immobilia 2023/12 - SVIT
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BAU & HAUS<br />
INNENARCHITEKTUR<br />
DIE WANDELBARE<br />
WOHNUNG<br />
Seit rund 100 Jahren befasst sich die<br />
Fachwelt mit der Frage, wie man kleine<br />
Wohnungen möbliert. Ein gelungenes<br />
Beispiel ist das «Performative Haus» in<br />
Zürich mit beweglichen Wänden, die<br />
selbst zur Einrichtung und zum Mobiliar<br />
werden. TEXT — MANUEL PESTALOZZI*<br />
BILDER: ROLAND BERNATH<br />
Schränke und Wände<br />
lassen sich seitlich<br />
schwenken. Unter dem<br />
Podest befindet sich<br />
ein Hohlraum mit<br />
Schubladen.<br />
WENIGER IST MEHR<br />
Das zentral gelegene Wohnhaus in der<br />
Ecke Stampfenbachstrasse/Laurenzgasse<br />
in Zürich verfügt über drei Hallenwohnungen<br />
(Ateliers) im Erdgeschoss, 23 Kleinwohnungen<br />
und vier Dachgeschosswohnungen.<br />
Es hat eine eigene Website (performatives-haus.ch).<br />
Dort erkennt man: Das ganze<br />
Angebot der im vergangenen Herbst fertiggestellten<br />
Liegenschaft ist momentan<br />
vermietet. Das minimalistische, fast etwas<br />
karge Gebäude hat es sich offensichtlich<br />
zur Aufgabe gemacht, den aktuell herrschenden<br />
Geist der «neuen Genügsamkeit»<br />
architektonisch zu interpretieren. Unter<br />
anderem folgt es der Idee eines Wohnens<br />
mit wenig Mobiliar und ist das Resultat eines<br />
Forschungsprojekts.<br />
PROTOTYP AUF DEM ETH-DACH<br />
Entworfen wurde dieses ungewöhnliche<br />
Bauwerk vom Architekturbüro Edelaar<br />
Mosayebi Inderbitzin Architekten AG<br />
(EMI) aus Zürich für die UTO Real Estate<br />
Management AG. EMI befasst sich mit<br />
der Erforschung neuartiger, unkonventioneller<br />
Wohnformen in Praxis und Lehre.<br />
Miteigentümerin Dr. Elli Mosayebi ist<br />
auch Professorin für Architektur und Entwurf<br />
an der ETH Zürich. Dort hat die Idee<br />
der Wohnungen mit drehbaren Wänden ihren<br />
Ursprung.<br />
Mit ihren Studierenden überlegte sich<br />
die Professorin, wie man angesichts der<br />
stetig steigenden Zahl der Singlehaushalte<br />
möglichst raumsparende Wohnungen<br />
für Einzelpersonen gestalten soll. Resultat<br />
war die Vorstellung eines «performativen<br />
Raumes». Das ungewohnte Adjektiv «performativ»<br />
stammt aus den Geisteswissenschaften<br />
des englischen Sprachraums und<br />
verbindet unter anderem Handlungen mit<br />
Objekten oder Lebewesen. In diesem Fall<br />
soll es einen Raum bezeichnen, der sich individuell<br />
der Person anpasst, die ihn bewohnt.<br />
«Ähnlich einem Kleid legt er sich um<br />
sie, er lässt sich öffnen und schliessen, bietet<br />
für den leichten Hausrat unterschiedliche<br />
Nischen und Stauräume», beschreibt<br />
EMI den gestalterischen Ansatz. «Im Sinne<br />
der Performanz wurden die grundlegenden<br />
Elemente der Architektur neu gedacht: Boden<br />
und Decke, Türen und Wände, Einbauten<br />
und Möbel, Fenster, strukturelle Elemente,<br />
Vorhänge, Spiegel et cetera», erklärt<br />
Architekt Christian Inderbitzin von EMI.<br />
An der ETH Zürich schritt man nach diesem<br />
gedanklichen Effort zur Tat: Gemeinsam<br />
entwarf der Lehrstuhl von Professorin<br />
Mosayebi das Musterprojekt «vacancy<br />
– no vacancy. Ein performatives Haus der<br />
Zukunft». Im Rahmen von Eins-zu-eins-<br />
Modellen wurde das architektonische Potenzial<br />
performativer Räume ausgelotet.<br />
Schliesslich baute man auf dem Dach<br />
des HIL-Gebäudes auf dem ETH-Campus<br />
Hönggerberg ein Mockup, eine Modell-<br />
Wohneinheit auf, welche dort von 2019<br />
bis 2021 getestet wurde. Es handelte sich<br />
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IMMOBILIA / Dezember <strong>2023</strong>