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Adventskalender 2013 mit Texten von Prälat Dr. Betram Meier

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warmlaufen. Auch die Beweglichkeit im geistlichen Leben braucht Training.<br />

Wer geistlich fit bleiben will, muss beweglich sein. Es gibt ein Leben, das<br />

ganz in sich gerundet ist, ohne Wunde, in langer Einübung „pflegeleicht“<br />

gemacht, ohne jeden Riss, ohne jedes Kreuz. Es gibt die Lebenslüge, in der<br />

jemand nicht mehr sehen will, dass er über sich selbst eingeschlafen ist, dass<br />

sein Leben die klaren Konturen verloren hat. Heute ist der Tag, vom Schlaf<br />

aufzustehen.<br />

Wie oft haben auch wir uns abgefunden <strong>mit</strong> unseren Schwestern und<br />

Brüdern, <strong>mit</strong> den Verhältnissen, wie alles geworden ist! Manches wird unter<br />

den Teppich gekehrt, anderes tritt sich fest: „Wir können ja ohnehin nichts<br />

ändern.“ Aber Gott ist ein „nachtragender“ Gott. Schau mal, sagt seine<br />

Stimme im Advent, das ist noch unerledigt in deinem Leben. Indem er uns<br />

das Leben nachträgt, will er uns nicht belasten. Wir sind der Ton, er ist unser<br />

Töpfer. Wir sind das Werk seiner Hände (vgl. Jes 64,7). Der Töpfer will uns<br />

umformen unter dem sanften <strong>Dr</strong>uck seines Fingerspiels. Wo wir Ton bleiben<br />

in der Hand des Töpfers und nicht nur im Brennofen der Zeit, da werden wir<br />

zur ehrlichen Umkehr bewegt. Solche Beweglichkeit tut gut – uns selbst und<br />

allen, denen wir begegnen.<br />

Da<strong>mit</strong> stehen wir vor einem zweiten Gedanken, der unseren Neuanfang<br />

beschreibt: Wachen als Aufmerksamkeit. Paulus formuliert es so: „Einer<br />

trage des anderen Last.“ Da<strong>mit</strong> meint er nicht, wir könnten einander die<br />

Lasten einfach <strong>von</strong> der Schulter nehmen. Es gibt Situationen, die wir selbst<br />

meistern müssen. Das Nadelöhr hat nicht Platz für zwei. Jeder <strong>von</strong> uns hat<br />

sein Päckchen, sein Kreuz zu tragen. Doch ein wacher, aufmerksamer Mensch<br />

weiß, wie er Lasten lindern kann. Er kann <strong>mit</strong>tragen, in tiefer seelischer Not<br />

kann er zur Seite stehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Vieles können wir<br />

delegieren, eines aber nicht: den Dienst liebender Aufmerksamkeit. Wachen<br />

ist unser Dienst, Wachen über das Wohlergehen unserer Schwestern und<br />

Brüder. Das ist unsere christliche Berufung: Wir tragen der anderen Last durch<br />

eine Aufmunterung, ein verständnisvolles Wort, eine wohlwollende Korrektur,<br />

aber auch durch unser hingehaltenes Ohr und unser begleitendes Gebet. Aber<br />

die Aufmerksamkeit hat auch ihre dunkle Seite. Wir können ein Lied singen<br />

<strong>von</strong> Belastung, Stress und grauer Alltagsstimmung. Wir leiden an mangelnder<br />

Anerkennung und Wohlwollen. Am tiefsten schmerzt es, wenn unsere<br />

liebende Aufmerksamkeit gar nicht ernst genommen oder ausgenützt wird.<br />

Solche Erfahrung macht jeden Neuanfang schwer. Ich möchte es anhand einer<br />

Geschichte erklären:<br />

Durch eine Oase ging ein finsterer Mann. Er war so gallig in seinem<br />

Charakter, dass er nichts Schönes sehen konnte, ohne es zu verderben. Am<br />

Rande der Oase stand ein junger Palmenbaum in bestem Wachstum. Der<br />

stach dem finsteren Mann in die Augen. Da nahm er einen schweren Stein<br />

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