Modellprojekt ESCAPE - Familie - Freistaat Sachsen
Modellprojekt ESCAPE - Familie - Freistaat Sachsen
Modellprojekt ESCAPE - Familie - Freistaat Sachsen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
MODELLPROJEKT<br />
Erprobung neuer Hilfeangebote für Kinder<br />
mit abweichendem Verhalten<br />
Schlussbericht zur Evaluation<br />
<strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong><br />
Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales
IMPRESSUM:<br />
Herausgeber:<br />
Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales<br />
Abteilung 4 - Landesjugendamt<br />
Reichsstr. 3<br />
09112 Chemnitz<br />
Telefon: 0371 577-0<br />
Fax: 0371 577-282<br />
E-Mail: Landesjugendamt@slfs.sms.sachsen.de<br />
Web: http://www.slfs.sachsen.de/lja<br />
Redaktion:<br />
Verantwortlich: Ursula Specht Tel. 577-338<br />
Ansprechpartnerin: Karla Losemann Tel. 577-268<br />
Red. Bearbeitung: Tobias Strieder,<br />
Caritasverband Leipzig e.V.<br />
Titelbild:<br />
Logo <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Projektleitung, Caritasverband Leipzig e.V.<br />
Druck:<br />
Druckspecht – Offsetdruck & Service GmbH Chemnitz<br />
Auflage:<br />
1000 Stück<br />
Bezug:<br />
Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales<br />
Abteilung 4 – Landesjugendamt<br />
Tel.: 0371 577-329<br />
Chemnitz, Dezember 2003<br />
Diese Broschüre wird kostenlos abgegeben.
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Juli 2000 – März 2003<br />
Schlussbericht zur Evaluation<br />
Tobias Strieder<br />
Christian v. Wolffersdorff<br />
Caritasverband Leipzig e.V.<br />
in Zusammenarbeit mit dem<br />
Lehrstuhl für Sozialpädagogik<br />
Universität Leipzig<br />
Leipzig, November 2003
EVALUATIONSBERICHT<br />
Projektträger<br />
Caritasverband Leipzig e.V.<br />
Elsterstr. 15, 04109 Leipzig<br />
Tel. (0341) 9 63 61 17<br />
Universität Leipzig<br />
Erziehungswissenschaftliche Fakultät<br />
Lehrstuhl für Sozialpädagogik<br />
Karl-Heine-Str. 22 b, 04229 Leipzig<br />
Tel. (0341) 9 73 14 75<br />
Projektleitung, wissenschaftliche Begleitung und Projektkoordination<br />
Prof. Dr. Christian v. Wolffersdorff<br />
MA EW Tobias Strieder<br />
Mitwirkung an der wissenschaftlichen Begleitung<br />
Dipl. soz. päd. Gabriele Gabriel Doreen Elsner (cand. päd.)<br />
Nicole Hammer (cand. päd.) Wiebke Stritz (cand. päd.)<br />
Susann Vahle (cand. sozpäd.) Martin Hoffmeier (cand. päd.)<br />
Simone Bär (cand. päd.) Marlen Beyer (cand. päd.)<br />
Katrin Wiesel (cand. päd.) Christina Knoll (cand. päd.)<br />
Cornelia Dupke (cand. psych.) Carola Risse (cand. päd.)<br />
Träger der Modellstandorte<br />
Diakonisches Werk im Kirchenbezirk Auerbach e.V.<br />
Bergstraße 5<br />
08209 Auerbach<br />
Diakonisches Werk - Stadtmission Dresden e.V.<br />
Glacisstraße 44<br />
01099 Dresden<br />
Diakonie Riesa gGmbH,<br />
Sozialunternehmen „Sprungbrett“<br />
Spinnereistraße 3<br />
01591 Riesa<br />
Projektmitarbeiterinnen und Projektmitarbeiter in den Modellstandorten<br />
Dipl. soz. päd. Astrid Kühnke (Auerbach)<br />
Dipl. soz. päd. Martin Jetter (Dresden)<br />
Dipl. päd. Annette Seidel (Dresden)<br />
Dipl. soz. päd. Reinhard Fries (Dresden)<br />
Dipl. päd. Marit Sieber (Riesa)<br />
Dipl. päd. Christin Spanier (Riesa)<br />
Dipl. soz. päd. Elke Fiedler (Riesa)<br />
2
Initiierung des <strong>Modellprojekt</strong>s<br />
Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales<br />
Landesjugendamt<br />
Reichsstraße 3<br />
09112 Chemnitz<br />
Verantwortliche Mitarbeiterinnen des Landesjugendamtes<br />
Grit Kalinka<br />
Karla Losemann<br />
Projektförderung<br />
Sächsisches Staatsministerium für Soziales<br />
Albertstraße 10<br />
01097 Dresden<br />
Projektbeirat<br />
Dr. Gisela Ulrich, Sächsisches Staatsministerium für Soziales<br />
Dietmar Lisofsky, Sächsisches Staatsministerium des Inneren<br />
Friedhelm Piepmeyer, Sächsisches Staatsministerium für Kultus<br />
Prof. Ullrich Gintzel, Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit Dresden (FH)<br />
Prof. Christian v. Wolffersdorff, Universität Leipzig<br />
Dr. Peter Rieker, Deutsches Jugendinstitut, Regionale Arbeitsstelle Leipzig/Halle<br />
Sabine Vietzke, Jugend- und Schulamt Hoyerswerda<br />
Karla Losemann, Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales, Landesjugendamt<br />
Grit Kalinka, Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales, Landesjugendamt<br />
Tobias Strieder, Caritasverband Leipzig e.V.<br />
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
3
EVALUATIONSBERICHT<br />
Vorwort<br />
Das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> wurde vom Sächsischen Landesjugendamt initiiert und in wissenschaftlicher<br />
Begleitung vom Lehrstuhl für Sozialpädagogik der Universität Leipzig in enger Zusammenarbeit<br />
mit dem Caritasverband Leipzig e.V. umgesetzt. Der Durchführungszeitraum an<br />
drei Modellstandorten belief sich von Juli 2000 bis März 2003.<br />
Ein <strong>Modellprojekt</strong> bildet immer wieder einen besonderen Höhepunkt zur Entwicklung der Jugendhilfe.<br />
Insbesondere scheinen <strong>Modellprojekt</strong>e geeignet für die Erprobung und Überleitung<br />
neuer fachlicher Erkenntnisse und Arbeitsweisen in die Praxis. Das Landesjugendamt als Innovationsgeber<br />
an der Schnittstelle zwischen der örtlichen Ebene und der obersten Landesjugendbehörde<br />
kann dabei aus seiner Rolle heraus am ehesten neue Wege aufgreifen und umsetzen.<br />
Mit dem <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> reagierte das Landesjugendamt in 1999 auf Beobachtungen<br />
aus der Jugendhilfe und dem öffentlichen Politikbereich. Es wurden konkrete Konzepte für Kinder,<br />
die mehrfach wegen krimineller Handlungen aufgefallen sind, angemahnt. Dabei ging es<br />
darum, sozialpädagogische Alternativen zu den ordnungs- und rechtspolitischen Reaktionen zu<br />
erschließen, die nicht primär vom Ansatz der Sanktion charakterisiert sind.<br />
<strong>ESCAPE</strong> war der Versuch, neue Wege im Umgang mit delinquent auffällig gewordenen Kindern<br />
zu erproben und zu beschreiben.<br />
Die vorliegende Broschüre enthält die Ergebnisse der Beobachtungen, Befragungen und Auswertungen,<br />
die in der dreijährigen Laufzeit mit Hilfe verschiedener methodischer Zugänge von<br />
der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts erhoben wurden. Zu den Aufgaben gehörte es,<br />
Praxiserfahrungen zu reflektieren, das Konzept sowie die Qualität der Arbeit zu hinterfragen,<br />
Schwachstellen aufzudecken und die Zielsetzung des Projekts in den Zusammenhang der aktuellen<br />
Fachdiskussion über den pädagogischen Umgang mit delinquenten Kindern und Jugendlichen<br />
einzuordnen.<br />
Der Bericht schildert die Erfahrungen, die an den drei Projektstandorten bei der Betreuung der<br />
Kinder sowie in der Kooperation mit Eltern, Jugendamt, Schule, Polizei und anderen Institutionen<br />
gemacht wurden. In exemplarischen Zugängen geht er auf die Sichtweisen der Kinder ein<br />
und fragt, wie sie ihre Zeit bei <strong>ESCAPE</strong> erlebt haben. Weiterhin beschreibt er die unterschiedlichen<br />
Methoden, mit denen in den drei Teilprojekten gearbeitet wurde, und macht Aussagen<br />
über die Wirkungen, Erfolge, Lernprozesse und Probleme, die sich bei dieser Arbeit gezeigt haben.<br />
Es bleibt zu hoffen, dass der vorliegende Bericht möglichst viele beteiligte Akteure erreicht und<br />
dazu auffordert, sozialpädagogische Handlungsspielräume zu erschießen.<br />
Wir bedanken uns an dieser Stelle bei allen Beteiligten, die durch ihren persönlichen Einsatz<br />
und ihre Kooperationsbereitschaft zum Gelingen des <strong>Modellprojekt</strong>s beigetragen haben. Unser<br />
besonderer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Projekte in Auerbach, Dresden<br />
und Riesa, die sich mit Geschick, Kreativität und großem fachlichen Engagement auf die pädagogische<br />
Arbeit mit den Kindern eingelassen haben. Vor allem ihnen ist es zu verdanken, dass<br />
in der Laufzeit des Projekts die Voraussetzungen für eine Fortführung der begonnenen Arbeit<br />
über den Modellzeitraum hinaus geschaffen werden konnten.<br />
Prof. Dr. Christian v. Wolffersdorff Ursula Specht<br />
Lehrstuhl für Sozialpädagogik Leiterin des Landesjugendamtes<br />
Universität Leipzig<br />
4
Inhalt<br />
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Vorwort...........................................................................................................................4<br />
1. Einführung .................................................................................................................7<br />
1.1 Zur Entstehung des <strong>Modellprojekt</strong>s ................................................................................... 7<br />
1.2 Drei Zugänge zum Thema Kinderdelinquenz .................................................................... 8<br />
2. Kinderdelinquenz als Problem der Jugendhilfe....................................................11<br />
2.1 Kindliche Lebenswelten und gestörte Sozialisation......................................................... 11<br />
2.2 Umgang mit Kinderdelinquenz: Rechtsgrundlagen, institutionelle Zuständigkeiten und<br />
Verfahrensweisen ........................................................................................................... 13<br />
3. <strong>ESCAPE</strong>: Projektansatz, Trägerstruktur und Rahmenbedingungen...................15<br />
4. Projektmanagement und wissenschaftliche Begleitung......................................17<br />
4.1 Integrativer Arbeitsansatz................................................................................................ 17<br />
4.2 Forschungsverständnis und Untersuchungsaufbau ........................................................ 17<br />
4.3 Untersuchungsplan.......................................................................................................... 19<br />
5. Projektentwicklung und Ergebnisse......................................................................21<br />
5.1 Chronologie ..................................................................................................................... 21<br />
5.1.1 Formale Projektdaten............................................................................................................ 21<br />
5.1.2 Schritte der Projektentwicklung............................................................................................. 22<br />
5.2 Bedarf, Nachfrage und Bestimmung der Zielgruppe ....................................................... 22<br />
5.2.1 Polizeiliche Kriminalstatistik .................................................................................................. 22<br />
5.2.2 Zur Bestimmung der Zielgruppe ........................................................................................... 25<br />
5.2.3 Jugendhilfe am Übergang vom Kind zum Jugendlichen – zum Problem der „Lücke“.......... 26<br />
5.2.4 Projektstatistik ....................................................................................................................... 27<br />
5.3 STRUKTUREN: Kooperation, Vermittlung und Erreichbarkeit ........................................ 29<br />
5.3.1 Austausch- und Verständigungsstrukturen im Projekt.......................................................... 30<br />
5.3.2 Kooperationspartner.............................................................................................................. 31<br />
5.3.3 Institutionsübergreifende Kooperation .................................................................................. 32<br />
5.4 KLIENTEL: Die Kinder und ihr Umfeld – Problemsituationen, Wahrnehmungen,<br />
Verhaltensmuster ............................................................................................................ 38<br />
5.4.1 Belastungsfaktoren ............................................................................................................... 38<br />
5.4.2 Die Sicht der Kinder .............................................................................................................. 41<br />
5.4.3 Fallbeispiele .......................................................................................................................... 43<br />
5.5 METHODEN: Pädagogische Ansätze, Arbeitsinhalte und Schwerpunkte....................... 49<br />
5.5.1 Der Hilfeprozess.................................................................................................................... 50<br />
5.5.2 Aufbau einer Trainingseinheit und Arbeitsinhalte ................................................................. 51<br />
5.5.3 Methodenstatistik .................................................................................................................. 51<br />
5
EVALUATIONSBERICHT<br />
6<br />
5.5.4 Einzelfallarbeit und soziale Gruppenarbeit............................................................................ 53<br />
5.5.5 Eltern- und <strong>Familie</strong>narbeit ..................................................................................................... 58<br />
5.5.6 Soziale Integration und Nachbetreuung................................................................................ 60<br />
5.6 Wirksamkeit und Akzeptanz .............................................................................................62<br />
5.6.1 Rückfalligkeit ......................................................................................................................... 62<br />
5.6.2 Einstellungsänderungen........................................................................................................ 64<br />
5.6.3 Subjektive Beurteilungen der Hilfe ........................................................................................65<br />
6. Zusammenfassung der Ergebnisse ...................................................................... 70<br />
6.1. Allgemeine Schlussfolgerungen ......................................................................................70<br />
6.2. Fazit.................................................................................................................................73<br />
7. Ausblick................................................................................................................... 73<br />
8. Schluss .................................................................................................................... 76<br />
Literaturverzeichnis.................................................................................................... 77<br />
Pressespiegel.............................................................................................................. 84<br />
Teiluntersuchungen<br />
Im Rahmen der Evaluation des <strong>Modellprojekt</strong>s wurden Teiluntersuchungen zu ausgewählten<br />
Themenbereichen und Fragestellungen durchgeführt. Diese können entweder im Anhang des<br />
ausführlichen Projektberichts oder im Internet auf den Servern der Universität Leipzig bzw. des<br />
Sächsischen Landesjugendamtes nachgelesen werden. Im Einzelnen handelt es sich um<br />
folgende sieben Untersuchungen:<br />
I. Bedarfsorientierte Angebote der Kinder- und Jugendhilfe für Kinder mit delinquentem<br />
Verhalten<br />
II. Institutioneller Umgang mit delinquenten Kindern – Interventionsanlässe und<br />
Lösungsstrategien<br />
III. Erreichbarkeit delinquenter Kinder und ihrer <strong>Familie</strong>n – eine vertiefende Analyse<br />
pädagogischer Vermittlungsprozesse<br />
IV. Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe bei Kindern mit abweichendem Verhalten<br />
V. Lebenserfahrungen delinquenter Kinder und Handlungsansätze der Jugendhilfe<br />
VI. Arbeit mit Eltern delinquenter Kinder<br />
VII. Intervention bei Delinquenz im Kindesalter - Wirksamkeit und Akzeptanz des<br />
<strong>Modellprojekt</strong>s <strong>ESCAPE</strong>
1. Einführung<br />
1.1 Zur Entstehung des <strong>Modellprojekt</strong>s<br />
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
„Erprobung neuer Hilfeangebote für Kinder mit abweichendem Verhalten“ so lautete der Arbeitstitel<br />
des Landesmodellprojektes <strong>ESCAPE</strong> der Jugendhilfe im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>. Der Focus<br />
richtet sich dabei auf Kinder unter 14 Jahren mit delinquentem Verhalten. Das Projektanliegen<br />
entwickelte sich im Kontext der öffentlichen und politischen Debatte um die erheblich ansteigende<br />
Zahl tatverdächtiger Kinder und Jugendlicher in den Jahren zwischen 1988 und 1998 in<br />
Deutschland (PKS, Erster Periodischer Sicherheitsbericht 2001, S. 510 ff.). Neben dieser statistischen<br />
Entwicklung sorgten ausführliche Medienberichte über spektakuläre Einzelfälle kindlicher<br />
Aggression wie der Fall Mehmet oder die Morde in Meißen, Hamburg oder Bad Reichenhall<br />
für reichlich Verunsicherung und ein all zu pauschales Bild über aggressive Verhaltenstendenzen<br />
junger Menschen. In Schlagzeilen wurden Straftäter als „immer jünger“ und „immer brutaler“<br />
- ja sogar als „Monsterkids“ (Der Spiegel 1998) - dargestellt, die die innere Sicherheit in<br />
Deutschland bedrohten. Doch auch wenn Gewaltdelikte wie gefährliche Körperverletzungen<br />
und Raub zugenommen haben, relativiert sich der prozentuale Anstieg in Anbetracht der niedrigen<br />
absoluten Zahlen. Der überwiegende Teil rechtswidriger Handlungen von Kindern fällt in<br />
den Bereich der Bagatelldelinquenz. Dabei werden auch Verhaltensweisen als Straftaten eingestuft,<br />
bei denen es sich nicht um bewusste Strafnormverletzungen handelt, sondern vielmehr<br />
um entwicklungsbedingtes Verhalten und kindliches Ausprobieren, das sich in seiner Geringfügigkeit<br />
deutlich gegenüber der Kriminalität von Erwachsenen unterscheidet und in der Realität<br />
längst nicht das propagierte Sicherheitsrisiko darstellt. Abgesehen von der ohnehin nur sehr<br />
begrenzten Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik spielt Kinderdelinquenz im Gesamtspektrum<br />
der Kriminalität und gemessen am Anteil an der Gesamtbevölkerung nur eine untergeordnete<br />
Rolle. Undifferenzierte Betrachtungsweisen in den Medien oder auch in Wahlkampfparolen<br />
haben allerdings dennoch maßgeblich zu der verbreiteten Meinung in der Öffentlichkeit<br />
beigetragen, gegenüber jungen Straftätern sei härter und mit sichtbareren Maßnahmen durchzugreifen.<br />
Dies spiegelte sich konkret in den rechtspolitischen Forderungen wider, das Strafmündigkeitsalter<br />
von 14 auf 12 Jahre herabzusetzen, in <strong>Sachsen</strong> geschlossene Unterbringungen<br />
einzuführen oder auch die Eltern dieser Kinder in ihrer Erziehungsverantwortung stärker in<br />
die Pflicht zu nehmen (Lüders 1998).<br />
Dahinter stand aber auch die Annahme, dass die zuständigen Institutionen und Akteure im Feld<br />
nicht ausreichend aktiv seien. Neben der über Jahre geführten Diskussion im Spannungsfeld<br />
von Erziehung und Strafe im Rahmen des Jugendstrafrechts weitete sich die Aufmerksamkeit<br />
damit zunehmend auch auf den Bereich der Delinquenz von Kindern aus, die aufgrund ihres Alters<br />
nach § 19 Strafgesetzbuch (StGB) strafrechtlich noch nicht zur Verantwortung gezogen<br />
werden können. Die lebensweltorientierte, auf Prävention ausgerichtete, Kinder- und Jugendhilfe<br />
geriet in dieser Debatte zunehmend unter Erwartungs- und Legitimationsdruck, zumal die sozialpädagogische<br />
