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Quelle: www.tagesspiegel.de Dritte Seite 11.05.2003<br />
Was wollten sie am Ende der Welt?<br />
Ihr Ziel war Kap Hoorn, wo tausende Seeleute ihr Leben<br />
ließen. Klaus Nölter und Johanna Michaelis segelten<br />
zusammen um den Globus. Aber von diesem Törn zum<br />
orkanumtosten, äußersten Zipfel Südamerikas sind sie nie<br />
mehr zurückgekehrt.<br />
Von Kai Müller<br />
Am Freitag, dem 13. Dezember 2002, um sechs Uhr früh druckt das<br />
Faxgerät der Seenotzentrale Bremen zwei Zahlenreihen aus: Eine<br />
Code-Nummer und eine Position – 55 Grad 43 Minuten Süd, 073 Grad<br />
42 Minuten West. Das Signal kommt von einer Boje, die 215 Meilen<br />
westlich von Kap Hoorn in einem aufgewühlten Meer treibt. Sie<br />
gehört der deutschen Yacht „Ole Hoop“.<br />
Zur selben Zeit quält sich Jürgen Timm aus seinem Bett in<br />
Mellendorf, Schleswig-Holstein. Er ist Sportflieger und Segler, aber<br />
seine Firma lässt ihm kaum Zeit dafür. Also hat er sich aufs<br />
Amateurfunken verlegt – um sich wenigstens eine Illusion von Ferne<br />
zu erhalten. Auch an diesem Morgen will er Fahrtensegler im<br />
Südpazifik mit den neuesten Wetterdaten versorgen. Seit drei<br />
Wochen ist er im Funkkontakt mit einem Hamburger Paar, das Kap<br />
Hoorn ansteuert. Noch bevor er sich an seine UKW-Anlage setzt,<br />
klingelt das Telefon. Irgendwas muss passiert sein, sagt ein Freund,<br />
bei dem sich die Bremer Seenotzentrale Minuten vorher nach der<br />
„Ole Hoop“ erkundigt hat. „Da ahnten wir schon, dass sie nicht da<br />
sein würde“, erinnert sich Timm. Er habe noch versucht, auf der<br />
üblichen Frequenz Kontakt aufzunehmen. Aber er bekam keine<br />
Antwort. Von Klaus Nölter und Johanna Michaelis, die einmal in ihrem<br />
Leben das berüchtigte Kap Hoorn umrunden wollten, fehlt seither<br />
jede Spur.<br />
Kap Hoorn – noch immer ist dieser Ort ein magisches Ziel. Als die<br />
Holländer Schouten und Le Maire dem hoch aufragenden Felsen 1616<br />
seinen Namen gaben, war er auf den Karten als finis terre<br />
verzeichnet – das Ende der Welt. 300 Tage im Jahr herrschen Nebel,<br />
Schneestürme oder Orkane mit bis zu 200 Stundenkilometern. Sie<br />
schieben eine Dünung vor sich her, die einmal um den Globus<br />
wandert, ohne von einer Küste gebrochen zu werden. Erst am Kap<br />
Hoorn, wo zwei Ozeane aufeinander prallen, löst sich der Seegang im<br />
Chaos auf. An 10 000 ertrunkene Seeleute und mehr als 800<br />
gesunkene Schiffe erinnert kein Grabstein.<br />
Es gibt nicht viele Segler, die bessere Voraussetzungen mitbringen,<br />
Kap Hoorn und seine Stürme zu überstehen: Nölter ist 57, seine<br />
Lebensgefährtin ein Jahr jünger, und sie segeln seit über 30 Jahren.<br />
Für sie war das Massengrab der Seefahrt ihr Everest. „Je länger man