Ausgabe 12/2023

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26 · Vor 50 Jahren 12/2023 SAUBERES WASSER UND BEQUEMES ZWANGSSPAREN Im Dezember 1973 sorgen in Herisau unter anderem Gidio Hosestoss, die Eröffnungen der Abwasserreinigungsanlage Bachwis und des Grossverteilers Denner sowie die Freude der Mitglieder der Kornkasse Schwänberg für Gesprächsstoff. Zuerst ein Blick über die Gemeindegrenzen: International wie national beschäftigen weiterhin der Nahostkonflikt, die Energiekrise und die Teuerung. In der Leserbriefspalte der Appenzeller Zeitung werden beispielsweise Hamsterkäufe (etwa bei Kehrichtsäcken) und der Preisanstieg von bis zu 20 Prozent bei den Christbäumen beklagt. Am 6. Dezember 1973 erhält die Schweiz drei neue Bundesräte. Bemerkenswert: Alle werden im ersten Wahlgang gewählt und «es war kein einziger offizieller Kandidat dabei». Neu in der Schweizer Exekutive sind Willi Ritschard (SP), Hans Hürlimann (CVP) und Georges-André Chevallaz (FDP). Auf nationaler Ebene wird zudem über Tempo 50 innerorts diskutiert, dies wird indes erst elf Jahre später eingeführt. Das Tempolimit 60 km/h innerorts wurde 1959 eingeführt – ausserorts und auf der Autobahn existieren bis im Januar 1973 keine Limiten. Dann führt die Landesregierung aus Sicherheitsgründen auf Überlandstrassen Tempo 100 ein, im November erweitert sie diese Beschränkung aufgrund der Ölkrise auf die Autobahnen. Bereits im Frühling 1974 wird die Höchstgeschwindigkeit wieder angepasst, fortan gilt auf Autobahnen Tempo 130. 1985 handelte die Regierung erneut – diesmal im Zusammenhang mit dem Waldsterben. Seither gilt ausserorts Tempo 80 und auf den Autobahnen 120 km/h. Bleiben wir bei der Autobahn, kehren aber zurück zum Dezember 1973. Mitte des Monats wird das neue 15 Kilometer lange Teilstück der N1 (heute A1) von St. Gallen Ost bis nach Rheineck eingeweiht. «Damit ist es möglich, von Winterthur bis nach St. Margrethen auf der Autobahn durchzufahren, mit einer einzigen Unterbrechung durch die Stadt St. Gallen.» Von der Strasse auf die Piste: Ende des Jahres 1973 findet in Ebnat-Kappel das erste Europacup-Rennen im Skigebiet Girlen statt. Am 29. Dezember starten die Frauen, am darauffolgenden Tag die Männer zum internationalen Riesen-Slalom. Bei den Frauen gewinnt Hanni Wenzel aus Liechtenstein vor der Schweizerin Lise-Marie Morerod, bei den Männern der Italiener Tiziano Bieller vor Werner Mattle und Engelhard Pargätzi aus der Schweiz. Mit Heini Hemmi (5.), Eric Fleutry (7.) und Walter Tresch (9.) befinden sich fünf Schweizer unter den ersten zehn. Ehre für Gidio und Denner-Eröffnung Auf der anderen Seite des Alpsteins sehen die Langläufer des Skiclubs Herisau «nach einem intensiven Sommer- und Herbsttraining mit Zuversicht der kommenden Saison entgegen» und die Abrechnung des sechstägigen Sportzentrum-Einweihungsfestes präsentiert einen Reingewinn von 250 000 Franken. Doch nicht nur Sportliches freut: Gefeiert wird zum Beispiel der erste Aus- Zahltag bei der Kornkasse Schwänberg (Bild: Appenzeller Zeitung, 14.12.1973) serrhoder Band von «Die Kunstdenkmäler der Schweiz», der das Hinterland behandelt und die Herisauer Volkshochschulkurse sind so beliebt, dass eine Warteliste geführt werden muss. Angeboten werden Makramee, Blumenbinden und «Party Snacks für unsere Gäste». Obwohl die Adventszeit nicht seine Zeit ist, kommt in diesem Monat auch Gidio Hosestoss gross raus. Ihm nämlich wird die Ehre zuteil, auf dem sechsten Ausserrhoder Brauchtumstaler verewigt zu werden. Damit komplettiert der Herisauer Brauch die Serie, entworfen von Grafiker Ruedi Bannwart, welche neben Gidio auch Silvester, Landsgemeinde, Streichmusik, Alpfahrt und Blochmontag umfasst. Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft eröffnet Mitte Dezember der Denner im Spittel. Im entsprechenden Zeitungsbericht wird betont, dass der Laden «trotz der einfachen Gestaltung freundlich und einladend» wirke. Die niedrigen Preise würden erreicht durch «Verzicht auf kostensteigernde Dienstleistungen wie Kreditgewährung, Hauslieferdienst, Beratung, ferner durch jeglichen Luxus entbehrende Ladeneinrichtung und durch niedrige Personalbestände». Die Berichterstattung über die feierliche Eröffnung bleibt nicht kommentarlos. So etwa tönt es in der Leserbriefspalte: «Anscheinend gibt es immer noch Leute, die nicht begreifen, dass die Grossverteiler den kleinen Spezerei-Läden den Garaus machen.» Ein weiterer Stein des Anstosses ist der Umstand, dass der österreichischen Vorsitzenden der Denner-Konzernleitung ein «prachtvoller Landsgemeindedegen unter Abspielung des Landsgemeindeliedes» überreicht wurde. «Das ist der Gipfel der Geschmacklosigkeit! Ich habe nichts gegen Frauen, (…) aber ich habe etwas gegen einen ehemaligen Kantonsratspräsidenten, der keine Skrupel hat, die ehrwürdige Landsgemeinde auf derartige Weise zu missbrauchen.» Zahltag bei der Kornkasse Weniger Aufsehen erregt die Gründung der ersten Privatbank in Appenzell Ausserrhoden. Die Bank Thorbecke AG, deren Geschäftsräumlichkeiten sich im Wetter-Haus am Platz 12 befinden, will «mit den Vorteilen, die insbesondere in der individuellen Beratung des einzelnen Kunden besteht, eine Marktlücke in Ausserrhoden schliessen». Die Bank disloziert später von Herisau nach St. Gallen und wird 2003 von der St. Galler Kantonalbank übernommen. Im Dezember 1973 macht noch eine weitere «Sparanstalt» von sich reden. Die Kornkasse Schwänberg. Dem Appenzeller Heft «Der Herisauer Schwänberg» von Thomas Fuchs und Peter Witschi ist zu entnehmen,
12/2023 Vor 50 Jahren · 27 Eröffnung der ARA Bachwis im Dezember 1973 (Bild: Appenzeller Zeitung, 21.12.1973) dass die Korngesellschaft 1833 als Selbsthilfeorganisation gegründet wurde und «sich am Vorbild der 1832 aufgelösten Wohltätigen Gesellschaft orientierte, die sich zum Ziel gesetzt hatte, in Zeiten der Not Getreide anzukaufen und den Mitgliedern günstig abzugeben». Die Korngesellschaft aber kauft bald schon kein Getreide mehr, sondern wird zu einer Spargenossenschaft. Dieser Wandel zeigt sich auch in der Namensänderung zu Kornkasse. Die Mitglieder verpflichten sich zum Zwangssparen. Nach Ablauf einer Sparperiode von drei oder vier Jahren wird die Kasse aufgelöst und das Vermögen samt Zinsen an die Teilhaber ausbezahlt. Im Dezember 1973 geht eine solche dreijährige Sparperiode zu Ende. Die Appenzeller Zeitung titelt: «Zahltag bei der Kornkasse Schwänberg – fast eine halbe Million Franken liegen bei der Kantonalbank zur Auszahlung bereit.» Die Inflation macht jedoch auch vor der Kornkasse nicht halt, «die Beträge haben nur