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Overall Analysis - FIFA.com

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Seite etwas vernachlässigt. Ich fällte diesen<br />

Entscheid, nachdem ich mir lange überlegte,<br />

wie das Gesicht dieser Auswahl aussehen<br />

sollte. Ich wollte gleich lange Spiesse in meiner<br />

Mannschaft. Die weniger bekannten Spieler,<br />

wie Kleberson, sollten sich an den Leistungen<br />

der grossen Stars, z. B. Ronaldo, orientieren<br />

können und zu ihnen aufschliessen. Das hat<br />

uns gestärkt und zusammengeschweisst: eine<br />

Familie und erst noch Weltmeister.<br />

Nach welchen Kriterien haben Sie den WM-<br />

Kader nominiert?<br />

Scolari: Ich hatte ein Spielsystem im Kopf.<br />

Anhand der Idealbesetzung für die einzelnen<br />

Positionen stellte ich mein Wunschteam<br />

zusammen. Doch meine Gedankenspiele führten<br />

schliesslich in eine Sackgasse: “Also... ich<br />

habe diese Spieler... und jene ..., und was,<br />

wenn mir dieser einen Korb gibt und sich jener<br />

verletzt? Wer soll nachrücken?” Ich überlegte<br />

mir deshalb eine Grundformation mit verschiedenen<br />

Alternativen. Vor der endgültigen<br />

Nominierung der 23 Spieler analysierte ich<br />

die möglichen Varianten. Als erster Massstab<br />

dienten strenge technische Kriterien, die für<br />

mein Spielsystem erfüllt sein mussten. Die<br />

nächste Messlatte war die Persönlichkeit der<br />

Spieler. Ein Weltklasse-Fussballer mit Charakterschwächen,<br />

der zudem nicht teamfähig ist,<br />

hat keinen Platz in meinem Team. Schliesslich<br />

lief das Auswahlprozedere folgendermassen<br />

ab: Ich wählte diejenigen Spieler, die am<br />

besten in mein taktisches Konzept passten,<br />

und schätzte anschliessend ihren Charakter<br />

sowie ihre Belastbarkeit ein.<br />

Was ist neben der Persönlichkeit der Spieler<br />

das Erfolgsrezept des Teams?<br />

Scolari: Mein taktisches Konzept erfordert<br />

variable Spieler, die auf mindestens zwei<br />

Positionen einsetzbar sind. Ich suchte auch<br />

Spieler, die eine Partie im Alleingang entscheiden<br />

können. Muskelpakete hatten bei<br />

mir keine Chance, denn diese Weltmeisterschaft,<br />

davon war ich fest überzeugt, würde<br />

durch Einzelaktionen entschieden. Und Brasilien<br />

hatte die entsprechenden Spieler.<br />

Haben Sie vor der Weltmeisterschaft auch<br />

den internationalen Fussball analysiert?<br />

Scolari: Ja, sehr eingehend sogar. Mir wurde<br />

bewusst, dass der Fussball immer ausgeglichener<br />

wird. Kraft, Schnelligkeit und Athletik<br />

bilden die Basis des Fussballs, die bei allen<br />

Mannschaften vorhanden ist. Auch taktisch<br />

kann man seinem Gegner nichts mehr vormachen.<br />

Der Erfolg eines Teams hängt insbesondere<br />

beim Weltpokal massgeblich von<br />

der Klasse seiner Spieler ab. Die WM war der<br />

Beweis dafür. Oftmals wurden Spiele durch<br />

Tore entschieden, die nach Einzelaktionen<br />

erzielt worden waren. Solche Geniestreiche<br />

setzten aber eine souveräne taktische und<br />

physische Leistung der ganzen Mannschaft<br />

voraus, die ihre Stars entlastete und ihnen<br />

den Freiraum für Überraschungsaktionen<br />

und Kabinettstückchen erst ermöglichte. Die<br />

Vorbereitung war extrem kurz, weil die europäischen<br />

Meisterschaften spät endeten und<br />

der Spielbetrieb in der brasilianischen Liga<br />

andauerte. Ich vertraute nicht zuletzt deshalb<br />

auf technisch versierte Spieler, die auf zwei<br />

oder drei Positionen einsetzbar sind.<br />

Welche Akzente setzten Sie im Training?<br />

Welche Ziele hatten sie in der Vorbereitung?<br />

Scolari: Ich wollte, dass die Mannschaft mit<br />

Charakter spielte. Im Mai, als der WM-Kader<br />

feststand, standen zwei Freundschaftsspiele<br />

auf dem Programm: gegen die starke Auswahl<br />

aus Katalonien und die etwas schwächeren<br />

Malaysier. Zwei Siege waren Pflicht, denn die<br />

Spieler sollten mit viel Selbstvertrauen nach<br />

Asien reisen. Leider blieb uns für die Vorbereitung<br />

wenig Zeit. Das technisch-taktische<br />

Training musste deshalb zeitweilig der physischen<br />

Vorbereitung weichen: Ich gab den<br />

Ärzten vier Tage Zeit, um alle erforderlichen<br />

medizinischen Tests vorzunehmen. Zu diesem<br />

Opfer war ich gerne bereit, denn ich wollte<br />

für die WM eine Mannschaft in Topform. Dies<br />

sollte kein frommer Wunsch bleiben. Das brasilianische<br />

Team gehörte konditionell zu den<br />

Besten. Zudem blieben wir von Verletzungen<br />

verschont. Ich konnte von der Mannschaft<br />

während des Turniers auch mehr verlangen.<br />

Brasilien war seinen Gegnern in der zweiten<br />

Halbzeit stets überlegen. Die meisten Spieler<br />

der europäischen Spitzenklubs wirkten müde<br />

und ausgebrannt; nicht so Roberto Carlos oder<br />

Cafú, die trotz europäischem Mammutprogramm<br />

während des ganzen Turniers hervorragende<br />

Leistungen zeigten. Emersons Ausfall<br />

war einfach Pech. Wir reisten mit klaren taktischen,<br />

technischen und physischen Zielen<br />

nach Asien. Die Persönlichkeit der Spieler und<br />

der Teamgeist waren die weiteren Bausteine<br />

des brasilianischen Erfolgs.<br />

Interview conducted by<br />

Ricardo Setyon (Brazil).<br />

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