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ICOM Deutschland Mitteilungen 2012

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denn keiner der Autoren sich die Zeit<br />

ge nommen, um zu schauen, wo die<br />

„Sub ventionen“ für kulturelle Einrichtungen<br />

in <strong>Deutschland</strong> wirklich herkommen?<br />

Es sind die Kommunen, Bezirke<br />

und Bundesländer, die annähernd<br />

neunzig Prozent der etwa 9,6 Mil liar den<br />

Euro (Zahlen von 2010) aufbringen.<br />

Ein Beispiel: Eine mittelgroße Metro<br />

pole mit rund 500.000 Einwohnern;<br />

eine städtisch getragene Museumslandschaft<br />

mit sieben Museen, drei<br />

Sammlungen und zwei historischen<br />

Sehenswürdigkeiten; ein damit abgedecktes<br />

Bildungsspektrum von der<br />

mit telalterlichen Stadtgründung, der<br />

reichsstädtischen Zeit, der Zeit der<br />

Industrialisierung, der Aufklärungsarbeit<br />

zur Entstehung des Nationalso<br />

zia lismus bis hin zur heute aktiv<br />

be trie benen Menschenrechtsbildung;<br />

46 Plan stellen; ein Gesamtbudget von<br />

fünf Millionen Euro – bei einem Eigenfinanzierungsanteil<br />

von rund dreißig<br />

Prozent. Nicht wenige der 2,5 Millionen<br />

Übernachtungsgäste in dieser Stadt<br />

stehen zu den regulären Öffnungs zeiten<br />

an einer Museumskasse. Sonst könnten<br />

hier nicht jährlich über 500.000 Besu<br />

cher gezählt werden. Was ist daran<br />

falsch?<br />

Veränderung ja, aber nicht so!<br />

Sicher: Wandel tut Not! Eine Ausrichtung<br />

auf die sich verändernden Anforderungen<br />

– muss sein. Aber die Frage<br />

ist, ob ein suizidaler Akt – wie von<br />

den Autoren vorgeschlagen – wirklich<br />

dazu führt, dass am Ende die aussichtsreichsten<br />

Institutionen überleben?<br />

Ein totaler Kahlschlag, wie gefordert,<br />

würde zu einer Erosion des<br />

Foto: Detlef Knispel<br />

kulturellen Gedächtnisses der Nation<br />

führen. Alles wäre ja nicht so schlimm,<br />

wenn der Vorschlag nur aus einem<br />

rein betriebswirtschaftlich orientierten<br />

Beratungsumfeld käme. Nach Einschätzung<br />

von Haselbach, Klein, Knüsel<br />

und Opitz – studierte Soziologen,<br />

Germanisten und Philosophen – würde<br />

die Fünfzig­Prozent­Rasur knapp<br />

ein Fünftel der Mittel freisetzen. Das<br />

lässt allerdings eher an den Wirkungsgrad<br />

einer veralteten Dampfmaschine<br />

denken …<br />

Was soll nun, nach Aussage der Autoren,<br />

werden aus dem „gesparten“<br />

Geld: Der erste Teil verbliebe bei der<br />

„überlebenden Hälfte der Institutionen“;<br />

der zweite Teil ginge an die<br />

„Laienkultur“; der dritte Teil an die<br />

„noch nicht existierende Kulturindus<br />

trie“; der vierte Teil „an die Hochschulen<br />

für Kunst, Musik und Design“<br />

und der fünfte Teil schließlich würde<br />

„an eine gegenwartsbezogene kulturelle<br />

Bildung“ gehen. Cui bono? Am<br />

Ende würden vermutlich die Großen<br />

überleben, denn sie haben die bessere<br />

Lobby, die bessere Vernetzung. Ob das<br />

wirklich einen Zugewinn an Flexibilisierung<br />

und Zukunftsgewandtheit<br />

darstellt? Erhebliche Zweifel sind angebracht.<br />

Was würde aus den 3.200 abgewickelten<br />

Museums­Depot­ oder Archivbeständen<br />

werden? Die Abstimmung<br />

mit den Füßen zeigt, dass zumindest<br />

die Museen ganz vorn in der Besuchergunst<br />

liegen: 106.820.203 Museumsbesucher<br />

im Jahre 2009 – Desinteresse<br />

sieht anders aus. Kultur war und ist<br />

eine Leistung – mit einem Höchstmaß<br />

an Lokalität und Individualität, aus<br />

der sich Identität entwickelt. Meine<br />

uMsChau<br />

Kultur ist ein Höchstmaß an Lokalität<br />

und Individualität, aus der sich Identität<br />

entwickelt: Nürnberg wird u . a . durch das<br />

2001 eröffnete Dokumentationszentrum<br />

Reichsparteitagsgelände (linke Seite) als<br />

auch durch die jährlich stattfindende<br />

Lange Nacht der Kunst und Kultur geprägt .<br />

Beide öffentlich getragenen Institutionen<br />

sind enorme Publikumsmagneten .<br />

dringliche Bitte: Beim Versteigern der<br />

Museumsbestände auf Ebay sollte mindestens<br />

die Provenienz angegeben werden:<br />

drei – zwei – eins: nicht mehr<br />

meins! Was machen wir mit den leerstehenden<br />

Theatern? Klar: Public­<br />

Viewing­Arenen für die Live­Übertragung<br />

aus der Mailänder Scala.<br />

erster schritt: Qualitätsprüfung<br />

Hilfreicher als ein haircut wäre eine<br />

sach­ und institutionsbezogene Evaluation,<br />

bei der Besucherzahlen auch<br />

– aber nicht nur – eine Rolle spielen<br />

dürfen. Denn Qualität ist nicht allein<br />

in Quantitäten zu messen. Zu verhindern<br />

ist die Installation einer neuen<br />

Aufsichtsbehörde. Allein hier herrscht<br />

Einigkeit zwischen den Autoren und<br />

dem Rezensenten: Dem Subsidiaritätsprinzip<br />

ist der Vorzug zu geben. Die<br />

Vielfalt von Kunst und Kultur kommt<br />

gerade in <strong>Deutschland</strong> aus der Fläche<br />

und nicht aus dem Zentrum. Ein innovativer<br />

Ansatz für eine als umfassend<br />

verstandene kulturelle Bildung sieht<br />

anders aus.<br />

Dr . Matthias Henkel, Leitender Direktor der<br />

Museen der Stadt Nürnberg, ist Vorstandsmitglied<br />

von <strong>ICOM</strong> <strong>Deutschland</strong>;<br />

matthias .henkel@stadt .nuernberg .de .<br />

Weitere Informationen:<br />

Haselbach, Dieter u . a .: Die Hälfte? Warum die<br />

Subventionskultur, wie wir sie kennen, ein<br />

Ende finden muss . In: Der Spiegel 11/<strong>2012</strong>,<br />

S . 136–141 . Siehe auch: www .spiegel .de/<br />

spiegel/print/d-84339528 .html<br />

Haselbach, Dieter u . a .: Der Kulturinfarkt . Von<br />

allem zu viel und überall das Gleiche, München:<br />

Knaus Verlag <strong>2012</strong> .<br />

iCoM deutschland – MittEilungEn <strong>2012</strong> | 49

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