nominell den Wert behalten, da rund 20 Prozent der Kaufkraft verloren ging. Zudem litt das gesamte Kapital unter dem Zinsertrag, da die Kantonalbank nur im kapitalschwachen Jahr 1971 eine Verzinsung von 5 Prozent und in den zwei nächstfolgenden Jahren nur noch 4,75 Prozent vergüten konnte». Trotzdem ist das Kapital auch 1973 um 28'000 Franken angewachsen und den 881 Mitgliedern können insgesamt 441'986 Franken ausbezahlt werden. In der Appenzeller Zeitung ist zu lesen: «… es sollte heute einfach zur gesellschaftlichen Pflicht eines bewussten Herisauers gehören, Mitglied einer der drei uralten Herisauer Kornkassen Schwänberg, Dorf oder Vordorf zu sein.» Die Berichterstattung schliesst mit den Worten: «Eine altertümlichere Art des Sparens gibt es für einen nostalgischen Herisauer Zeitgenossen nicht – und eine bequemere auch nicht.» Für die nächste Periode von 1974 bis 1976 nimmt sich der Vorstand der Schwänberger Kornkasse vor, durch vermehrte Werbung einen neuen Meilenstein zu setzen, nämlich mit mehr Mitgliedern die halbe Million zu erreichen. Dies gelingt nicht. Der Mitgliederbestand geht bereits seit 1958 sukzessive zurück. 1982 wird die Kornkasse nach 150 Jahren aufgelöst. «Der mit der zunehmenden Überalterung der Mitglieder einhergehende Anlegerschwund und die Bevorzugung anderer Sparformen legten diesen Schritt nahe.» Die Kornkassen Dorf und Vordorf lösen sich Ende 1983 auf. Das teuerste Bauprojekt der Gemeinde Nun noch zu einem ganz anderen Thema: Nach einer Bauzeit von rund 20 Monaten nimmt am 19. Dezember 1973 die zweistufige, chemisch-biologische Abwasserreinigungsanlage Bachwis ihren Betrieb provisorisch auf. In der Appenzeller Zeitung ist nachzulesen: «Damit sind nicht nur die Bemühungen zum Schutz unserer Gewässer in eine entscheidende Phase getreten, Herisau hat mit diesem umfassenden und kostspieligsten je in der Gemeinde ausgeführten Bauwerk auch bewiesen, dass es den Gewässerschutz ernst nimmt. Die Kosten der gesamten Gewässerschutzbauten (inklusive Kanäle) werden sich auf rund 35 Millionen Franken belaufen.» 1990 bis 1999 wird die ARA dann in drei Ausbauetappen für rund 21 Millionen Franken saniert. Weitere 4,7 Millionen Franken werden in den Jahren 2014/2015 für die Entfernung problematischer Kleinstteile aus dem Abwasser, sogenannter Mikroverunreinigungen, investiert. Mit der Reinigung des Abwassers mittels Pulver-Aktiv-Kohle kommt Herisau schweizweit eine Pionierrolle zu. Aktuell werden in der ARA – salopp ausgedrückt – durchschnittlich pro 24 Stunden 10'000 m3, also 10'000'000 Liter Wasser gereinigt. Und dieses Jahr wurde über den Reinigungsbecken ein Solarfaltdach installiert. Patrick Holderegger, Betriebsleiter der ARA: «Wenn die Anlage auf Hochtouren läuft, produzieren wir tagsüber etwas mehr Strom, als wir verbrauchen. Da wir an 365 Tagen im Jahr während 24 Stunden in Betrieb sind, werden wir indes nachts nach wie vor Strom beziehen müssen. Aber mit der Anlage decken wir etwa 40 Prozent unseres Verbrauchs.» Der zweitgrösste Stromverbraucher der Gemeinde wird jährlich rund 294'000 Kilowattstunden Solarstrom produzieren. Die Zahlen der ARA sind also nicht nur bei der Abwasserreinigung, sondern auch bei der Energiegewinnung beeindruckend. Eva Schläpfer
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