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Im Leid mit Gott - Christentum und Kultur

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Von dieser Struktur ausgehend, soll im Folgenden zuerst die Person Beckmanns betrachtet werden,<br />

um danach den Blick auf die von Borchert dargebotene Antwort im personifizierten <strong>Gott</strong> zu lenken.<br />

Beckmann, der einen „Lieben <strong>Gott</strong>“ zu verstehen versucht…<br />

Zunächst bleibt festzuhalten, dass der Protagonist im gesamten Verlauf des Dramas von jeglicher<br />

Reflexion über sein <strong>Leid</strong> distanziert <strong>und</strong> unberührt bleibt: Beckmann leidet, er leidet existentiell <strong>und</strong><br />

dieses <strong>Leid</strong>en - seine Einsamkeit, seine Schuld, sein Hunger <strong>und</strong> seine Lebensmüdigkeit - ist für ihn<br />

so wirklich <strong>und</strong> nimmt ihn in einer solchen Absolutheit ein, dass er sich nicht einmal im Ansatz davon<br />

lösen <strong>und</strong> gewissermaßen darüber nachdenken kann. Für ihn ist sein Schicksal nicht Problem,<br />

sondern un<strong>mit</strong>telbare <strong>und</strong> entsetzliche Realität. Zur Theodizee-Frage gelangt er daher nicht von<br />

selbst, d.h. aus eigener Reflektion heraus, für die ihm seine Not keinerlei Raum lässt, sondern er wird<br />

vielmehr angestoßen durch das Erscheinen eines alten Mannes, der ihn an <strong>Gott</strong> erinnert.<br />

Beckmanns Bemühungen um die Theodizee erfolgt in schrittweiser Steigerung, vom Zusammenprall<br />

seines naiven, ungetrübten <strong>Gott</strong>glaubens <strong>mit</strong> der Realität bis zur offenen Anklage. Zunächst muss er<br />

feststellen, wie leicht es für die „Zufriedenen, die Satten, die Glücklichen“ 54 ist, auf einen guten <strong>und</strong><br />

schützenden <strong>Gott</strong> zu bauen, da dieses <strong>Gott</strong>esbild sich in keiner Weise an der Wirklichkeit, an ihrer<br />

Wirklichkeit reibt oder einen Bruch erfährt. Eine unbelastete Lebensrealität scheint das ausschließlich<br />

positiv konnotierte <strong>Gott</strong>esbild gar zu bestätigen <strong>und</strong> in keiner Weise in Frage zu stellen. Freilich folgt<br />

daraus, dass erst die Erfahrung von <strong>Leid</strong>, das Erlebnis einer defizitären Welt zum Prüfstein des<br />

Glaubens wird - eine Erkenntnis, die stark an das alttestamentliche Buch Ijob erinnert. „Ist Ijob ohne<br />

Gr<strong>und</strong> gottesfürchtig?“ 55 - muss sich <strong>Gott</strong> vom Satan fragen lassen, der dadurch eine gewisse<br />

Eigennützigkeit <strong>und</strong> Selbstgefälligkeit von Ijobs Glauben vorwirft. Durch die Erfahrung von Unheil<br />

werde sich, so die Spekulation des Satans, Ijobs <strong>Gott</strong>vertrauen nicht länger bewähren <strong>und</strong> „er wird dir<br />

[<strong>Gott</strong>] ins Angesicht fluchen“ 56 . Sobald Beckmann zugeben muss: „Ich kenne keinen, der ein lieber<br />

<strong>Gott</strong> ist“ 57 hat sein Glaube <strong>und</strong> <strong>Gott</strong>esverständnis bereits eine Erschütterung erfahren: Die<br />

ursprünglich <strong>Gott</strong> zugestandenen Attribute wie Güte oder Gerechtigkeit lassen sich an der Wirklichkeit<br />

nicht länger verifizieren, Beckmanns un<strong>mit</strong>telbare <strong>Leid</strong>erfahrung scheint seinem <strong>Gott</strong>esbild von einst<br />

zu widersprechen. Diese Unvereinbarkeit, dieses Unverständnis führt folgerichtig in eine kritische<br />

