Festschrift 100 Jahre Albwerk - Alb-Elektrizitaetswerk Geislingen ...
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Die Stadt <strong>Geislingen</strong> war um 1910<br />
eine mittelgroße Oberamtsstadt mit<br />
8674 Einwohnern (1.12.1910);<br />
das Dorf Altenstadt – die ursprüngliche<br />
alemannische Gründung des<br />
Ortes – hatte 3900 Einwohner, vor<br />
allem altansässige Bauern mit relativ<br />
kleinen Betrieben und einer zumeist<br />
zugezogenen Fabrikarbeiterschaft.<br />
Die Geislinger Region verzeichnete<br />
allerdings in den letzten Jahrzehnten<br />
des 19. und im ersten Jahrzehnt des<br />
20. Jahrhunderts eine außerordentlich<br />
starke Bevölkerungszunahme.<br />
Dies resultierte aus der sehr positiven<br />
wirtschaftlichen Entwicklung nach<br />
dem Bau der Geislinger Steige<br />
(1847 bis 1850). Es entstanden große<br />
Betriebe wie die WMF (Württembergische<br />
Metallwarenfabrik AG), die<br />
MAG (Maschinenfabrik <strong>Geislingen</strong>)<br />
und am Standort in Altenstadt die<br />
Esbi (Süddeutsche Baumwollindustrie),<br />
die sich positiv entwickelten und<br />
wie die WMF heute zu den Weltmarktführern<br />
zählten. In steigendem<br />
Umfang strömten Arbeitskräfte in<br />
die Stadt <strong>Geislingen</strong> und das Dorf<br />
Altenstadt.<br />
<strong>Geislingen</strong>, Karlstraße um 1920<br />
Bei der Industrialisierung der Region<br />
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
kann für <strong>Geislingen</strong> eine Verdreifachung<br />
bzw. für Altenstadt eine Vervierfachung<br />
der Einwohnerzahl festgestellt<br />
werden. Ein „großer Teil der<br />
Bevölkerungszunahme von <strong>Geislingen</strong><br />
und Altenstadt waren Zuwanderer<br />
aus der engeren Umgebung. In diesen<br />
<strong>Jahre</strong>n wanderten viele Arbeiter aus<br />
Mangel an Verdienstmöglichkeiten<br />
aus ihren bäuerlichen Geburtsorten<br />
der <strong>Alb</strong>hochfläche herab ins Tal.<br />
Die nachgeborenen Söhne der <strong>Alb</strong>bauern<br />
zogen vielfach die günstige<br />
Arbeitsmöglichkeit in der Industrie<br />
der Arbeit als Knecht auf dem väterlichen<br />
Hofe vor und wanderten in die<br />
Stadt“ (Karlheinz Bauer, <strong>Festschrift</strong><br />
zum <strong>100</strong>jährigen Jubiläum Bau und<br />
Sparverein <strong>Geislingen</strong> e.G.).<br />
Dies hatte natürlich beträchtliche<br />
Auswirkungen auf die Infrastruktur,<br />
vor allem auf die Nachfrage nach<br />
öffentlichen Einrichtungen, wie Schulen,<br />
Hallen für Vereine, Wohnraum<br />
und nach Energie vor allem Stromversorgung.<br />
Durch die Geislinger Großbetriebe<br />
entstand auch in der Raumwirtschaft<br />
ein außerordentlich hoher Industrialisierungsgrad<br />
(Anteil der Industrie<br />
Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigungszahl),<br />
so dass <strong>Geislingen</strong> um<br />
das Jahr 1910 einen gleich hohen<br />
Industriebesatz wie Stuttgart aufwies.<br />
Die Infrastruktur war dieser starken<br />
Industrialisierung in keiner Weise<br />
gewachsen. So war die B 10, sowohl<br />
in Richtung Stuttgart als auch in Richtung<br />
Ulm, damals mehr oder weniger<br />
