Statistiken, damit folgerichtig zur Enthistorisierung und<br />
Entpolitisierung/Entdemokratisierung des öffentlichen Bildungsdiskurses. Eine spezifische<br />
Art <strong>der</strong> Meßbarkeit beginnt die Wirklichkeit zu normieren und die öffentliche Meinung zu<br />
beherrschen. Dabei hat sich die mo<strong>der</strong>ne Erziehungswissenschaft in den letzten Jahrzehnten<br />
nicht nur in ihrer empirischen, son<strong>der</strong>n z.B. auch in ihrer historischen Abteilung erheblich<br />
profiliert. Das in <strong>der</strong> historischen Perspektive eigentlich zur Verfügung stehende kritische<br />
Potenzial (was hat sich warum wodurch und mit welchem Ergebnis verän<strong>der</strong>t und was soll<br />
jetzt warum und auf welche Weise verbessert werden?) wird im öffentlichen Diskurs nicht<br />
abgerufen und ist in <strong>der</strong> empirischen Argumentation gar nicht mehr vorgesehen, weil es damit<br />
nicht kompatibel ist. Der historische Horizont etwa bei PISA ist begrenzt auf die Sequenz <strong>der</strong><br />
periodischen Rankings. Diese Forschungs- und Interpretationsdominanz führt auch zu einer<br />
schleichenden demokratie-politischen Enteignung <strong>der</strong> Wähler, wie ein Vergleich mit den<br />
Anfang <strong>der</strong> 70er Jahre heftig umkämpften Hessischen Rahmenrichtlinien<br />
"Gesellschaftskunde" zeigt; diese waren inhaltlich ausgerichtet, nur deshalb konnten sie so<br />
intensiv diskutiert werden, und es war allen klar, an wen sich Zustimmung und Kritik zu<br />
richten hatten: an den zuständigen Kultusminister. Die "Autonomisierung" von Schulen (und<br />
Hochschulen), die Institutionalisierung <strong>der</strong> Evaluation und an<strong>der</strong>e Bürokratisierungen haben<br />
die politische Verantwortung seither jedoch weitgehend ausgehöhlt o<strong>der</strong> vernebelt.<br />
Demokratische Partizipation hängt jedoch daran, daß sie aus <strong>der</strong> Frage erwachsen kann, aus<br />
welchen historischen Gründen etwas so geworden ist, wie es ist, und was daran warum<br />
verbessert werden soll. Aber schon diese Fragestellung kommt im öffentlichen Diskurs aus<br />
web<br />
fdw<br />
I/<strong>2011</strong>