ICOM Deutschland Mitteilungen 2012
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aKtuEllEs<br />
neues vom urheberrecht<br />
Der Ausbau digitaler Datenbanken und ihre Verfügbarkeit im Internet stellen Museen<br />
vor neue Aufgaben . Ferner ändern sich die Rechtsgrundlagen ihrer Arbeit durch nationale<br />
und internationale Gesetzgebung . Droht den öffentlichen Museen durch die<br />
urheberrechtlichen Konsequenzen nun ein Ausverkauf?<br />
Gastbeitrag von Gerhard Pfennig<br />
Die Digitalisierung beherrscht nach wie vor die Debatte<br />
um die Entwicklung des Urheberrechts; das Aufkommen<br />
der Piratenpartei hat selbst ernstzunehmende Politiker veranlasst,<br />
in Panik dessen bewährte Grundsätze zur Dis po sition<br />
zu stellen. Niemand bezweifelt ernsthaft die Notwendigkeit,<br />
das Urheberrecht an den technischen Fortschritt<br />
anzupassen. Im Augenblick besteht jedoch die Gefahr, dass<br />
das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, unter Missachtung<br />
der Tatsache, dass schöpferische Menschen und ihre<br />
urheberrechtlich geschützten Werke zum größten Kapital<br />
Europas gehören.<br />
Im Museumsbereich wurde der Einstieg in das digitale<br />
Zeitalter bisher gut bewältigt. Für die Kunstmuseen hat<br />
die VG BildKunst, die die Mehrzahl der deutschen und<br />
internationalen Künstler vertritt, ihre Standardverträge angepasst<br />
und, vor allem im Interesse des Ausbaus wissenschaftlicher<br />
digitaler BildDatenbanken, auch die Inhaber<br />
foto grafischer Rechte überzeugt, die entsprechenden Rechte<br />
unter der Bedingung der gesetzlich gebotenen „angemessenen“<br />
Vergütung freizugeben, im übrigen zu Tarifen, die<br />
weit niedriger sind als diejenigen ausländischer Bildagenturen.<br />
Internationale harmonisierung des urheberrechts<br />
Die neue Herausforderung für Künstler wie Museen ist das<br />
art project von Google. Blauäugig wie bei den meisten Angeboten<br />
dieses internationalen Multimediariesen wird den<br />
Museen angeboten, ihre Werke in hervorragender Qualität,<br />
digitalisiert von Google, ins Netz zu stellen und damit<br />
weltweit zugänglich zu machen. Von Kompensation für<br />
Künstler und Museen, die durchaus gut daran täten, sich<br />
ein Stück von dem entstehenden Kuchen zu sichern, ist nicht<br />
die Rede. Die internationalen Bildverwertungsgesellschaften<br />
sind mit Google in Verhandlungen eingetreten, und zwar<br />
mit dem Ziel einer weltweiten Lizensierung gegen Vergütung,<br />
um nationale Fragmentierungen zu vermeiden. Inwieweit<br />
die Museen bereits eine Position aufgebaut haben,<br />
lässt sich derzeit noch nicht übersehen; gemeinsames Handeln<br />
wäre dringend zu empfehlen.<br />
Ebenfalls auf der Tagesordnung für Museen steht das<br />
Projekt der europäischen digitalen Bibliothek Europeana,<br />
die nicht nur Bibliotheken, sondern auch Museums und<br />
Archivbestände digitalisieren und weltweit erschließen soll.<br />
Probleme liefert auch hier nicht nur die Lizensierung der<br />
Werke – Text, Bild und audiovisueller Natur –, deren Urheber<br />
noch nicht siebzig Jahre tot sind, schwerer noch ist<br />
die Frage zu lösen, wie mit solchen Werken umgegangen<br />
werden soll, deren Urheber nicht auffindbar, die also „ver<br />
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waist“ sind. Hier sind in einer Reihe von Staaten nationale<br />
Lizenzlösungen gefunden worden, die Europäische Union<br />
arbeitet an einer Richtlinie, um den Flickenteppich zu vereinheitlichen,<br />
aber die Bundesregierung verharrt in Immobilität.<br />
Seit drei Jahren liegen gemeinsame Vorschläge aller<br />
beteiligter Rechtsinhaber auf dem Tisch, und zwar in seltenem<br />
Einvernehmen; allein, die Reform steckt fest im Koalitionsdschungel.<br />
Plünderung durch europäische Gesetzgebung?<br />
Stattdessen läuft, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit,<br />
eine im Interesse der Kulturwirtschaft lancierte<br />
Offensive der Europäischen Union gegen die Datenbestände<br />
der Museen, die, wird sie verwirklicht, nicht nur deren<br />
Kontrolle über die in den Häusern erarbeiteten wissenschaftlichen<br />
Ergebnisse massiv einschränken, sondern ihnen<br />
gleichzeitig die Möglichkeiten der wirtschaftlichen<br />
Verwertung, die ohnehin nicht groß sind, nahezu gänzlich<br />
nehmen wird. Ausgangspunkt sind, wie <strong>ICOM</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
in seiner Stellungnahme vom 17. Januar <strong>2012</strong> zu dem<br />
Vorhaben schreibt, die Bemühungen der Europäischen<br />
Union, der Öffentlichkeit Teilhabe am Wissen in der Informationsgesellschaft<br />
zu ermöglichen. Dies war schon bisher<br />
möglich. Durch Erweiterung des bisher auf Informationen<br />
des öffentlichen Sektors, also mehr oder weniger der<br />
Verwaltung, beschränkten freien Zugangs zur wirtschaftlichen<br />
Nutzung auf „Museen des öffentlichen Sektors“<br />
soll nun auch ein dort vermuteter Schatz gehoben werden,<br />
mit dem Ziel der Eröffnung eines neuen Multimilliardenmaktes<br />
für die Kulturindustrie. Museen des öffentlichen<br />
Sektors sollen verpflichtet werden, „Informationen“ – und<br />
dazu zählen an erster Stelle Ergebnisse wissenschaftlicher<br />
Arbeit – kostenlos zur Verfügung zu stellen. Wie die Stellungnahme<br />
verdeutlicht, wird eine Vielzahl von Fragen<br />
schlicht ausgeklammert oder nur beiläufig erwähnt: Was<br />
ist mit durch Drittmittel finanzierten Forschungsergebnissen?<br />
Wie verändert sich das Verhältnis von privatrechtlich<br />
organisierten zu öffentlichen Museen? Ist die Stiftung Preußischer<br />
Kulturbesitz betroffen oder nicht? Schließlich: Wie<br />
wird die Wahrung der Urheberrechte mitwirkender Autoren<br />
und der noch urheberrechtlich geschützten Künstler<br />
gewährleistet? Warum soll Museen zugemutet werden, ihre<br />
wichtigsten Arbeitsergebnisse der konkurrierenden Kulturwirtschaft<br />
kostenlos zur Verfügung zu stellen?<br />
Die erwähnten Fragen sind besonders deshalb wichtig,<br />
weil Museen zusehends angehalten werden, ihren Betrieb<br />
wirtschaftlich zu gestalten, sei es durch „attraktive“ Ausstellungsangebote<br />
oder die Produktion verkäuflicher Güter.