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Heft 4 (2009) - Igda.net

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später umgepflügt. Wiederum nach ein<br />

paar Wochen wurden die Christbäume<br />

geschmückt und das neue Jahr stand vor der<br />

Tür. Nun erinnerte sich Carolin wieder an<br />

den Silvesterabend im letzten Jahr und sie<br />

wurde verlegen.<br />

„Mama“, rief sie ihrer Mutter zu, die gerade<br />

im Schlafzimmerschrank etwas nachschaute,<br />

„darf ich mal kurz weg? Ich möchte nur<br />

etwas nachschauen, jemanden besuchen.“<br />

„Wohin willst du denn gehen?“<br />

„Das möchte ich nicht sagen, aber ich gehe<br />

nicht weit weg.“<br />

„Gut, aber sei bitte in einer viertel Stunde<br />

wieder zurück.“<br />

„Ja.“<br />

Carolin ging über die Straße, lief den Feldweg<br />

entlang, an der nächsten Abzweigung nach<br />

Mario andreotti<br />

prOSa / essay<br />

IGDA aktuell, <strong>Heft</strong> 4 (<strong>2009</strong>) Seite 33<br />

links und weiter, bis sie vor dem Haus<br />

stand. Dem Haus, in dem doch Herr Temme<br />

wohnte. Sie schaute zu dem Fenster, hinter<br />

dem er gesessen hatte, konnte ihn jedoch<br />

nicht sehen. Es brannte auch kein Licht. Nun<br />

schaute sie auf den Schildern der Klingelleiste<br />

nach, konnte jedoch keines entdecken, auf<br />

dem sein Name stand. Carolin drückte den<br />

untersten Klingelknopf und fragte, nachdem<br />

ihr geöff<strong>net</strong> worden war, nach Herrn<br />

Temme.<br />

„Der ist vor zwei Monaten gestorben,“ sagte<br />

man ihr.<br />

Carolin ging niedergeschlagen nach Hause.<br />

Frau Convent bemerkte, dass in Carolin<br />

etwas vorging, etwas geschehen sein musste.<br />

Sie wusste auch, dass sie ihr Zeit geben<br />

musste, bevor sie nachfragte, was geschehen<br />

war. Vielleicht wird sie es mir auch so<br />

erzählen, dachte Frau Convent, und setze<br />

ihre begonnene Arbeit fort.<br />

Ist Dichten lernbar?<br />

Über Sinn und Unsinn von Schreibseminaren<br />

In den letzten Jahrzehnten sind sie im deutschen<br />

Sprachraum, zunächst in Deutschland<br />

und dann auch in Österreich und in der<br />

Schweiz, wie Pilze aus dem Boden geschossen:<br />

die verschiedenen, keineswegs immer<br />

billigen Schreibwerkstätten, Seminare,<br />

Literaturkurse und Fernlehrinstitute für angehende<br />

Schriftstellerinnen und Schriftsteller.<br />

Dazu kamen und kommen eine steigende<br />

Zahl von Büchern und Zeitschriften, die<br />

dem Leser mehr oder weniger deutlich suggerieren,<br />

sie enthielten „todsichere“ Rezepte<br />

für ein gutes Schreiben. Das reicht dann<br />

von relativ neutralen Titeln, wie etwa dem<br />

„Verlegerbrief“, über Titel, die wie „Grundlagen<br />

und Technik der Schreibkunst“ schon<br />

handfester tönen, bis zu solchen, die unverhohlen<br />

versprechen, der Leser werde durch<br />

die Lektüre der betreffenden Publikation<br />

„garantiert schreiben lernen“. Dieses zunehmende<br />

Angebot an Schreibhilfen, allen voran<br />

an Schreibwerkstätten und „Kursen für<br />

kreatives Schreiben“, lässt einmal mehr die<br />

Frage aufkommen, ob sich denn das Dichten<br />

überhaupt lernen lasse. Es handelt sich um<br />

eine Frage, die fast so alt wie die Dichtung<br />

selber ist und die im Verlaufe der Literaturgeschichte<br />

ganz unterschiedlich beantwortet<br />

wurde.<br />

Ist Dichten also lernbar?<br />

Hätte man diese Frage einem Literaten etwa<br />

des l7.Jahrhunderts, also der Barockzeit,<br />

gestellt, so hätte er sehr wahrscheinlich leicht<br />

verwundert zur Antwort gegeben, natürlich<br />

sei das Dichten lernbar, und dies genau so<br />

exakt wie beispielsweise das Malen oder das<br />

Musizieren. Wozu habe man denn die Poetik,<br />

wenn nicht dazu, dem Poeten die Regeln<br />

für sein literarisches Handwerk zu liefern.<br />

Man war damals nämlich der Überzeugung,<br />

ein Autor schreibe nur dann gut, wenn er<br />

bestimmte, durch literarische Autoritäten<br />

vorgegebene Regeln strikt beachte. So hatte

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