Praxis ebenfalls Handlungsunsicherheiten und einen Handlungsbedarf im<br />
Umgang mit so genannten „schwierigen Kids“ signalisierte. In der Tat blieb Kinderdelinquenz in<br />
der Kinder- und Jugendhilfe ein bislang vernachlässigtes Thema. Obwohl das Kinder- und Jugendhilfegesetz<br />
(KJHG) eine differenzierte Leistungspalette vorhält, fehlen überzeugende pädagogische<br />
Konzepte des Umgangs, aber auch Verbindlichkeiten und Verfahrensstandards im<br />
Zusammenwirken der Institutionen an der Schnittstelle von Kinderdelinquenz. Auf der Suche<br />
nach adäquaten Lösungsansätzen helfen weder Dramatisierung noch Verharmlosung weiter,<br />
sondern es bedarf einer differenzierten Auseinandersetzung mit den Erscheinungsformen und<br />
Hintergründen abweichender Verhaltensweisen im Allgemeinen und im Speziellen. Notwendig<br />
ist aber auch ein kritisches Hinterfragen der Leistungsfähigkeit der Angebote innerhalb der Jugendhilfe<br />
mit ihren verschieden Aufgabenfeldern, die über Kriminalprävention weit hinausgehen<br />
und durch das doppelte Mandat von Hilfe und Kontrolle immer wieder auch fachliche Entschei-<br />
7
EVALUATIONSBERICHT<br />
dungen im Spannungsfeld zwischen Freiwilligkeit und Notwendigkeit von Fremdhilfe, zwischen<br />
Früherkennung und der Gefahr von Stigmatisierung oder auch zwischen Spezialisierung und<br />
Entspezialisierung der Hilfen abverlangt.<br />
An dieser „Angebotslücke“ setzte das <strong>Modellprojekt</strong> an. Seine Aufgabe war es, neue und möglichst<br />
unkonventionelle Wege der Hilfe für gefährdete und problembelastete Kinder zu entwickeln,<br />
die dem Prinzip lebensweltorientierter Hilfe und anwaltschaftlicher Unterstützung für sie<br />
und ihre <strong>Familie</strong>n verpflichtet sein sollten. <strong>ESCAPE</strong> verfolgte dabei eine Strategie der Entkriminalisierung,<br />
um zu erproben, was mit frühzeitiger ambulanter Hilfe für die Zielgruppe im Rahmen<br />
institutioneller Zusammenarbeit möglich ist. Sowohl im Projektauftrag des Landesjugendamts<br />
als auch im Selbstverständnis der Modellstandorte und nicht zuletzt im Konzept der wissenschaftlichen<br />
Begleitung ging es dabei um den Versuch, der im Umgang mit delinquent auffälligen<br />
und schwierigen Kindern immer wieder geforderten Pädagogik der “Härte” Alternativen<br />
entgegen zu setzen.<br />
Der vorliegende Abschlussbericht fasst die Erfahrungen, Lernprozesse und Evaluationsergebnisse<br />
des von Juli 2000 bis Mai 2003 an drei sächsischen Orten durchgeführten <strong>Modellprojekt</strong>s<br />
zusammen. Um im Ansatz des Projekts die Unterschiedlichkeit regionaler Lebensbedingungen<br />
zu berücksichtigen, wurden dabei die Großstadt Dresden, die Mittelstadt Riesa sowie die ländliche<br />
Kleinstadt Auerbach ausgewählt. An allen drei Projektorten konnte nach dem Auslaufen der<br />
Modellphase eine Fortführung der Arbeit von <strong>ESCAPE</strong> sichergestellt werden. Aus Sicht der<br />
wissenschaftlichen Begleitung ist dies auch ein Ergebnis der hohen Akzeptanz, die sich die Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter der Projekte während der zurückliegenden Jahre in ihrem Arbeitsumfeld<br />
erworben haben.<br />
Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts wurde vom Lehrstuhl Sozialpädagogik der Universität<br />
Leipzig, Prof. Dr. Christian v.Wolffersdorff in enger Zusammenarbeit mit Herrn MA Tobias<br />
Strieder vom Caritasverband Leipzig e.V. durchgeführt, der zugleich für die Projektkoordination<br />
verantwortlich war. Durch diese Kooperation zwischen Praxisträger und Universität war<br />
es möglich, eine Reihe von Fragestellungen, denen wir im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung<br />
ansonsten kaum systematisch hätten nachgehen können, mit Hilfe von Magisterarbeiten<br />
zu untersuchen. Insgesamt sind auf diese Weise elf Magisterarbeiten zu sehr unterschiedlichen<br />
Themenbereichen entstanden. Beispiele dafür sind die Kooperationsbeziehungen, die sich<br />
in den einzelnen Projektorten entwickelt haben - speziell zur Zusammenarbeit mit der Schule,<br />
die Möglichkeiten und Grenzen von Elternarbeit, die subjektiven Erfahrungen und Sichtweisen<br />
der Kinder, die methodischen Erfahrungen des Projekts mit Einzelfallhilfe und Gruppenarbeit<br />
oder die Frage der Nachbetreuung von Kindern im Anschluss an die Projektteilnahme (vgl. Kap.<br />
5 in diesem Bericht).<br />
1.2 Drei Zugänge zum Thema Kinderdelinquenz<br />
(1) Kriminalitätsbilder und öffentliche Wahrnehmung: Als im Juli 2000 in Leipzig-Grünau die<br />
Auftaktveranstaltung zu diesem Projekt stattfand, waren die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik<br />
im Bereich Kinder- und Jugendliche über mehrere Jahre hinweg kontinuierlich gestiegen.<br />
Die Medienpräsenz "krimineller Kids" war bundesweit und auch in <strong>Sachsen</strong> beträchtlich.<br />
Grelle Berichte über Kids ohne Gnade, Monsterkids, junge Wilde und ähnliches hatten die Diskussion<br />
über Kinder- und Jugendkriminalität zusätzlich aufgeheizt. In einer Reihe von Landtagswahlkämpfen<br />
und im Bundestagswahlkampf 1998 war das Thema sogar zum Gegenstand<br />
parteipolitischer Auseinandersetzungen geworden.<br />
Von dieser Erregung ist gegenwärtig nicht mehr viel zu spüren. Die Polizeilichen Kriminalstatistiken<br />
der letzten Jahre vermeldeten für den Bereich der Kinderdelinquenz wie auch für die Jugendkriminalität<br />
durchweg rückläufige Werte, die bei oberflächlicher Betrachtung als Anlass für<br />
"Entwarnung" genommen werden könnten. Auch das Medienecho zu diesem Themenkomplex<br />
hat wieder deutlich nachgelassen – ein Hinweis darauf, dass es im öffentlichen Umgang mit<br />
8
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
diesem Thema so etwas wie Konjunkturen der Wahrnehmung gibt, die mit darüber entscheiden,<br />
was als wichtig oder unwichtig, als real oder irreal gesehen wird. Aus der Geschichte der Sozialarbeit<br />
könnte man dafür viele Beispiele anführen. Kriminologen haben zudem beharrlich darauf<br />
hingewiesen, dass in der Diskussion über abweichendes Verhalten und Kriminalität in besonderem<br />
Maße auf soziale Konstruktionen zurückgegriffen wird, die in der Regel nicht hinterfragt<br />
werden. Eine solche Konstruktion ist die des „gefährlichen Kindes“, wie sie in der angesprochenen<br />
Mediendiskussion teils zielgerichtet, teils fahrlässig verwendet wurde und die notwendige<br />
Sachdiskussion behindert hat.<br />
So unzulässig es vor fünf oder sechs Jahren war, aus einer bis in die politische Auseinandersetzung<br />
hinein reichenden Aufregung über steigende Werte der Polizeilichen Kriminalstatistik<br />
direkte Rückschlüsse auf die „Wirklichkeit“ der Kriminalitätsentwicklung zu ziehen, so falsch wäre<br />
es heute, aus den aktuell rückläufigen Werten der PKS etwas anderes zu schließen als dass<br />
solche Schwankungen immer wieder vorkommen, dass sie die unterschiedlichsten Gründe haben<br />
können und dass sie nur einen kleinen Teil der Faktoren abbilden, aus denen sich das<br />
Problemfeld Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung zusammensetzt. Mit anderen Worten:<br />
Auch heute müssen wir - nur eben spiegelbildlich in der anderen Richtung - vor einer Überinterpretation<br />
der Statistik und vor kurzschlüssigen Erfolgsmeldungen warnen. Aus rückläufigen<br />
Zahlen den Schluss zu ziehen, Probleme wie die Gefährdung des Kindeswohls, die Überforderung<br />
von <strong>Familie</strong>n an der Grenze zur Armut oder die Erfahrung sozialer Ausgrenzung seien nun<br />
endlich im Griff und damit wieder einmal eine sozialpädagogische "Herausforderung" erfolgreich<br />
bewältigt, wäre nur ein weiteres Missverständnis.<br />
Bezogen auf <strong>Modellprojekt</strong>e wie <strong>ESCAPE</strong> heißt das: Es ist gut, dass es hier einen Raum zur<br />
Erprobung und Erfahrungssammlung gab, aber wenn solche <strong>Modellprojekt</strong>e mehr sein sollen<br />
als das Reagieren auf eben solche Konjunkturen, dann geht es letztlich darum, aus ihnen auch<br />
über die vereinzelten Erfahrungen an unterschiedlichen Modellstandorten hinaus Konsequenzen<br />
für die Praxis der Jugendhilfe zu ziehen.<br />
(2) Die Bedeutung sozialer Prävention: Verfolgt man die einschlägigen Kinder-, Jugend-,<br />
<strong>Familie</strong>n-, Gesundheits- und Armutsberichte, die während der letzten Jahre in dichter Folge erschienen<br />
sind, dann schält sich aus der Fülle der dort vorgestellten Befunde eine neue Aufgabenbeschreibung<br />
für die Kinder- und Jugendhilfe heraus. So brachte der zehnte Kinder- und<br />
Jugendbericht etwa seine Untersuchungen zur Situation von Kindern (die den Themen Kindheit<br />
und Armut sowie Kindheit und Delinquenz zwei wichtige Schwerpunkte widmeten) auf die<br />
Grundformel, unsere Gesellschaft bedürfe einer neuen Kultur des Aufwachsens. „Wenn in einer<br />
menschlichen Gemeinschaft tragender Sinn und angebotene Handlungsmöglichkeiten, soziale<br />
Beziehungen und Ausdrucksformen in einem stimmigen Verhältnis stehen, sprechen wir von einer<br />
Kultur. Kulturen sind nicht einfach zu gründen. Jedenfalls ist die Welt von Kindern und Eltern<br />
nicht mit einigen Nachbesserungen an bestehenden Regelungen und zusätzlichen finanziellen<br />
Mitteln in Ordnung zu bringen, sondern (nur) in dem Sinn, Handlungsmöglichkeiten, Beziehungen<br />
und Ausdrucksformen in ein stimmiges Verhältnis gebracht werden.“(BMFSFJ 1998,<br />
S.298).<br />
Mit ähnlicher Zielsetzung hat der im Jahre 2002 erschienene elfte Kinder- und Jugendbericht<br />
der Bundesregierung das Prinzip sozialer Prävention, um das es hier geht, mit der Formulierung<br />
vom "Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung" beschrieben und aufgezeigt, was daraus für<br />
die einzelnen Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe folgt. Vergleichbare Grundgedanken<br />
finden sich auch in einigen weiteren großen Untersuchungen, die während der dreijährigen<br />
Laufzeit von <strong>ESCAPE</strong> erschienen sind. Zu nennen sind hier vor allem die Armuts- und Reichtumsberichte,<br />
die in den letzten Jahren von mehreren Wohlfahrtsverbänden sowie von der Bundesregierung<br />
vorgelegt wurden und insgesamt auf eine fortschreitende Polarisierung der sozialen<br />
Lebenslagen sowie einen zunehmenden Druck zur Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppierungen<br />
verweisen. Alle genannten Untersuchungen treffen sich darin, dass sie eindringlich auf<br />
Gefährdungen und Belastungen in den Lebenslagen von Kindern und jungen Menschen hin-<br />
9
EVALUATIONSBERICHT<br />
weisen und einen verstärkten gesellschaftlichen Konsens über die damit gegebenen Zukunftsaufgaben<br />
von Kinder- und Jugendhilfe, Schule und Politik einfordern.<br />
(3) Mehr Aufmerksamkeit für Kinder in gefährdeten Lebenslagen: Die heute verfügbaren<br />
Befunde aus verschiedenen Jugend- und Sozialberichten enthalten, wenn man dies mit einem<br />
geläufigen Begriff aus der Gesundheitswissenschaft beschreibt, eine Auflistung von Risikofaktoren.<br />
Diese ergeben sich vor allem aus der Konstellation von Arbeitslosigkeit, familiärer Überlastung<br />
(Alleinerziehende) und Beziehungskonflikten, wie sie auch in den Lebensgeschichten der<br />
Kinder, die von <strong>ESCAPE</strong> betreut wurden, häufig gegeben war. Fortgesetzte intensive Auffälligkeiten<br />
von Kindern, so der von Lothar Böhnisch betonte Aspekt des Bewältigungsverhaltens,<br />
enthalten zumeist Signale, die als Ausdruck von Überforderung oder Hilfebedarf verstanden<br />
werden müssen (Böhnisch 1998). Folglich muss das Prinzip Sozialer Prävention in einer intensiveren<br />
Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für Kinder in gefährdeten Lebenslagen zur Geltung<br />
kommen. Insbesondere für die “seit PISA” stärker beachtete Kooperation von Jugendhilfe und<br />
Schule liegt hier ein wichtiges Feld. Die in Punkt (2) zitierte Aussage aus den Schlussüberlegungen<br />
des zehnten Kinder- und Jugendberichts zu einer „Kultur des Aufwachsens“ formuliert<br />
Zielsetzungen, zu der auch das hier beschriebene <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> einen Beitrag zu leisten<br />
versucht.<br />
Auch der soeben erschienene zweite Sächsische Kinder- und Jugendbericht setzt sich an verschiedenen<br />
Stellen mit dieser Thematik auseinander und unterstreicht die Notwendigkeit einer<br />
Kinder- und Jugendhilfe als Sozialer Infrastruktur: Zum Abschluss dieser Einführung sei eine<br />
Passage aus dem Bericht zitiert, die den Gedanken einer verstärkten Aufmerksamkeit für gefährdete<br />
Kinder in den Mittelpunkt stellt und zugleich darauf hinweist, dass es sich hier im eigentlichen<br />
Sinne um eine gesellschaftspolitische Querschnittsaufgabe handelt: “Die Situation<br />
sozial benachteiligter und emotional belasteter Kinder muss früher beachtet und aufmerksamer<br />
registriert werden als bisher. Die PISA-Studie hat neben zahlreichen anderen Mängeln des<br />
Schulsystems auch dieses seit langem bekannte Problem endlich ins Blickfeld gerückt. Erstmals<br />
hat sie einer breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht, was von der Fachdiskussion schon<br />
seit langem bemängelt wird: Bei der Förderung sozial gefährdeter Kinder und Jugendlicher<br />
schneidet Deutschland im internationalen Vergleich besonders schlecht ab. Umso wichtiger erscheint<br />
es, endlich das gesellschaftliche Sensorium für die emotionale und soziale Situation<br />
dieser Kinder zu verbessern. Ein solches “Frühwarnsystem” muss bereits im Kindergarten beginnen.<br />
Auch Ansätze zu einer verbesserten Schuleingangsphase, wie sie in <strong>Sachsen</strong> während<br />
der letzten Jahre erprobt und wissenschaftlich begleitet wurden, sind dazu ein wichtiger Schritt.<br />
Nur wenn die emotionalen Signale, die von verhaltensauffälligen Kindern ausgehen, rechtzeitig<br />
ernst genommen werden, lassen sie sich für präventives Handeln nutzen. Die frühere Praxis,<br />
auffällige und störende Kinder möglichst schnell an Spezialeinrichtungen abzugeben, ist zu oft<br />
gescheitert, als dass sie einen zuverlässigen Maßstab für künftige Entwicklungen bieten könnte.<br />
Auch fortgesetzte Schulverweigerung darf nicht “übersehen” oder bagatellisiert werden, wie<br />
dies in der Praxis noch immer häufig geschieht. Ansätze der Schulsozialarbeit, die der Einübung<br />
von Konfliktlösungen und Respekt vor anderen dienen, müssen weiterentwickelt werden.<br />
Bestehende Konzepte der Konfliktschlichtung mit Hilfe von Mediation zeigen in dieser Hinsicht<br />
ermutigende Ergebnisse.” (SMS 2003, S.249).<br />
Wenn der Modellcharakter des hier beschriebenen Projekts so verstanden würde, dass es in<br />
der Gesellschaft insgesamt um mehr Aufmerksamkeit und mehr gezielte Angebote für Kinder in<br />
gefährdeten Lebenslagen geht, dann wäre die Intention von <strong>ESCAPE</strong> zutreffend erfasst. Im<br />
Vordergrund steht dabei nicht das Phänomen "abweichendes Verhalten", sondern die Frage<br />
des Hilfebedarfs. Dementsprechend bestand die Zielsetzung des Projekts zu keinem Zeitpunkt<br />
in der Vorverlagerung von Sanktionen oder in der Ausweitung von Kontrollen, sondern in der<br />
Verbesserung und Vernetzung von Hilfeangeboten für eine Klientel, für die geeignete Hilfen bislang<br />
oft fehlten.<br />
10
2. Kinderdelinquenz als Problem der Jugendhilfe<br />
2.1 Kindliche Lebenswelten und gestörte Sozialisation<br />
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
„Mit dreizehn Monaten sind Kinder zum Fressen süß, mit dreizehn Jahren bereuen Eltern, es<br />
nicht getan zu haben.“ Dieses Sprichwort verweist auf eine kindliche Lebensphase, die den Erwachsenen<br />
offensichtlich immer wieder Probleme macht. In einer repräsentativen Längsschnittstudie<br />
in England wurde festgestellt, dass die Zufriedenheit von Ehepartnern in der Phase der<br />
Pubertät ihrer Kinder einen absoluten Tiefpunkt erreicht (Argyle 1986). Die Entwicklungspsychologie<br />
liefert dafür nachvollziehbare Erklärungen, denn es handelt sich um eine besonders<br />
sensible Phase im Prozess des Aufwachsens.<br />
Die späte Kindheit am Übergang vom Kind zum Jugendlichen und das Jugendalter stellen für<br />
junge Menschen eine Lebensphase mit erheblichen Entwicklungsanforderungen dar, die in einer<br />
pluralen und immer unübersichtlicher werdenden Welt verbunden sind mit einer Vielzahl<br />
von Entwicklungsrisiken. Bei der sich anbahnenden Suche nach der eigenen Identität beginnen<br />
Kinder, das Verhältnis zu den Eltern neu zu justieren und sich von der Welt der Erwachsenen<br />
abzugrenzen. Neugier, Abenteuerlust, Entdeckungsdrang oder auch erhöhte Risikobereitschaft<br />
sind Verhaltensanteile, mit denen sich der Handlungs- und Aktionsradius der Kinder allmählich<br />
vergrößert. Neben den zentralen Sozialisationsinstanzen <strong>Familie</strong> und Schule erschließen sich<br />
neue Lebenswelten und Lebensräume. Öffentliche Orte wie Straßen, Plätze, Kaufhäuser, Jugendclubs<br />
und insbesondere die Gruppe der Gleichaltrigen werden zunehmend interessanter<br />
und üben einen unkalkulierbaren Einfluss auf das Sozialisationsgeschehen aus. Diese verstärkte<br />
Außenorientierung ermöglicht gleichsam, sich den Erziehungsautoritäten zu entziehen. Im<br />
Zuge des kindlichen Ausprobierens kommt es dann auch zum Austesten von Grenzen. Dabei<br />
begehen Kinder außerhalb ihres geschützten Rahmens auch Normverletzungen, die bereits<br />
strafrechtliche Relevanz besitzen können. Zumeist handelt es sich lediglich um Verstöße im<br />
Bagatellbereich. In der Dunkelfeldforschung wird in diesem Zusammenhang davon ausgegangen,<br />
dass abweichende Verhaltensweisen im Kindes- und Jugendalter nahezu überall vorkommen,<br />
mit anderen Worten ubiquitär sind, und in aller Regel nur einen episodenhaften Charakter<br />
aufweisen. Polizeilich registrierte Delikte stellen demnach lediglich einen Bruchteil der tatsächlichen<br />
straftatrelevanten Verstöße dar. Aufgrund ihrer Geringfügigkeit unterscheiden diese sich<br />
jedoch deutlich von Erwachsenenkriminalität und stellen in der Realität längst nicht das von den<br />
Medien propagierte innere Sicherheitsrisiko dar. Vielmehr bringen diese Verhaltensweisen zum<br />
Ausdruck, dass das Hineinwachsen in die Gesellschaft immer auch als ein Prozess des Erlernens<br />
von Normen zu verstehen ist und dass sich mit eben diesen Lernprozessen immer wieder<br />
auch Grenzüberschreitungen verbinden, die allerdings nicht in jedem Fall mit delinquentem<br />
Verhalten gleichzusetzen sind. Normkonformes Verhalten kann daher nur Ziel und nicht Ausgangspunkt<br />
im Erziehungsprozess sein. Erschwerend kommt hinzu, dass durch den beschleunigten<br />
gesellschaftlichen Wandel sowie die zunehmende Ausdifferenzierung und Individualisierung<br />
der Lebenswelten traditionelle Wertesysteme ihre soziale Bindungskraft verlieren und Eltern<br />
in der Erziehung allgemeine Wertekonzepte zur Vermittlung von Normen fehlen.<br />
Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass die meisten Kinder und Jugendlichen die<br />
Entwicklungsaufgaben positiv bewältigen und abweichende Verhaltensweisen lediglich vorübergehend<br />
auftreten. Es gibt aber auch eine relativ kleine - jedoch tendenziell anwachsende -<br />
Gruppe von potentiell gefährdeten Kindern, bei denen sich abweichende Verhaltensweisen zu<br />
