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Overall Analysis - FIFA.com

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100<br />

Technical and Tactical <strong>Analysis</strong><br />

Interview: Luiz Felipe Scolari<br />

sammenstellen. Aufgrund des Widerstandes<br />

der europäischen Vereine konnte ich gar nie<br />

mit meiner Wunschformation antreten. Niemand<br />

glaubte, dass von den Spielern, die in<br />

Brasilien spielten und bei den Freundschaftsspielen<br />

so kurz vor der WM zum Einsatz kamen,<br />

einer den Sprung ins WM-Team schaffen würde,<br />

denn alle rechneten mit einer reinen “Söldnermannschaft”<br />

– ich nicht, und zwar aus zwei<br />

Gründen: Zum einen gibt es in Brasilien viele<br />

gute Spieler, die nur darauf brennen, zu einer<br />

WM-Endrunde zu fahren. Zum andern sollten<br />

die Legionäre in Europa begreifen, dass nur<br />

die Leistung zählte. Ich wollte nur motivierte<br />

Spieler in meinem Team, und so konnten sich<br />

alle Hoffnungen machen. Während die Spieler<br />

in Brasilien alles daran setzten, sich noch ins<br />

Team zu spielen, mussten mir die Legionäre<br />

beweisen, dass sie wirklich in Bestform waren.<br />

Sie wussten, dass ein grosser Name oder ein<br />

Stammplatz bei Real Madrid, AC Milan oder<br />

Manchester United kein Garant für ein WM-<br />

Aufgebot war. Den europäischen Legionären<br />

sassen die Spieler in Brasilien im Nacken.<br />

Bei den brasilianischen Fans gilt das<br />

Amt des Nationaltrainers als Traumjob. Als<br />

Vereinscoach haben Sie Trainer-Neuland<br />

betreten. Wie fühlen und sehen Sie sich als<br />

“Felipão-Brasil”?<br />

Scolari: Der “Felipão-Brasil” sollte sich vom<br />

“Vereins-Felipão” nicht gross unterscheiden.<br />

Ich wurde ja aufgrund meines Leistungsausweises<br />

verpflichtet. Ich hatte mit meiner Art<br />

Erfolg, also gab es keinen Grund, vom bewährten<br />

Konzept abzurücken. Der Erfolg gab mir<br />

Recht. Ich gewann zwei Copa Liber-tadores<br />

de América und weitere Titel, u. a. in der brasilianischen<br />

Meisterschaft. Ich durfte weder<br />

an mir selbst noch an meinen taktischen<br />

Vorstellungen etwas ändern. Ich war es auch<br />

den Fans schuldig, die sich für mich eingesetzt<br />

hatten. Nach einem Spiel während unserer<br />

beschwerlichen Qualifikation sass ich allein<br />

in der Kabine und sagte zu mir: “Ich halte<br />

an meinem Arbeitsstil fest und mache aus<br />

der brasilianischen Auswahl eine grosse Vereinsmannschaft!<br />

Von nun an trainiere ich die<br />

Seleção wie ein Klubteam.” Mit Erfolg, denn<br />

wir waren an der Weltmeisterschaft nicht einfach<br />

ein Team aus Einzelspielern, sondern eine<br />

fröhliche Truppe, die so eingespielt war, als<br />

hätte sie in dieser Besetzung die abgelaufene<br />

Meisterschaft bestritten. Die Nationalspieler<br />

sollten wie in ihren Vereinen ein Zusammengehörigkeitsgefühl,<br />

Vertrauen und Freundschaft<br />

spüren. Mit dieser Philosophie habe ich mir in<br />

Brasilien viel Anerkennung verschafft. Meine<br />

Mannschaft sollte ungeachtet der Vereinszugehörigkeit<br />

der einzelnen Spieler auf wie<br />

neben dem Platz eine Einheit bilden. Dank des<br />

internen Zusammenhalts und unserer Motivation<br />

konnten wir gerade im taktischen Bereich<br />

trotz zum Teil unterschiedlicher Ansichten sehr<br />

konzentriert arbeiten. Ich erklärte den Spielern<br />

in aller Ruhe meine Vorstellungen, und<br />

mit jedem Spiel klappte es besser. Das Team<br />

trat geschlossen auf, weil sich die Spieler gut<br />

verstanden, auf wie neben dem Platz. Das war<br />

das brasilianische Erfolgsgeheimnis.<br />

Wer ist Luiz Felipe Scolari? Wie denkt der<br />

Weltmeistertrainer?<br />

Scolari: Ich spreche nicht gerne über mich...<br />

Treue ist mir wichtig, auch in meinem Beruf.<br />

In diese Mannschaft steckte ich viel Herzblut:<br />

Ich gab ihr viel und vertraute auf sie. Für<br />

viele ist das nicht wichtig, doch das ist meine<br />

Fussballphilosophie, mit der Probleme oder<br />

Konflikte auf dem Spielfeld oder in der Kabine<br />

leichter gelöst werden können. Nehmen wir als<br />

Beispiel das Spiel gegen England, als wir zuerst<br />

in Rückstand gerieten. In der Halbzeitpause<br />

blickte ich jedem Spieler in die Augen und<br />

sagte dann, dass wir als Mannschaft die Partie<br />

noch gewinnen könnten. Nicht die taktischen<br />

Umstellungen, die ich natürlich auch vornahm,<br />

sondern die mannschaftliche Geschlossenheit,<br />

das gegenseitige Vertrauen und unsere Ruhe<br />

sicherten uns schliesslich den Sieg. Die Brasilianer<br />

müssen einen freien Kopf haben, damit sie<br />

den Ball laufen lassen, ihren besten Fussball<br />

zeigen und schliesslich gewinnen können. Das<br />

ist das A und O. Mit einer positiven Stimmung<br />

werden viele Probleme überwunden. Natürlich<br />

müssen auch die technischen und taktischen<br />

Voraussetzungen stimmen, aber erst die positive<br />

Stimmung innerhalb des Teams bringt eine<br />

Mannschaft auf die Siegerstrasse. Die mentale<br />

Komponente ist enorm wichtig. Auch ein Patzer<br />

vor einer Millionenkulisse darf einen Spieler<br />

nicht verunsichern. Nur mit einem gesunden<br />

Selbstvertrauen kann er schwierige Situationen<br />

auf dem Platz meistern, den 45-tägigen<br />

WM-Einsatz fern seiner Familie durchstehen<br />

und dem Druck standhalten. Brasilien muss<br />

immer gewinnen, insbesondere an der Weltmeisterschaft.<br />

Eine schwere Bürde für die<br />

Spieler, die im heiligen gelb-grünen Leibchen<br />

ihrem Land alle Ehre machen möchten. Trotz<br />

Zeitdruck habe ich mich daher auf das Menschliche<br />

konzentriert und die technisch-taktische

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