Im Leid mit Gott - Christentum und Kultur
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Christa Purschke, „Dort“<br />
In letzter Konsequenz muss er daher auch menschlichen<br />
Missbrauch der Freiheit <strong>und</strong> die Entscheidung des<br />
Menschen gegen <strong>Gott</strong> respektieren - <strong>und</strong> an diesem<br />
Fehlverhalten, an der Abwendung des Menschen, leidet<br />
der <strong>Gott</strong> des Dramas bitterlich.<br />
„Keiner glaubt mehr an mich. Du nicht, keiner. Ich bin der<br />
<strong>Gott</strong> an den keiner mehr glaubt“, 68 muss er beklagen <strong>und</strong><br />
so seine Ohnmacht, seine Abhängigkeit von der Liebe der<br />
Menschen eingestehen. Zugleich konstituiert er sich aber,<br />
als der <strong>Gott</strong>, der dennoch existiert, der sich den Menschen<br />
anbietet <strong>und</strong> von ihnen angenommen werden will. Wenn<br />
die Menschen sich ihm zuwenden würden, wenn sie ihn<br />
hören würden, so scheint <strong>Gott</strong> zu suggerieren, könnte er<br />
ihnen sinngebende Perspektiven eröffnen, Hoffnung stiften<br />
<strong>und</strong> sie begleiten. Nicht er habe sich von der Welt<br />
abgewandt <strong>und</strong> sie der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs<br />
preisgegeben, sondern die Menschen sich von ihm,<br />
wodurch alles „malum morale“ erst ursächlich entstehe.<br />
Borchert zeichnet einen <strong>Gott</strong>, der an der Sünde der<br />
Menschen <strong>und</strong> <strong>mit</strong> dem Schmerz der dadurch unschuldig<br />
Betroffenen leidet.<br />
d) Schlusswort zu einer literarisch geleiteten Reflexion<br />
Auch nach dieser werkimmanenten Analyse, die zum Umgang <strong>mit</strong> der Theodizee-Problematik<br />
innerhalb des Dramas untersucht, bleiben darüber hinausgehende Fragen offen, die nach der<br />
Ver<strong>mit</strong>tlungsintention Borcherts beispielsweise oder die Möglichkeit der Zeittypik. Ansätze zu<br />
Antworten, die die Grenzen des literarischen Werkes transzendieren, sollen hier aufgezeigt werden.<br />
Unbestritten gelingt Borchert in der Schlussszene von „Draußen vor der Tür“ die authentische<br />
Darstellung eines Theodizee-Bemühens, indem er im Dialogteil seines Protagonisten ein erbittertes<br />
Ringen um die Bewährung des christlichen <strong>Gott</strong>esbildes am Maßstab der Wirklichkeit dokumentiert.<br />
Seine besondere Dynamik erfährt diese existentielle Auseinandersetzung <strong>mit</strong> der <strong>Gott</strong>esfrage als<br />
Theodizee-Frage dadurch, dass nicht nur innerlich reflektiert, sondern <strong>Gott</strong> selbst kritisch angefragt<br />
wird. In der literarischen Gestaltung <strong>Gott</strong>es ver<strong>mit</strong>telt Borchert nicht nur sein <strong>Gott</strong>esverständnis,<br />
sondern lässt die Szene transparenter erscheinen für sein Lösungsangebot zur Theodizee: Auch<br />
wenn sich das Bild eines „lieben <strong>Gott</strong>es“ an der empirischen Wirklichkeit reibt <strong>und</strong> dessen Plausibilität<br />
infrage stellt, fällt es dem Autor schwer, die Güte <strong>Gott</strong>es oder gar seine Existenz zu leugnen. Der<br />
Autor modifiziert das <strong>Gott</strong>esbild eher in der Hinsicht, dass er diesem die Allmacht abspricht, in<br />
menschlichen Freiheitsspielraum <strong>und</strong> in leidverursachendes Schuldig-Werden direkt einzugreifen, um<br />
es so der Tatsache bestehenden <strong>Leid</strong>ens anzupassen.<br />
Ein Schritt in den Atheismus fiel Borchert aufgr<strong>und</strong> seiner Biographie <strong>und</strong> vor dem konkreten<br />
Kriegshintergr<strong>und</strong> offenbar zu schwer: Obwohl die unbeschreiblichen Auswirkungen des Zweiten<br />
Weltkriegs auf die Einzelschicksale sicher für viele Einwand <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong> gegen <strong>Gott</strong>esglauben lieferten<br />
<strong>und</strong> der Glaube zur Bewältigung von <strong>Leid</strong> <strong>und</strong> Sinnlosigkeit freilich einbüßte, hielt Borchert womöglich<br />
gerade aus den Gründen der Kriegserfahrung <strong>und</strong> der eigenen Todesnähe an der Existenz eines<br />
guten <strong>Gott</strong>es fest: Menschliche Möglichkeiten, die Negativität des <strong>Leid</strong>ens auszuhalten, wären<br />
überfordert, wenn es keinen <strong>Gott</strong> mehr gäbe. Auch wenn seitens des Autors der Hoffnung auf direkte<br />
leidverhindernde Intervention <strong>Gott</strong>es in der Welt eine Absage erteilt wurde, kann die Existenz eines<br />
guten <strong>Gott</strong>es als sinnstiftender Hintergr<strong>und</strong> Halt geben, um die Welt nicht der Absurdität<br />
preiszugeben. Dies könnte der kleine Hoffnungsschimmer sein, der aus Borcherts finsterem Drama<br />
entgegen strahlt.<br />
Am Ende bleibt die Frage zu beantworten, ob die Auseinandersetzung <strong>mit</strong> der Theodizee als Motiv der<br />
Literatur einen weiteren Schritt in Richtung einer breit gefächerten <strong>und</strong> f<strong>und</strong>ierten Reflektion der<br />
Theodizee-Problematik darstellt. Dahingehend gilt es anzumerken, dass die Literatur authentische<br />
Anstoßpunkte aufzeigen kann, an denen die Theodizee-Frage möglicherweise aufbricht <strong>und</strong> die der<br />
Leser nie erfahren konnte, wie in Borcherts Drama das Kriegserlebnis. Ebenfalls ist es ihr möglich,<br />
differenzierte Arten der Auseinandersetzung <strong>mit</strong> diesem Dilemma zu ver<strong>mit</strong>teln, anhand derer der<br />
Außenstehende seinen Weg der Reflektion erweitern, modifizieren oder auch f<strong>und</strong>ieren kann. Literatur<br />
kann eine religionsphilosophische Frage ebenso gut erläutern, debattieren <strong>und</strong> reflektieren wie ein<br />
darstellender Sachtext <strong>und</strong> zudem die alltagstheologische Verortung der Theodizee-Frage im Leben<br />
häufig authentischer <strong>und</strong> näher verdeutlichen, an der nie vorbeiargumentiert werden darf. Gerade im<br />
68 „Draußen vor der Tür“, Wolfgang Borchert S. 42