verfestigen drohen. Die Ursachen dafür sind vielfältig und lassen sich aufgrund komplexer Zusammenhänge<br />
nicht mit einseitigen Erklärungsansätzen erfassen. Im Dschungel zahlreicher<br />
Erklärungsversuche verdichtet sich allerdings die These, dass sich mit der Anhäufung und<br />
Überlagerung verschiedener Risikofaktoren bei zugleich fehlenden Schutzfaktoren die Wahrscheinlichkeit<br />
des Auftretens von Kriminalität, als einer Form abweichenden Verhaltens, erhöht<br />
(Lösel 2000).<br />
11
EVALUATIONSBERICHT<br />
Für die Pädagogik und für den Handlungsauftrag der Jugendhilfe stellt sich in diesem Zusammenhang<br />
insbesondere die Frage nach den Entwicklungs- und Sozialisationsbedingungen des<br />
Kindes. Auch wenn sich die <strong>Familie</strong> als Lebensform ausdifferenziert, bleibt sie als primäre Sozialisationsinstanz<br />
für Kinder - mehr noch als für Jugendliche - der wichtigste Bezugsort. Eine<br />
produktive Bewältigung der Entwicklungsphase erfolgt auf der Grundlage personaler und sozialer<br />
Ressourcen (Fend 1990). Für einen inneren und äußeren Halt brauchen Kinder eine stabile<br />
Beziehung mit emotionaler Zuwendung und Geborgenheit. Die Lebenssituation und die Entwicklungsmöglichkeiten<br />
der Kinder sind daher entscheidend von den Bedingungen in der <strong>Familie</strong><br />
bzw. im engsten sozialen Umfeld abhängig.<br />
Unter ungünstigen sozialen Bedingungen und in gestörten familiären Milieus verringern sich die<br />
Entwicklungschancen eines Kindes. Fehlt der Schonraum einer fördernden Umwelt (Winnicott<br />
1974, 1988), sind Kinder in direkter Weise den sozialen Anforderungen und Risiken ausgesetzt.<br />
Soziale Benachteiligungen und dauerhafte Belastungen, unverarbeitete kritische Lebensereignisse<br />
und Einsamkeit in seelischen Notlagen führen zu Überforderungen, zu biografischen Brüchen<br />
und Entwicklungsstörungen im Sozialisationsprozess. Das Kind wird zum Symptomträger<br />
komplexer Problemlagen. Nach der Deprivationsthese von Winnicott ist der spätere „Räuber“<br />
ein in seiner frühen Entwicklungszeit „beraubtes Kind“. Im Konzept der Lebensbewältigung beschreibt<br />
Böhnisch (1999a) abweichendes Verhalten als eine Form der Bewältigung, gleichsam<br />
als das subjektive Streben nach situativer und biografischer Handlungsfähigkeit sowie nach<br />
psychosozialer Balance. In diesem Verständnis kann wiederholt delinquentes Verhalten, als eine<br />
Form abweichenden Verhaltens, kindliche Hilflosigkeit und Unterstützungsbedarf zum Ausdruck<br />
bringen. Diese Signale entsprechend frühzeitig zu erkennen und ernst zu nehmen, ist<br />
Aufgabe sekundärer Sozialisationsinstanzen wie Schule und Jugendhilfe. Je früher angemessene<br />
Hilfen einsetzen und fördernde Bedingungen geschaffen werden, umso größer sind die<br />
Chancen, entwicklungsdienliche Weichen zu stellen. Untersuchungen belegen, dass Verhaltensauffälligkeiten<br />
in Kindereinrichtungen und in der Schule häufig ignoriert werden. Die Schule<br />
spielt bei der Früherkennung eine Schlüsselrolle. Sie ist ein Ort, wo Kinder und Jugendliche einen<br />
Großteil ihrer täglichen Zeit verbringen und an dem Verhaltensauffälligkeiten außerhalb der<br />
<strong>Familie</strong> sichtbar werden. Auch das unentschuldigte Fernbleiben vom Unterricht oder gar Schulverweigerung<br />
können Indikatoren für sich verdichtende Problemlagen und delinquentes Verhalten<br />
sein. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat einen Zusammenhang<br />
zwischen Schuleschwänzen und Delinquenz nachgewiesen. Je häufiger Kinder und Jugendliche<br />
die Schule schwänzen, desto stärker sind sie auch in Straftaten involviert, wie auch im<br />
Ersten Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung gezeigt wird (BMJ/BMI, Hrsg.<br />
2001). Allerdings muss auch hier ausdrücklich betont werden, dass es sich in der weit überwiegenden<br />
Anzahl der Fälle um Bagatelldelikte handelt.<br />
Delinquenz im Kindes- und Jugendalter sollte vor diesem Hintergrund nicht vom strafrechtlichen,<br />
sondern vielmehr vom erzieherischen Standpunkt aus betrachtet werden. Wer als Pädagoge<br />
lediglich die Delinquenz und die Defizite des Kindes im Blick hat, bleibt an der Oberfläche<br />
und dringt nicht zum Kern des Problems. Mit der sozialisationsorientierten Argumentation sollen<br />
aber auch nicht die Eltern zum Sündenbock abgestempelt und delinquentes Verhalten auf Erziehungsversagen<br />
reduziert werden. Vielmehr soll damit die Bedeutung der <strong>Familie</strong> und der<br />
ganzheitliche Charakter für auffälliges Verhalten von Kindern zum Ausdruck gebracht werden,<br />
die Probleme machen, weil sie Probleme haben (Nohl). Professionelle Hilfe darf sich deshalb<br />
nicht nur auf das Kind beschränken, sondern muss immer auch das soziale Umfeld erreichen<br />
und einbeziehen.<br />
12
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
2.2 Umgang mit Kinderdelinquenz: Rechtsgrundlagen, institutionelle Zuständigkeiten<br />
und Verfahrensweisen<br />
Neben der über Jahrzehnte geführten Diskussion über das Verhältnis von Erziehung und Strafe<br />
im Rahmen des Jugendstrafrechts weitete sich in den 90er Jahren die Aufmerksamkeit zunehmend<br />
auch auf den Bereich der Kinderdelinquenz aus. Unter Berücksichtigung der geistigen<br />
und sittlichen Reife gelten Kinder unter 14 Jahren in Deutschland als strafunmündig (§ 19<br />
StGB). Dies hat zur Folge, dass die Justiz Straftaten von Kindern nicht weiter verfolgt und Strafverfahren<br />
sofort einstellt. Aus diesem Grund stellt das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII/<br />
KJHG) den allgemeinen rechtlichen Handlungs- und Bezugsrahmen für den Umgang mit delinquenten<br />
Kindern dar. Die zuständige Behörde ist das Jugendamt. Im Unterschied zum strafrechtlich<br />
klar geregelten und verbindlichen Vorgehen bei Jugendlichen sind die Verfahrensweisen<br />
in Bezug auf strafunmündige Kinder rechtlich nur sehr wenig fixiert. Es handelt sich um eine<br />
Grauzone mit bundesweit sehr heterogenen Verfahrensweisen und fehlenden Verbindlichkeiten<br />
zwischen den zuständigen Institutionen an der Schnittstelle von Kinderdelinquenz (DJI 1999).<br />
Die Polizei steht in der Bearbeitungspraxis meist an vorderster Front. Der durch das Legalitätsprinzip<br />
bedingte Strafverfolgungszwang der Polizei in Deutschland erfordert auch bei geringfügigen<br />
Delikten von Kindern Ermittlungsaktivitäten und die Meldung an die Staatsanwaltschaft.<br />
Sobald Kinder und Jugendliche als Tatverdächtige ermittelt werden, bildet die 1996 novellierte<br />
und bundesweit gültige Polizeidienstvorschrift 382 (PDV) zur „Bearbeitung in Jugendsachen“<br />
die Richtlinie für polizeiliches Handeln. Darin werden Mindeststandards für eine polizeiliche Jugendarbeit<br />
gesetzt, die den Ansprüchen einer zeitgemäßen Bewältigung normabweichenden<br />
Verhaltens junger Menschen in notwendiger Kooperation mit anderen jugendbezogenen Kontrollinstanzen<br />
genügen soll (Hübner/Kerner 1997).<br />
Die Umsetzung soll sich mit besonders geschulten Polizeibeamten – so genannten Jugendsachbearbeitern<br />
– nach dem Grundsatz „Prävention geht vor Repression“ (Vorwort PDV) realisieren.<br />
Zunehmend wird dafür sogar das Tatortprinzip der Polizei zu Gunsten des Wohnortprinzips<br />
aufgegeben. Die Meldungspflicht an das Jugendamt besteht bei einer „Gefährdung“ des<br />
Kindes: „Das Jugendamt und sonst zuständige Behörden sind unverzüglich zu unterrichten,<br />
wenn schon während der polizeilichen Ermittlungen erkennbar wird, dass Leistungen der Jugendhilfe<br />
in Frage kommen. In allen anderen Fällen ist spätestens mit der Abgabe der Ermittlungsvorgänge<br />
an die Staatsanwaltschaft das Jugendamt zu unterrichten, sofern eine Gefährdung<br />
Minderjähriger [...] vorliegt... (PDV 832). Was heißt aber für den einzelnen diensthabenden<br />
Polizeibeamten „Gefährdung“? Die Schwierigkeit besteht auch darin, dass sich in der<br />
Mehrzahl der Fälle eine Gefährdung nicht einzig und allein aus der bloßen Tatsache einer Deliktbegehung<br />
ableitet. In der Praxis führt diese Kann-Bestimmung zu einem Ermessensspielraum,<br />
der Unsicherheiten erzeugt und willkürlichen Entscheidungen Vorschub leistet. Wie Jugendämter<br />
dann wiederum auf die Meldungen der Polizei reagieren, ist vor dem Hintergrund<br />
kommunaler Selbstverwaltungsstrukturen der Jugendhilfe ebenfalls sehr unterschiedlich und<br />
bisher noch relativ wenig bekannt. Das KJHG macht keine konkreten Aussagen darüber, wie im<br />
Falle polizeilicher Mitteilungen mit straftatverdächtigen Kindern zu verfahren ist.<br />
Delinquentes Verhalten von Kindern muss nicht zwangsläufig zu Reaktionen der Jugendhilfe<br />
führen, denn ihr Tätigwerden orientiert sich nicht in erster Linie an Delinquenz, sondern am erzieherischen<br />
Bedarf im Einzelfall. Die Konsequenzen für begangene Straftaten von strafunmündigen<br />
Kindern liegen zunächst primär in der Verantwortung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten.<br />
Der Staat ordnet seinen Einfluss im Erziehungsbereich auch im Fall von Kinderdelinquenz<br />
dem natürlichen Recht der Eltern auf Erziehung unter, aber verpflichtet sie zugleich zur elterlichen<br />
Sorge (Art. 6 GG, §1626 f. BGB). Deshalb werden nach Abschluss der Ermittlungen in der<br />
Regel zuerst die Eltern von der Polizei informiert und Kinder mit ihren Eltern gemeinsam im Ermittlungsverfahren<br />
zur Anhörung geladen.<br />
13
EVALUATIONSBERICHT<br />
Das Jugendhilferecht versteht sich vor allem als ein Dienstleistungsgesetz mit Angebotscharakter<br />
für Kinder, Eltern und <strong>Familie</strong>n zur Verwirklichung des Rechts jedes jungen Menschen auf<br />
Förderung seiner Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen<br />
Persönlichkeit (§ 1). Es betont deutlich den „sozialpädagogischen Sozialleistungscharakter“<br />
der Jugendhilfe (Schone 2002, S. 945). Die einzelnen Leistungen (§§ 11 – 41)<br />
und Aufgaben (§§ 42 – 60) haben unterschiedliche Gewährleistungspflicht. Auch wenn das<br />
KJHG einen differenzierten Katalog vorhält und konstruktive Spielräume anbietet, fehlt es an<br />
speziellen Angeboten für auffällige und mehrfach delinquente Kinder. Gerade diese Kinder jedoch,<br />
so vermuten Praktiker und Experten, werden von den etablierten und tradierten Angeboten<br />
der Kinder- und Jugendhilfe nicht erreicht und zwar unbeachtet der Tatsache, dass hier<br />
nicht selten ein erheblicher erzieherischer Bedarf vorliegt.<br />
Mit der Inanspruchnahme einer Leistung nach dem SGB VIII (KJHG) ist keinesfalls eine Beschränkung<br />
der elterlichen Sorge verbunden. Ganz im Gegenteil: Ganz der Philosophie des<br />
KJHG entsprechend, nach der die „Pflege und Erziehung der Kinder [...] das natürliche Recht<br />
und die zuvörderst obliegende Pflicht [...]“ (§ 1 Abs. 2 KJHG) der Eltern ist, sollen diese Leistungen<br />
„helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten<br />
Verhaltens der natürlichen Eltern gerichtete Maßnahmen“ sein (Kunkel 2001, S.<br />
19).<br />
Die rechtliche Position der Eltern ist in Deutschland sehr stark gemacht worden. Das in Art. 6<br />
Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Elternrecht bezeichnet die Pflege und Erziehung der Kinder als<br />
natürliches Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht. Das Elternrecht garantiert<br />
den Eltern gegenüber dem Staat den Vorrang als Erziehungsträger. Es wird den Eltern ein<br />
Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in die Erziehung der Kinder gewährt, jedoch nur so weit,<br />
wie es dem Wohl des Kindes dient (vgl. Schone 2002, S. 946).<br />
Ist das Kindeswohl sichtlich gefährdet und sind die Eltern bzw. Personensorgeberechtigten<br />
nicht gewillt oder nicht in der Lage, diese Gefährdung abzuwenden, so ist der Staat befugt einzugreifen.<br />
In § 1666 BGB wird das staatliche Wächteramt im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG<br />
konkretisiert. Die Fachkräfte des Jugendamtes sind bei begründetem Verdacht dazu verpflichtet,<br />
das <strong>Familie</strong>ngericht zu informieren (§ 50 Abs. 3 KHJG) und gegebenenfalls Zwangsmaßnahmen<br />
zu veranlassen.<br />
Aus der Rechtslage geht hervor, dass die Jugendhilfe mit einem Doppelmandat von Hilfe und<br />
Kontrolle konfrontiert ist. Einerseits soll die Jugendhilfe den Kindern, Jugendlichen und Eltern<br />
helfen, sie fördern, beraten und unterstützen und andererseits muss sie eingreifend tätig werden,<br />
wenn das Wohl von Kindern und Jugendlichen gefährdet ist.<br />
Bevor ein massiver Eingriff im Zwangskontext erfolgt, sollten andere pädagogische Konzepte<br />
Vorrang haben. Um Zwangsmaßnahmen vorzubeugen, braucht daher manch freiwilliges Angebot<br />
der Jugendhilfe im Einzelfall mehr Nachdruck und Beratung über die Notwendigkeit von Hilfe.<br />
Wer Feuerwehr spielen muss, sollte auch im Brandschutz aktiv werden und dafür die entsprechenden<br />
Mittel bereitgestellt bekommen.<br />
14
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
3. <strong>ESCAPE</strong>: Projektansatz, Trägerstruktur und Rahmenbedingungen<br />
Im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong> startete im Juli 2000 das <strong>Modellprojekt</strong> der Jugendhilfe mit dem Arbeitstitel<br />
„Erprobung neuer Hilfeangebote für Kinder mit abweichendem Verhalten“. Das <strong>Modellprojekt</strong><br />
– später erhielt es durch die Projektmitarbeiter seinen Namen <strong>ESCAPE</strong> - entstand auf Initiative<br />
des Sächsischen Landesjugendamtes für eine Laufzeit von knapp drei Jahren (1. Juli 2000 –<br />
31. März 2003). Die Förderung erfolgte durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales<br />
und <strong>Familie</strong>. Rahmenziel dieses Projektes war die Methoden– und Strukturentwicklung der Jugendhilfe<br />
im Handlungsfeld Kinderdelinquenz. Dabei sollten neue Konzepte im Umgang mit delinquenten<br />
Kindern erprobt und geeignete Konzepte aus anderen pädagogischen Handlungsfeldern<br />
weiterentwickelt werden. Das Projekt bezog sich auf die Zielgruppe der strafünmündigen<br />
wiederholt delinquenten Kinder bis zum 14. Lebensjahr.<br />
Die Arbeitsschwerpunkte umfassten: (1) die Entwicklung adäquater ambulanter Hilfeangebote<br />
für Kinder und deren <strong>Familie</strong>n, (2) die Suche nach neuen und unkonventionellen Wegen zur<br />
Früherkennung und Erreichbarkeit der Adressaten sowie (3) die Entwicklung alternativer Strategien<br />
der Zusammenarbeit und institutionellen Vernetzung.<br />
Das <strong>Modellprojekt</strong> umfasste drei verschiedene Modellstandorte in <strong>Sachsen</strong>, die nach fachlichen<br />
und territorialen Gesichtspunkten ausgewählt wurden. Dabei handelte es sich um das „ländliche“<br />
Auerbach im Vogtland, den „Problemstadtteil“ Dresden-Prohlis sowie das „mittelstädtische“<br />
Riesa. Die einzelnen Projekte standen alle in Trägerschaft des Diakonischen Werkes und waren<br />
auf der Grundlage ihrer eingereichten Konzeptionen für die konkrete Umsetzung dieses Hilfeangebotes<br />
verantwortlich. Die Modellstandorte unterschieden sich nicht nur in ihren regionalen<br />
Besonderheiten und Rahmenbedingungen, sondern auch hinsichtlich der Akzentuierung in<br />
der konzeptionellen Arbeit. Während in Dresden und Riesa der methodische Schwerpunkt auf<br />
der Sozialen Gruppenarbeit lag und mit jeweils zwei Projektmitarbeitern realisiert wurde, richtete<br />
sich der Fokus in Auerbach mit einer Personalstelle primär auf die Einzelfallhilfe.<br />
Abbildung 3.1. Modellstandorte in <strong>Sachsen</strong>.<br />
15
EVALUATIONSBERICHT<br />
Alle Projektorte verbindet die Gemeinsamkeit, dass die Konzeptentwicklung in Abstimmung mit<br />
dem örtlichen Jugendamt erfolgte und <strong>ESCAPE</strong> vor Ort jeweils eingebunden ist in bereits bestehende<br />
Angebote der Jugendhilfe des jeweiligen Trägers. Der Caritasverband Leipzig e.V.<br />
übernahm in enger Kooperation mit dem Lehrstuhl für Sozialpädagogik der Erziehungswissenschaftlichen<br />
Fakultät der Universität Leipzig die Gesamtträgerschaft des <strong>Modellprojekt</strong>es. Die<br />
drei Modellstandorte bildeten gemeinsam mit dem Gesamtprojektträger auf der Grundlage eines<br />
Kooperationsvertrages einen Trägerverbund.<br />
Tabelle 3.1. Trägerstruktur und Standortspezifika.<br />
Modellstandorte Auerbach Dresden Riesa<br />
Träger Diakonisches Werk im Kirchenbezirk<br />
Auerbach e.V.,<br />
Fachbereich Jugendhilfe<br />
Standortbeschreibung Große Kreisstadt im Vogtland<br />
mit ca. 20.300 Einwohnern,<br />
ländlich geprägte Region<br />
Personal 100% Diplom<br />
Sozialpädagogik<br />
(weiblich)<br />
Arbeitsschwerpunkte � Einzelfallhilfe<br />
� Elternarbeit<br />
� Schaffung altersspezifischer<br />
Angebote<br />
16<br />
Diakonisches Werk -<br />
Stadtmission Dresden e.V.<br />
Abteilung Jugendhilfe / Re-<br />
gionalbüro Reick<br />
Plattenbaugebiet im Süden<br />
der Stadt Dresden / ein<br />
Stadtteil mit besonderem<br />
Entwicklungsbedarf (ca.<br />
59.400 Einwohnern), hoher<br />
Anteil von Minderjährigen<br />
mit sozial auffälligem<br />
Verhalten<br />
1 x 50% Diplom Pädagogik,<br />
1 x 50% Diplom Sozialpädagogik<br />
(weiblich/männlich)<br />
� soziale Gruppenarbeit<br />
� Elternarbeit<br />
� Sozialraumbezug<br />
Diakonie Riesa gGmbH,<br />
Sozialunternehmen<br />
„Sprungbrett“<br />
Große Kreisstadt mit ca.<br />
40.000 Einwohnern im<br />
Landkreis Riesa-<br />
Großenhain, ehemalige<br />
Stahlwerkerstadt<br />
2 x 75% Diplom Pädagogik<br />
(weiblich/weiblich)<br />
� von Einzelfallhilfe zur<br />
soz. Gruppenarbeit<br />
� Einbeziehung von<br />
Freunden<br />
� Elternarbeit<br />
� offener Treff<br />
Projektmanagement & wissenschaftliche Begleitung<br />
Caritasverband Leipzig e.V. in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Sozialpädagogik<br />
der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig<br />
Der gewählte Projektname <strong>ESCAPE</strong>, eingebettet<br />
in das Projektlogo eines Skateboard-Fahrers, war<br />
einerseits in dieser Kombination eine zeitgemäße<br />
und ansprechende Einladung an die Kinder, um<br />
ihnen einen Anreiz zu schaffen, die angebotene<br />
Hilfe auch in Anspruch zu nehmen. Andererseits<br />
sollte das standortübergreifende gemeinsame<br />
Logo im Sinne einer Corporate Identity eine Einheit<br />
aller <strong>ESCAPE</strong>-Standorte und Mitarbeiter erzeugen<br />
sowie zu einer professionellen Außenwirkung<br />
verhelfen. Der Begriff <strong>ESCAPE</strong> ist der zunehmend<br />
technologisierten Lebenswelt von Kin-<br />
Abbildung 3.2. Logo des <strong>Modellprojekt</strong>es. dern und Jugendlichen entnommen. Er erinnert<br />
an die gleichnamige Computertaste, die die<br />
Möglichkeit bietet, eine Anwendung zu verlassen, um etwas ganz Neues auszuprobieren oder<br />
einen anderen Weg einzuschlagen. Da es mit einem Knopfdruck aber in der Realität oft nicht<br />
getan ist, wird mit dem Skateboard-Fahrer die aktivierende und stimulierende Komponente<br />
symbolisiert, die auf die Ressourcen des Kindes baut. In diesem Sinne versteht sich <strong>ESCAPE</strong><br />
als eine kurzfristige und auf begrenzte Zeit, von drei bzw. vier Monaten, angelegte Hilfe, die ohne<br />
das aufwändige Hilfeplanverfahren nach § 36 KJHG für längerfristige Hilfen realisiert werden<br />
kann. Das Kind soll unbürokratisch an die Hand genommen werden und in der Jugendhilfe einen<br />
Partner finden.
