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immobilia 2023/12 - SVIT

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um einen vorfabrizierten Holztafelbau aus<br />

Massiv-Sperrholzplatten (CLT-Platten).<br />

Diese kamen sowohl als Wand- wie auch<br />

als Deckenelemente zum Einsatz. Im Innenausbau<br />

prägten neben den Anstrichen<br />

auf Wänden und Decken farbige Linolbeläge<br />

auf Böden und Podesten den Raumeindruck.<br />

Zentraler Bestandteil der Versuchsanordnung<br />

waren drehbare Wandelemente<br />

und zwei Podeste, in deren Hohlräume sich<br />

Gegenstände verstauen lassen. Dieser provisorische<br />

Dach-Pavillon wurde durch wöchentlich<br />

wechselnde Testpersonen bewohnt,<br />

die anschliessend befragt wurden.<br />

Die Nutzungsweisen der beweglichen Elemente<br />

mass man zudem mit Sensoren.<br />

VOM MODELL IN DIE PRAXIS<br />

Im performativen Haus wurde die Idee<br />

in die Praxis des Wohnungsmarkts übergeführt.<br />

Wie beim Prototyp wendete EMI<br />

den vorfabrizierten Holztafelbau bei Wänden<br />

und Decken an. Er ruht auf bestehenden<br />

Untergeschossen. Die 23 performativen<br />

Kleinwohnungen sind gewissermassen<br />

im Sandwich zwischen den drei Hallenwohnungen<br />

im Erdgeschoss, die einen direkten<br />

Zugang zum begrünten Innenhof<br />

besitzen, und den vier Dachgeschosswohnungen<br />

mit Sheddach-Fenstern und grossen<br />

Terrassen.<br />

Alle diese Kleineinheiten verfügen über<br />

gedeckte Balkone mit wetterfesten Ziehvorhängen<br />

zum Innenhof und eine eigene<br />

Waschmaschine/Tumbler (Kombigerät).<br />

Mit wenigen Ausnahmen sind sie in verschiedene<br />

Richtungen orientiert. Die im<br />

Zickzack verlaufenden Trennwände zwischen<br />

den Wohnungen schaffen Nischen.<br />

Drehwände und teilweise mit Spiegeln<br />

eingekleidete Drehschränke lassen sich je<br />

nach Wunsch an den fixen Trennwänden<br />

«parkieren» oder in den Raum ausschwenken,<br />

sodass sich weitere Nischen oder separate<br />

Raumzellen bilden. «Dies ermöglicht<br />

es, den Raum je nach sozialer Situation<br />

auf verschiedene Art abzutrennen, beziehungsweise<br />

zu öffnen», führt Christian<br />

Inderbitzin aus. Die beweglichen Trennelemente<br />

reichen nicht bis zur Decke, sie<br />

bieten somit keinen Schall- oder vollständigen<br />

Lichtschutz. Trotzdem entsteht ein<br />

Gefühl von Intimität und Geborgenheit.<br />

Wie zahlreiche Details und Teile der Materialisierung<br />

wurde auch die Idee der hohlen<br />

Podeste mit Schubladen und Klappen<br />

vom Modell der ETH übernommen.<br />

Das Mobiliar, das die Mieter mitbringen<br />

müssen, reduziert sich auf ein Minimum.<br />

«Japan hat es uns vorgemacht, wir haben<br />

es den schweizerischen Individualansprüchen<br />

angepasst und erfolgreich getestet»,<br />

bringt es die Website über das performative<br />

Haus auf den Punkt. Die schlanken Metallstützen,<br />

die den Wänden und Schränken<br />

als Halterung und Drehachsen dienen, sind<br />

fester Bestandteil der architektonischen<br />

Gestaltung. Mit ihrem auffälligen schwarzen<br />

Anstrich schaffen sie inmitten der hellen,<br />

teils lichtreflektierenden Oberflächen<br />

