Im Leid mit Gott - Christentum und Kultur
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B I. „theon dikein“-<strong>Gott</strong> rechtfertigen – Die Theodizee-Frage<br />
Sie lässt Gläubige, <strong>Leid</strong>ende, Theologen stutzen, zweifeln, verbittert um eine Auflösung ringen oder<br />
an ihr scheitern: 1697 prägt <strong>Gott</strong>fried Wilhelm Leibnitz für eine christliche Gr<strong>und</strong>problematik den<br />
Begriff der Theodizee 1 , bezugnehmend auf eine Kernfrage/Fragestellung, die schon viel älter ist, jene<br />
nach der Vereinbarkeit von <strong>Leid</strong> <strong>und</strong> Übel in der Welt <strong>mit</strong> dem Glauben an einen liebenden <strong>Gott</strong>.<br />
Demnach liegt der Theodizee-Problematik eine innere Widersprüchlichkeit zweier Aussagen<br />
zugr<strong>und</strong>e:<br />
1. die Erfahrung entsetzlichen Unheils<br />
2. die Annahme der Allgüte <strong>und</strong> Allmacht <strong>Gott</strong>es,<br />
woraus hervorgeht, dass nicht das Nebeneinanderbestehen von irdischem <strong>Leid</strong> <strong>und</strong> der Existenz<br />
eines <strong>Gott</strong>es die besagte Antithetik hervorruft, sondern vielmehr die speziellen Attribute <strong>und</strong><br />
Wesenszüge, die der christliche Glaube in <strong>Gott</strong> annimmt. Erst wenn <strong>Gott</strong> Allgüte <strong>und</strong> Allmacht als<br />
dessen Eigenschaften zugesprochen werden, erst wenn von dem spezifisch christlichen <strong>Gott</strong>esbild<br />
eines liebenden <strong>und</strong> guten <strong>Gott</strong>es ausgegangen wird, scheinen beide Aussagen der Unvereinbarkeit<br />
ausgesetzt.<br />
Dabei wagt es die Theodizee, diesen Bruch einzugestehen, zunächst (im Gegensatz zu<br />
verschiedenen Antwortstrategien) keine der beiden Komponenten zu relativieren, abzuschwächen<br />
oder gar zu leugnen <strong>und</strong> ganz ohne die Problematik als bloßen Scheinwiderspruch abzutun.<br />
Wie kann der Mensch daher „ja-sagen zur Welt <strong>und</strong> zu <strong>Gott</strong>“ 2 ? Die Theodizee fordert dabei heraus,<br />
<strong>mit</strong> <strong>und</strong> um <strong>Gott</strong> zu ringen, ihn den leidvollen Strukturen der Welt abzuringen; aus der Theodizee<br />
heraus erwachsen Zweifel, gerät der <strong>Gott</strong>glaube ins Wanken, gerade da aus der<br />
Erfahrungswirklichkeit heraus <strong>Leid</strong> real <strong>und</strong> „unbedingt“ besteht, d.h. der ersten Aussage nur schwer<br />
ein Abbruchgeben oder sie eingeschränkt werden kann.<br />
Ist <strong>Gott</strong> daher gerecht? Ist er allmächtig? Existiert er überhaupt? Die Theodizee-Problematik profiliert<br />
sich als „Schicksal der <strong>Gott</strong>esrede“ 3 , da <strong>Leid</strong> als existentiell stärksten Einwand den <strong>Gott</strong>esglauben in<br />
Frage stellt oder sich gar als schwerstes Argument für dessen Ablehnung herauskristallisiert:<br />
Die Theodizee zwingt nahezu, anzuzweifeln, unsicher zu werden, zu schwanken, fordert den<br />
Menschen heraus <strong>und</strong> irritiert oder erlaubt scheinbar gar eine logisch aufgebaute<br />
Argumentation/Untermauerung, <strong>Gott</strong> (dessen Existenz oder auch wesentliche Gr<strong>und</strong>züge) zu leugnen,<br />
zu negieren, zu verweigern - ein Muster, welches im Folgenden völlig unvoreingenommen betrachtet<br />
<strong>und</strong> auf dessen Stichhaltigkeit hin untersucht werden soll. Zumindest <strong>und</strong> in jedem Fall aber stimmt<br />
sie nachdenklich <strong>und</strong> trägt selbst an den unbeirrt Glaubenden die Aufgabe heran, seinen<br />
<strong>Gott</strong>esglauben neu zu definieren, zu überdenken oder schließlich zu festigen, will er ihn nicht in<br />
Widersprüchlichkeit <strong>und</strong> Zwiespalt verlieren. Aus diesem <strong>Im</strong>puls heraus oder allein aufgr<strong>und</strong> der<br />
Herausforderung, die die Theodizee-Frage stellt, wird unerschöpflich versucht, diese „uralte<br />
Menschheitsfrage“ zu beantworten, aufzulösen, ihren inneren Bruch aufzuheben, Gr<strong>und</strong> genug, einen<br />
Blick auf die lange Tradition differenzierter Antwortstrategien zu werfen.<br />
Gerade da diese Streitfrage letztlich zumindest nach kritisch begründeter Auseinandersetzung <strong>und</strong><br />
f<strong>und</strong>ierter Reflexion verlangt, erscheint eine präzise Definition <strong>und</strong> Abgrenzung ihres Charakters<br />
unerlässlich, wobei allein schon die etymologische Untersuchung des Theodizee-Begriffes Aufschluss<br />
über Gr<strong>und</strong>züge der Problematik liefert, sowie Anstoß- <strong>und</strong> Anknüpfungspunkt für weitere<br />
Präzisierung darstellt.<br />
Als Begriff, Ende des 17. Jhd. von <strong>Gott</strong>fried Wilhelm Leibnitz (1646 - 1716), einem deutschen<br />
Philosophen, der selbst zahlreiche theoretische Abhandlungen bezüglich dieser Streitfrage vorlegt <strong>und</strong><br />
so ihr Wesen entscheidend (<strong>mit</strong>)prägt, eingeführt, leitet sich „Theodizee“ von den beiden Worten<br />
griechischen Ursprungs ab: „theon dikein“, was bedeutet „<strong>Gott</strong> rechtfertigen“ 4 . In seiner klassisch<br />
gewordenen Definition bezeichnet die Theodizee nach Leibnitz’ Verfahren, also die aus der<br />
„apologetischen Perspektive“ 5 herausgeführte Rechtfertigung <strong>Gott</strong>es angesichts des <strong>Leid</strong>ens <strong>und</strong> der<br />
Unvollkommenheit der Welt - eine theoretisch-abstrakt anklingende Vorgehensweise, die derart<br />
1<br />
Griech. Rechtfertigung <strong>Gott</strong>es hinsichtlich des von ihm in der Welt zugelassenen Übels.<br />
2<br />
„<strong>Leid</strong> erfahren - Sinn suchen“, M. Böhnke S. 74<br />
3<br />
Ebd. S. 72<br />
4<br />
„Warum lässt uns <strong>Gott</strong>es Liebe leiden“, G. Greshake, S. 37<br />
5 Ebd S. 45