4. Projektmanagement und wissenschaftliche Begleitung<br />
4.1 Integrativer Arbeitsansatz<br />
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Im Arbeitsauftrag des Landesjugendamtes waren für den Gesamtprojektträger das Projektmanagement<br />
und die wissenschaftliche Begleitung integrierte Bestandteile und konzeptionell eng<br />
gekoppelt. Diese Konstellation konnte konstruktiv in der Praxis genutzt und umgesetzt werden.<br />
Sie ermöglichte einen effektiven Personaleinsatz und Arbeitsaufwand. Dennoch birgt dieser integrative<br />
Arbeitsansatz einen Rollenkonflikt. Denn nicht immer vertragen sich die Interessen<br />
des Managements mit den Anforderungen und den Ergebnissen der Evaluation. Hilfreich war<br />
der moderierende und nondirektive Ansatz des Projektmanagements. Darin realisierten sich<br />
Fachberatung, Förderung eines verständigungsorientierten Austauschs und die Entwicklung<br />
von Strukturen im Sinne des Anstoßens von Prozessen. Die unterschiedlichen Aktivitäten, Bedingungen<br />
und Erfahrungen wurden zusammengeführt, hinsichtlich ihrer handlungspraktischen<br />
Relevanz geprüft und für das Gesamtvorhaben nutzbar gemacht.<br />
Abbildung 4.1. Integrativer Arbeitsansatz von Projektmanagement und wissenschaftlicher Begleitung.<br />
4.2 Forschungsverständnis und Untersuchungsaufbau<br />
Die Evaluation von Präventions- und Interventionsprojekten gehört in Deutschland noch immer<br />
eher zur Ausnahme und weniger zur Regel. Auch wenn erzieherische Prozesse nur begrenzt<br />
kalkulierbar sind und immer von Besonderheiten des Einzelfalls geprägt werden, ist die Evaluation<br />
auch für die pädagogische Praxis eine wichtige Voraussetzung und notwendiges Instrument<br />
zur Implementierung und Qualitätsentwicklung professioneller Hilfeleistungen. Der wechselseitige<br />
Austausch von Theorie und Praxis im Verständnis eines horizontalen Transfers ermöglicht<br />
einerseits, dass in der Theorie praxisrelevante Fragen gestellt bzw. Problemschwerpunkte<br />
aufgegriffen werden und andererseits die Praxis durch Reflexion in eine wirkungsvolle<br />
Spannung versetzt wird.<br />
17
EVALUATIONSBERICHT<br />
Im Gesamtkonzept des <strong>Modellprojekt</strong>es <strong>ESCAPE</strong> war die wissenschaftliche Begleitung in Anbindung<br />
an das Projektmanagement ein von Beginn an integrierter Bestandteil. Im Verständnis<br />
einer unterstützenden Praxisforschung wurden Prozesse und Ergebnisse der Projektaktivitäten<br />
evaluiert und über Feedbackschleifen reflektiert. Die Befunde der wissenschaftlichen Begleitung<br />
ermöglichen nun für die konkrete Anwendungspraxis der Jugendhilfe die Entwicklung von<br />
Handlungsansätzen mit größeren Verbindlichkeiten im Umgang mit delinquenten Kindern. Für<br />
die Implementierung und Etablierung dieses Hilfeansatzes bzw. für die Überführung von der<br />
Modellphase zu einem Regelangebot geben die Ergebnisse Auskunft über Tendenzen der<br />
„Wirksamkeit“ und Akzeptanz von <strong>ESCAPE</strong>.<br />
Die wissenschaftliche Begleitung von <strong>ESCAPE</strong> basierte primär auf einem qualitativen Forschungsverständnis<br />
– jedoch nicht ausschließlich. Damit war dem Forschungskonzept eine Offenheit<br />
zugrunde gelegt, die dem Prozesscharakter des <strong>Modellprojekt</strong>es Rechnung trug und das<br />
Handlungsfeld Kinderdelinquenz mit den unterschiedlichen subjektiven Sichtweisen systematisch<br />
erschließen ließ. Das Forschungskonzept wurde aufgrund der Vielschichtigkeit des Handlungsfeldes<br />
mehrgleisig angelegt und umfasste verschiedene gegenstandsangemessene Erhebungsverfahren<br />
und Teiluntersuchungen, in denen sowohl Innen- als auch Außenperspektive<br />
sowie Entwicklungsverläufe durch wiederholende Erhebungsanteile in die Betrachtung einbezogen<br />
wurden. Dabei kamen auch standardisierte Erhebungsinstrumente zum Einsatz wie der<br />
Persönlichkeitsfragebogen für Kinder von 9-14 Jahren nach Seitz/Rausche (1992), um Veränderung<br />
von Einstellungen und Motiven feststellen zu können, oder auch ein Fragebogen zur<br />
subjektiven Beurteilung der Maßnahme durch die Kinder, Eltern und Sozialpädagogen in Anlehnung<br />
an Mattejat/Remschmidt (1998) sowie ein teilstandardisierter Elternfragebogen zur Erfassung<br />
soziobiografischer Merkmale. Zentrales Erhebungsverfahren waren Protokolle mit verschiedenen<br />
Schwerpunkten im Hilfeprozess, qualitative Interviews und Gruppendiskussionen<br />
zur Erfassung subjektiver Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, sowohl der beteiligten<br />
Institutionen als auch der Klientel.<br />
Der konzeptionell vorgedachte Untersuchungsansatz konkretisierte sich durch die praxisrelevanten<br />
Fragen und Diskussionen in der explorativen Phase im ersten Projektjahr. In Abstimmung<br />
mit den Mitarbeitern wurden dabei vergleichbare Dokumentationsvorlagen und Erhebungsinstrumente<br />
für die Vermittlungs- und Kontaktphase, für den Hilfeprozess und die Abschlussphase<br />
erstellt und eingeführt. Um die Komplexität des Untersuchungsfeldes zu reduzieren<br />
und überschaubar zu gestalten, konzentrierte sich die Evaluation auf drei Themenschwerpunkte<br />
und Fragenkomplexe: (1) Strukturen und Institutionen, (2) Klientel und Klientensystem<br />
sowie (3) Hilfe und Methoden. Die durchgeführten Teiluntersuchungen orientierten sich weitestgehend<br />
an diesen Themenkomplexen, auch wenn sich die Grenzen im Handlungsfeld fließend<br />
gestalteten. Für eine differenzierte Gesamtbetrachtung wurden die Befunde der Teiluntersuchungen<br />
dann wieder zusammengeführt und aufeinander bezogen. Auf der Grundlage der abgestimmten<br />
Dokumentationen, Befragungen und Erhebungsverfahren, die in der nachfolgenden<br />
Übersicht dargestellt sind, konnte das <strong>ESCAPE</strong>-Hilfeangebot in den drei Standorten beschrieben,<br />
analysiert und bewertet werden.<br />
18
Abbildung 4.2. Untersuchungsansatz.<br />
4.3 Untersuchungsplan<br />
Phase 1 (Juli 2000 – Dezember 2001)<br />
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
(0) Explorative Phase<br />
Die explorative Phase diente der gemeinsamen Entwicklung und Systematisierung der Dokumentation<br />
wie Protokolle, Fragebögen etc. und zur Erstellung des Untersuchungsdesigns.<br />
(1) (Struktur) Institutioneller Umgang mit delinquenten Kindern in den Projektorten<br />
Die Untersuchung bezog sich auf die Zusammenarbeit und die Verfahrensweisen der verschiedenen<br />
Institutionen. In neun Interviews wurden in allen Standorten die subjektiven Sichtweisen<br />
von je einem Vertreter der beteiligten Institutionen Polizei, Jugendamt und Schule erhoben.<br />
(2) (Methode/Klientel) Elternarbeit und Sichtweisen der Eltern im Projekt<br />
Da alle Standorte die Elternarbeit von Beginn an als einen wichtigen Baustein konzeptionell<br />
verankerten, sollte die Untersuchung erfassen, wie dieser Anspruch in der Realität umgesetzt<br />
wird. Dazu wurden fünf Eltern und vier <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter der beteiligten Standorte zur konzeptionellen<br />
Elternarbeit, deren Möglichkeiten und Grenzen interviewt.<br />
(3) (Klientel) Lebenserfahrungen und Sichtweisen der Kinder im Projekt<br />
Wenn ein Hilfeangebot für Kinder entwickelt werden soll, muss man die Sichtweisen, Wahrnehmungen<br />
und Perspektiven der Kinder kennen. Dazu wurden acht Kinder zu ihrer Lebenssituation<br />
und den Erfahrungen mit der Jugendhilfe, insbesondere dem <strong>ESCAPE</strong>-Angebot, interviewt.<br />
Phase 2 (Januar 2002 – November 2002)<br />
(4) (Struktur) Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe am Beispiel <strong>ESCAPE</strong><br />
Nach der Öffnung der Zugangkriterien wurde verstärkt auch die Institution Schule in das Projekt<br />
einbezogen. Bei dieser Erhebung standen die Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit<br />
an der Schnittstelle zwischen Schule und Jugendhilfe, insbesondere aus der Sicht der Schule,<br />
im Vordergrund. Dazu wurden insgesamt 10 Interviews durchgeführt. Interviewpartner waren<br />
19
EVALUATIONSBERICHT<br />
die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter, Schulleiter und Beratungslehrer verschiedener Schularten in den Modellstandorten.<br />
(5) (Struktur/Methode) Erreichbarkeit und Vermittlung auf der Grundlage von Freiwilligkeit<br />
Auf der Grundlage der Untersuchung eins zur institutionellen Zusammenarbeit erfolgte unter<br />
Berücksichtigung der Möglichkeiten und Grenzen von Freiwilligkeit eine vertiefende Studie über<br />
die genauen Zugangswege ins Projekt. Wer wird erreicht und wie gestaltet sich der Prozess der<br />
Vermittlung ins Projekt? Dazu erfolgte eine Auswertung der Dokumentation zur Vermittlung und<br />
des Kontaktaufbaues, von Protokollen und Berichten aus Gruppendiskussionen sowie sechs Interviews<br />
mit zuständigen Mitarbeitern vom Allgemeinen Sozialen Dienst und den <strong>ESCAPE</strong>-<br />
Mitarbeitern.<br />
(6) (Methode) Analyse der Handlungsmethoden<br />
Die pädagogischen Handlungsmethoden betreffen die unmittelbare Arbeit mit den Kindern und<br />
Eltern. Dabei interessierten insbesondere die konzeptionellen Schwerpunkte der sozialen<br />
Gruppenarbeit in Dresden und Riesa sowie die Einzelfallarbeit in Auerbach. Für die Analyse<br />
wurden Konzeptionen, Protokolle und Berichte ausgewertet. Im Sinne einer kommunikativen<br />
Validierung wurden mit den Mitarbeitern in den Standorten Interviews geführt. In der Sozialen<br />
Gruppenarbeit erfolgt eine Bezugnahme auf Erfahrungen und Kenntnisse über Soziale Trainingskurse<br />
und in der Einzelfallarbeit auf die Intensive Sozialpädagogische Einzelfallhilfe (ISE)<br />
und die Ambulante Intensive Betreuung (AIB).<br />
Phase 3 (November 2002 – März 2003)<br />
(7) (Methode) Abschlussphase – Nachbetreuung – Loslassen<br />
Das <strong>ESCAPE</strong>-Angebot versteht sich als eine relativ intensive und kurzfristige Hilfe. Der Hilfeprozess<br />
ist auf eine vereinbarte Zeit begrenzt. Dem Beziehungsaufbau stehen demnach Prozesse<br />
der Ablösung und die Nachbetreuung bevor. Dazu wurden spezielle Dokumente und Protokolle<br />
ausgewertet und mit den <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeitern kommunikativ validiert.<br />
(8) (Klientel) Fallgeschichten/Kasuistik<br />
Für die Entwicklung eines adäquaten Hilfeangebotes und der näheren Zielgruppenbestimmung<br />
bedurfte es der differenzierten Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen der Kinder und<br />
<strong>Familie</strong>n im Projekt. Mit Hilfe personenbezogener Daten wie dem soziobiografischen Elternfragebogen<br />
und durch die Verarbeitung von Beobachtungen und Protokollen wurden von 50 Kindern<br />
Fallgeschichten erstellt und analysiert.<br />
(9) (Struktur) Bestands-/ Bedarfsanalysen<br />
Die vorhandenen statistischen Berichte und die Jugendhilfeplanung geben wenig Auskunft über<br />
zielgruppenspezifische Bestands- und Bedarfslagen. Die Untersuchung erfasste mit vier Interviews<br />
die Sichtweisen der zuständigen Jugendhilfeplaner der Modellstandorte und in Leipzig.<br />
(10) Wirksamkeit und Akzeptanz des <strong>ESCAPE</strong>-Angebots<br />
Wirksamkeit und Akzeptanz sind Erfolgs- und Qualitätskriterien für Hilfemaßnahmen. Auch<br />
wenn der Erfolg von Hilfen schwer messbar ist, sollte nicht nur auf qualitative Interviews und<br />
Protokolle zurückgegriffen werden, sondern auch auf quantitative Instrumente, die ansatzweise<br />
Aussagen darüber erlauben. Dabei handelte es sich um die Rückfallstatistik, den<br />
Persönlichkeitsfragebogen für Kinder und den Fragebogen zur subjektiven Beurteilung der Hilfe<br />
durch die Kinder, die Eltern und Sozialarbeiter.<br />
Phase 4: Auswertung und Abschlussbericht (März 2003 – Oktober 2003)<br />
Die Modellphase wurde in den Standorten am 31. März 2003 offiziell beendet. Danach begann<br />
die systematische Auswertung der wissenschaftlichen Begleitung auf der Grundlage der erhobenen<br />
Daten und der durchgeführten Teiluntersuchungen. Einige ausgewählte Teiluntersuchungen<br />
sind im Anhang zusammengefasst. Die Reihenfolge erfolgt dort nach inhaltlichen und<br />
nicht nach chronologischen Gesichtspunkten.<br />
20
5. Projektentwicklung und Ergebnisse<br />
5.1 Chronologie<br />
5.1.1 Formale Projektdaten<br />
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
28.07.1999 Ausschreibung des Landesjugendamtes, über die Jugendämter gerichtet an alle freien Träger der Jugendhilfe<br />
30.11.1999 Bewerbungsfrist (24 Träger bewerben sich für 3 Modellstandorte, 4 Träger für das Projektmanagement)<br />
08.03.2000 Auswahl und Bekanntgabe der ausgewählten Träger<br />
18.04.2000 erstes gemeinsames Treffen aller beteiligten Träger in Leipzig<br />
01.05.2000 geplanter Projektstart wird aufgrund von Finanzierungsunsicherheiten auf unbestimmte Zeit verschoben<br />
20.06.2000 Finanzzusage des Sozialministeriums<br />
01.07.2000 Projektstart<br />
10.07.2000 allgemeine Eröffnungsveranstaltung und Auftaktworkshop im Caritas <strong>Familie</strong>nzentrum in Leipzig-Grünau<br />
31.08.2000 regionale Auftaktveranstaltung in Dresden<br />
13.09.2000 regionale Auftaktveranstaltung in Auerbach<br />
19.10.2000 regionale Auftaktveranstaltung in Riesa<br />
Oktober 2000 in Auerbach erstes Kind im Projekt<br />
November 2000 in Dresden und Riesa erste Kinder im Projekt<br />
30.11.- Beteiligung am Europäischen Fachkongress in Luxemburg „Zum Umgang mit Kinder- und Jugenddelinquenz im<br />
02.12.2000 europäischen Vergleich“.<br />
04.12.2000 Gestaltung des Dies Academicus an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig<br />
18.01.2001 Absprachen mit dem Regionalschulamt Zwickau für den Standort Auerbach<br />
25.01.2001 Absprachen mit dem Regionalschulamt Dresden für die Standorte Dresden und Riesa<br />
16.03.2001 erweitertes Arbeitstreffen mit allen Projektträgerverantwortlichen in Dresden<br />
09.06.2001 Präsentation auf dem Campus Leipzig 2001<br />
06.06.2001 Berichterstattung im Landesjugendhilfeausschuss in Chemnitz<br />
Veröffentlichung der Zwischenergebnisse der Evaluation<br />
13./14.07.2001 Beteiligung am bundesweiten Workshop der Friedrich-Ebert-Stiftung mit Präventionsprojekten im Bereich der<br />
Kinder- und Jugenddelinquenz, Thema: „Warten, bis sie 14 sind ...?!“<br />
1./2.10.2001 Beteiligung am Expertenworkshop des Institutes für Sozialpädagogik der TU Berlin<br />
8./9.11.2001 öffentliche <strong>ESCAPE</strong>-Fachtagung in Meißen (Veröffentlichung einer Tagungsdokumentation)<br />
26.-28.11.2001 Beteiligung am 7. Deutschen Präventionstag in Düsseldorf<br />
19.06.2002 Berichterstattung im Landesjugendhilfeausschuss in Chemnitz<br />
21.06.2002 Beteiligung am 2. Expertenworkshop des Institutes für Sozialpädagogik der TU Berlin<br />
07.08.2002 Problemdarstellung im Unterausschuss Hilfen zur Erziehung des LJHA in Chemnitz<br />
11.09.2002 Präsentation im Jugendhilfeausschuss Vogtlandkreis hinsichtlich einer <strong>ESCAPE</strong>-Weiterführung<br />
01.02.2003 Ausweitung des <strong>ESCAPE</strong>-Angebotes im Vogtlandkreis<br />
19.03.2003 regionale Abschlussveranstaltung in Dresden<br />
27.03.2003 regionale Abschlussveranstaltung in Auerbach<br />
28.03.2002 regionale Abschlussveranstaltung in Riesa<br />
31.03.2003 Ende der Modellphase in den Standorten<br />
27.06.2003 Abschlusstagung in Schmochtitz<br />
12.11.2003 Präsentation des Abschlussbericht im Landesjugendhilfeausschuss<br />
Abbildung 5.1. Formaler Projektverlauf aus Sicht des Projektmanagements und der wissenschaftlichen Begleitung.<br />
21
EVALUATIONSBERICHT<br />
5.1.2 Schritte der Projektentwicklung<br />
Die inhaltlichen Schwerpunkte und Entwicklungsschritte des <strong>Modellprojekt</strong>es <strong>ESCAPE</strong> können<br />
wie folgt im Überblick zusammengefasst werden. In der weiteren Darstellung insbesondere in<br />
den Kapiteln Strukturen und Methoden wird darauf im Einzelnen noch näher Bezug genommen.<br />
� Konzeptentwicklung in Zusammenarbeit mit den jeweiligen örtlichen Jugendämtern<br />
� Entwicklung der internen Projektstrukturen und Zusammenarbeit der Modellstandorte<br />
� verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und Information, Entwicklung des gemeinsamen Projektnamens,<br />
des Logos etc. (Corporate Design/Corporate Identity)<br />
� Gewinnung und Einbeziehung verschiedener Kooperationspartner<br />
� Entwicklung formaler Vermittlungswege und Strukturen (konkrete und verbindliche Verfahrensweisen)<br />
� Erweiterung der Zugangskriterien<br />
� Entwicklung informeller Vermittlungswege/stärkere Einbeziehung der Schulen und<br />
Einrichtungen der freien Jugendhilfe<br />
� Ausdifferenzierung der methodischen Angebote für das Kind<br />
� Konkretisierung und Intensivierung der Elternarbeit<br />
� Entwicklung von Gehstrukturen zur besseren Erreichbarkeit<br />
� Ausweitung des Einzugsbereiches auf angrenzende Stadtteile bzw. Städte und Gemeinden<br />
(dadurch Einschränkung des Regional-/Stadtteilbezuges, insbesondere in Dresden)<br />
� Ausweitung der Angebote (Gruppenarbeit in Auerbach, Einzelfallhilfe in Riesa,<br />
