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Gaby Hühn-Keller<br />
Als ich im Mai 1946 als vierjähriges Kind<br />
mit meinen Eltern aus Ungarn ausgesiedelt<br />
wurde, hatte ich sofort, schon im<br />
Aussiedlerzug, ein Problem: Ich konnte mit<br />
niemandem, außer mit ihnen sprechen. Erst<br />
jetzt hörte ich, dass meine Eltern mit den<br />
Mitausgesiedelten anders sprachen als mit<br />
mir. In Ungarn hatten wir zusammen mit der<br />
Schwester meiner ungarischen Mutter, deren<br />
Mann und den drei Kindern in einem dieser<br />
lang gestreckten burgenländischen Gehöfte<br />
gewohnt und ausschließlich ungarisch gesprochen.<br />
Meine Cousine und meine Cousins<br />
vermisste ich als Spielkameraden sehr.<br />
Wir lebten jetzt in Bayern, in einem Dorf in der<br />
Nähe von Landsberg am Lech. Täglich wurde<br />
ich vors Haus geschickt, damit ich andere<br />
Kinder treffe, um schnell deutsch zu lernen. Es<br />
gab auch viele Kinder. Aber, die so genannten<br />
Flüchtlingskinder sprachen ein Deutsch,<br />
wie man es im südlichen österreichischen<br />
Burgenland spricht, die bayerischen einen lokal<br />
begrenzten Lechraindialekt. Solcherlei feine<br />
Unterscheidungen kenne ich jetzt. Damals<br />
verstand ich noch gar nichts. Ich musste<br />
hinhören, aufpassen, den Gesichtsausdruck<br />
des Sprechenden studieren und überhaupt<br />
alle Zusammenhänge um das Gesprochene<br />
herum genau beobachten. Nach und nach<br />
blieb ein Wort oder Halbsatz hängen und ich<br />
erriet den Inhalt des Gehörten. Mit richtigem<br />
Verstehen hatte das noch nichts zu tun.<br />
Der Herbst 1947 war vorbei. Es hatte schon<br />
etwas geschneit, da begannen die Buben, die<br />
schon in die Schule gingen, etwas von einem<br />
Nikolaus zu erzählen: „I furcht mi itt“, sagte<br />
der bayerische Bub. Der Flüchtlingsbub sagte:<br />
„I fiacht mi aa <strong>net</strong>. Awa wan da Krampus<br />
kummt, scho.“ „Was isch’n a Krampus?“ der<br />
erste. „Dees iis da Schwoaze mit’m Sook. Dear<br />
nimmt di mit, mei Liawa, wanst <strong>net</strong> ziagst.“<br />
„Was fiar a Schwarzer, a Neger oder was?“<br />
„A Krampus hojt.“ Ein anderer bayerischer<br />
ProSa<br />
Nikolaus, Klaubauf, Krampus & Co.<br />
IGDA aktuell, <strong>Heft</strong> 4 (<strong>2009</strong>) Seite 26<br />
Bub mischt sich ein: „Woasch waas, der<br />
muant vielleicht an Klaubauf.“ „Sog i ja eh,<br />
Krampus.“<br />
Ich, mit gespitzten Ohren immer zwischen<br />
drin, habe längst gespürt, dass sie alle<br />
furchtbar Angst hatten. Sie taten nur so, als<br />
machte ihnen nichts etwas aus. Mit dem<br />
Wort „Krampus“ war bei mir der Groschen<br />
gefallen. Und, da es schon zu dämmern<br />
begann, lief ich sofort nach Hause zu<br />
meiner Mutter. „Stell dir vor“, sprudelte es<br />
gleich in Ungarisch aus mir heraus, denn<br />
das ging mir viel schneller von der Zunge,<br />
„es gibt hier einen Krampus. Und der soll<br />
bald kommen. Die Buben sagen, sie hauen<br />
ihn um oder reißen ihm den Sack weg<br />
oder verstecken sich auf dem Heuboden.<br />
Aber sie haben Angst, das merke ich ganz<br />
genau. Es ist wie beim Tihamér.“ Tihamér<br />
war mein etwas älterer Cousin in Ungarn.<br />
Ein äußerst aufgewecktes Bürschlein,<br />
dessen Kreativität und Können noch nicht<br />
sinnbringend in Schulfächer kanalisiert<br />
war. Kindergarten gab es auch keinen. Ihm<br />
wurde oft mit dem Krampusz gedroht. Ich<br />
wusste vom Krampusz noch nichts. Nur so<br />
viel: ‘Mikolás és (und) Krampusz’ wurden<br />
immer gemeinsam erwähnt. Offensichtlich<br />
gehörten sie zusammen. Und jetzt sah ich<br />
die Szene wieder ganz genau vor mir.<br />
Tihamér prahlte: „Ich werde doch einen<br />
Krampusz nicht fürchten.“ Kurz darauf<br />
jedoch, beide Familien waren in der großen<br />
Wohnküche versammelt, hörte man ein<br />
Poltern, Stampfen, Glockenklingeln,<br />
Kettenrasseln auf das Haus zukommen.<br />
„Jaj, a Mikolás és a Krampusz“ kreischte<br />
Tihamér völlig hysterisch und verschwand<br />
auch schon unter dem großen Küchentisch.<br />
Angesteckt von seinem Geschrei, folgten<br />
ihm sein kleiner Bruder und ich. Wir<br />
kauerten uns mucksmäuschenstill neben<br />
ihn. Nur seine ältere Schwester blieb bei