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Heft 4 (2009) - Igda.net

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einem Zustand lethargischer Jenseitsfreude,<br />

wie ihn nur ein langzeitgefolterter Mensch<br />

nachvollziehen kann, der endlich den<br />

erlösenden Genickschuss bekommt.<br />

Irgendwann hörte er auf und der lästige<br />

Druck über mir verschwand wieder. Der<br />

Bote schien fertig zu sein und klebte nun<br />

die Empfängerkarten auf die Kartons. Mein<br />

Karton schien der letzte zu sein, den er mit<br />

einem klatschenden Geräusch hinter meinem<br />

gebeugten Rücken reisefertig machte. Kurz<br />

danach rumpelte eine Sackkarre durch die<br />

Garage.<br />

Und dann lud er mich auf.<br />

Ich wurde zur Seite gekippt, unter Stöhnen<br />

und fremdsprachlichen Flüchen (ich hatte<br />

mich inzwischen dazu entschlossen, dass<br />

er doch Türke sein musste) in eine leichte<br />

Schräglage versetzt und dann einige<br />

Meter weit aus der Garage bis zu seinem<br />

Transporter gerollt, wo ich kurzerhand auf<br />

den Kopf gestellt wurde.<br />

Idiot, schoss es mir durch den Kopf,<br />

kannst du nicht lesen? Fragile! Handle with<br />

care! Nicht stürzen! Vermutlich war der Bote<br />

ein Emigrant aus Schwarzafrika. Obwohl –<br />

pfeifen und schreiben konnte er offenbar.<br />

Egal.<br />

Ich versuchte, wieder flach und bewusst<br />

zu atmen, schloss ergeben meine Augen,<br />

dachte an gewisse Stellungen mit Carola<br />

und wartete ab.<br />

Er stellte den Karton tatsächlich wieder<br />

aufrecht, so wie es auch die entsprechenden<br />

Beschreibungen auf dem Karton<br />

vorschrieben. Mittlerweile versuchte ich<br />

gar nicht mehr, die Augen zu öffnen, um<br />

die absolute Dunkelheit zu durchdringen,<br />

sondern verließ mich in immer stärkerem<br />

Maße auf meine anderen Sinne.<br />

Es war erstaunlich, selbst für einen<br />

Mediziner wie mich, festzustellen, wie schnell<br />

man auf einen scheinbar lebensnotwendigen<br />

Sinn verzichten kann. Die Nase übernahm<br />

plötzlich die Kontrolle über meine nächste<br />

ProSa<br />

IGDA aktuell, <strong>Heft</strong> 4 (<strong>2009</strong>) Seite 17<br />

Umwelt. Styropor hat einen ganz eigenen,<br />

unverwechselbaren Geruch in so einer<br />

Situation. Auch der Karton lebt – alle<br />

paar Zentimeter verströmt der Abfallstoff<br />

seine eigene Nuance, die zu beschreiben<br />

selbst die Phantasie eines Stephen King<br />

überstrapazieren dürfte. Über Heu, Blut und<br />

Schweiß bis hin zu diversen menschlichen<br />

Ausdünstungen und sogar anorganischen,<br />

metallischen Verbindungen wie verloren<br />

gegangenen Auspuffrohren oder dem<br />

typischen Ampèregeruch eines elektrischen<br />

Kurzschlusses – alles war seltsam intensiv zu<br />

erriechen. Und während sich das Fahrzeug<br />

in Bewegung setzte, irgendwelche Berliner<br />

Straßen durchquerte, an unsichtbaren roten<br />

Ampeln oder vor die Straße überquerenden<br />

Fußgängern stehen blieb und ruckelnd (das<br />

Getriebe schien Probleme mit dem ersten<br />

Gang zu haben) und widerspenstig wieder<br />

Fahrt aufnahm, dachte ich notgedrungen<br />

noch einmal über Erfolg und Misserfolg<br />

meiner Mission nach.<br />

Carola. Zufällig kennen und lieben gelernt<br />

auf einer Party meines Freundes Harald, wo<br />

er sie mir vorgestellt hatte. Drei Wochen lang<br />

das perfekte Glück. So lange, bis ich einer<br />

dummen Eingebung folgend versucht hatte,<br />

sie betrunken zu machen, um endlich ...<br />

»So schnell geht das nicht«, hatte sie mich<br />

wiederholt abgewehrt. »Ich möchte dich erst<br />

besser kennen, bevor ich mit dir schlafe. Das<br />

verstehst du doch sicher?«<br />

Ich hatte verständnisvoll genickt und ihr<br />

weiter eingeschenkt. So lange, bis sie auf<br />

meiner Couch eingeschlafen war. Doch als<br />

ich sie in mein Schlafzimmer tragen wollte,<br />

wachte sie schlagartig auf.<br />

Wenige Worte danach und eine schallende<br />

Ohrfeige später stand sie unten auf der<br />

Strasse und kletterte in das Taxi, ohne sich<br />

noch einmal umzudrehen. Sie ging nicht ans<br />

Telefon, beantwortete keine Mails und öff<strong>net</strong>e<br />

nie auf mein Läuten an ihrer Haustür.<br />

So wandte ich mich an ihren Cousin Harald.<br />

Er hatte schließlich den Vorschlag gemacht<br />

und mich zum Mitmachen überredet ...

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