ein geschotterter Feldweg; die Bewohner<br />
an der heutigen B 10 in Altenstadt<br />
waren Bauern und Arbeiter, hielten in<br />
kleinem Umfang Kühe, Ziegen und<br />
Schafe und betrieben Streuobstbau.<br />
Ihre Landwirtschaft war nicht zuletzt<br />
wegen der topografischen Lage wenig<br />
produktiv. Es fehlte auch nicht die<br />
„Miste vor dem Haus“; allein auf der<br />
Strecke zwischen dem heutigen Sternplatz<br />
und der Martinskirche zählte<br />
man im <strong>Jahre</strong> der <strong><strong>Alb</strong>werk</strong>sgründung<br />
noch ein Dutzend Bauernbetriebe.<br />
Altenstadt, Untere Stuttgarter Straße um 1920<br />
Der Dorfbach entlang der heutigen<br />
B10, über den mehrere kleine Brücken<br />
gingen, und die Ansiedlung einer aus<br />
der Region kommenden Industriearbeiterschaft,<br />
die in den neu entstandenen<br />
Siedlungsgebieten wie dem<br />
Seebach Häuser bauten oder Mietwohnungen<br />
bezogen, prägten das<br />
damalige Dorfbild. In diese Zeit fallen<br />
auch die Bauaktivitäten des 1895<br />
gegrün deten Bau und Sparvereins<br />
e.G., die Wohnraum für die Industriearbeiterschaft,<br />
vor allem der Geislinger<br />
Großbetriebe, schafften. Bis heute<br />
haben sich gegenüber der Gründerzeit<br />
des <strong><strong>Alb</strong>werk</strong>s die Wirtschafts und<br />
Infrastruktur, aber auch die sozialen,<br />
gesellschaftlichen Verhältnisse fundamental<br />
gewandelt. Die damaligen<br />
Bewohner unseres Raumes lebten<br />
politisch im Deutschen Kaiserreich,<br />
das nach militärischem und wirtschaftlichem<br />
Einfluss in der Welt strebte.<br />
Adel und Militär waren die Führungselite<br />
der neuen kapitalistischen Massengesellschaft<br />
und des autoritären<br />
Staates, der von Kaiser Wilhelm II.<br />
regiert wurde. Sie standen den insgesamt<br />
12 Mio. Haushalten in<br />
Deutschland gegenüber, von denen<br />
rund zwei Drittel zu den Besitzlosen<br />
zählten. Beamte und das Militär,<br />
Großagrarier und Großindustrielle<br />
hatten das Sagen im Staat.<br />
Der Großteil der Menschen, auch in<br />
der Geis linger Region, gehörte nicht<br />
zum wohlhabenden Bürgertum.<br />
Die sozialen Konflikte auch in unserer<br />
Region verschärften sich. Im <strong>Jahre</strong><br />
1910 lebten die Geislinger jedoch<br />
nicht nur im Deutschen Kaiserreich,<br />
sondern auch – durchaus föderalistisch,<br />
wenn auch nicht demokratisch<br />
ausgerichtet – im Königreich Württemberg.<br />
Dieses hatte 1910 2,4 Mio. Einwohner<br />
und war hoch industrialisiert.<br />
An der Spitze des Königreichs stand<br />
damals König Wilhelm II., der außerordentlich<br />
reformfreudig und sehr<br />
beliebt war.<br />
Er führte unter anderem die Reform<br />
der Einkommensteuer in Württemberg<br />
ein, schuf eine neue Gemeindeordnung<br />
und gründete 1909 die<br />
Volksschule. Infolge der November<br />
Revolution vom 29.11.1918 verzichtete<br />
König Wilhelm II. nach dem verlorenen<br />
Krieg auf den Königsthron, was<br />
von einem großen Teil der württembergischen<br />
Bevölkerung, auch im<br />
Geislinger Raum, bedauert wurde.<br />
14 Zur Situation im Geislinger Raum 15