Im Leid mit Gott - Christentum und Kultur
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B III. Theodizee als „Schicksalsort der <strong>Gott</strong>esfrage“<br />
-Antwortstrategien <strong>und</strong> Lösungsansätze-<br />
Die Unvereinbarkeit zwischen menschlicher <strong>Leid</strong>erfahrung <strong>und</strong> der Existenz eines guten <strong>und</strong><br />
allmächtigen <strong>Gott</strong>es ist aufgehoben; die Widersprüchlichkeit im Nebeneinanderbestehen beider<br />
Aussagen aufgelöst, ohne dass einer der beiden Komponenten im Ansatz einen Abbruch getan oder<br />
gar geleugnet wurde <strong>und</strong> ohne den Zwiespalt zu akzeptieren. In letzter Konsequenz kann sich der<br />
Gläubige seines Glaubens vergewissern <strong>und</strong> ihn bestärken, muss er ihn doch nicht länger inneren<br />
Widersprüchen aussetzen.<br />
Eine solche Annahme <strong>und</strong> Hoffnung für den, der die Auseinandersetzung <strong>mit</strong> der Theodizee-Frage<br />
wagt, wird sich als Illusion erweisen. Seit Jahrh<strong>und</strong>erten bleibt die Theodizee als letztlich ungelöste<br />
Problematik, als noch immer offene Frage bestehen, lässt Theologen <strong>und</strong> Gläubige sich noch immer<br />
an ihr w<strong>und</strong> reiben oder völlig scheitern <strong>und</strong> mutet Christen weiterhin die Unausweichlichkeit einer im<br />
Keim unlösbaren gr<strong>und</strong>legenden Glaubensfragen zu.<br />
Allen bisher entwickelten Antwortstrategien - von <strong>Im</strong>manuel Kant, der die Begrenzung der Vernunft<br />
durch die Metaphysik in den Mittelpunkt rückt <strong>und</strong> daher für die prinzipielle Unlösbarkeit der<br />
Theodizee-Frage eintritt, bis zu Hans Küng, der anstatt der Suche nach rationalen Lösungen für<br />
unbedingtes Vertrauen in <strong>Gott</strong> plädiert - blieb eine allgemeingültige Lösung unzugänglich, sie weichen<br />
den zu Gr<strong>und</strong>e liegenden Widersprüchen aus, vernachlässigen Notwendiges, verschieben den Akzent<br />
der Problematik oder präsentieren Alternativen zu einer Lösung der Theodizee. Mehr oder minder<br />
kommt in allen Versuchen das Verfahren der Depotenzierung 19 zum Tragen. Angewandt bedeutet<br />
dies, dass entweder das <strong>Leid</strong> in der Welt relativiert oder abgeschwächt wird, sodass <strong>Gott</strong> schließlich<br />
die Last der Verantwortung genommen werden kann, bzw., dass die Wesenszüge <strong>Gott</strong>es neu<br />
durchdacht <strong>und</strong> definiert <strong>und</strong> auf diese Weise entkräftet <strong>und</strong> eingeschränkt werden, sodass auch in<br />
jenem Fall <strong>Gott</strong> gerechtfertigt werden kann. In letzter, radikalster Konsequenz, wird die Existenz<br />
<strong>Gott</strong>es völlig negiert: Die Theodizee als Ausgangspunkt des Atheismus. Weitere<br />
Argumentationstechniken haben sich herauskristallisiert <strong>und</strong> etabliert, unter anderem auch mehr oder<br />
minder begründete “Ausweichstrategien“. Gr<strong>und</strong>sätzlich jedoch kann im Kern zwischen zwei<br />
gegensätzlichen Strömungen unterschieden werden: Die der affirmativen <strong>und</strong> die der negativen<br />
Theodizee. Erstere umfasst alle Argumentationsstrukturen, die letztlich auf den Schluss hinauslaufen,<br />
<strong>Gott</strong> könne selbst angesichts des <strong>Leid</strong>ens gerechtfertigt <strong>und</strong> daher gerecht gesprochen werden, wobei<br />
die negative Theodizee, aus welchen begründend-argumentativen Mustern auch immer sich einer<br />
Rechtfertigung <strong>Gott</strong>es verweigern: <strong>Gott</strong> könne im Licht des real existierenden Übels nicht verteidigt<br />
werden.<br />
Auf wesentliche Antwortstrukturen soll im Folgenden möglichst unvoreingenommen <strong>und</strong> objektiv<br />
eingegangen werden, wobei die Selektion nicht willkürlich, sondern entsprechend den<br />
Hauptströmungen vorgenommen wurde <strong>und</strong>, angesichts der Pluralität historischer <strong>und</strong> aktueller<br />
Antworten, zudem an der jeweiligen „Glaubwürdigkeit“ bzw. am Abstraktionsgrad festgemacht werden<br />
musste. (An dieser Stelle sei so<strong>mit</strong> zugegeben, dass einzelne, allerdings schwach vertretene Theorien<br />
bewusst vernachlässigt wurden, da derartige Ansätze nur schwerlich zu verantworteten<br />
Auseinandersetzung <strong>mit</strong> der Theodizee-Frage auffordern <strong>und</strong> kaum glaubwürdige oder sogar<br />
widersprüchliche Lösungen bereitstellen). Jegliche subjektive Bewertung soll dennoch unter Wahrung<br />
der Unvoreingenommenheit vermieden werden, was allerdings begründete Kritik bzw. Aufzeigen der<br />
Schwachstellen nicht ausschließt.<br />
1. „Die Übel sind so übel nicht“ 20 - <strong>Leid</strong> wird relativiert<br />
Ein derartiges Vorhaben wird ungewöhnlicher Überzeugungskraft <strong>und</strong> argumentativer Stärke<br />
bedürfen, um Glaubwürdigkeit aufzubauen <strong>und</strong> aufrecht zu erhalten, weckt es doch den Skeptiker in<br />
jedem nach Antwort Suchenden. Menschlichem <strong>Leid</strong> soll sein negatives Vorzeichen aberkannt oder<br />
zumindest zum Teil abgetönt werden? Die un<strong>mit</strong>telbare Erfahrungswirklichkeit konstituiert sich als<br />
härtester Einwand: <strong>Leid</strong>en <strong>und</strong> Schmerzen der Menschen sind in ihrer Entsetzlichkeit so unbedingt, so<br />
real, dass sie keinerlei Entkräftung <strong>und</strong> Relativierung zulassen. Gerade aus diesem Gr<strong>und</strong>, um sich<br />
nicht in argumentative Widersprüche <strong>mit</strong> der Erfahrung <strong>und</strong> Vernunft des Menschen zu verstricken,<br />
versucht diese Antwortstrategie auch meist nicht, den Charakter, das heißt den Schweregrad des<br />
<strong>Leid</strong>s zu entkräften, sondern seine Negativität vielmehr dadurch abzuschwächen, dass dem <strong>Leid</strong> ein<br />
Sinn unterstellt wird. Durch eine derartige „Instrumentalisierung des <strong>Leid</strong>s“ wird <strong>Leid</strong> umgedeutet <strong>und</strong><br />
19 depotenzieren: Lat. des eigenen Wertes, der eigenen Kraft, Potenz berauben<br />
20 „<strong>Leid</strong> erfahren - Sinn suchen“, M. Böhnke S. 76