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Strafraum hart bedrängt werden, fausteten sie<br />
auch Schüsse und Flanken weg und nahmen<br />
stattdessen das Risiko von Abprallern und<br />
Nachschüssen in Kauf, wie auch Oliver Kahn<br />
in der Partie gegen Paraguay: Trotz idealen<br />
Bedingungen und geringer unmittelbarer<br />
Torgefahr entschied er sich bei einem langen,<br />
diagonalen Freistoss seines Torhüterkollegen<br />
José Luis Chilavert für eine Faustabwehr. Die<br />
Torhüter huldigten an dieser Weltmeisterschaft<br />
noch mehr als sonst dem Grundsatz<br />
“Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste”.<br />
Die Fähigkeit, das Spiel lesen zu können,<br />
zeichnet einen Topspieler aus, so auch viele<br />
Spitzentorhüter an dieser Endrunde, deren<br />
Spielverständnis sich natürlich auf ihre<br />
spezifische Rolle beschränkte. Ausser bei<br />
seinem Missgeschick gegen Brasilien bewies<br />
Englands David Seaman, mit 38 Jahren der<br />
älteste Torwart dieses Turniers, dass er insbesondere<br />
bei Flanken und Querpässen einen<br />
ausgeprägten Spielinstinkt besitzt. Andere<br />
erfahrene Keeper wie Oliver Kahn, José Luis<br />
Chilavert, Fabien Barthez und Ike Shorunmu<br />
zeigten ebenfalls, wie viel ein gutes Auge wert<br />
ist. Doch auch die Jüngeren (die Hälfte der<br />
Torhüter war noch unter 30 Jahren) verfügten<br />
teilweise bereits über eine erstaunliche<br />
Reife: Iker Casillas (Spanien, mit 21 Jahren<br />
der Jüngste) und Gianluigi Buffon (Italien,<br />
24) bewiesen, dass sich junge Torhüter bei<br />
Spitzenklubs durchsetzen und sogar an einer<br />
Weltmeisterschaft teilnehmen können, wenn<br />
sie professionell betreut werden.<br />
Einen Vorteil gegenüber den alten Hasen<br />
haben sie jedoch: Sie sind mit der Rückpassregel<br />
bestens vertraut und können mit dem Ball<br />
dank gezieltem Training auch mit dem Fuss<br />
bestens umgehen. Die Routiniers mussten<br />
sich solche fussballerische Fähigkeiten auf<br />
ihre alten Tage hin erst noch mühsam erarbeiten<br />
– mit unterschiedlichem Erfolg. José<br />
Luis Chilavert ist für seine brillanten Schüsse<br />
mit links gefürchtet (acht Tore für sein Nationalteam),<br />
andere werden dagegen von ihren<br />
Mitspielern bisweilen auf dem “falschen” Fuss<br />
erwischt.<br />
Einige Torhüter zeigten an dieser Endrunde<br />
eine eher mässige Leistung, da sie in<br />
ihren Vereinen keinen Stammplatz haben<br />
oder angeschlagen nach Asien reisten. Doch<br />
nach den Gruppenspielen trennte sich die<br />
Spreu vom Weizen. Nun waren ausschliesslich<br />
Weltklassetorhüter am Werk. Bezüglich<br />
Schnelligkeit, Wendigkeit, Ballfertigkeit, Mut,<br />
Reaktionsschnelligkeit, Abwurf- und Abstosstechnik<br />
(bei den Südamerikanern erfreute sich<br />
der Volley-Abwurf grosser Beliebtheit) sowie<br />
Winkel- und Abwehrspiel gab es bei ihnen<br />
nichts auszusetzen. Hinzu kam das besagte<br />
Spielverständnis, dem in der Nachwuchsarbeit<br />
besondere Beachtung geschenkt werden<br />
muss. Neben den traditionellen Abstössen<br />
und Abwürfen muss der Torwart den Ball auch<br />
mit dem Fuss schnell und genau weiterleiten<br />
können. Da die meisten Topvereine und Nationalmannschaften<br />
in der Verteidigung inzwischen<br />
auf einer Linie spielen, hat der Torwart<br />
mehr und mehr die klassische Liberofunktion<br />
übernommen. Einfach seinen Kasten rein<br />
halten, reicht heute nicht mehr. Ein Torwart<br />
muss auch Pässe spielen, den Ball halten und<br />
einen schnellen Gegenstoss einleiten können,<br />
wenn sich die Chance dazu bietet.<br />
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