Sozialpädagogische Gruppenarbeit mit einer Erziehungshilfeklasse in Dresden)<br />
� Nachfolgekonzeptionen für eine Regelfinanzierung<br />
� Weiterführung der <strong>ESCAPE</strong>-Angebote nach der Modellphase<br />
Abbildung 5.2. Inhaltliche Schwerpunkte und Entwicklungsschritte des <strong>Modellprojekt</strong>es <strong>ESCAPE</strong>.<br />
5.2 Bedarf, Nachfrage und Bestimmung der Zielgruppe<br />
5.2.1 Polizeiliche Kriminalstatistik<br />
Den Ausgangspunkt der Bedarfsanalyse in Hinblick auf die Zielgruppe des <strong>Modellprojekt</strong>es<br />
<strong>ESCAPE</strong> bildete zunächst die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Auch wenn aus Sicht der Jugendhilfe<br />
die Zahlen der PKS nicht überbewertet werden dürfen und die Objektivität der statistischen<br />
Erfassung hinterfragt werden muss, so gibt sie doch Anhaltspunkte über Erscheinungsformen,<br />
Entwicklungen und Konjunkturen von Kinderdelinquenz.<br />
Die nachfolgenden Daten und Übersichten stützen sich überwiegend auf Angaben aus der Polizeilichen<br />
Kriminalstatistik. Die Angaben bezüglich der Modellstandorte beruhen auf einer Sonderrecherche<br />
des Landeskriminalamtes. Die PKS enthält prinzipiell keine Verkehrsstraftaten<br />
und keine Staatsschutzdelikte. Sie wird nicht nach der Tatzeit, sondern nach dem Zeitpunkt des<br />
Fallabschlusses geführt. So können beispielsweise in der PKS 2002 also auch Tatverdächtige<br />
enthalten sein, deren Straftat schon vor 2002 begangen, von der Polizei aber erst 2002 abschließend<br />
bearbeitet wurde.<br />
Von 1991 (seit der statistischen Erfassung in <strong>Sachsen</strong>) bis 1998 nahm der Anteil der tatverdächtigen<br />
Kinder in <strong>Sachsen</strong> deutlich zu. Dieser Anstieg entsprach einer allgemeinen Entwicklung<br />
der Kinderdelinquenz in Deutschland, die bereits 1988 einsetzte und in den 90er Jahren zu<br />
einer öffentlichen Diskussion Anlass gab. In der DDR wurden Straftaten von Kindern statistisch<br />
nicht erfasst bzw. veröffentlicht. 1998 erreichten die polizeilich registrierten Straftaten von Kindern<br />
in <strong>Sachsen</strong> und in der Bundesrepublik ihren Höhepunkt. In <strong>Sachsen</strong> wurden 10.611 Kinder<br />
22
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
polizeilich erfasst, 1999 sank erstmals im Vergleich zum Vorjahr die Zahl um 340 auf 10.271<br />
Kinder. Dieser rückläufige Trend setzte sich bis 2002 auf Landes- und Bundesebene weiter fort.<br />
12000<br />
10000<br />
8000<br />
6000<br />
4000<br />
2000<br />
0<br />
6649<br />
8118<br />
9624 9819<br />
10611 10271<br />
Abbildung 5.3. Entwicklung der Tatverdächtigenzahl der Altersgruppe der 8- 14jährigen Kinder in <strong>Sachsen</strong>.<br />
Betrachtet man die sächsischen Zahlen der zurückliegenden vier Jahre zwischen 1999 und<br />
2002 differenziert, so lassen sich folgende charakteristische Merkmale erkennen. Mit zunehmendem<br />
Alter nimmt innerhalb dieser Altersgruppe die Anzahl der tatverdächtigen Kinder (TV)<br />
zu. So betrug der Anteil der 12-14jährigen Kinder mehr als 60%. Bei den erfassten Kindern<br />
handelt es sich mit einem Anteil von durchschnittlich 69% überwiegend um Jungen. Obwohl die<br />
polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) den Anteil der Mädchen für das Jahr 2000 unter den Tatverdächtigen<br />
in der Altersgruppe der 8–13jährigen mit 29% als am höchsten liegend ausweist, bekommen<br />
Mädchen, die ihnen zustehende Aufmerksamkeit nur ansatzweise und in aller Regel<br />
auch erst dann, wenn sie diese Aufmerksamkeit ausreichend „auffällig“ einfordern. Anders bei<br />
den Jungen, hier genügt nicht selten schon eine Anhäufung von „Dummen-Jungen-Streichen“,<br />
um in das Visier der Polizei und der Jugendhilfe zu geraten. So überwiegt dann auch bei den<br />
registrierten Delikten von Kindern mit 49,6% der einfache Ladendiebstahl vor Sachbeschädigung<br />
mit durchschnittlich 22,75%. In der Altersgruppe der bis 14jährigen Kinder traten Gewaltdelikte<br />
nur in geringem Umfang auf. Allerdings können sich Veränderungen der geringen absoluten<br />
Zahlen prozentual erheblich auswirken und ein falsches Bild erzeugen. Im Jahr 2002 ermittelte<br />
die Polizei 334 Kinder wegen Gewaltkriminalität (4,2% aller ermittelten Kinder), das waren<br />
111 Kinder weniger als im Vorjahr.<br />
Trotz des Rückgangs tatverdächtiger Kinder und des Anteils an der Gesamtkriminalität vollzog<br />
sich ein Anstieg der Tatverdächtigenbelastungszahl (TVBZ). Diese ergibt sich aus dem Anteil<br />
der tatverdächtigen Kinder auf 100.000 Einwohner derselben Altersgruppe. Bei der Interpretation<br />
der Zahlen muss berücksichtigt werden, dass sich die Altersstruktur der Bevölkerung nicht<br />
unwesentlich verändert. Dabei vollzieht sich ein Rückgang des Anteils an Kindern. So lebten<br />
2002 in <strong>Sachsen</strong> mit 10,6% Anteil an der Gesamtbevölkerung rund 29.000 Kinder weniger als<br />
noch ein Jahr zuvor (11,2%). Der Anstieg der Tatverdächtigenbelastungszahl bedeutet, dass<br />
der Rückgang an straftatverdächtigen Kindern sich nicht in dem Maße reduziert wie der Rückgang<br />
des Anteils der Kinder an der Gesamtbevölkerung.<br />
9025<br />
8710<br />
1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002<br />
8044<br />
TV Kinder<br />
23
EVALUATIONSBERICHT<br />
Tabelle 5.1. PKS der Altersgruppe der 8 bis 14jährigen Kinder in <strong>Sachsen</strong>.<br />
24<br />
Anzahl der TV Anteil Anzahl der TV<br />
männlich nach Alter<br />
1999 10.271 69% (10-12) 25,5%<br />
(12-14) 62,7%<br />
2000 9.025 70,2% (10-12) 25,3%<br />
(12-14) 62,8%<br />
2001 8.710 70,3% (10-12) 25,8%<br />
(12-14) 62,8%<br />
2002 8.044 66,8% (10-12) 22,8%<br />
(12-14) 66,1%<br />
TVBZ TV- Anteil Anteil an Bevölkerung<br />
2.966 7,4% 12,2%<br />
2.844 6,8% 11,7%<br />
3.103 6,3% 11,2%<br />
3.278 6,1% 10,6%<br />
Betrachtet man den Aspekt des Mehrfachtatverdachts von Kindern, so sei zunächst erklärt,<br />
dass in <strong>Sachsen</strong> unter einem Mehrfachtatverdächtigen (MTV) ein Tatverdächtiger zu verstehen<br />
ist, der zum Zeitpunkt seiner Ermittlung bereits als Tatverdächtiger im Zusammenhang mit einer<br />
oder mehreren früheren Straftaten im Polizeilichen Auskunftssystem <strong>Sachsen</strong> (PASS) registriert<br />
war. Das mehrfache Auftreten bezieht sich nicht nur auf einzelne Kalenderjahre. Der Anteil der<br />
tatverdächtigen Kinder, die in <strong>Sachsen</strong> mehrfach polizeilich erfasst waren, lag im betrachteten<br />
Zeitraum zwischen 18,5 und 20,3 %. Der Anteil der Kinder mit drei und mehr Delikten betrug<br />
zwischen 11,6 und 13,1%, das entspricht in absoluten Zahlen ausgedrückt zwischen 989 und<br />
1197 Kindern.<br />
Tabelle 5.2. Häufigkeit des Auftretens der Tatverdächtigen der Altersgruppe der bis 14jährigen Kinder in <strong>Sachsen</strong>.<br />
1999 Anzahl<br />
in %<br />
2000 Anzahl<br />
in %<br />
2001 Anzahl<br />
in %<br />
2002 Anzahl<br />
in %<br />
als TV registriert mit Anzahl der zugeordneten Straftaten seit 1991<br />
einer<br />
Straftat<br />
8.375<br />
81,5<br />
7.262<br />
80,5<br />
7.004<br />
80,4<br />
6.415<br />
79,7<br />
mehreren<br />
Straftaten<br />
1.896<br />
18,5<br />
1.763<br />
19,5<br />
1.706<br />
19,6<br />
1.629<br />
20,3<br />
2 3 4 5 6-10 11-20 mehr<br />
als 20<br />
699<br />
6,8<br />
589<br />
6,5<br />
632<br />
7,3<br />
640<br />
8,0<br />
448<br />
4,4<br />
435<br />
4,8<br />
408<br />
4,7<br />
388<br />
4,8<br />
In einer Untersuchung des LKA (1998) zu mehrfach in Erscheinung getretenen Tatverdächtigen<br />
konnte festgestellt werden, dass bei etwa einem Viertel der tatverdächtigen deutschen Kinder<br />
im Alter ab 10 Jahren mit mindestens drei zugeordneten Straftaten eine zunehmende Schwere<br />
der begangenen Delikte beobachtet werden kann. Eine Tendenz der fortschreitenden Verringerung<br />
des Abstandes zwischen den einzelnen Delikten sei etwa bei 40% erkennbar. Kinder bzw.<br />
Jugendliche, die im Alter von 13 bis 15 Jahren erstmals als Tatverdächtige in Erscheinung getreten<br />
sind, weisen die höchste Wahrscheinlichkeit für erneute strafbare Handlungen auf.<br />
Betrachtet man nun die Modellstandorte hinsichtlich der mehrfach straftatverdächtigen Kinder,<br />
so fällt auf, dass es sich um eine sehr überschaubare Gruppe handelt. Diese zu identifizieren<br />
und hinsichtlich des Hilfebedarfes zu prüfen, dürfte eigentlich eine lösbare Aufgabe darstellen.<br />
Während in Auerbach, Riesa und der Stadt Dresden der Anteil der MVT zwischen 1999 und<br />
2002 insgesamt zurückging, vollzog sich im Stadtteil Dresden-Prohlis ein leichter Anstieg, der<br />
u.a. auf die soziale Entwicklung des Plattenbauviertels mit einem zunehmend belasteten Bevölkerungsanteil<br />
zurückgeführt werden kann.<br />
228<br />
2,2<br />
226<br />
2,5<br />
207<br />
2,4<br />
195<br />
2,4<br />
114<br />
1,1<br />
115<br />
1,3<br />
122<br />
1,4<br />
105<br />
1,3<br />
261<br />
2,5<br />
258<br />
2,9<br />
215<br />
2,5<br />
203<br />
2,5<br />
97<br />
0,9<br />
96<br />
1,1<br />
74<br />
0,8<br />
66<br />
0,8<br />
49<br />
0,5<br />
44<br />
0,5<br />
48<br />
0,6<br />
32<br />
0,4
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Tabelle 5.3. Anzahl tatverdächtiger Kinder 1999 – 2002 im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong> nach ausgewählten Wohnorten zur Tatzeit.<br />
1999<br />
2000<br />
2001<br />
2002<br />
tatverd. Kinder darunter mit Wohnsitz im/in ...<br />
<strong>Freistaat</strong><br />
<strong>Sachsen</strong><br />
insgesamt<br />
Vogtlandkreis<br />
darunter<br />
Auerbach/<br />
Vogtl., Stadt<br />
Dresden,<br />
Stadt<br />
darunter<br />
Prohlis<br />
Nord/Süd<br />
Landkreis<br />
Riesa-<br />
Großenhain<br />
darunter<br />
Riesa,<br />
Stadt<br />
gesamt TV 10.271 219 38 1.500 51 274 113<br />
MTV 1.896 (18,5 %) 54 14 344 10 65 28<br />
gesamt TV 9.025 171 25 1.161 50 268 107<br />
MTV 1.763 (19,5 %) 44 7 325 19 61 20<br />
gesamt TV 8.710 178 18 1.166 46 252 96<br />
MTV 1.706 (19,6 %) 26 3 283 19 69 21<br />
gesamt TV 8.044 168 19 1.022 52 213 74<br />
MTV 1.629 (20,3 %) 20 5 284 21 52 21<br />
5.2.2 Zur Bestimmung der Zielgruppe<br />
Obwohl sich der Arbeitstitel des <strong>Modellprojekt</strong>es auf Kinder mit „abweichendem Verhalten“ bezog,<br />
implizierte der Projektauftrag - von der oben dargestellten Projektintention ausgehend -<br />
von Beginn an die Bezugnahme auf Kinder mit delinquentem bzw. straftatrelevantem Verhalten<br />
und deren <strong>Familie</strong>n. Dabei sollten auch Adressaten erreicht werden, die die Jugendhilfe bisher<br />
nur sehr schwer oder gar nicht erreichen konnte. Um im Projekt auszuschließen, dass einfache<br />
und entwicklungsbedingte episodenhafte Bagatelldelikte von Kindern zu Interventionen der Jugendhilfe<br />
führen und „Überreaktionen“ auslösen, wurden die Zugangskriterien zunächst relativ<br />
eng nach Anzahl (mindestens drei Delikte) und nach Schwere (nicht nur �agatelldelikte) definiert.<br />
Damit sollte die Gefahr einer frühzeitigen Stigmatisierung und „Kolonialisierung“ der Lebenswelt<br />
des Kindes ausgeschlossen werden. Um diesen Kriterien entsprechen zu können, lag<br />
der Focus zunächst primär auf dem Hellfeld der polizeilich erfassten Kinder, die in <strong>Sachsen</strong> bei<br />
wiederholten Straftaten über die PKS hinaus im Polizeilichen Auskunftssystem personenbezogen<br />
registriert waren. Bundesweit gibt es zurzeit allerdings noch keinen gemeinsamen Nenner<br />
bezüglich des Verständnisses von „Mehrfach- und Intensivtäter“, das in den verschiedenen<br />
Bundesländern sowohl nach Anzahl als auch nach Schwere variiert. In <strong>Sachsen</strong> gelten alle<br />
straftatverdächtigen Personen ab zwei Straftaten als Mehrfachtäter. Die personenbezogene<br />
Registrierung im PASS des Landeskriminalamtes ist der Jugendhilfepraxis aus datenschutzrechtlichen<br />
Gründen nicht zugänglich. Lediglich die PKS ermöglicht einen zahlenmäßigen Überblick<br />
über die Anzahl und regionale Verteilung von Mehrfachtätern in <strong>Sachsen</strong>. Bricht man<br />
diese Zahl der Mehrfachtäter auf die Regionen der Modellstandorte herunter, so bleibt eine sehr<br />
überschaubare Gruppe von Kindern übrig (siehe oben, Statistik). Diese Zahl reduziert sich noch<br />
einmal, da nicht alle Fälle in der Jugendhilfe bekannt werden, die Jugendhilfe wiederum nicht<br />
auf alle ihr von der Polizei gemeldeten Fälle reagiert und aufgrund der Freiwilligkeit eines präventiven<br />
Hilfeansatzes die Angebote von den Betroffenen nicht immer angenommen werden.<br />
Es musste daher sehr bald festgestellt werden, dass es sich mit den anfangs festgelegten Zugangskriterien<br />
um eine sehr kleine Zielgruppe handelt und es die so genannten „Monsterkids“<br />
(Spiegel 1998) im eigentlichen Sinne überhaupt nicht gibt. Darin bestätigte sich das überzeichnete<br />
Bild der Medien, welches sich meist an spektakulären Einzelfällen orientiert und diese<br />
pauschal verallgemeinert. Das Kapitel Klientel wird zeigen, dass es sich im Projekt vielmehr um<br />
Kinder mit sehr problembelasteten Lebensbedingungen handelt, die im straffälligen Verhalten<br />
lediglich ihren hilflosen Ausdruck finden und sich von anderen Indikatoren abweichender Verhaltensformen<br />
wie Trebegang, wiederholter Schulbummelei und Schulverweigerung etc. nur<br />
schwer abgrenzen lassen.<br />
Da die konkreten Anfragen und Fallzahlen allgemein hinter den Erwartungen blieben und im<br />
Widerspruch zu dem immer wieder geäußerten Bedarf aller Institutionen an einem solchen An-<br />
25
EVALUATIONSBERICHT<br />
gebot für delinquente Kinder standen, erwiesen sich die anfangs formulierten Zugangskriterien<br />
von daher bereits in den ersten Projektmonaten als zu starr. Sie blockierten die Vermittlung von<br />
potentiell in Frage kommenden Kindern mit einem entsprechenden Hilfebedarf. Es dauerte fast<br />
vier Monate, bis das erste Kind in einen der Projektstandorte vermittelt war, fast acht Monate,<br />
bis die erste Gruppenarbeit in Dresden und Riesa beginnen konnte.<br />
Aufgrund der zahlreichen erfolglosen Vermittlungsbemühungen wurde von allen beteiligten Institutionen<br />
und Kooperationspartnern das Anliegen geäußert, die Zugangskriterien weniger eng<br />
zu formulieren und auf das Dunkelfeld auszuweiten. Da sich der Handlungsauftrag der Jugendhilfe<br />
ohnehin primär auf den erzieherischen Bedarf bezieht, erfolgte mit Zustimmung des Landesjugendamtes<br />
noch im ersten Halbjahr der Modellphase eine Öffnung der Zugangskriterien,<br />
die sich zwar weiterhin an delinquentem Verhalten orientierten, aber dennoch eine flexiblere<br />
Handhabe der Vermittlung ins Projekt möglich machten. Wiederholtes straftatrelevantes Verhalten<br />
im Hell- und im Dunkelfeld wurde von nun an allgemein zum Anlass genommen, um den<br />
Hilfebedarf abzuklären und ggf. angemessene Hilfe anzubieten. Auch wenn teilweise eine Öffnung<br />
der Altersbegrenzung insbesondere von der Polizei gefordert wurde, hielt man an dem<br />
Kriterium der Strafunmündigkeit fest.<br />
Neben der Polizei und der öffentlichen Jugendhilfe rückten mit der Zugangserweiterung verstärkt<br />
auch informelle Zugangswege über die Schulen und über freie Jugendhilfeeinrichtungen<br />
in den Blick, in denen delinquente Verhaltensweisen von Kindern in unterschiedlichen Kontexten<br />
wahrgenommen wird. Auch wenn es durch die veränderten Zugangskriterien einen leichten<br />
Anstieg der Fallzahlen gab, entsprach die reale Anzahl der Fallanfragen nicht den Erwartungen<br />
und stand im Widerspruch zu dem von den beteiligten Institutionen immer wieder geäußerten<br />
Bedarf an einem solchen Hilfsangebot. Besonders offensichtlich war dieser Widerspruch seitens<br />
der Schulen, die ausgesprochen wenige Kinder ins Projekt vermittelten. Die Ursachen lagen<br />
einerseits an der mangelnden und lückenhaften Verbreitung der geänderten Zugangskriterien<br />
mit einer jeweils eigenen und kaum nachvollziehbaren institutionellen Vermittlungslogik –<br />
bis zum Schluss gab es potentielle Vermittlungspartner, die noch nichts von den geöffneten Zugangskriterien<br />
wussten – und andererseits fanden darin auch die strukturellen Probleme und<br />
Grenzen der Zusammenarbeit von Institutionen mit unterschiedlichen Handlungsaufträgen ihren<br />
Ausdruck.<br />
Der durch die erweiterten Zugangskriterien eröffnete Handlungsspielraum und die damit verbundene<br />
- wenig spezifizierbare - Orientierung am Hilfebedarf setzte zur Vermeidung von Vermittlungswillkür<br />
bei den Projektmitarbeitern ein hohes Maß an Fachlichkeit und eine enge Zusammenarbeit<br />
mit dem Jugendamt voraus. Trotz spürbarer Unsicherheiten im Einzelfall gelang<br />
insbesondere in den Standorten Auerbach und Dresden im Prozess der Zielgruppenvermittlung<br />
ein flexibler und kreativer Umgang mit den Zugangskriterien.<br />
5.2.3 Jugendhilfe am Übergang vom Kind zum Jugendlichen – zum Problem der „Lücke“<br />
Vor dem Hintergrund der geringen Fallzahlen und der Schwierigkeiten bei der Erreichbarkeit der<br />
