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ei „Westlern“ drohten drastische Strafen,<br />
bis hin zu Gefängnis.<br />
Nach Rückgabe der Papiere und Kontrolle<br />
des Kofferraumes durften wir endlich<br />
weiterfahren, hinein in die DDR. Mit<br />
mulmigem Gefühl und unter Beachtung aller,<br />
auch sinnloser Vorschriften näherten wir uns<br />
– meist mit Tempo 80, 100 km/h waren selten<br />
auf den Autobahnen erlaubt – Westberlin.<br />
Keinesfalls anhalten und aussteigen!<br />
(Toilettenpause gestrichen) Nichts aus dem<br />
Wagen werfen (es könnte Westpropaganda<br />
sein)! Nicht nach links ausweichen, um bei<br />
Einfahrten Autos sicher auf die AB fahren zu<br />
lassen.<br />
Endlich erreichten wir Dreilinden, den<br />
DDR-Kontrollpunkt vor der Einfahrt nach<br />
Westberlin. Wieder die beängstigende<br />
Prozedur der Grenzkontrolle: Abgabe der<br />
Pässe und der Einreisegenehmigung mit<br />
Transiterlaubnis. Die darf keinesfalls verloren<br />
werden, sonst setzen die uns fest! Und wieder<br />
warten, warten – Taktik der DDR-Grenzer<br />
zur Einschüchterung der Reisenden. Auch<br />
hier die gleiche Atmosphäre der aggressiven<br />
Unsicherheit. Schließlich bekamen wir die<br />
Papiere mit Stempeln zurück und durften<br />
nach Westberlin hinein fahren. Wir atmeten<br />
tief durch, fühlten uns wieder in frei.<br />
Westberlin – Insel der Freiheit!<br />
Am nächsten Tag näherten wir uns am<br />
Reichstag von westlicher Seite her der<br />
Mauer. Meine Tochter wollte unbedingt auf<br />
die Aussichtsplattform, auf der seinerzeit<br />
Kennedy gestanden und mit Blick in den<br />
Osten seine historischen Worte: „Ich bin<br />
ein Berliner!“ gesagt hatte. Auch sie sah<br />
hinüber in den anderen Teil Deutschlands,<br />
spürte die Trennung durch die Mauer, sah<br />
auf die schwarzen Kreuze mit der weißen<br />
Beschriftung, die Namen der Toten an<br />
der Mauer, die ihr Freiheitsstreben mit<br />
dem Leben hatten bezahlen müssen – ein<br />
ergreifendes Erlebnis für eine 16Jährige.<br />
Erst recht lebte bei meiner Tochter das<br />
Gefühl der Beklemmung wieder auf,<br />
als mein Vetter, dank seines politischen<br />
Amtes – er war als Zehlendorfer Bezirksrat<br />
zeitweise Beauftragter für Steinstücken<br />
– mit uns in diese Westberliner Exklave*<br />
ProSa<br />
IGDA aktuell, <strong>Heft</strong> 4 (<strong>2009</strong>) Seite 13<br />
Steinstücken fuhr. Als einziges Zehlendorfer<br />
Territorium, also zu Westberlin gehörend,<br />
war sie, umgeben vom „Roten Meer“, dem<br />
Ostsektor, nur auf östlichem Gebiet, durch<br />
einen schmalen Korridor, ihre Lebensader,<br />
mit dem Westen verbunden. Er durfte nur<br />
mit Sondergenehmigung befahren werden,<br />
die hatte mein Vetter. Beidseits der schmalen<br />
Zufahrtsstraße standen hart, hoch und grau<br />
die Betonmauern, ein besonderer Teil der<br />
Berliner Mauer. Musste jemand schnell die<br />
Enklave* verlassen oder erreichen, war dies<br />
nur per alliiertem Hubschrauber möglich,<br />
denn der Luftraum über Gesamtberlin<br />
unterstand dem Alliierten Kontrollrat,<br />
bestehend aus den drei Westmächten und<br />
der UdSSR (seinerzeit Rechtsgrundlage für<br />
die Luftbrücke während der Blockade).<br />
Dieser Besuch im abgesperrten Steinstücken<br />
und der Anblick von Mauer als sichtbarer<br />
Grenze, mit Todesstreifen, ebenso auch<br />
die unsichtbare Grenze im Wasser, z. B. in<br />
der Mitte des Teltowkanals, prägten sich<br />
meiner Tochter unauslöschlich ein, so wie<br />
die Erinnerung an Angst und Beklemmung,<br />
die uns dort, auch auf der Rückfahrt,<br />
wieder befielen. Das Verhalten und die<br />
Stimmung der DDR-Grenzer war in den<br />
wenigen Tagen unseres Berlinaufenthaltes<br />
noch diffuser, unerklärlicher, eigentlich<br />
hilfloser geworden. Es lag etwas in der Luft,<br />
aber was? Zwar verfolgten wir im Radio<br />
und Fernsehen die kärglichen Nachrichten<br />
über Montagsdemonstrationen und<br />
Friedensgebete in Leipzig, doch ohne zu<br />
wissen, wie umfassend Protest und Aufruhr<br />
zu diesem Zeitpunkt bereits in der DDR<br />
waren Wir wussten nicht, dass es bereits die<br />
Agonie des Unterganges war. Noch konnte<br />
keiner ahnen, dass nur wenige Tage nach<br />
unserer Rückkehr die Mauer fallen und die<br />
DDR sich auflösen würde.<br />
Heute noch, nach 20 Jahren, ist meine längst<br />
erwachsene Tochter froh darüber, die Mauer<br />
noch als tödliche Realität erlebt zu haben.<br />
„Bloß vorstellen könnte ich sie mir nicht. Es<br />
ist gut, dass ich sie wirklich selbst gesehen<br />
habe, nicht nur davon gehört!“<br />
*Steinstücken = enklave vom Osten her gesehen, vom Westen her<br />
= Exklave