Im Leid mit Gott - Christentum und Kultur
Im Leid mit Gott - Christentum und Kultur
Im Leid mit Gott - Christentum und Kultur
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
- <strong>Gott</strong> schauen 90<br />
Rainer Oberhansli-Widmer, „Hiob-Hiob-Hiob“<br />
„Von Hörensagen nur hatte ich von dir<br />
vernommen; jetzt aber hat mein Auge dich<br />
geschaut“ 91<br />
Dies ist die Lösung, die das Ijob-Buch anbietet,<br />
<strong>und</strong> zugleich die Bewusstseinsveränderung, auf<br />
die die Jahwe-Reden metaphorisch anspielen.<br />
Ijob kontrastiert an dieser Stelle in Bezug auf die<br />
Wahrnehmung <strong>Gott</strong>es die beiden<br />
„<strong>Gott</strong>eserfahrungen“ durch „hören“ <strong>und</strong><br />
„schauen“, auch sein eigenes „hören“ von einst<br />
<strong>und</strong> sein „Schauen“ der Gegenwart. <strong>Gott</strong> zu<br />
„hören“ bedeutet eine äußere, passivaufnehmende<br />
Wahrnehmung <strong>Gott</strong>es,<br />
beispielsweise die Aufnahme von <strong>Gott</strong>eswissen,<br />
welches narrativ durch Tradition ver<strong>mit</strong>telt wird.<br />
<strong>Gott</strong> zu „schauen“ bezieht sich dagegen auf<br />
einen inneren Vorgang aktiver Einsicht, welcher<br />
<strong>mit</strong> einer Bewusstseinserweiterung einhergeht.<br />
Mit dem Ausdruck des <strong>Gott</strong>-Schauens wird eine<br />
existentielle <strong>Gott</strong>eserfahrung aufgegriffen,<br />
beispielsweise die Erfahrung der Anwesenheit<br />
<strong>Gott</strong>es selbst im <strong>Leid</strong>, so wie Ijob sie erleben<br />
darf. Nicht verwechselt werden darf dieses<br />
„Schauen“ allerdings <strong>mit</strong> einem äußeren Sehen<br />
von <strong>Gott</strong>esbildern: Es ist ausschließlich Metapher<br />
für einen inneren Vorgang.<br />
In tiefstem <strong>Leid</strong> hat Ijob in einem einzigartigen Vertrauensbekenntnis seine Gewissheit ausgedrückt:<br />
„Ich aber weiß: Mein Erlöser lebt“ (…) ich [werde] <strong>Gott</strong> schauen“ 92 . Diese Hoffnung ist nicht enttäuscht<br />
worden: Ijob darf die Anwesenheit <strong>Gott</strong>es existentiell erfahren.<br />
Das Ende des Buches Ijob bezeugt auch seine äußere Wiederherstellung: Ijob erhält nicht nur seine<br />
Kinder, sondern auch seinen materiellen Besitz zurück. Erst viel später stirbt er hochbetagt <strong>und</strong> satt<br />
an Lebenstagen“ 93<br />
c) Die Botschaft des Buches Ijob<br />
Das alttestamentliche Buch Ijob behandelt das Menschheitsthema <strong>Leid</strong>, nicht theoretisch, sondern<br />
persönlich <strong>und</strong> existentiell in der Person des Ijob. Es will keine Antwort auf die „Frage nach dem <strong>Leid</strong>“<br />
geben, menschliches <strong>Leid</strong>en nicht abstrakt problematisieren, sondern vielmehr die Thematik des<br />
Umgangs <strong>mit</strong> dem <strong>Leid</strong>, das Verhalten im <strong>Leid</strong> ansprechen. Daher macht der Verfasser dieser<br />
Erzählung nicht nur gr<strong>und</strong>legende Aussagen über den Menschen, sondern auch über <strong>Gott</strong>: „<strong>Gott</strong> führt<br />
den Menschen nicht am <strong>Leid</strong> vorbei, sondern weist ihm den einen Weg aus dem <strong>Leid</strong>en heraus“,<br />
scheint die zentrale Botschaft zu sein, die die Bibel an dieser Stelle durch das Buch Ijob wiedergibt.<br />
<strong>Gott</strong> liebt seinen rechtschaffenen Diener Ijob <strong>und</strong> lässt dennoch zu, dass ihm durch den Satan Unheil<br />
widerfährt genau wie <strong>Gott</strong> die Menschen liebt <strong>und</strong> sie dennoch nicht vor allem <strong>Leid</strong> bewahrt.<br />
Ob in diesem Zusammenhang die aus dem Ijob-<br />
Buch abgeleitete mögliche Aussage, dass <strong>Gott</strong><br />
bewusst <strong>Leid</strong>en in die Welt integriert, um den<br />
Glauben der Menschen zu prüfen, gehalten<br />
werden kann, soll an dieser Stelle nicht erörtert<br />
werden. Genau wie das Buch Ijob seinen<br />
Schwerpunkt auf die Frage nach dem Bestehen<br />
des <strong>Leid</strong>s setzt, soll sich die Auslegung vielmehr<br />
auf die Gr<strong>und</strong>aussage des Buches<br />
konzentrieren: „<strong>Gott</strong> führt aus dem <strong>Leid</strong> heraus“.<br />
In den beiden Jahwe-Reden am Ende des<br />
Dialogteils bezeugt <strong>Gott</strong> eindrucksvoll seine<br />
Anwesenheit, indem er sich dem <strong>Leid</strong>enden<br />
direkt offenbart. Wie der <strong>Gott</strong>esname bereits<br />
90 Ijob 42, 1-6<br />
91 Ijob 42, 5<br />
92 Ijob 19,25-26<br />
93 Ijob 42, 17