Zielgruppe, stellte sich neben der statistischen Analyse der PKS auch die qualitative Frage<br />
nach dem konkreten Bedarf, der bei der Evaluation in einer Teiluntersuchung über die Sicht der<br />
Jugendhilfeplaner in den Modellstandorten gesondert nachgegangen wurde.<br />
Bei der Zielgruppe des <strong>Modellprojekt</strong>es <strong>ESCAPE</strong> handelt es sich um eine Altersgruppe, die aus<br />
entwicklungspsychologischer Sicht mit dem Merkmal des Übergangs vom Kind zum Jugendlichen<br />
gekennzeichnet ist. Damit verbinden sich zugleich Übergangs- und Lückephänomene auf<br />
verschiedenen Ebenen. In diesem Zusammenhang wird deshalb auch der Begriff der „Lückekids“<br />
geprägt und diskutiert, der einerseits ein Defizit beschreibt, andererseits eine Phase, die<br />
jedes Kind durchläuft.<br />
Wie aus der Untersuchung von Friedrichs (1984) über das Freizeitverhalten von Kindern hervorgeht,<br />
gibt es für die Altersgruppe der neun bis vierzehnjährigen Kindern eine institutionelle<br />
26
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Lücke, d.h. eine Unterversorgung an Angeboten. Während sich Kinder mit acht und neun Jahren<br />
noch den verbindlichen Strukturen der Tagesbetreuungsangebote (wie Hort) unterordnen,<br />
unterstellt Friedrichs den Kindern ab 10 Jahren bereits eine gewisse Selbstständigkeit, die impliziert,<br />
dass sie sich über einen kurzfristigen Zeitraum selbst versorgen und ihre Freizeit autonom<br />
gestalten können. „Mit zunehmendem Alter sinkt die Bereitschaft der Kinder, sich in den<br />
reglementierten Rahmen der öffentlichen Erziehung […] einzuordnen.“ (ebd.). Einerseits suchen<br />
sie dabei „unfertige Räume“ und partizipieren zunehmend weniger an den Angeboten für Kinder,<br />
andererseits orientieren sie sich bereits an Freizeitangeboten für Jugendliche, in denen sie<br />
aber noch nicht vollständig akzeptiert werden. Dies bestätigen die Ergebnisse der ersten<br />
Dresdner Kinderstudie (2000). Darin kommt zum Ausdruck, dass von 2000 Befragten im gesamten<br />
Altersbereich der 9- 15jährigen lediglich 19,2% Nutzer von offenen Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen<br />
sind. Innerhalb dieser Altersgruppe nimmt bei den 14-15jährigen der Anteil<br />
der Nutzer solcher Einrichtungen deutlich zu (ebd.). Aus dieser Betrachtung wird deutlich, dass<br />
die Betreuung in einer Tageseinrichtung sowie die Angebote der Jugendarbeit, der Jugendverbandsarbeit<br />
und des Jugendschutzes die Kinder nicht mehr oder noch nicht befriedigen.<br />
Die befragten Jugendhilfeplaner in Dresden, Leipzig, Riesa-Großenhain und im Vogtlandkreis<br />
nehmen dieses Lückephänomen differenzierter wahr. Sie gehen davon aus, dass in einer pluralen<br />
Trägerlandschaft weitestgehend ausreichend Jugendhilfeangebote für Kinder existieren,<br />
dass aber problembelastete Kinder, und somit auch delinquente Kinder, von diesen Angeboten<br />
häufig nicht erreicht werden. Sie verweisen auf die Notwendigkeit, die bestehenden Angebote<br />
mehr auf die Bedürfnisse und Entwicklungsanforderungen der Kinder abzustimmen. Dazu bedürfe<br />
es der Qualifizierung der Pädagogen und Sozialarbeiter, die nur über unzureichendes<br />
Wissen über die Lückekids verfügen. Sie favorisieren damit die Integration in bestehende Angebote<br />
und weniger die Schaffung von Spezialangeboten. Sie begrüßen daher die Öffnung der<br />
Zugangskriterien im <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> und sehen Möglichkeiten für eine weitere Zielgruppenerweiterung.<br />
Da einerseits Spezialisierung wichtige Impulse für die Qualifizierung von Jugendhilfe<br />
liefert und Spezialwissen notwendige Fachlichkeit garantiert, andererseits die gesellschaftliche<br />
Pluralisierung lebensweltorientierte und entspezialisierte Angebote notwendig<br />
macht, bedarf es einer ausgewogenen Mischung, die weder das eine noch das andere aus dem<br />
Blick verliert.<br />
Ändert man die Betrachtungsebene, so lässt sich in diesem Zusammenhang auch eine weitere<br />
institutionelle Lücke zwischen den relativ niedrigschwelligen Jugendhilfeangeboten und den<br />
Angeboten im Bereich der Hilfen zur Erziehung mit ihren zumeist relativ hohen Zugangsschwellen<br />
beschreiben. Woran es fehlt, sind vermittelnde Angebote mit Brückenfunktion.<br />
Nicht zuletzt kann auch in der fehlenden Verzahnung von Schule und Jugendhilfe eine institutionelle<br />
Lücke gesehen werden, denn schließlich handelt es sich bei dieser Altersgruppe um den<br />
festgelegten Übergang von der Grundschule in andere zukunftsweisende Schulform.<br />
Die Jugendhilfeplaner verweisen bei der Entwicklung der Jugendhilfe auf drei zu berücksichtigende<br />
Faktoren: (1.) den Bedarf und die Bedürfnisse der Klientel, (2.) die Finanzsituation der<br />
Kommunen und (3.) die (kommunal-)politischen Vorgaben. Schlussendlich sei es die Politik, die<br />
bestimmt, welcher Bedarf handlungsrelevant ist. Dennoch, die Überzeugung der Jugendhilfeplaner<br />
vor Ort, hinsichtlich Fachlichkeit, Qualität und Akzeptanz der Arbeit in den <strong>Modellprojekt</strong>en<br />
war ein ausschlaggebender Faktor für die Weiterführung von <strong>ESCAPE</strong> über die<br />
Modellphase hinaus.<br />
5.2.4 Projektstatistik<br />
Alle statistischen Aussagen zum <strong>Modellprojekt</strong> beziehen sich in der Regel auf die knapp dreijährige<br />
Modellphase bis zum 31. März 2003. Entwicklungen, die über diesen Zeitraum hinausgehen,<br />
blieben unberücksichtigt. Sie beruhen auf einer gemeinsam abgestimmten Dokumentation<br />
aller Mitarbeiter in den Standorten. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über<br />
ausgewählte Aspekte in der Fallstatistik. Dabei konnte auf eine Sonderrecherche des Sächsi-<br />
27
EVALUATIONSBERICHT<br />
schen Landeskriminalamtes zurückgegriffen werden, in der über das Polizeiliche Auskunftssystem<br />
in <strong>Sachsen</strong> (PASS) alle straftatregistrierten Kinder im Einzugsgebiet der Modellstandorte<br />
erfasst wurden (vgl. dazu auch Kap. 5.6.1 zur Rückfallstatistik).<br />
Tabelle 5.4. Übersicht Projektstatistik.<br />
Auerbach Dresden Riesa Gesamt<br />
Fallanfragen 28 48 37 113<br />
28<br />
davon angefragt von…/ und davon vermittelt<br />
davon weiblich 3 3 10 16 (14%)<br />
Jugendamt (ASD,JGH, Beratungsstelle) 10 / 5 35 / 16 25 / 13 67 / 34<br />
direkt durch Polizei - 1 / 0 2 / 1 3 / 1<br />
Interventions- und Präventionsprojekt (IPP) - 5 / 2 - 5 / 2<br />
<strong>Familie</strong>n über <strong>ESCAPE</strong>-Gehstruktur angesprochen<br />
/ davon im Projekt<br />
freie Träger 6 / 6 - 4 / 2 10 / 7<br />
Schulen 6 / 3 4 / 4 - 10 / 7<br />
Trägerintern - 2 / 1 4 / 2 6 / 3<br />
Sonstige/Selbstmelder 1 / 1 2 / 0 3 / 0 6 / 1<br />
12 / 5 28 / 13 6 / 0 46 / 18<br />
Anzahl der Kinder im Projekt 14 23 18 55 (49%)<br />
davon weiblich 2 2 5 9 (15%)<br />
Altersspanne in Jahre 8-14 8-14 (15) 10-14 8-14<br />
Altersdurchschnitt in Jahre 11,8 12,0 12,5 12,1<br />
davon im PASS 8 6 13 27 (47%)<br />
davon die Hilfe nicht beendet 3 (21%) 8 (35%) 6 (33%) 17 (31%)<br />
davon in Gruppenarbeit - 20 13 33<br />
Anzahl der durchgeführten Gruppen - 4 3 7<br />
Insgesamt erfolgten 113 Fallanfragen von verschiedenen Vermittlungsinstanzen an die<br />
<strong>ESCAPE</strong>-Standorte. Von den 113 Anfragen wurden 55 Kinder, d.h. mit 49% etwa die Hälfte im<br />
Projekt aufgenommen. Als ins Projekt aufgenommen galten dabei die Kinder, die mit ihren Eltern<br />
eine schriftliche Vereinbarung unterschrieben und sich damit bewusst für dieses Hilfeangebot<br />
entschieden. Drei Kinder, die im Februar 2003 in Auerbach aufgenommen wurden, fanden<br />
in dieser Statistik keine Berücksichtigung mehr.<br />
Die Gründe für gescheiterte bzw. unvermittelte Fallanfragen waren vielfältig. Dazu gehörten die<br />
Ablehnung der Hilfe durch Kinder oder Eltern, fehlender Hilfebedarf, andere bereits bestehende<br />
Hilfeangebote oder die Notwendigkeit spezieller Hilfen, beispielsweise therapeutischer Interventionen,<br />
oder auch ein ungünstiger Zeitpunkt der Nachfrage hinsichtlich der Auslastung bzw.<br />
dem Rhythmus der festen Gruppen. Die Altersstatistik der Kinder im Projekt zeigt, dass sich die<br />
Hilfe weitestgehend auf strafunmündige Kinder bezog. Der Altersdurchschnitt ist mit 11,8 Jahren<br />
in Auerbach am geringsten und bestätigt die Erfahrung, dass sich Einzelfallhilfe bei jüngeren<br />
Kindern besser eignet als Gruppenarbeit und umgekehrt. Der überwiegende Teil der Fälle<br />
wurde über die Jugendämter bzw. den Allgemeinen Sozialen Dienst angefragt und in die Projekte<br />
vermittelt. Die geringen Fallanfragen durch die Polizei kommen dadurch zustande, dass<br />
der Vermittlungsweg in der Regel von der Polizei über das Jugendamt verlief und weniger auf
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
direktem Wege erfolgte. Da das Interventions- und Präventionsprojekt nur im Standort Dresden<br />
existiert, konnten Fallanfragen durch das IPP nur in Dresden erfolgen. Vermittlungen durch die<br />
Schulen realisierten sich in Auerbach und in Dresden, wobei es sich bei den vier Fällen in<br />
Dresden lediglich um einen Vermittlungsvorgang von einer Förderschulklasse handelte. 15%<br />
der Kinder im Projekt waren weiblich. Über die im Projekt entwickelten Gehstrukturen, die aufgrund<br />
der Weitergabe von Adressen nach Einzelfallprüfung bzw. nach Schweigepflichtentbindung<br />
ein aktives Herantreten der <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter an die <strong>Familie</strong>n ermöglichen, konnten 18<br />
Kinder ins Projekt aufgenommen werden.<br />
Von den 55 Kindern im Projekt waren 27 Kinder (47%) im Polizeilichen Auskunftssystem des<br />
Landeskriminalamtes namentlich mit mindestens einer Straftat registriert. Da es sich bei der<br />
Zielgruppe des Projektes um Kinder mit delinquentem Verhalten handelte, kommt demnach der<br />
übrige Teil aus dem so genannten Dunkelfeld und ist nicht in der Kriminalstatistik erfasst.<br />
Die Quote der Kinder, die das <strong>ESCAPE</strong>-Angebot vorzeitig beendeten, lag bei 31%. Am geringsten<br />
war dabei mit 21% der Anteil in Auerbach. Für ein vorzeitiges Ende gab es sehr verschiedene<br />
Gründe: Umzug der <strong>Familie</strong>, Heimeinweisung, Psychiatrie, fehlende Motivation der Kinder<br />
etc. Die Abbruchquote von <strong>ESCAPE</strong> liegt damit im Bereich der Abbruchquote anderer Hilfeangebote.<br />
In der Ambulanten Intensiven Betreuung (AIB) ist von 28% die Rede, bei der Aufsuchenden<br />
<strong>Familie</strong>ntherapie in Leipzig von 21% (Projektbericht des AFT-Team-Leipzig 2002). In<br />
der Jugendhilfe Effektstudie hinsichtlich der Sozialpädagogischen Einzelfallhilfe wird sogar von<br />
43% Abbruchquote ausgegangen.<br />
Insgesamt wurde mit 33 Kindern in Dresden und Riesa die soziale Gruppenarbeit durchgeführt.<br />
Bei sieben Gruppen entspricht das durchschnittlich 4,7 Kindern je Gruppe. In Auerbach wurde<br />
das Konzept am Ende der Modelllaufzeit um die soziale Gruppenarbeit erweitert. Diese Kinder<br />
fanden in der Gruppenstatistik keine Berücksichtigung.<br />
5.3 STRUKTUREN: Kooperation, Vermittlung und Erreichbarkeit<br />
Es gibt sehr vielfältige Angebote, Projekte und Aktivitäten der Jugendhilfe für belastete und beeinträchtigte<br />
Kinder, Jugendliche und <strong>Familie</strong>n. Von flächendeckenden Angeboten kann allerdings<br />
nicht die Rede sein, und oftmals mangelt es an Abstimmung und Vernetzung. Dadurch<br />
unterliegen die Hilfen der Gefahr einer Verinselung mit einer inneren Logik zur Selbsterhaltung.<br />
Das Zauberwort heißt Kooperation. Jeder kennt es, doch wie kann ein kooperativer Arbeitsansatz<br />
ganz konkret in der Praxis gelingen, wo doch Sozial- und Hilfesysteme gekennzeichnet<br />
sind durch organisatorische Abgrenzung von Zuständigkeiten, durch verfestigte Handlungsroutinen,<br />
durch bürokratische Verwaltungsabläufe und unflexible Verfahrensweisen?<br />
Allein schon die Struktur des Handlungsfeldes Kriminalprävention verlangt die Einbindung verschiedener<br />
Akteure. Neben der Polizei und Justiz ist dies in erster Linie sicher die Kinder- und<br />
Jugendhilfe. Aber auch die Schulen, Vereine und Verbände, kirchliche Einrichtungen, der Einzelhandel<br />
sowie kommunale und freie Wirtschaftsunternehmen werden in die jeweiligen Strategien<br />
von Kommunen, Gemeinden oder auch auf Landesebene mal mehr, mal weniger intensiv<br />
einbezogen. Allerdings gestaltet sich diese Kooperation nicht im Selbstlauf, ist an einige unverzichtbare<br />
Voraussetzungen gebunden und lässt die einbezogenen Akteure immer wieder auch<br />
an Grenzen stoßen.<br />
Ungeachtet der noch immer existierenden Blockadehaltungen, gegenseitigen Schuldzuweisungen<br />
und Ablehnungen – wobei die „Mauern“ zwischen Jugendhilfe und Schule an einigen Stellen<br />
schier unüberwindbar scheinen – gibt es mittlerweile deutschlandweit und insbesondere in<br />
den neuen Bundesländern positive Entwicklungen. Diese belegen, dass Kooperationsbeziehungen<br />
trotz aller damit verbundenen Probleme möglich sind und dass diese Arbeitsbündnisse<br />
ganz wesentlich zu einer Verbesserung der Praxis vor Ort beitragen. Die Verbesserung der<br />
wechselseitigen Arbeitsbeziehungen entlastet nicht nur die fachlichen Akteure, sondern kommt<br />
letztlich – und schließlich sollte dies das entscheidenden Kriterium sein – den Kindern, Jugend-<br />
29
EVALUATIONSBERICHT<br />
lichen und ihren <strong>Familie</strong>n zugute, indem Prozesse für sie transparenter und nachvollziehbarer<br />
und damit letztendlich auch effizienter werden.<br />
Auch die Beteiligten im <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> haben sehr bald feststellen müssen, dass das<br />
Projekt zwar ein Angebot der Jugendhilfe ist, seine Wirksamkeit aber nur entfalten kann, wenn<br />
die verschiedenen Institutionen und angrenzenden Leistungsbereiche einbezogen werden und<br />
intensiv zusammen arbeiten. Die Voraussetzungen für konstruktive Kooperationsbeziehungen<br />
sind gemeinsame Ziele, kontinuierliche Kontakte und transparente Kommunikationsstrukturen.<br />
5.3.1 Austausch- und Verständigungsstrukturen<br />
im Projekt<br />
Im <strong>Modellprojekt</strong> wurde sowohl auf regionaler<br />
als auch überregionaler Ebene gearbeitet. Dabei<br />
entstanden mit Unterstützung des Projektmanagements<br />
und dem Landesjugendamt multiprofessionelle<br />
Kooperationsformen und -strukturen,<br />
die dem regelmäßigen Austausch, der Entwicklung<br />
und der Vernetzung des <strong>ESCAPE</strong>-<br />
Angebots dienten.<br />
Für die Modellstandorte waren die Kooperationen<br />
und die Vernetzung mit den Partnern vor Ort<br />
im regionalen Kontext von besonderer Bedeutung.<br />
Dazu gehörte die regelmäßige Kontaktaufnahme<br />
mit den beteiligten Institutionen und Informationsveranstaltungen<br />
zum Bekannt werden<br />
des Arbeitsansatzes von <strong>ESCAPE</strong>.<br />
30<br />
Beiratstreffen<br />
Gremienarbeit<br />
Regionaltreffen <br />
Standorttreffen<br />
Arbeitstreffen<br />
Abbildung 5.4. Austausch und Verständigungsstrukturen.<br />
Zur Unterstützung eines regelmäßigen gemeinsamen Austausches zwischen den beteiligten<br />
Partnern wurden so genannte Regionaltreffen in einem Arbeitsrhythmus von ca. 6 Monaten<br />
(wenn nötig auch öfter) initiiert. Sie dienten als Rückmeldung und zur Information über den Projektstand<br />
und der gemeinsamen Entwicklung konstruktiver Wege der Zusammenarbeit. Dabei<br />
wurden die verschiedenen Sichtweisen und Handlungsaufträge diskutiert und konkrete Verfahrensweisen<br />
abgestimmt.<br />
Darüber hinaus bedurfte es zur regionalen Vernetzung einer aktiven Beteiligung in relevanten<br />
Gremien wie beispielsweise in Stadtteilrunden oder der AG Kinder- und Jugendkriminalität etc.<br />
Über die regionalen Austauschprozesse hinaus gab es standortübergreifende Arbeitsformen<br />
zwischen den einzelnen Modellstandorten und der Projektkoordination. Dafür gab es insgesamt<br />
23 Arbeitstreffen in einem Rhythmus von ca. 5-6 Wochen, in denen u.a. Erfahrungen und Methoden<br />
ausgetauscht, Experten eingeladen und Dokumentationen abgestimmt wurden.<br />
Für die individuellen Absprachen und die Fachberatung der einzelnen Standorte durch wurden<br />
je nach Bedarf so genannte Standorttreffen durchgeführt. Sie ermöglichten konkrete Problemund<br />
Situationsanalysen sowie einen Einblick in die inhaltlich-methodische Arbeit vor Ort.<br />
Eine beratende und unterstützende Funktion übernahm der Projektbeirat. Neben Vertretern aus<br />
Wissenschaft und Praxis beteiligten sich daran auch das Sozial- und Innenministerium. Auf Anfrage<br />
gelang es ferner nach der ersten Sitzung einen Vertreter des Sächsischen Staatsministeriums<br />
für Kultus (Referat 36 – schulübergreifende Angelegenheiten) für den Beirat zu gewinnen.<br />
In den insgesamt sechs Beiratstreffen in den verschiedenen Modellstandorten konnten sich<br />
die Mitglieder ein konkretes Bild von der Arbeit verschaffen.
