Swissmechanic_Journal_2023-04

Interview Toni Blaser, Leiter Lehrlingsabteilung
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«Stellenwert der Lehre
wird unterschätzt»
Toni Blaser wurde im April dieses Jahres 65 und ist bis
Ende Juli Leiter der Lehrlingsabteilung der Firma Victorinox
in Ibach (SZ). Er bildete während 45 Jahren Berufsleute
aus. Im Unternehmen absolvieren rund 55 Jugendliche
ihre Lehre im technischen, kaufmännischen und handwerk
lichen Bereich.
Wie gut haben die Lehrlinge ihre
Termine im Griff?
Wichtig ist, dass wir eine klare Linie vorgeben.
Die Jugendlichen erhalten eine
Art Band, innerhalb dem sie sich bewegen
können. Der Rand darf aber nicht
starr aus Beton sein. Es sollten Holzpflöcke
sein, die auch mal nachgeben können.
Ich lobe viel und ganz gezielt. Es ist
enorm wichtig, dass man einem Lehrling
auf die Schulter klopft und sagt, das hast
du super gemacht. Leider wird dies von
vielen Berufsbildnern viel zu wenig gemacht.
Von den fast 50 Lehrlingen, die
wir momentan bei der Victorinox ausbilden,
möchte ich keinen missen. Es
sind total gute Typen, Frauen, Männer,
Fremdsprachige. Doch sie müssen geführt
werden, sonst funktioniert es nicht.
Mein Grundsatz ist, nimm die Menschen,
wie sie sind. Es gibt keine anderen.
D
Quelle: NZZ
ie NZZ sprach im Februar 2023
mit Toni Blaser, bis Ende Juli 2023 Leiter
der Lehrlingsabteilung von Victo rinox,
und Sonja Salzano, Berufs bildnerin und
Leiterin des Hotels Salzano in Interlaken-Unterseen,
über ihre Erfahrungen,
über die Lehre allgemein und über den
Fachkräfte mangel. Das Journal fasst
hier den Gesprächsteil mit Toni Blaser
zusammen.
Toni Blaser, es wird immer wieder
geklagt, die Lehrlinge würden
weniger leisten als früher. Wie sehen
Sie das?
Toni Blaser: Wir müssen die jungen Leute
viel stärker führen als noch vor ein
paar Jahren. Als Lehrmeister leisten wir
häufig Erziehungsarbeit, die im Elternhaus
verpasst wurde. Doch die Jugendlichen
sind nicht besser oder schlechter,
als wir es waren. Sie sind einfach anders.
Es gibt Klagen, die Jugendlichen
seien weniger gut vorbereitet als
früher, wenn sie aus der Schule kommen.
Stimmt das?
In der Mathematik fehlen die Grundlagen.
Das wird heute auch nicht mehr geübt,
weil es verpönt ist. Das Augenmerk
liegt vielmehr auf dem kompetenzorientierten
Lernen. Aber wenn sie die Grundlagen
nicht beherrschen, können sie die
aufbauenden Schritte nicht machen. Mir
fällt auch auf, dass die Jugendlichen
manchmal gar nicht verstehen, was sie
lesen. Wir sehen das zum Beispiel bei
Textaufgaben in Mathe. Das kommt vom
Handykonsum. Sie sind es gewohnt, Inhalte
zu überfliegen.
Wie steht es mit der Kritikfähigkeit
der jungen Generation?
Nicht gut. Kaum sage ich etwas Kritisches,
können die einen kaum noch die
Tränen zurückhalten. Das hat mit den
Rasenmäher-Eltern zu tun, die für ihre
Kinder alle Hindernisse aus dem Weg
räumen. Sie sind es nicht gewohnt, auf
Widerstand oder Kritik zu stossen.
Gibt es auch Bereiche, in denen die
Jugendlichen heute weiter sind als
frühere Generationen?
Sie treten viel selbstsicherer auf. Man
merkt, dass in der Schule viel Wert darauf
gelegt wird, dass sie Themen präsentieren
können. Manchmal frage ich
mich allerdings, ob die Verpackung nicht
besser ist als der Inhalt.
Mussten Sie sich während Ihrer
langen Zeit als Berufsbildner auch
persönlich verändern?
Heute rede ich viel mehr mit den Lernenden
und begründe, warum ich dieses
oder jenes von ihnen fordere. In gewissen
Situationen gibt es jedoch kein Aber.
Deshalb habe ich mich in einem Punkt
nicht geändert: Ich setze den Lehrlingen
nach wie vor klare Grenzen. Vor einer
Woche habe ich von einem befreundeten
Wirt erfahren, dass sich vier ehemalige
Lernende bei ihm getroffen haben.
Alle hätten gesagt, der Blaser war streng,
aber wir können nichts Negatives über
ihn sagen. Ein schöneres Kompliment
kann man nicht bekommen.
Alles spricht vom Fachkräftemangel.
Spürt man diesen bei der Suche nach
Lehrlingen?
Bis im vergangenen Jahr hatten wir bei
Victorinox immer genug Interessenten.