Fine ARTS vom 5. - Der Kessener
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WÜRZBURG<br />
Wenn das Leben nur noch<br />
bedrückt<br />
Katharina Domschke strebt eine höhere Behandlungsrate<br />
von depressiven Menschen an<br />
Lange wurde darüber hinter vorgehaltener Hand getuschelt:<br />
<strong>Der</strong> Nachbar, der Kollege, der Sohn <strong>vom</strong> Bekannten Sowieso sei<br />
depressiv! Dann kam Sebastian Deisler und ging an die Öffentlichkeit:<br />
Er könne nicht mehr. Er leide an einer Depression. <strong>Der</strong><br />
Fußballspieler gab seine Karriere auf. Und öffnete einem Tabuthema<br />
die Tür. „Er hat die Depression salonfähig gemacht“,<br />
sagt Katharina Domschke, Professorin für Psychiatrie und seit<br />
Januar Oberärztin an der psychiatrischen klinik der Universität<br />
Würzburg.<br />
Sich verarzten zu lassen, wenn das Bein gebrochen ist,<br />
der Rücken weh tut oder die Zähne schmerzen, ist ganz<br />
normal. Doch wer geht schon zum Arzt, wenn man sich<br />
chronisch erschöpft, ununterbrochen unendlich traurig,<br />
abgeschlagen und freudlos fühlt? Hochrechnungen zufolge<br />
erleidet fast jeder vierte Mensch einmal in seinem<br />
Leben eine Depression. „Bleibt sie unbehandelt, tritt sie<br />
mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 Prozent neuerlich<br />
auf“, so Domschke. <strong>Der</strong> 33-jährigen Medizinerin<br />
zufolge werden jedoch die meisten Depressionen nicht<br />
therapiert. Was Ärztinnen und Ärzte in ihren Praxen<br />
und Kliniken zu sehen bekommen, sei lediglich die Spitze<br />
eines riesigen Eisbergs.<br />
Nicht zur Ärztin zu gehen, bedeutet jedoch, eine große<br />
Chance ungenutzt vorbeizulassen. Denn in 80 Prozent<br />
der Fälle kann Patientinnen und Patienten mit antidepressiv<br />
wirksamen Medikamenten in Verbindung mit<br />
einer Psychotherapie geholfen werden. Die Vorurteile<br />
hiergegen sind laut Domschke jedoch nach wie vor groß.<br />
So wecken Antidepressiva die Angst davor, lebenslang<br />
von Arzneimitteln abhängig zu werden. Zum anderen<br />
befürchten Betroffene, dass ihre Persönlichkeit durch<br />
die Mittel verändert wird. Beides stimmt in keiner Weise,<br />
betont die junge Psychiaterin. Nur mit einem müssen<br />
Patientinnen rechnen: Dass sie eventuell an Gewicht<br />
zunehmen.<br />
Mit anderen Menschen zusammen zu sein, einem kreativen<br />
Hobby nachzugehen, sich sportlich zu betätigen -<br />
all das ist Menschen in depressiven Episoden nicht mehr<br />
möglich. „Sie haben in schwereren Fällen sogar keine<br />
Kraft mehr, ihren Alltag zu bewältigen“, so Domschke.<br />
Ganz normale Dinge, etwa sich zu duschen oder die<br />
Haare zu waschen, fällt unendlich schwer. Viele schaffen<br />
es nicht mehr, einkaufen zu gehen. Es fehlt die Kraft,<br />
sich anzuziehen. Den Schlüssel zu suchen. Aus dem Haus<br />
Landwehrstraße 13<br />
97070 Würzburg<br />
Tel. (0931) 1 26 27<br />
Fax (0931) 1 73 24<br />
Würzburg e. V. Verein<br />
gegen sexuelle Gewalt<br />
an Mädchen und Frauen<br />
20 Jahre<br />
bewegt, mutig,<br />
gemeinsam stark<br />
Tel. 0931-13287<br />
www.wildwasserwuerzburg.de<br />
Katharina Domschke Foto: Pat Christ<br />
zu gehen. Den Weg zum nächsten Laden auf sich zu<br />
nehmen. Mit anderen Menschen in Kontakt zu treten.<br />
Viele Depressive essen kaum noch etwas. Manche kommen<br />
völlig abgemagert in die Klinik.<br />
Auch Gene spielen eine Rolle<br />
Antidepressiva zielen eine Regulierung des Gehirnstoffwechsels<br />
an. Denn der funktioniert, so Domschke,<br />
nicht so, wie es sein soll. Depressiven Menschen fehlen<br />
laut der Ärztin vor allem Serotonin und Noradrenalin<br />
im Gehirn. Bei den beiden Substanzen handelt es sich<br />
um Botenstoffe. Sie sorgen dafür, dass Informationen<br />
zwischen den Gehirnzellen reibungslos ausgetauscht<br />
werden können. Doch zu wenig Neurotransmitter sind<br />
nicht die einzige Ursache dafür, dass jemand depressiv<br />
wird. Domschke: „Depressionen sind zu etwa 40 Prozent<br />
genetisch bedingt.“ Inzwischen wurden mehrere Risikogene<br />
identifiziert, die bei ihrer Entstehung eine Rolle<br />
spielen.<br />
Wer solche Gene hat und dann lange Zeit mit sehr<br />
schwierigen Arbeitsbedingungen fertig werden muss,<br />
einen schlimmen persönlichen Verlust erleidet oder<br />
organisch krank wird, rutscht leichter in eine Depression<br />
ab als Menschen ohne Risikogene. Und noch etwas<br />
spielt eine Rolle: Das eigene Denken. Hier kommt laut<br />
Domschke die Psychotherapie ins Spiel. Mit ihrer Hilfe<br />
können Menschen, die zu Depressionen neigen, negative<br />
Denkmuster entdecken und aufbrechen. Sie erkennen<br />
im besten Fall, dass die Welt gar nicht so schlecht<br />
ist, wie sie bisher gedacht haben. Haben doch depressive<br />
Menschen die Tendenz, die Wirklichkeit ins Negative<br />
hinein zu verzerren.<br />
Natürlich gibt es in der Realität vieles, was bedrückt,<br />
bedrohlich ist oder einen Menschen auch dazu bringen<br />
kann, für einen Moment allen Mut zu verlieren,<br />
so Domschke. Das Hirn vieler depressiver Menschen ist<br />
jedoch so gestaltet, dass sie Negatives extrem intensiv<br />
erleben. Verantwortlich hierfür ist eine „Amygdala“<br />
genannte Hirnregion. Sie ist bei Menschen mit einer<br />
Tendenz zu Depressionen Domschke zufolge wesentlich<br />
leichter zu aktivieren als bei gesunden Menschen, was<br />
im EEG sichtbar wird. Betrachten depressive Menschen<br />
schlimme Bilder, erscheint die Amygdala im EEG wie ein<br />
Feuerball - so sehr nimmt die Betroffenen das, was sie<br />
auf dem Bild sehen, mit.<br />
Pat Christ<br />
8 <strong>Der</strong> <strong>Kessener</strong> 3/2012 www.der-kessener.de …