Freie<br />
Träger der<br />
Jugendhilfe<br />
Jugendamt<br />
ASD/JGH<br />
<strong>Familie</strong><br />
<strong>ESCAPE</strong><br />
Kinder- u.<br />
Jugendpsychiatrie<br />
Sonstige<br />
kommunale<br />
Vertreter<br />
und Netzwerke<br />
Polizei<br />
Polizeireviere<br />
Polizeidirektion<br />
Justiz<br />
<strong>Familie</strong>ngerichtStaatsanwaltschaft<br />
Schule<br />
Schulen<br />
Regionalschulämter<br />
Abbildung 5.5. Kooperationspartner im <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong>.<br />
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
5.3.2 Kooperationspartner<br />
Der Kreis potentiell in Frage kommender Kooperationspartner sollte anfangs möglichst nicht zu<br />
eng gezogen werden. Das Handlungsfeld Kinderdelinquenz ist komplex und berührt viele Lebens-<br />
und Zuständigkeitsbereiche. Neben der <strong>Familie</strong> lassen sich nach Aussagen interviewter<br />
Experten dennoch insbesondere drei verantwortliche Institutionen an der „Schnittstelle“ Kinderdelinquenz<br />
herausarbeiten: (1) die Jugendhilfe (2), die Polizei und (3) die Schule. Kooperationspartner<br />
der Jugendhilfe waren im Projekt insbesondere der Allgemeine Soziale Dienst der<br />
jeweiligen Jugendämter (oder wie in Auerbach die Jugendgerichtshilfe) und kooperationsbereite<br />
freie Träger. Die Zusammenarbeit mit der Polizei erfolgte mit den zuständigen Polizeirevieren<br />
unter Einbeziehung der jeweiligen Polizeidirektionen in den Landkreisen und in Dresden das<br />
zentralisierte Jugendkommissariat. Die Kooperationsbemühungen mit der Schule bezogen sich<br />
schulartübergreifend insbesondere auf die Schulleiter, Beratungslehrer, wenn vorhanden auf<br />
die Schulsozialarbeiter und Klassenlehrer. Auch hier wurde die übergreifende Aufsichtsbehörde<br />
mit den betreffenden Regionalschulämtern in den Kooperationsprozess einbezogen.<br />
Neben den genannten Institutionen bedurfte es aufgrund des relativ hohen Anteils psychisch<br />
beeinträchtigter Kinder im Projekt einer punktuellen Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie.<br />
Sie darf als Kooperationspartner im Kontext von Kinderdelinquenz nicht unberücksichtigt<br />
bleiben und hätte von Beginn an in den Prozess einbezogen werden müssen.<br />
Eine Zusammenarbeit mit der Justiz beschränkte sich auf nur sehr wenige Kontakte. Dabei kam<br />
wiederholt zum Ausdruck, dass beispielsweise die Staatsanwaltschaft sich aufgrund der Strafunmündigkeit<br />
der Kinder nicht oder nur wenig für dieses Handlungsfeld zuständig fühlt und sich<br />
auf die Einstellung der Verfahren beschränkt, ggf. mit einem Vermerk an das Jugendamt. Auch<br />
die <strong>Familie</strong>ngerichte hatten als Kooperationspartner im Projektverlauf für die <strong>ESCAPE</strong>-<br />
Mitarbeiter kaum eine Bedeutung.<br />
Nicht zuletzt hat die Erfahrung gezeigt, dass die Einbeziehung und Beteiligung kommunaler<br />
Amts- und Entscheidungsträger die regionale Verortung und Vernetzung beschleunigt - so geschehen<br />
im Standort Auerbach, wo der Oberbürgermeister die Schirmherrschaft für <strong>ESCAPE</strong><br />
übernahm und damit sehr zur erfolgreichen Entwicklung und zur Anerkennung des Projektes in<br />
der Region beitrug.<br />
31
EVALUATIONSBERICHT<br />
5.3.3 Institutionsübergreifende Kooperation<br />
Das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> begann mit erheblichen Anlaufschwierigkeiten, die insbesondere<br />
die Implementierung des <strong>ESCAPE</strong>-Projekts betrafen und zugleich Strukturprobleme der Zusammenarbeit<br />
zwischen den verschiedenen Institutionen aufdeckten.<br />
In der Projektarbeit kristallisierten sich in der Zusammenarbeit insbesondere zwei Schlüsselprobleme<br />
heraus, die sich wie ein roter Faden durch die gesamte Projektlaufzeit hindurch zogen:<br />
(a) die allgemeine Verfahrensweise und Abstimmung des Zusammenwirkens der beteiligten Institutionen<br />
hinsichtlich der Reaktionen auf Kinderdelinquenz und die Vermittlung der Zielgruppe<br />
sowie<br />
(b) der konkrete Zugang ins Projekt, die Erreichbarkeit und Einbeziehung der Zielgruppe.<br />
Um die Kooperation zu unterstützen und die wahrgenommenen Schwierigkeiten näher zu analysieren,<br />
wurden ausgewählte Vertreter der beteiligten Institutionen: Jugendhilfe, Polizei und<br />
Schule dazu befragt und die verschiedenen Sichtweisen herausgearbeitet. Dabei zeigte sich<br />
deutlich, dass bei aller signalisierten Bereitschaft zur Unterstützung des Projekts die Kooperation<br />
ihre strukturellen Grenzen hat. Jugendhilfe, Polizei und Schule sind unterschiedlichen gesetzlichen<br />
Aufträgen verpflichtet und zählen die Bearbeitung von Kinderdelinquenz nicht zur<br />
Kernaufgabe ihres institutionellen Handelns. Das gesetzlich determinierte Rollenverständnis<br />
bestimmt zum einen ihre Arbeitsweise, zum anderen aber auch ihre Problemperspektive. Während<br />
für die Polizei und die Justiz die Aufklärung der Straftaten und deren strafrechtliche Verfolgung<br />
im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen, ist die Kinder- und Jugendhilfe weniger an einer<br />
angemessenen „Bestrafung“ der Kinder oder Jugendlichen, sondern vielmehr an der Bearbeitung<br />
der Probleme interessiert, die sich aus schwierigen Lebenslagen ergeben. Der Problemfokus<br />
liegt bei der Jugendhilfe auf dem feststellbaren Hilfebedarf des Kindes bzw. der <strong>Familie</strong>, bei<br />
der Schule auf schulischen Schwierigkeiten. Letztendlich wird die Problemsicht auch dadurch<br />
bestimmt, über welche Informationen die jeweiligen Institutionen hinsichtlich des Ausmaßes und<br />
Umfangs von Kinderdelinquenz verfügen. Die Polizei wird mit dem gesamten Hellfeld konfrontiert.<br />
Die Jugendhilfe erhält von diesen bekannten Fällen wiederum nur einen Ausschnitt. Die<br />
Schule erwirbt nach eigenen Angaben nur in seltenen Fällen Kenntnis von den Delikten der<br />
Kinder, mit denen die Polizei und die Jugendhilfe täglich zu tun hat.<br />
Das jeweilige berufliche Selbstverständnis und die Handlungsaufträge der einzelnen Instanzen<br />
beruhen auf unterschiedlichen Arbeitsprinzipien und Organisationsstrukturen. Während die Jugendhilfe<br />
lebensweltnah über kommunale Selbstverwaltungsstrukturen organisiert ist, werden<br />
Polizei und Schule auf Landesebene zentral verwaltet. Das Legalitätsprinzip der Polizei einerseits<br />
und das Vertrauensprinzip der Jugendhilfe andererseits oder die strengen Datenschutzbestimmungen<br />
zum persönlichen Schutz und die Schweigepflicht beschränken die Weitergabe<br />
personenbezogener Informationen und zugleich die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen.<br />
Oftmals sind Mitarbeiter nur unzureichend informiert bzw. erhalten Informationen über eine<br />
schwer nachvollziehbare eigene institutionelle Logik. Informationsdefizite blockieren Entwicklungsprozesse.<br />
Daher empfiehlt sich eine Zusammenarbeit mit verantwortlichen Kontaktpersonen<br />
und ein regelmäßiger Austausch mit klaren Absprachen über die Informationsverteilung.<br />
Die Schwierigkeiten beschränkten sich aber nicht nur auf die Zusammenarbeit zwischen den<br />
Institutionen mit unterschiedlichem Handlungsauftrag, sondern waren auch innerhalb der jeweiligen<br />
Institutionen feststellbar. Um Frustration und Enttäuschungen zu vermeiden und die einmal<br />
etablierten Arbeitsbündnisse zu tragfähigen und auch belastbaren Beziehungen ausbauen<br />
zu können, ist es notwendig, dass sich die Kooperationspartner gegenseitig über ihre<br />
Arbeitsaufträge, Berufsrollen– und Handlungslogiken informieren und diese gegenseitig akzeptieren.<br />
32
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Der Kontakt und das Verhältnis der Institutionen untereinander unterscheidet sich in den einzelnen<br />
Modellstandorten. So lässt sich betreffend der Intensität und Komplexität der Kontakte zwischen<br />
Auerbach, Riesa und Dresden ein Gefälle beobachten. Der Umgang mit delinquenten<br />
Kindern im kleinstädtischen Milieu gestaltet sich relativ unkompliziert, da die Anzahl der kindlichen<br />
Täter sich in einem überschaubaren Rahmen hält und auch die räumliche Distanz zwischen<br />
den einzelnen Institutionen nicht allzu groß ist. Zudem kennen sich die Vertreter dieser<br />
Institutionen oft persönlich. Betrachtet man dagegen die Vermittlungswege und die Kooperation<br />
in Dresden, so wird deutlich, dass das System der beteiligten Personen und Institutionen hier<br />
weitaus komplexer ist. Die institutionelle Einbindung und Akzeptanz von <strong>ESCAPE</strong> gestaltete<br />
sich von daher umso schwieriger, je komplexer die regionalen Strukturen der Institutionen ausgeprägt<br />
waren.<br />
Bei aller Unterschiedlichkeit der Institutionen wird Kinderdelinquenz übereinstimmend als<br />
Symptom tieferer Problemlagen verstanden, wobei auf ungenutzte Ressourcen der Kooperation<br />
und Prävention sowie auf die mangelnde Gewährleistung einer fördernden Umwelt für das Aufwachsen<br />
von Kindern hingewiesen wird. Die Verbesserung der Kooperation wurde von allen<br />
Befragten als wichtig erachtet. Insgesamt konnte das <strong>Modellprojekt</strong> zu einer Intensivierung der<br />
Zusammenarbeit zwischen den Institutionen beitragen.<br />
Vermittlungswege (1): Polizei - Jugendamt - <strong>ESCAPE</strong><br />
Der zentrale Vermittlungsweg erfolgt von der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft über das Jugendamt,<br />
insbesondere dem Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD), ins <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong>. Dabei<br />
hat das Jugendamt eine Schlüsselrolle mit Vermittlerfunktion, da dort alle Informationen über<br />
delinquente Kinder zusammenlaufen und Hilfebedarfe aufgedeckt werden. Der in der Studie<br />
des Deutschen Jugendinstituts (DJI 1999a) beschriebene Ermessensspielraum und die heterogenen<br />
Verfahrensweisen zwischen Polizei und Jugendhilfe fanden sich auch in den drei Modellstandorten<br />
wieder. Vergleicht man die Institutionen in ihrer Reaktion auf delinquentes Verhalten<br />
von Kindern, lassen sich trotz aller Unterschiedlichkeit Gemeinsamkeiten und Handlungsroutinen<br />
erkennen:<br />
Auf die Mehrheit der Fälle von abweichendem oder delinquentem Verhalten von Kindern reagieren<br />
die Institutionen nicht, oder ohne zusätzliche Anstrengungen. Die Institutionen arbeiten<br />
dann an einem aktuellen Fall, ohne eine andere Institution in die Bearbeitung einzubeziehen<br />
und Informationen auszutauschen. Diese Verfahrensweise betrifft die Gruppe der so genannten<br />
Ersttäter, die mit einmaligen und leichten Delikten im Bagatellbereich auffallen, und deren Delinquenz<br />
als episodenhaftes Verhalten interpretiert wird. Die Polizei sendet diese Vorfälle oft gar<br />
nicht erst an den ASD weiter, sondern bewertet das Gespräch mit dem Kind und dessen Eltern<br />
als ausreichend. Erhält der ASD dennoch eine Nachricht von der Polizei, werden die Informationen<br />
oft nur zur Kenntnis genommen, ohne weitere Schritte zu unternehmen.<br />
Treten dagegen Kinder mehrfach und massiv delinquent in Erscheinung, mobilisieren die Institutionen<br />
die verfügbaren Mittel und es kommt in der Regel zur Zusammenarbeit. Oft sind die<br />
Kinder und deren <strong>Familie</strong>n der Jugendhilfe und der Polizei schon bekannt. Zum Teil bestehen<br />
zu den <strong>Familie</strong>n bereits Betreuungsverhältnisse (z.B. Hilfen zur Erziehung), dort wird bei einem<br />
der nächsten Treffen das Delikt besprochen. Andere <strong>Familie</strong>n verweigern sich trotz Hilfebedarf<br />
den Angeboten und bagatellisieren das Verhalten ihrer Kinder. Schwer einzuschätzen sind die<br />
bisher unbekannten <strong>Familie</strong>n und die so genannten „Kippkonstellationen“ (DJI 1999a: 68), bei<br />
denen die Zahl der polizeilichen Ermittlungen das übliche Maß an geringfügiger, alterstypischer<br />
Delinquenz überschreitet bzw. zu überschreiten droht.<br />
33
EVALUATIONSBERICHT<br />
34<br />
Staatsanwaltschaft<br />
Polizei<br />
ASD<br />
zuständige<br />
Mitarbeiterin<br />
Ersttäter Mehrfachtäter<br />
i. d.R. keine Reaktion<br />
Betroffenenmitteilung<br />
Meldung<br />
Beratungsgespräch<br />
Klärung Hilfebedarf<br />
Vermittlung in Angebote<br />
Erzieh-berat., <strong>ESCAPE</strong><br />
öffentlich beteiligte Personen<br />
und Institutionen<br />
massive Delikte<br />
Schreiben an die Eltern<br />
(Beratungsangebot)<br />
Abbildung 5.6. Verfahrensweg mit delinquenten Kindern beim ASD.<br />
keine Reaktion<br />
der Eltern<br />
Einzelfallprüfung<br />
Gehstrukturen<br />
Die Allgemeinen Sozialen Dienste erfahren von Deliktmeldungen durch Mitteilungen der Polizei<br />
und/oder der Staatsanwaltschaft. Diese Mitteilungsschreiben sind jedoch nicht einheitlich formuliert.<br />
So werden oft keine oder kaum ausreichende Angaben zum Delikt des Kindes gemacht.<br />
Das gleiche Problem eröffnet sich bei den Einstellungsschreiben der Staatsanwaltschaft, woraus<br />
oftmals nicht hervorgeht, ob das Kind an einer Straftat beteiligt war oder nicht. Der ASD-<br />
Mitarbeiter kann in solchen Fällen nicht erkennen, ob sich hinter so einer Meldung ein dringender<br />
Hilfebedarf verbirgt, bei dem die Jugendhilfe zum Handeln aufgefordert ist.<br />
Aus den Ergebnissen geht hervor, dass die Meldungen der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft oft<br />
mit einer großen Zeitverzögerung den ASD erreichen. Das hat wiederum zur Folge, dass Kinder<br />
sich teilweise gar nicht mehr an das begangene Delikt erinnern können und dementsprechend<br />
auch schlechter für ein Hilfeangebot zu motivieren sind. Erfahrungsgemäß ist die Bereitschaft<br />
zur Annahme einer Hilfe als auch die Veränderungsbereitschaft unmittelbar nach der Tat am<br />
größten.<br />
Diese Erfahrungen in den Modellstandorten haben gezeigt, dass die Zielgruppe besser erreicht<br />
wird, wenn die Polizei dem ASD in jedem Fall mitteilt, wenn ein Kind straftatverdächtig in Erscheinung<br />
getreten ist. Die Meldungen sollten möglichst zeitnah und mit genauen Angaben über<br />
das Delikt dem ASD übermittelt werden, damit der ASD umgehend an die Eltern herantreten<br />
kann. Diese Verfahrensweise ist zwar mit einem Mehraufwand für die ASD-Mitarbeiter verbunden,<br />
hat aber den Vorteil, dass der ASD hartnäckiger an problematisch erscheinenden <strong>Familie</strong>n<br />
„dranbleiben“ kann, indem sofort telefonisch oder schriftlich mit den <strong>Familie</strong>n Kontakt<br />
aufgenommen werden kann, wenn es notwendig erscheint.<br />
Wenn der ASD von der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft Deliktmeldungen bekommt, die einen<br />
Hilfebedarf signalisieren, wird den Eltern ein Anschreiben geschickt, indem die sie zu einem Beratungsgespräch<br />
eingeladen und über das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> informiert werden.<br />
Bezüglich der Anschreiben des ASD der einzelnen Modellstandorte lassen sich Unterschiede<br />
erkennen, die ausschlaggebend für die Reaktionen der Eltern sind. Allgemein beruht die Erreichbarkeit<br />
von Eltern mit delinquenten Kindern auf der Basis von Freiwilligkeit. Gerade bei einer<br />
Zielgruppe, die zum Teil schwer erreicht wird, ist ein unverbindliches Aufzeigen von Hilfe-
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
angeboten nicht ausreichend. Zumal sich die Alternativen vor <strong>ESCAPE</strong> in der Regel lediglich<br />
auf Beratungsgespräche im Jugendamt oder auf eine Erziehungsberatung beschränkten, die<br />
wiederum zugleich Erziehungsdefizite der Eltern suggerieren. Um überhaupt eine Chance zu<br />
bekommen, die Eltern für das <strong>Modellprojekt</strong> aufzuschließen, hat sich eine verbindliche Terminangabe<br />
im Anschreiben als vorteilhaft erwiesen. Es wurde betont, dass die Eltern diese Verfahrensweise<br />
auch nicht „als Belastung“ ansehen. Das Prinzip der Freiwilligkeit ist dadurch nicht<br />
eingeschränkt, da die Eltern immer noch die Möglichkeit haben, den ASD anzurufen, um eventuell<br />
die Einladung abzulehnen. Ausschlaggebend ist zunächst, dass die Eltern überhaupt reagieren.<br />
Kommen die Eltern zu einem Beratungsgespräch in den ASD, ist es von Vorteil, die <strong>ESCAPE</strong>-<br />
Mitarbeiter hinzuzuziehen. Die <strong>ESCAPE</strong>- Mitarbeiter können direkt den Eltern und Kindern das<br />
Projekt vorstellen und motivieren. Damit bleibt es den Eltern und Kindern erspart, selbständig<br />
mit den Mitarbeitern Kontakt aufzunehmen.<br />