eine optische Stabilität. Über den Trennelementen<br />

ragen an diesen Stützen kugelförmige<br />

Leuchtkörper am Ende von langen,<br />

ebenfalls schwarz gestrichenen horizontalen<br />

Stäben in den Raum. Auch sie lassen<br />

sich schwenken.<br />

NEUE GEWOHNHEITEN?<br />

Gewohnheiten sind wortwörtlich mit<br />

dem Wohnen verbunden. Das performative<br />

Haus wirkt gewöhnungsbedürftig. Bewegbare<br />

Elemente benötigen Freiräume,<br />

wenn sie denn in Bewegung gesetzt<br />

werden sollen. Wenn Böden von Podesten<br />

hochgeklappt werden, müssen sie leer<br />

sein, sie verlieren temporär ihre Funktion<br />

als Boden. Die Frage an Architekt Inderbitzin,<br />

ob neue Mietparteien bei der «Resteinrichtung»<br />

eine Beratung erhalten, wird<br />

verneint. Empfiehlt er Möbel auf Rollen?<br />

«Das ist voll und ganz den Mieterinnen und<br />

Mietern überlassen», meint er. Ein weiteres<br />

Risiko des Konzepts könnte sein, dass<br />

es bei der Beweglichkeit klemmt. «Bewegliche<br />

Bauteile wie Schiebewände, Faltwände<br />

oder Drehtüren werden in der Architektur<br />

nicht gerne eingebaut, da sie mit einem<br />

höheren konstruktiven Aufwand verbunden<br />

und die Bauteile anfällig für Störungen<br />

sind», bestätigt Christian Inderbitzin<br />

den geäusserten Verdacht. Für das performative<br />

Haus gibt er Entwarnung: «Durch<br />

das Mockup an der ETH konnten wir die beweglichen<br />

Elemente vorab testen und konstruktiv<br />

verfeinern.»<br />

Dass den neuen Mietparteien ein paar<br />

Tipps zur Einrichtung willkommen sein<br />

könnten, ahnt allerdings die Vermieterin.<br />

Auf der Website des performativen Hauses<br />

stellt sie Empfehlungen der Stylistin und<br />

Journalistin Marianne Kohler Nizamuddin<br />

zum Download zur Verfügung. Diese<br />

hatte sich in ihrem Blog explizit mit der performativen<br />

Wohnung auseinandergesetzt.<br />

Die beweglichen Spiegelschränke erweitern<br />

den Raum je nach Position etwas anders.<br />

BILD: ROLAND BERNATH<br />

Sie bietet je zehn Tipps zu den beiden Themen<br />

«Entspannt und clever wohnen auf<br />

kleinem Raum» und «Stilvolles Einrichten<br />

auf kleinem Raum». Einerseits wird<br />

dort das in den Grundrissen angelegte Nischendenken<br />

weitergeführt, andererseits<br />

macht sich die Autorin auch Gedanken zu<br />

Farben und Oberflächen, mit welchen die<br />

urbanen Nomadinnen und Nomaden ihrer<br />

Bleibe eine persönliche Note geben können.<br />

Nicht überraschend geht der Trend<br />

hier hin zu leichten Objekten – ohne Rollen<br />

–, die sich mit wenig Aufwand umplatzieren<br />

lassen. Finden die Tipps Aufmerksamkeit?<br />

Christian Inderbitzin jedenfalls<br />

ist nach einem Augenschein in der bewohnten<br />

Liegenschaft zufrieden: «Es zeigt sich,<br />

dass viele Bewohnerinnen und Bewohner<br />

die Wohnungen sehr schön angenommen<br />

haben», meint er. <br />

*MANUEL<br />

PESTALOZZI<br />

Der Autor ist dipl. Arch. ETHZ und<br />

Journalist BR SFJ, er betreibt die<br />

Einzelfirma Bau-Auslese Manuel<br />

Pestalozzi (bau-auslese.ch).<br />

IMMOBILIA / Dezember <strong>2023</strong> 35

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