Im Leid mit Gott - Christentum und Kultur
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Entnommen aus: „Ich wünsche dir gute Träume“, S. 72<br />
Die Tendenz junger Menschen ist gerade nicht<br />
darauf ausgerichtet, das <strong>Leid</strong> einem letztlich<br />
guten Zweck zu unterstellen oder es zu<br />
beschönigen, sondern viel eher in seiner Härte<br />
als bestehend anzuerkennen <strong>und</strong> ihr<br />
ursprünglich ausschließlich positiv besetzten<br />
<strong>Gott</strong>esverständnis auf Vereinbarkeit <strong>mit</strong> der als<br />
unvollkommen wahrgenommen Welt hin zu<br />
befragen. Jugendliche oder bereits Kinder<br />
versuchen die Spannung zwischen realer<br />
Erfahrungswelt <strong>und</strong> ihrem eigenchristlichen<br />
<strong>Gott</strong>esbegriff abzubauen, indem sie diesen<br />
modifizieren <strong>und</strong> der Tatsache des <strong>Leid</strong>ens<br />
anpassen, wie das folgende Beispiel, welches<br />
einem eher kindlichen Verstehenshorizont<br />
entstammt, beweist: Das bisherige<br />
Gedankenmuster eines „alten Mannes <strong>mit</strong> Bart“<br />
wird dahingehend verändert, dass dieser<br />
aufgr<strong>und</strong> seines „hohen Alters“ <strong>und</strong> seiner<br />
„Einzigartigkeit“ zu gestresst <strong>und</strong> <strong>mit</strong> allen<br />
unheilvollen Komponenten der Welt schlicht<br />
überfordert sei - eine Modifikation, die den<br />
<strong>Gott</strong>esglauben nicht preisgibt, sondern die<br />
Existenz von <strong>Leid</strong> <strong>und</strong> einen guten <strong>Gott</strong> wieder<br />
nebeneinander denkbar macht.<br />
In analogen Strukturen ringen viele junge Menschen um ihren Glauben, der für sie zu kostbar ist, um<br />
ihn zugunsten einer als leidvoll erfahrenen Welt aufzugeben. Eine Option, die Arbeit am <strong>Gott</strong>esbild,<br />
wird für sie zur gangbaren Alternative: Durch Abwendung von traditionell christlichen <strong>Gott</strong>esattributen<br />
<strong>und</strong> bewusste Setzung neuer teils kontrastierender Prädikate wird innerhalb des Vernunftrahmens von<br />
Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen das aufgezeigte Theodizee-Dilemma gelöst <strong>und</strong> <strong>Gott</strong> vor allem für sie<br />
wieder verstehbar.<br />
Eva Stögbauer verweist zudem auf die durch empirische Er<strong>mit</strong>tlungen bestätigte Tatsache, dass junge<br />
Menschen häufig eine Verbindung der Theodizee zu weiteren für sie relevanten theologischen bzw.<br />
philosophischen Fragen knüpfen. Die Auseinandersetzung <strong>mit</strong> dem Theodizee-Dilemma geht stark <strong>mit</strong><br />
Reflexion über die Sinnfrage einher: Jugendliche wollen trotz der Theodizee-Widersprüchlichkeit an<br />
<strong>Gott</strong> als „begleitendem Sinnpotential <strong>und</strong> Hoffnungshorizont“ festhalten, die Zukunft nicht als sinnlos,<br />
leer <strong>und</strong> gefährdend wahrnehmen, sondern ihren Glauben auch gegen die Theodizee verteidigen. In<br />
strukturell ähnlicher Weise sind Jugendliche dazu geneigt, von der Theodizee angestoßen, den<br />
Rahmen der Theodizee-Auseinandersetzung zu verlassen <strong>und</strong> darüber hinaus das<br />
Spannungsverhältnis von menschlicher Autonomie <strong>und</strong> göttlicher Heteronomie auszuhalten:<br />
Insbesondere ältere Jugendliche weisen <strong>mit</strong> Blick auf die Wahrung der Freiheit des Menschen eine<br />
direkte Intervention <strong>Gott</strong>es zur Vermeidung menschlicher leidverursachender Verfehlungen zurück.<br />
Dennoch stehe, so die Autorin, der „<strong>Im</strong>perativ, dass <strong>Gott</strong> einschreite“, um <strong>Leid</strong> zu verhindern weiterhin<br />
im Raum, sodass selbst der „Rekurs auf menschliche Handlungsfreiheit (…) <strong>Gott</strong> nicht von der<br />
Letztverantwortung“ entlaste. In dieser Richtung bewegen sich die gr<strong>und</strong>sätzlichen Erwägungen der<br />
Jugendlichen bezüglich der menschlichen Freiheit <strong>und</strong> der im Gr<strong>und</strong>e abgelehnten, aber in manchen<br />
Fällen dennoch gerechtfertigten Beschneidung dieses Freiheitsraumes durch <strong>Gott</strong>es Eingreifen.<br />
Die Wahrnehmung der Theodizee-Problematik wird folglich zum Ausgangspunkt <strong>mit</strong> weiteren<br />
religionsphilosophischen Fragestellungen. Das Qualifikationsprojekt empirisch er<strong>mit</strong>telter <strong>und</strong><br />
ausgewerteter Ergebnisse bezüglich der Wahrnehmung der Theodizee-Frage bei Kindern <strong>und</strong><br />
Jugendlichen belegt eindrucksvoll, dass insbesondere junge Menschen nicht vor der Radikalität des<br />
Theodizee-Dilemmas kapitulieren, sondern sich existentiell <strong>mit</strong> der Spannung ihrer Erfahrungswelt <strong>mit</strong><br />
dem eigenem <strong>Gott</strong>verständnis auseinandersetzen.