April 2011 - Bund Freiheit der Wissenschaft eV
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freiheit <strong>der</strong> wissenschaft online – <strong>April</strong> <strong>2011</strong><br />
<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
3. Jede Sozialität braucht für wichtige Bereiche ihrer Existenz und ihres<br />
Handlungsspielraums eine Unterscheidung von Normalität und Abweichung, also eine<br />
Definition des Normalfalles.<br />
Beispiel: 'Es ist normal, daß in einer Schulklasse die Schüler die nötige Disziplin aufbringen,<br />
um dem Unterricht folgen zu können'. Wenn ein Schüler davon abweicht, kann er ermahnt<br />
o<strong>der</strong> aber auch einer beson<strong>der</strong>en Hilfe teilhaftig werden. Wenn jedoch die notwendige<br />
Differenz von Normalität und Abweichung verschwindet, <strong>der</strong> Normalfall also bei den<br />
Beteiligten unklar bleibt und jedes Verhalten als gleich richtig gilt, entsteht allgemeine<br />
Orientierungslosigkeit. Sie kann auf Dauer leicht zu Verwahrlosung, aber auch zu einer Art<br />
'struktureller Intoleranz' führen; wenn ein Vergleich zum Normalfall nicht möglich ist, wird<br />
<strong>der</strong> An<strong>der</strong>sdenkende leicht zum Feind.<br />
Der oft bedauerte "Streß" von Schülern hat vielleicht nicht nur mit den<br />
Leistungsanfor<strong>der</strong>ungen zu tun, son<strong>der</strong>n auch mit den sozialdarwinistischen Strukturen, die in<br />
ungeordneten sozialen Konstellationen und Normen in <strong>der</strong> Schule entstehen können. Täglich<br />
neu zu inszenierende Positionskämpfe beanspruchen dann erhebliche Energien von den<br />
Schülern, die <strong>der</strong> eigentlichen Aufgabe verloren gehen.<br />
Erziehung in <strong>der</strong> Schule ist also mehr als ein bloße Beziehung zwischen dem Lehrer und<br />
jedem einzelnen Schüler, sie bedarf auch einer kollektiv-verbindlichen Normativität, an die<br />
sich alle binden und auf die sich alle - Schüler wie Lehrer - beziehen können. Eine<br />
entsprechende 'öffentliche Meinung' in Schule und Klasse müssen die Lehrer möglicherweise<br />
erst herstellen - zur Not auch dadurch, daß sie zunächst einmal mit den gutwilligen Schülern<br />
gegen die nicht-gutwilligen paktieren und diese dann Zug um Zug 'ins Boot holen'. Kein<br />
Lehrer kann dauerhaft ohne o<strong>der</strong> gar gegen die öffentliche Meinung seiner Klasse<br />
erzieherisch erfolgreich wirken.<br />
4. Das reale Verhalten wird durch die Psychologisierung symptomisiert, zumal im<br />
Konfliktfall werden Lebensäußerungen leicht relativiert. Das Gesagte gilt dann nicht mehr<br />
als das Gemeinte, das Tun entspricht angeblich nicht <strong>der</strong> eigentlichen Absicht.<br />
Wenn Schüler etwa gewalttätig agieren, werden zunächst Vermutungen darüber angestellt,<br />
was dahinter stecken könnte, welche inneren, ihnen vielleicht gar nicht bewußten Gründe die<br />
Täter dafür haben könnten und welche positiven Wünsche sie damit eigentlich verfolgen<br />
wollen - Aggressivität zum Beispiel als fehlgeschlagener Kontaktwunsch. Abgesehen einmal<br />
von dem Arsenal an Ausreden, das sich damit auftut: Ein solcher Zugang mag in einer<br />
Therapie und bei einem Gerichtsverfahren angebracht sein. Aber im normalen öffentlichen<br />
Umgang müssen die Menschen sich auf das, was ihre Mitmenschen sagen und tun, verlassen<br />
web<br />
fdw<br />
I/<strong>2011</strong>