Anfrage an die Güte <strong>Gott</strong>es, die sich nun angesichts der Lebenswirklichkeit bewähren muss <strong>und</strong> nicht<br />

länger als bestehend angenommen werden kann: „Wann bist du eigentlich lieb, lieber <strong>Gott</strong>?“ 58 .<br />

Beckmann hat den Blick von seinem eigenen Martyrium erhoben <strong>und</strong> versucht, <strong>Gott</strong> angesichts der<br />

Schreckenswirklichkeit des Krieges zu rechtfertigen. Auffallend hierbei ist der kindliche Fragecharakter<br />

<strong>und</strong> die Ansprache an <strong>Gott</strong> durch „du“, sowie die Anrede „lieber <strong>Gott</strong>“: Alle Äußerungen dieser<br />

Dialogszene <strong>mit</strong> <strong>Gott</strong> bezeugen keine radikale Absage an den alten Mann, der vor ihm steht, sondern<br />

vielmehr das Bemühen <strong>und</strong> dem Erhalt des Bezugs, ein verzweifeltes Festhalten oder die Sehnsucht<br />

nach Geborgenheit, wie auch die bittende Klage „Wann hast du dich jemals um uns gekümmert,<br />

<strong>Gott</strong>?“ 59 bestätigt.<br />

Dennoch: Beckmanns Ringen um <strong>Gott</strong> steigert sich in einen offenen Vorwurf, die Anklage, das Übel<br />

passiv duldend zuzulassen. Der Kriegsheimkehrer weist dadurch <strong>Gott</strong> nicht die Verfügungsgewalt<br />

über das Böse zu oder bringt ihn ursächlich <strong>mit</strong> existierendem <strong>Leid</strong> in Verbindung, sondern beklagt<br />

vielmehr dessen Schwäche <strong>und</strong> Ohnmacht angesichts der Radikalität des <strong>Leid</strong>ens - eine auf der einen<br />

Seite anklagende, auf der anderen Seite apologetische Aussage, die sich von nun an durch alle<br />

Äußerungen Beckmanns zieht. Der „Märchenbuchliebegott“ komme, so Borchert <strong>mit</strong> „unseren langen<br />

Listen von Toten <strong>und</strong> Ängsten nicht mehr <strong>mit</strong>“ 60 , er sei zu „unmodern“ 61 . Der Protagonist formulieret<br />

seine Erklärungsversuche als Vorwurf, aber auch als Entlastung <strong>Gott</strong>es, der in seinen Augen aufgr<strong>und</strong><br />

seines hohen Alters <strong>und</strong> seines Alleinseins völlig überfordert sei <strong>mit</strong> der Not der Menschen <strong>und</strong> nur<br />

noch schwach <strong>und</strong> hilflos der Eigendynamik des <strong>Leid</strong>ens zusehen könne, das dem „alten Mann“<br />

längst entglitten sei. Innerhalb seines (menschlichen) Verstehenshorizontes bestätigt er die Aussage<br />

<strong>Gott</strong>es („Ja, das ist es, <strong>Gott</strong>. Du kannst es nicht ändern“ 62 ) <strong>und</strong> reiht sie in seine<br />

Argumentationsstruktur ein. Beckmanns Bitterkeit <strong>und</strong> Verzweiflung gipfelt schließlich in dem<br />

Glauben, sich besorgt um den hilflosen alten Mann kümmern zu müssen (vgl. S.43),wo<strong>mit</strong> er auf<br />

diese Weise sein letztes Vertrauen auf eine sinngebende Perspektive im Leben durch <strong>Gott</strong><br />

dementiert. <strong>Gott</strong> ist für den leidenden Beckmann „funktionslos“ geworden, die Problematik der<br />

Theodizee auf diese Weise aufgehoben.<br />

54 „Draußen vor der Tür“, Wolfgang Borchert S. 41<br />

55 Ijob 1, 9<br />

56 Ijob 1, 10<br />

57 „Draußen vor der Tür“, Wolfgang Borchert S. 42<br />

58 Ebd.<br />

59 Ebd.<br />

60 Ebd.<br />

61 Ebd.<br />

62 „Draußen vor der Tür“, Wolfgang Borchert S. 43

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