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Im Leid mit Gott - Christentum und Kultur

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Mit dem Rücken zur Wand<br />

„Es ist leicht, <strong>Gott</strong> anzuklagen. Der dir nicht widerspricht. Der sich nicht verteidigt. Oh, es ist so<br />

einfach, seinen Vorwurf gegen jemanden auszusprechen, wenn du ihm dabei nicht in die Augen<br />

sehen musst, wenn du ihm nicht gegenüberstehst <strong>und</strong> ihm nicht ins Gesicht schreien kannst. Es ist<br />

beinahe Feige. Würdest du noch immer so reden, wenn er neben dir säße <strong>und</strong> dein Arm den seinen<br />

berührte, so unerbittlich, so radikal. Würdest du dann noch immer die Last der Verantwortung für das<br />

<strong>Leid</strong>en der Welt in seinen Schoß legen? Würdest du noch immer das Wort „Schuld“ auf seinen<br />

Rücken schreiben?“ Er wusste, seine Worte waren hart, im Gr<strong>und</strong> unzumutbar für einen Menschen,<br />

der gerade vor den Trümmern seines Hauses stand in dem er sein Kind verlor, der immer wieder dort,<br />

wo die Türe war bevor sie nieder brannte, nach innen stolperte <strong>und</strong> ein paar Steine zur Seite legte, als<br />

ob er sein Kind noch in der Asche finden könnte oder die Mauern wieder aufbauen. Er wusste es <strong>und</strong><br />

es fiel ihm schwer, so zu sprechen.<br />

„Was wirfst du mir vor?“, seine Stimme zitterte <strong>und</strong> bebte <strong>und</strong> sein Blick suchte verstört nach Halt, in<br />

einer Welt, die gerade um ihn herum zusammen gebrochen war. „Was wirfst du mir vor? Dass ich<br />

frage, wo <strong>Gott</strong> gewesen ist, als das Feuer ausbrach, ob er die Flammen nicht gesehen hat <strong>und</strong> den<br />

Schrei meines Kindes nicht gehört? Ich klage ihn nicht an, als den Verursachenden, als den Urheber<br />

des <strong>Leid</strong>es, ich klage ihn an als den Duldenden, den Zulassenden. Und diese Klage ist berechtigt,<br />

siehst du, diese Klage ist berechtigt.“ Und er warf ein Stück zerbröckelten Beton gegen eine<br />

Glasscheibe, die klirrend zersprang <strong>und</strong> sank auf die Knie, als täte es ihm weh, an dem völlig<br />

niedergebrannten Haus auch nur irgendwas zerstört zu haben. „Richte deinen Vorwurf nicht gegen<br />

<strong>Gott</strong>, richte ihn an den Menschen. Verlangst du, dass <strong>Gott</strong> einsteht für die Fehler der Menschen? Du<br />

hast von Kriegen gesprochen, von Unfällen, von Trauer <strong>und</strong> du stehst vor den Trümmern deines<br />

Hauses, am Grab deines Kindes - sind es nicht die Menschen, die hier versagen? Die Asche unter<br />

unseren Füßen <strong>und</strong> der Rauch den wir hier noch atmen, bezeugen das Scheitern des Menschen -<br />

deine Anklage verhallt, wenn du sie an <strong>Gott</strong> richtest.“ - „Sicher, weil <strong>Gott</strong> schweigt, weil er schweigt,<br />

wenn die Menschen um Hilfe rufen <strong>und</strong> verstummt, wenn sie ihn um dieses Schweigens Willen<br />

anklagen. Müsste <strong>Gott</strong> nicht trotzdem einschreiten? Wenn die Menschen versagen, meine ich, müsste<br />

er doch eingreifen, oder zumindest, wenn Unschuldige die Opfer sind.“<br />

Er sprach nicht weiter für einen Moment, er kapitulierte vor dem, was er forderte. „Die Menschen sind<br />

schrecklich gutgläubig, oder blind, oder hilflos, wenn sie <strong>Gott</strong> loben <strong>und</strong> preisen <strong>und</strong> irgendwann<br />

erwachen <strong>und</strong> einsehen, dass die schützende Hand <strong>Gott</strong>es, die sie in den Kirchen besingen, sie nicht<br />

schützt. Was verlangst du, das ich tue? Dass ich mich je wieder von den verbrannten Schutthaufen,<br />

der meine Existenz ist, aufrichte <strong>und</strong> <strong>Gott</strong> dafür danke, dass ich noch am Leben bleiben durfte, um<br />

mein Kind noch in den Trümmern des Hauses, das ich erbaute, zu suchen? Lausche nach einem<br />

Bekenntnis zu <strong>Gott</strong> in den Krisengebieten der Welt, in den Krankenzimmern oder irgendwo sonst, wo<br />

Menschen leiden - du wirst genau hinhören müssen <strong>und</strong> gerade hier neben dir werde ich schweigen.“<br />

Beide spürten die Kälte die sie plötzlich <strong>mit</strong> dem Hereinbrechen der Dunkelheit umgab <strong>und</strong> ihre Körper<br />

zittern ließen. Beide sehnten sich nach der Geborgenheit <strong>und</strong> der Wärme eines Hauses, genau wie<br />

das, das unter ihnen niedergebrannt war <strong>und</strong> nach der Stimme eines Kindes, die daran erinnert, dass<br />

man glücklich sein kann. „Es fällt mir so schwer, noch an <strong>Gott</strong> zu glauben. Ich stehe <strong>mit</strong> dem Rücken<br />

zur Wand.“<br />

Kathrin Schölch, 03. Juli 2008

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