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waren, fuhren die Autos, die Autobusse und<br />
die Straßenbahn durch sie hindurch, ohne<br />
ihnen weh zu tun und sie ihrerseits gingen<br />
unbekümmert durch Mauern hindurch, als<br />
wären diese aus Luft.<br />
So konnten sie in Ruhe alles betrachten.<br />
Wohin sie auch kamen, überall das gleiche<br />
Spektakel. Ein Kommen und Gehen, Kaufen<br />
und Einpacken, Schicken und Bekommen,<br />
Rufen und Antworten. Alle sahen unentwegt<br />
auf die Uhr, alle liefen, alle hatten Angst,<br />
nicht rechtzeitig zu kommen, und manch<br />
einer brach erschöpft zusammen unter der<br />
Sturzflut von Paketen, Broschüren, Papieren,<br />
Kalendern, Geschenken, Telegrammen,<br />
Briefen, Karten, Eintrittskarten usw.<br />
- Du hast mir gesagt - bemerkte der Ochse -<br />
es sei das Fest der Fröhlichkeit, des Friedens,<br />
der Erholung für Leib und Seele.<br />
- Ja, schon - antwortete der Esel. - Früher<br />
war es so. Aber, was willst du machen,<br />
seit einigen Jahren werden die Menschen,<br />
sobald Weihnachten herankommt, von einer<br />
geheimnisvollen Tarantel gestochen und<br />
verstehen nichts mehr. Höre ihnen nur zu.<br />
Der Ochse lauschte erstaunt. Auf den<br />
Straßen, in den Büros, in den Fabriken<br />
sprachen Männer und Frauen nur noch<br />
abgehackt miteinander und tauschten wie<br />
Automaten monotone Formeln aus. Frohe<br />
Weihnachten, alles Gute, alles Gute für sie,<br />
danke gleichfalls, gute Wünsche, alles Gute,<br />
frohes Fest, danke, alles Gute, alles Gute,<br />
alles Gute. Ein Stimmengewirr erfüllte die<br />
ganze Stadt.<br />
Es war ein eindrucksvolles Schauspiel:<br />
die tausend Lichter der Ladenfenster, der<br />
Schmuck, die Girlanden, die Tannenbäume<br />
und der unendliche Autostrom, das eilige<br />
Schwanken der Menschen, ihr Kommen<br />
und Gehen, Eintreten und Herauskommen,<br />
das Gedränge in den Geschäften, das<br />
Beladensein mit Paketen und Päckchen, alle<br />
waren sie ängstlich und gehetzt, als würden<br />
sie verfolgt. Der Esel schien sich über diesen<br />
Anblick zu amüsieren. Der Ochse hingegen<br />
sah sich voller Entsetzen um.<br />
- Hör mal, Freund Esel, du hast mir gesagt,<br />
ProSa<br />
IGDA aktuell, <strong>Heft</strong> 4 (<strong>2009</strong>) Seite 22<br />
dass du mir Weihnachten zeigen würdest.<br />
Und was ist das hier? Du musst dich geirrt<br />
haben. Ich will dir mal eines sagen: Dies hier<br />
ist ein Krieg.<br />
- Aber siehst du nicht, wie alle zufrieden<br />
sind?<br />
- Zufrieden? Mir scheinen sie verrückt<br />
zu sein. Sieh dir doch nur ihre verstörten<br />
Gesichter an. Ihre fieberhaften Augen.<br />
- Weil du ein Trottel vom Lande bist, mein<br />
lieber Ochse, weil du dich niemals aus dem<br />
Paradies herausbewegt hast. Du bist die<br />
modernen Menschen nicht gewohnt, daran<br />
liegt das. Sie müssen sich eben ihre Nerven<br />
ruinieren, um Spaß zu haben, um sich zu<br />
freuen, um sich glücklich zu fühlen.<br />
Der Ochse, als reiner Geist, machte einen<br />
hohen Sprung und hielt an einem Fenster<br />
im siebten Stockwerk an, um ein bisschen zu<br />
schauen. Und das Eselchen kam gutmütig<br />
hinterher.<br />
Sie sahen in ein reich möbliertes Zimmer,<br />
und im Zimmer an einem Tisch eine sehr<br />
beschäftigte Dame sitzen. Zu ihrer Linken<br />
auf dem Tisch befand sich ein Stapel, etwa<br />
einen halben Meter hoch, von Karten und<br />
Kärtchen in allen Farben, zu ihrer Rechten<br />
ein Stapel weißer Karten.<br />
Flink nahm die Dame eine der bunten<br />
Glückwunschkarten, betrachtete sie kurz,<br />
schlug in einem dicken Buch nach, schrieb<br />
etwas auf eine der weißen Karten, tat diese<br />
in einen Umschlag, schrieb etwas darauf<br />
und verschloss ihn. Dann nahm sie vom<br />
Stapel zu ihrer Linken eine weitere bunte<br />
Glückwunschkarte und begann von vorne.<br />
- Sie werden sie wohl wenigstens gut<br />
bezahlen für eine solche Arbeit - sagte der<br />
Ochse, - für eine solche Strafarbeit.<br />
- Was du dir so vorstellst, mein lieber Freund.<br />
Das ist eine ganz reiche Dame, aus der besten<br />
Gesellschaft.<br />
- Aber warum tut sie sich das an?<br />
- Sie tut sich nichts an. Sie beantwortet nur<br />
Glückwunschkarten.