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Heft 4 (2009) - Igda.net

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keine ostdeutschen Monopole waren.<br />

Nicht umsonst nannten wir die Wessis<br />

„Besserwessis“. Sie waren uns auch hierin<br />

überlegen. Ich hoffte, ausschließlich auf<br />

Großkarierte zu treffen, Nonkonformisten<br />

und Freidenker. Die gab es. Auch. Zuweilen.<br />

Aber es war im Grunde „noch immer das<br />

hölzerne Volk, noch immer ein rechter Winkel in<br />

jeder Bewegung und im Gesicht der eingefrorne<br />

dünkel“.<br />

Image war alles. Die Masse definierte sich<br />

überwiegend über den Schein statt über<br />

das Sein. Ich verstand die Wessis nicht. Sie<br />

hatten mit der Muttermilch aufgesogen, die<br />

freie Wahl aus Millionen von Möglichkeiten<br />

zu haben. Statt die Probleme auf dem Weg<br />

zum eigentlichen Sein zu meistern, sich ein<br />

Rückgrat anzuschaffen und mit Haltung<br />

durchs Leben zu gehen, duckten und<br />

schleimten sich die meisten auf dem Weg<br />

des geringsten Widerstandes in eine besser<br />

bezahlte Position, um vor ihren Nachbarn<br />

mit dem größeren Auto angeben zu können.<br />

Deutsche sind glücklich, wenn andere<br />

Deutsche neidisch auf sie sind. Das eint uns<br />

wirklich.<br />

„Sie stelzen noch immer so steif herum, so<br />

kerzengerade und geschniegelt, als hätten sie<br />

verschluckt den Stock, womit man sie einst<br />

geprügelt.“ Die körperliche Züchtigung ist<br />

längst abgeschafft. Aber in der seelischen<br />

setzt sie sich fort. Sie nennt sich jetzt<br />

Leistungsdruck, Markenjeans, Inter<strong>net</strong>handy<br />

und Cabrio zum Abi. Haste was, dann biste<br />

was, haste nüscht, dann wirste gemobbt.<br />

Erfolg ist sexy. Erfolg hat, wer mit der<br />

perfekten Kulisse perfekt ins Bild passt. Wer<br />

sind wir eigentlich?! Was haben wir nur<br />

aus unserer Freiheit gemacht?! Ich würde<br />

sagen, da sind auf beiden Seiten noch alle<br />

Möglichkeiten offen!<br />

ProSa<br />

IGDA aktuell, <strong>Heft</strong> 4 (<strong>2009</strong>) Seite 10<br />

An dieser Stelle bringe ich mich ins<br />

Spiel. Erinnern Sie sich: Examinierte<br />

Vollblutidealistin! Obendrein Sternzeichen<br />

Schütze! Schützen wollen die Welt<br />

verbessern. Ich auch. Vor allem ich! Die<br />

Welt baut auf mich! Zur Wende habe ich<br />

das Blut der Freiheit geleckt. Ein Schütze<br />

im Blutrausch fügt sich nicht. Er verbeißt<br />

sich, lässt nicht locker, kapituliert niemals!<br />

Durch Hindernisse ist er nicht aufzuhalten<br />

- im Gegenteil - er rennt sie um, aber mit<br />

einem Lächeln. Wozu sonst bin ich mit<br />

diesem abgrundtiefen Humor und diesem<br />

gottverdammten Schreibtalent geseg<strong>net</strong>?<br />

Absicht des Schöpfers! Ich bin ein moderner<br />

Till Eulenspiegel!<br />

„hier (im Kopf) hab ich die Spitzen, die feiner<br />

sind, als die von Brüssel und mecheln, und pack<br />

ich dereinst meine Spitzen aus, sie werden euch<br />

sticheln und hecheln.<br />

im Kopfe trag ich Bijouterien, der Zukunft<br />

Krondiamanten, die tempelkleinodien des neuen<br />

Gotts, des großen unbekannten.“<br />

Heute bin ich siebenundvierzig Jahre alt und<br />

lebe in Köln. Ich sächsle gegen jedes Image<br />

an, trete an gegen bürokratische Holzköpfe,<br />

Ignoranten und Krümelkacker. Wie eh und je.<br />

Aber die Menschen hier im Rheinland - wie<br />

soll ich sagen - oh Mann! - die Rheinländer<br />

sind irgendwie anders. Zum ersten Mal im<br />

Leben habe ich das Gefühl, dass das mit der<br />

besseren Welt machbar ist. Wenn nicht in<br />

Köln, wo sonst?!<br />

Ich war noch niemals in New York, ich war<br />

noch niemals auf Hawaii, ging noch nie<br />

durch San Franzisco in zerriss‘nen Jeans -<br />

aber ich bin seit Jahren frei!!!<br />

(Zitate aus Heinrich Heine „Deutschland - Ein<br />

Wintermärchen“ und Udo Jürgens „Ich war noch<br />

niemals in New York“)

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