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Heft 4 (2009) - Igda.net

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enate Weidauer<br />

ProSa<br />

„Ich habe Angst, Mutti, ich möchte<br />

lieber wieder zurück fahren“ reagierte<br />

meine Tochter, fast 17jährig, auf die<br />

seltsame Atmosphäre am innerdeutschen<br />

Grenzübergang Rudolfstein/Hirschberg.<br />

Straffer Kommandoton überdeckte notdürftig<br />

Hilflosigkeit und Unsicherheit bei den<br />

diensttuenden Grenzern. Weder sie noch<br />

wir wussten, woran wir eigentlich waren<br />

an diesem 30. Oktober 1989 . In der DDR<br />

rumorte es.<br />

Wir beide waren im Auto auf dem Weg nach<br />

Westberlin, ein Wunsch meiner Tochter, die<br />

die Mauer in Berlin zum ersten Mal sehen<br />

wollte, denn die kurzen Hinweise im knapp<br />

gehaltenen Unterricht in Zeitgeschichte<br />

hatten diese Reise ausgelöst.<br />

„Ich kann mir das mit der Grenze, an der<br />

geschossen wird, und einer Mauer, quer<br />

durch eine Stadt, gar nicht richtig vorstellen.<br />

Das will ich sehen,“ hatte sie mir erklärt, als<br />

sie nach Schuljahresbeginn im September<br />

1989 diesen Wunsch äußerte. Die in Bayern<br />

schulfreien Tage um das Reformationsfest<br />

und Allerheiligen, Allerseelen boten eine<br />

Gelegenheit, nach Berlin zu fahren.<br />

1945 bis 52 im englischen Sektor Westberlins<br />

aufgewachsen, bin ich in Grunewald<br />

zur Oberschule gegangen und wollte<br />

ihr bei dieser Gelegenheit auch die Orte<br />

meiner Kindheit und unsere Wohnung in<br />

Schmargendorf zeigen.<br />

Auf der Autobahn fuhren wir in München<br />

am Meilen-Gedenkstein für „Berlin: 600 km“<br />

und dem Berliner Bären als Krönung waren<br />

vorbei und standen nun bei Rudolfstein, auf<br />

die Grenzabfertigung in die DDR wartend, in<br />

einer der Autoschlangen. Ein beklemmendes<br />

Gefühl beschlich uns. Uniformierte Grenzer,<br />

bewusst abweisend und unfreundlich, gingen<br />

die Reihen der Fahrzeuge kontrollierend<br />

entlang, strahlten Abwehr und Fremdheit<br />

aus, freundlichen Worten unzugänglich.<br />

Der Hals war uns wie zugeschnürt, der<br />

Berliner Mauer:<br />

Besuch im letzten Moment<br />

IGDA aktuell, <strong>Heft</strong> 4 (<strong>2009</strong>) Seite 12<br />

Kloß dahinter wurde dicker und dicker, wir<br />

wagten nicht einmal laut zu husten oder<br />

gar miteinander zu reden, im Blick dieser<br />

Uniformierten, die dort standen, Gewehr<br />

im Anschlag. Andere nahmen uns durch die<br />

Autofenster die Papiere ab, unwirsch und<br />

jedes Gespräch erstickend, ließen uns in<br />

Unwissenheit des Kommenden im Wagen<br />

zurück. Aussteigen verboten! Formulare<br />

waren auszufüllen, Transitantrag für die<br />

Einreisebewilligung, die Pässe wurden uns<br />

abgenommen sowie pro Person 25.- DM<br />

West als „Eintrittsgeld“ wie es heimlich<br />

genannt wurde. Umtausch West- in Ostgeld<br />

1 : 1. Unsere Papiere verschwanden durch<br />

kleine Luken, uneinsehbar, zur Bearbeitung<br />

(„Was machen die jetzt so lange damit?“)<br />

und dann hieß es warten. Wie lange? Das<br />

wusste keiner, niemand sprach mit anderen<br />

Wageninsassen, immer fürchtend, etwas<br />

Falsches zu tun. Angst hatte uns fest im<br />

Griff.<br />

In ungleichem Schneckentempo rückte Auto<br />

für Auto – es waren drei oder vier wartende<br />

Reihen – an die Absperrung vor. Uns klopfte<br />

das Herz oben im Hals, wir waren eingesperrt<br />

im Auto, malten uns Schreckensszenarien<br />

der Gefahr und Willkür aus. Die Atmosphäre<br />

des Ganzen, ein Gemisch aus Hilflosigkeit,<br />

befürchteter Gewalt, Kasernenton<br />

und körperlich fühlbarer Unfreiheit<br />

umgab uns lähmend. Und wir meinten,<br />

Unsicherheit auch auf der Gegenseite zu<br />

erkennen. Grenzbefestigungen, Schilder:<br />

DDR STAATSGRENZE und „Motoren<br />

abstellen!“, „Wagen nicht verlassen!“<br />

waren unsere einzige Lektüre, fürchteten<br />

wir doch, ein Buch zum Lesen in die Hand<br />

zu nehmen, es hätte auf dem Index der<br />

DDR stehen können, wer wusste das schon<br />

genau. Sorgfältig hatten wir es vermieden,<br />

Gedrucktes mit uns zu führen, nicht einmal<br />

Taschenkalender waren gestattet, da dort<br />

der 17. Juni als „Tag der Deutschen Einheit“<br />

ausgewiesen war – eine Provokation für das<br />

SED-Regime. Fanden NVP oder NVA solches

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