Im Leid mit Gott - Christentum und Kultur
Im Leid mit Gott - Christentum und Kultur
Im Leid mit Gott - Christentum und Kultur
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Zunächst soll eine scheinbar einfache Frage<br />
vorangestellt werden: „Was ist eigentlich <strong>Leid</strong>? -<br />
Was bedeutet es zu leiden?“<br />
Krankheiten, Trauer, Einsamkeit, Hunger oder<br />
Gewalt - an die Ketten der Beispiele, der<br />
un<strong>mit</strong>telbaren Erfahrungswelt der Menschen<br />
entnommen, ließen sich beliebig weitere Glieder<br />
anfügen <strong>und</strong> dennoch niemals alle Facetten des<br />
<strong>Leid</strong>ens erfassen. Nicht nur aus diesem Gr<strong>und</strong><br />
bliebe eine Aneinanderreihung der<br />
verschiedenen Arten, in denen das <strong>Leid</strong> im<br />
Menschen weint, unbefriedigend, verlangt die<br />
Frage nach dem <strong>Leid</strong> doch ebenso oder vielmehr<br />
eine Erfassung des Gr<strong>und</strong>charakters von <strong>Leid</strong>,<br />
will wissen, was den Menschen überhaupt zu<br />
einem leidfähigen Wesen macht <strong>und</strong> erk<strong>und</strong>igt<br />
sich, nicht zuletzt, nach den so verschiedenen<br />
Ausdrucksformen des <strong>Leid</strong>ens. „Ein Übel ist das,<br />
was schadet“ 15 , könnte der Kirchenlehrer<br />
Augustinus zitiert werden.<br />
Und M. Böhme fügt in seinem Beitrag „Die Theodizee-Frage“ hinzu: „Von <strong>Leid</strong> kann erst dort sinnvoll<br />
gesprochen werden, wo die Natur auf ein empfindsames <strong>und</strong> leidfähiges Lebewesen trifft“ 16 , was<br />
bedeutet, dass an dieser Stelle <strong>Leid</strong>en nicht als gegeben existierend angenommen wird, sondern der<br />
Akzent von der Frage noch dem Charakter des <strong>Leid</strong>ens verschoben wird hin zu den Vorbedingungen,<br />
welche die Fähigkeit zu leiden überhaupt erst ermöglichen. Innerhalb dieses Zusammenhangs wird<br />
deutlich, dass, sobald, von <strong>Leid</strong> des Menschen gesprochen wird, dieser als ein schmerzempfindliches<br />
<strong>und</strong> leidfähiges Wesen vorausgesetzt wird, das heißt, dass der Mensch über die biologische<br />
Fähigkeit, leiden zu können, überhaupt verfügt. Jegliche biologischen, psychologischen oder<br />
soziologischen Bedingungen, die den Menschen erst angreifbar <strong>und</strong> sensibel machen, seien an dieser<br />
Stelle gerecht-<br />
fertigt zu vernachlässigen, betont sei lediglich die <strong>Leid</strong>fähigkeit des Menschen in vielerlei Hinsicht.<br />
Erst aus dieser heraus kann <strong>Leid</strong> überhaupt erfahren werden, im weitesten Sinne differenzierbar<br />
zwischen<br />
− physischen <strong>Leid</strong> (Schmerz <strong>und</strong> Mangelempfindungen) <strong>und</strong><br />
− psychischen <strong>Leid</strong> (Angst, Trauer, Verzweiflung, Sinnlosigkeit)<br />
Nach ganz anderen Kriterien kategorisiert H. Kessler, wenn er jegliches Übel nicht nach dem „Ort“ der<br />
Betroffenheit für den Menschen, sondern rein nach ihren Ursachen <strong>und</strong> Entstehungsfaktoren in fünf<br />
Gruppierungen strukturiert 17 :<br />
1. „Malum physicum“, das natürliche Übel, das aus den vorgegeben, nicht vom Menschen<br />
herbeigeführten Strukturen der Wirklichkeit, theologisch gesprochen, „von der Schöpfung<br />
her“ 18 entgegentritt (Naturkatastrophen, Krankheiten, usw., existierend <strong>und</strong> nicht menschlich<br />
verursacht). Bereits an dieser Stelle sei die Frage vorweggenommen, ob diese Form des<br />
<strong>Leid</strong>ens gerade im Rahmen der Theodizee, im Hinblick auf die Rechtsprechung <strong>Gott</strong>es,<br />
erheblich größere Schwierigkeiten bereitet als die folgende Art von <strong>Leid</strong>.<br />
2. „Malum morale“, das moralische Übel, das heißt das vom Menschen schuldhaft gesetzte,<br />
sittlich Schlechte oder Böse (Krieg, Gewalt, Unrecht).<br />
3. Malum metaphysicum“, das metaphysische Übel, sich auf die menschliche Begrenztheit in all<br />
ihren Ausdrucksformen beziehend: Endlichkeit, Irrtumsfähigkeit, Fehlbarkeit, Vergänglichkeit<br />
oder Sterblichkeit.<br />
15<br />
„<strong>Leid</strong> erfahren - Sinn suchen“, M. Böhnke S. 70<br />
16<br />
Ebd. S. 69<br />
17<br />
Ebd. S. 70<br />
18<br />
„Warum lässt uns <strong>Gott</strong>es Liebe leiden“, G. Greshake, S. 36<br />
Käthe Kollwitz, „Kind im Arm des Todes“