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keine ostdeutschen Monopole waren.<br />
Nicht umsonst nannten wir die Wessis<br />
„Besserwessis“. Sie waren uns auch hierin<br />
überlegen. Ich hoffte, ausschließlich auf<br />
Großkarierte zu treffen, Nonkonformisten<br />
und Freidenker. Die gab es. Auch. Zuweilen.<br />
Aber es war im Grunde „noch immer das<br />
hölzerne Volk, noch immer ein rechter Winkel in<br />
jeder Bewegung und im Gesicht der eingefrorne<br />
dünkel“.<br />
Image war alles. Die Masse definierte sich<br />
überwiegend über den Schein statt über<br />
das Sein. Ich verstand die Wessis nicht. Sie<br />
hatten mit der Muttermilch aufgesogen, die<br />
freie Wahl aus Millionen von Möglichkeiten<br />
zu haben. Statt die Probleme auf dem Weg<br />
zum eigentlichen Sein zu meistern, sich ein<br />
Rückgrat anzuschaffen und mit Haltung<br />
durchs Leben zu gehen, duckten und<br />
schleimten sich die meisten auf dem Weg<br />
des geringsten Widerstandes in eine besser<br />
bezahlte Position, um vor ihren Nachbarn<br />
mit dem größeren Auto angeben zu können.<br />
Deutsche sind glücklich, wenn andere<br />
Deutsche neidisch auf sie sind. Das eint uns<br />
wirklich.<br />
„Sie stelzen noch immer so steif herum, so<br />
kerzengerade und geschniegelt, als hätten sie<br />
verschluckt den Stock, womit man sie einst<br />
geprügelt.“ Die körperliche Züchtigung ist<br />
längst abgeschafft. Aber in der seelischen<br />
setzt sie sich fort. Sie nennt sich jetzt<br />
Leistungsdruck, Markenjeans, Inter<strong>net</strong>handy<br />
und Cabrio zum Abi. Haste was, dann biste<br />
was, haste nüscht, dann wirste gemobbt.<br />
Erfolg ist sexy. Erfolg hat, wer mit der<br />
perfekten Kulisse perfekt ins Bild passt. Wer<br />
sind wir eigentlich?! Was haben wir nur<br />
aus unserer Freiheit gemacht?! Ich würde<br />
sagen, da sind auf beiden Seiten noch alle<br />
Möglichkeiten offen!<br />
ProSa<br />
IGDA aktuell, <strong>Heft</strong> 4 (<strong>2009</strong>) Seite 10<br />
An dieser Stelle bringe ich mich ins<br />
Spiel. Erinnern Sie sich: Examinierte<br />
Vollblutidealistin! Obendrein Sternzeichen<br />
Schütze! Schützen wollen die Welt<br />
verbessern. Ich auch. Vor allem ich! Die<br />
Welt baut auf mich! Zur Wende habe ich<br />
das Blut der Freiheit geleckt. Ein Schütze<br />
im Blutrausch fügt sich nicht. Er verbeißt<br />
sich, lässt nicht locker, kapituliert niemals!<br />
Durch Hindernisse ist er nicht aufzuhalten<br />
- im Gegenteil - er rennt sie um, aber mit<br />
einem Lächeln. Wozu sonst bin ich mit<br />
diesem abgrundtiefen Humor und diesem<br />
gottverdammten Schreibtalent geseg<strong>net</strong>?<br />
Absicht des Schöpfers! Ich bin ein moderner<br />
Till Eulenspiegel!<br />
„hier (im Kopf) hab ich die Spitzen, die feiner<br />
sind, als die von Brüssel und mecheln, und pack<br />
ich dereinst meine Spitzen aus, sie werden euch<br />
sticheln und hecheln.<br />
im Kopfe trag ich Bijouterien, der Zukunft<br />
Krondiamanten, die tempelkleinodien des neuen<br />
Gotts, des großen unbekannten.“<br />
Heute bin ich siebenundvierzig Jahre alt und<br />
lebe in Köln. Ich sächsle gegen jedes Image<br />
an, trete an gegen bürokratische Holzköpfe,<br />
Ignoranten und Krümelkacker. Wie eh und je.<br />
Aber die Menschen hier im Rheinland - wie<br />
soll ich sagen - oh Mann! - die Rheinländer<br />
sind irgendwie anders. Zum ersten Mal im<br />
Leben habe ich das Gefühl, dass das mit der<br />
besseren Welt machbar ist. Wenn nicht in<br />
Köln, wo sonst?!<br />
Ich war noch niemals in New York, ich war<br />
noch niemals auf Hawaii, ging noch nie<br />
durch San Franzisco in zerriss‘nen Jeans -<br />
aber ich bin seit Jahren frei!!!<br />
(Zitate aus Heinrich Heine „Deutschland - Ein<br />
Wintermärchen“ und Udo Jürgens „Ich war noch<br />
niemals in New York“)