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Adventskalender 2013 mit Texten von Prälat Dr. Betram Meier

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23. Dezember<br />

Die Nacht ist vorgedrungen<br />

4<br />

Die Zeitansage muss stimmen. Pünktlichkeit ist die Tugend der Könige. Die<br />

Uhr muss genau gehen, da<strong>mit</strong> man rechtzeitig da ist in der Schule, bei der<br />

Arbeit, zum Arztbesuch, am Bahnhof. Denn spätestens seit Gorbatschow<br />

wissen wir: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Manche Leute<br />

stellen deshalb ihre Uhren immer ein paar Minuten vor, um ja nicht zu spät<br />

zu kommen. Mit einer Zeitansage ganz anderer Art wartet das heutige<br />

Adventslied auf: „Die Nacht ist vorgedrungen“. Jochen Klepper knüpft an<br />

ein Wort an, das der hl. Paulus an die Gemeinde <strong>von</strong> Rom geschrieben hat:<br />

„Bedenkt die gegenwärtige Zeit. Die Stunde ist gekommen, vom Schlaf<br />

aufzustehen. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig<br />

wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen<br />

die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts“ (Röm 13, 11-12).<br />

Mit dieser Zeitansage hat Jochen Klepper die Bibel sprachfähig gemacht.<br />

„Bedenkt die gegenwärtige Zeit!“ Was ist das für eine Zeit für die Welt:<br />

Erdbeben in Haiti, Hochwasser in Pakistan und Albanien, … Was ist das für<br />

eine Zeit für die Politik: der Euro in der Krise, die Angst vor internationalem<br />

Terrorismus, … Was ist das für eine Zeit für die Kirche: unsere Kinder- und<br />

Jugendarbeit unter Missbrauchsverdacht, Würdenträger, die ihrem Namen<br />

keine Ehre machen, Glaubwürdigkeitsverlust … Und auch ganz persönlich<br />

werden wir ein Lied da<strong>von</strong> singen können: Die Nacht ist vorgedrungen. Wir<br />

können aus Erfahrung sprechen, was das heißt: „wer zur Nacht geweinet<br />

…“ Manchmal verfinstert sich die Sonne <strong>mit</strong>ten am Tag, die Nacht bricht<br />

herein. Und wenn wir nach einem schweren Schicksalsschlag auch Gott nicht<br />

mehr als Lichtblick sehen können, dann haben wir es nicht nur <strong>mit</strong> einer<br />

Sonnenfinsternis zu tun, dann leiden wir an der Gottesfinsternis.<br />

Dem Dichter Jochen Klepper war wohl ähnlich zumute, als er am Samstag<br />

vor dem 4. Advent, dem 18. Dezember 1937, sein Lied geschrieben hat. Es<br />

ist ein Lied, in dem es nie richtig Tag wird. Dass er den Text beginnt <strong>mit</strong> den<br />

Worten „die Nacht“, ist kein Zufall. Er lebt in einer Zeit, da die Nacht immer<br />

undurchdringlicher wird und noch längst kein Morgenstern in Sicht ist. Später<br />

wird Elie Wiesel seinen Erinnerungen an die schrecklichen Todeslager den Titel<br />

geben: Die Nacht.<br />

Wer ist Jochen Klepper? Jochen Klepper ist ein Mensch, der das Dunkel<br />

kannte und der um die Nacht wusste, die Gott uns zumuten kann. Die<br />

menschenverachtende Nacht des Nationalsozialismus hat Klepper am eigenen<br />

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