Reagieren die Eltern überhaupt nicht auf ein Anschreiben, kann der ASD nach Einzelfallprüfung<br />
die Adressen bzw. auch Telefonnummern der Eltern an die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter weiterreichen.<br />
Die Eltern werden darüber bereits im Anschreiben informiert. Die Verfahrensweise der Weitergabe<br />
personenbezogener Daten des Jugendamtes an nicht-öffentliche Stellen ist mit § 16 Bundesdatenschutzgesetz<br />
begründbar, hat sich bewährt und als unproblematisch herausgestellt.<br />
Durch diese eingeräumte Verfahrensweise wurde es den <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeitern möglich, „Gehstrukturen“<br />
zu entwickeln und aktiv an die Eltern heranzutreten, bei <strong>Familie</strong>n, die sonst schwer<br />
erreichbar sind, hartnäckiger am „Problemfall“ dranzubleiben und gegebenenfalls eine Bereitschaft<br />
zur Hilfe zu erarbeiten. Dabei bewährten sich die persönliche Kontaktaufnahme und<br />
Hausbesuche. So kam es vor, dass Mitarbeiter bis zu dreimal versuchten, die <strong>Familie</strong> zu Hause<br />
anzutreffen und sie zu erreichen.<br />
Die Erstgespräche dienen der Klärung des Hilfebedarfs und der Vermittlung der Hilfe. Ein Erstgespräch<br />
mit den Eltern und Kindern reicht oftmals nicht aus, um eine Teilnahme im Projekt zu<br />
bewirken. Vielmehr ist die Motivation als Prozess zu verstehen, der unterschiedlich lang sein<br />
kann und in der Regel mehrere Kontakte umfasst. Wichtig ist, dass die Kinder sich am Entscheidungsprozeß<br />
beteiligt fühlen. Eine vereinbarte „Schnupperzeit“ wie in Auerbach kann dabei<br />
sehr hilfreich sein. Gelingt es darüber hinaus, die Eltern zu öffnen und für <strong>ESCAPE</strong> zu interessieren,<br />
dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der positiven Vermittlung und der regelmäßigen<br />
Teilnahme des Kindes unter Mitwirkung der Eltern. Mit einer schriftlichen Vereinbarung<br />
stimmen die Eltern und die Kinder der Maßnahme zu. Sie gibt ihnen die Möglichkeit sich bewusst<br />
für <strong>ESCAPE</strong> zu entscheiden. Außerdem erzeugt die Vereinbarung eine gewisse Verbindlichkeit<br />
und legt die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit unter Einbeziehung der Eltern<br />
fest. In Fällen, wo die Vereinbarung nicht zustande kam, blieben der Hilfekontext und das Beziehungsverhältnis<br />
unklar.<br />
Vermittlungswege (2): Freie Träger; Schule - <strong>ESCAPE</strong><br />
Mit der Öffnung der Zugangskriterien erfolgte im Projekt eine „informelle“ Ausweitung. Damit erlangten<br />
neben Jugendamt und Polizei auch andere Institutionen und Einrichtungen wie Schulen,<br />
Beratungsstellen, Freizeiteinrichtungen und Vereine, die in ihrer täglichen Arbeit Berührungspunkte<br />
mit delinquenten Kindern haben, für die Vermittlung einen höheren Stellenwert. Ihre<br />
Aufgabe sollte vor allem darin bestehen, über das <strong>Modellprojekt</strong> zu informieren, Kontakt herzustellen<br />
und der Zielgruppe einen Zugang ins Hilfeangebot zu verschaffen. Wie in der Projektstatistik<br />
ersichtlich ist, blieben selbst mit der Öffnung der Zugangskriterien die Fallanfragen und<br />
Vermittlungen auf diesem Verfahrensweg hinter den Erwartungen zurück.<br />
Vor dem Hintergrund der Aktualität einer verstärkten Zusammenarbeit von Jugendhilfe und<br />
Schule wurde im Projektverlauf eine Teiluntersuchung durchgeführt, die diesem Aspekt gesondert<br />
nachging. Ausgewählte Ergebnisse dieser Untersuchung werden im Folgenden dargestellt.<br />
35
EVALUATIONSBERICHT<br />
Die befragten Lehrer sehen in erster Linie den Bildungsauftrag als Grundlage ihrer Arbeit. Die<br />
Übernahme der Erziehungsverantwortung durch die Schule lehnen sie nicht ab, sie fühlen sich<br />
allerdings häufig damit überfordert. Hohe Pflichtstundenzahlen, ein zu hoher Klassenteiler oder<br />
auch fehlende Bereitschaft der Sorgeberechtigten zur Zusammenarbeit beschränken ihren<br />
Handlungsspielraum. Zudem mangelt es den Lehrern oft an Wissen, wie Schwierigkeiten bei<br />
Schülern zu erkennen sind und wie darauf reagiert werden kann. Es bestätigte sich der Eindruck,<br />
dass die Lehrer in Schulen nur ungenügend über die Arbeit und Hilfeangebote der Jugendhilfe<br />
informiert sind.<br />
Es fehlt der Konsens hinsichtlich eines gemeinsamen pädagogischen Konzepts und der Strukturen<br />
für eine verbindliche Zusammenarbeit. Die grundlegenden Rahmenbedingungen für eine<br />
Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule sind in den gesetzlichen Bestimmungen der jeweiligen<br />
Institution unterschiedlich verankert. Während die Jugendhilfe im Kinder- und Jugendhilfegesetz<br />
(§ 81 KJHG) zur Zusammenarbeit mit der Schule und Stellen der Schulverwaltung<br />
aufgefordert wird, beinhaltet das Sächsische SchulGesetz bisher (noch) keinen auf die Kooperation<br />
mit anderen Institutionen bezogenen Paragraphen.<br />
Die Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule kann entweder punktuell wie etwa in Projektwochen<br />
oder regelhaft erfolgen und lässt sich in Anlehnung an Franzke/Oehme (1999, S.<br />
23) auf verschiedenen Qualitätsstufen vollziehen:<br />
1.Qualitätsstufe: Die Jugendhilfe unterstützt von außen die Schulpflichterfüllung der Kinder- und<br />
Jugendlichen (z.B. sozialpädagogische Tagesgruppen, WG-Plätze am Schulhort usw.),<br />
2. Qualitätsstufe: Die Jugendhilfe geht in Form der Schulsozialarbeit in die sich öffnende Schule,<br />
um den Schülern präventive Hilfen bei der Bewältigung ihres Alltags zu geben. Hier lassen<br />
sich die Schulbezogene Jugendarbeit und sonstige Präventivangebote wie Drogenberatung,<br />
sexualpädagogische Seminare etc. zuordnen.<br />
3. Qualitätsstufe: Die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule geht qualitativ weit über den<br />
bisherigen Rahmen hinaus und bedeutet in Konsequenz eine gleichberechtigte Kooperation<br />
sowohl in konzeptioneller als auch in personeller und finanzieller Hinsicht.<br />
Die Schule erfährt nicht auf offiziellem Wege von angezeigten Straftaten ihrer Schüler bei der<br />
Polizei. Schule kann aber straftatrelevantes Verhalten beobachten, von dem wiederum die Polizei<br />
nie erfährt. Die Schule informiert die Polizei und die Jugendhilfe nur sehr selten über Vorfälle<br />
von Kinderdelinquenz. Es gibt keine gesetzlichen Meldepflichten und Vorschriften, wie das<br />
Schulsystem auf straftatrelevantes Verhalten reagieren muss. Im Normalfall regelt sie die Vorfälle<br />
intern. An den einzelnen Schulen haben sich verschiedene Umgangsweisen bezüglich der<br />
einzelnen Delikte entwickelt und die Verantwortlichkeit ist nicht auf eine Person festgelegt. Jeder<br />
Lehrer wird zunächst in der Verantwortung gesehen, auf Delinquenz innerhalb der Schule<br />
zu reagieren. Diese Offenheit lässt Raum für eine gewisse Beliebigkeit und Willkür und steht im<br />
Widerspruch zu den sonst so festen Strukturen des Schulwesens. Im SächsSchulGesetz sind<br />
drei mögliche Maßnahmen verankert:<br />
(1) Schulberatung<br />
Grundsätzlich hat jeder Lehrer die Aufgabe Eltern und Schüler zu beraten (§ 17 Abs. 1 SächsSchulG).<br />
Zur weiteren Unterstützung der pädagogischen Arbeit stehen Beratungslehrer und<br />
Schulpsychologen zur Verfügung. Während jede Schule einen Beratungslehrer vorhalten muss,<br />
sind sehr wenige Schulpsychologen für ein großes Einzugsgebiet in den Regionalschulamtsbereichen<br />
im Einsatz. Der Beratungslehrer erhält für seine Arbeit geringfügige Abminderungsstunden.<br />
Wenn eine Bearbeitung durch ihn allein nicht möglich ist, sucht er externe Hilfe.<br />
(2) Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen:<br />
Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen sollen der “Sicherung des Erziehungs- und Bildungsauftrags<br />
oder (dem) Schutz von Personen und Sachen” (§ 39 Abs. 1 SächsSchulG) innerhalb<br />
der Institution Schule dienen. Erziehungsmaßnahmen unterliegen der pädagogischen Freiheit<br />
36
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
des Lehrers und können im laufenden Unterricht verfügt werden. Ordnungsmaßnahmen dürfen<br />
erst ergriffen werden, “soweit andere [pädagogische] Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen”<br />
� schriftlicher Verweis durch den Klassenlehrer;<br />
� schriftlicher Verweis durch den Schulleiter;<br />
� Überweisung in eine andere Klasse gleicher Jahrgangsstufe;<br />
� Androhung des Ausschlusses aus der Schule;<br />
� Ausschluss aus der Schule” (§ 39 Abs. 2 SächsSchulG).<br />
Das SächsSchulGesetz regelt allerdings nicht, ob und wie auf welche Verhaltensweisen eine<br />
bestimmte Erziehungs- oder Ordnungsmaßnahme erfolgen soll. Offen bleibt ebenfalls, was<br />
nach einer Ordnungsmaßnahme, insbesondere nach einem Schulausschluss passiert.<br />
(3) Sonderpädagogische Förderung:<br />
Die inhaltliche Ausrichtung der Förderung orientiert sich mit folgenden Förderschwerpunkte am<br />
Einzelfall: Lernen, Sprache, emotionale und soziale Entwicklung, geistige Entwicklung, körperliche<br />
und motorische Entwicklung, Hören, Sehen, sowie körperliche und seelische Verfassung<br />
bei lang andauernder Krankheit (vgl. KMK 1994: 6f.).<br />
Eine Zusammenarbeit der befragten Schulen wurde hinsichtlich der Reaktion auf delinquentes<br />
Verhaltens erstmalig mit dem <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> realisiert. Die Vertreter aller Schularten<br />
betrachten das <strong>Modellprojekt</strong> als ein wichtiges Hilfeangebot. Die Erfahrungen der Standorte in<br />
der Zusammenarbeit mit den Schulen sind unterschiedlich. Dennoch kann das Fazit gezogen<br />
werden, dass es mit Ausnahme von Auerbach kaum gelungen ist, die Schulen mit ins Boot zu<br />
holen und aktiv in den Projektprozess einzubinden.<br />
Die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter und Lehrer in den verschiedenen Modellstandorten diskutierten und<br />
erprobten teilweise diese Möglichkeiten. Der Ablauf der Vermittlungen über die Schule kann,<br />
wie die nachfolgende Übersicht zeigt, sehr flexibel verlaufen. Große Schwierigkeiten bereiteten<br />
den Schulen bei der Vermittlung in das Projekt die Datenschutzbestimmungen. Zur Überwindung<br />
dieser Hürde erarbeiteten die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter eine standortübergreifende Schweigepflichtentbindung,<br />
in der die Eltern ihr Einverständnis zur Weitergabe der personenbezogenen<br />
Daten ihrer Kinder geben. Damit der Informationsfluss nicht zur Einbahnstraße wird und eine<br />
Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule auch während der <strong>ESCAPE</strong>-Maßnahme<br />
möglich ist, kann diese Möglichkeit der Schweigepflichtsentbindung für einen klar abgesteckten<br />
Bereich auch auf die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter ausgeweitet werden. Das Ausgeben von Informationsflyern<br />
genügt in der Regel nicht.<br />
Abbildung 5.7. Vermittlungsmöglichkeiten über die Schule in das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong>.<br />
37
EVALUATIONSBERICHT<br />
5.4 KLIENTEL: Die Kinder und ihr Umfeld – Problemsituationen, Wahrnehmungen,<br />
Verhaltensmuster<br />
Die Untersuchungen zur Klientel des Projekts zielten auf die Beschreibung der Kinder und ihres<br />
sozialen Umfelds sowie auf die Erfahrungen mit Institutionen der Jugendhilfe. Unter welchen<br />
Bedingungen leben die Kinder? Konnte <strong>ESCAPE</strong> die intendierte Zielgruppe erreichen? Dabei<br />
interessierten sowohl objektive Daten als auch die Sichtweisen der Kinder selbst, der Eltern und<br />
Sozialpädagogen. Von über 50 Kindern wurden im Projektverlauf Fallgeschichten erhoben, in<br />
denen spezifische individuelle Lebensumstände, aber auch übergreifende familiäre und soziale<br />
Problemkonstellationen zum Ausdruck kommen. Weitere Einblicke vermittelten die qualitativen<br />
Interviews mit teilnehmenden Kindern, in denen versucht wurde, Bedingungen des Aufwachens,<br />
soziobiografische Belastungen, Zukunftsvorstellungen sowie Selbst- und Fremdbilder herauszuarbeiten.<br />
Die nachfolgende Darstellung beginnt mit allgemeinen Informationen über die Klientel<br />
des Projekts, wobei sie sich auf die wichtigsten Belastungsfaktoren im Leben der Kinder<br />
konzentriert. Dann wendet sich einer Reihe von Gesprächsauszügen aus Interviews mit Kindern<br />
zu. Den Abschluss bilden vier ausführlich wiedergegebene Fallbeispiele. Anhand dieser exemplarischen<br />
Auszüge aus dem qualitativen Projektmaterial sollen sowohl die subjektiven Wahrnehmungen<br />
der Kinder verdeutlicht als auch die Problemkonstellationen beschrieben werden,<br />
denen sie im Hinblick auf <strong>Familie</strong>, Gleichaltrigengruppe, Schule und Jugendhilfe unterliegen.<br />
5.4.1 Belastungsfaktoren<br />
Die Kinder im Projekt waren in der Altersspanne zwischen 8 und 14 Jahren und in der Regel<br />
bereits mehrfach im Hell- oder im Dunkelfeld durch straftatrelevantes Verhalten aufgefallen. Am<br />
häufigsten vertreten waren Zwölf- und Dreizehnjährige. Der Altersdurchschnitt der Kinder lag<br />
bei 12,1 Jahren. Ausgehend von den 27 im Polizeilichen Auskunftssystem (PASS) zur Erfassung<br />
personenbezogener Daten registrierten Kindern, lag die Delikthäufigkeit zwischen einer<br />
und 28 strafbaren Handlungen. Sieben Kinder waren mit neun und mehr Delikten registriert.<br />
Von den insgesamt 158 begangenen Delikten wurden 64% in der Gruppe verübt (vgl. Kap.<br />
5.6.1). Hinsichtlich der Deliktarten handelt es sich überwiegend um Ladendiebstahl bzw. Diebstahl<br />
ohne erschwerende Umstände (44,3%). Ein Anteil von 20,9% der Delikte waren Sachbeschädigung,<br />
15,8% Diebstahl unter erschwerenden Umständen und 7,6 % Körperverletzung.<br />
Wie groß das „Dunkelfeld“ nicht bekannt gewordener Delikte bei diesen Kindern war, lässt sich<br />
nicht einschätzen. Es hat sich gezeigt, dass es sich bei den von <strong>ESCAPE</strong> betreuten Kindern<br />
überwiegend um eine geringe bis mittlere Delinquenzbelastung handelte. Insgesamt waren es<br />
weniger die Intensität und die Anzahl der begangenen Delikte, sondern die dahinter liegenden<br />
familiären und soziobiografischen Belastungen, die Institutionen wie den Allgemeinen Sozialen<br />
Dienst (ASD) dazu veranlassten, Kinder ins Projekt zu vermitteln.<br />
Diese Einschätzung wird auch durch die im Projektverlauf durchgeführten Fallstudien über die<br />
betreuten Kinder und ihre <strong>Familie</strong>n bestätigt. Sie ergaben, dass <strong>ESCAPE</strong> überwiegend erheblich<br />
belastete Kinder mit erhöhtem Hilfebedarf erreichte. Die durchschnittliche Risikobelastung<br />
der Kinder im Projekt lag in den untersuchten Merkmalen deutlich höher als die durchschnittliche<br />
Risikobelastung gleichaltriger Kinder im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong> bzw. in der Bundesrepublik. Erhöhte<br />
Problembelastungen lagen insbesondere in den Lebensbereichen <strong>Familie</strong> und Schule<br />
vor. Zu den familiären Belastungsfaktoren gehören der hohe Anteil allein erziehender Mütter<br />
(und damit in vielen Fällen auch der fehlende Vaterbezug), problematische Stiefelternkonstellationen,<br />
der geringe sozioökonomische Status und das geringe Bildungsniveau der Eltern, Überforderung<br />
der <strong>Familie</strong> oder auch ambivalente Eltern-Kind-Beziehungen. Einige Kinder hatten Erfahrungen<br />
mit Gewalt und alkoholkranken Müttern bzw. Vätern.<br />
38
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Was den Einfluss von Gleichaltrigen auf die soziale Entwicklung der Kinder betrifft, so überwiegen<br />
in den Äußerungen dazu befragter Eltern eher die Probleme und Risiken. Vor allem der hohe<br />
Anteil von Delikten, die in der Gruppe begangen wurden, verweist auf einen eher ungünstigen<br />
Einfluss der Peers auf die Kinder im Projekt. Auffällig ist der hohe Anteil an <strong>Familie</strong>n mit<br />
mehr als zwei Geschwistern. Dabei handelt es sich oft auch um Halb- und Stiefgeschwister. Einerseits<br />
stellen sie für die teilnehmenden Kinder wichtige Bezugs- und Vertrauensperson dar,<br />
andererseits gibt es mit Stiefgeschwistern auch häufig Probleme und Konkurrenzkonstellationen.<br />
In der Schule sind die Kinder häufig mit der Erfahrung von Überforderung und Misserfolg<br />
konfrontiert, sei es auf der Ebene der kognitiven Leistungsfähigkeit, sei es auf der Beziehungsebene.<br />
Andauernde Konflikte mit Klassenkameraden und Lehrern lassen für viele Kinder ein<br />
Klima von Unsicherheit, Angst oder Überlastung entstehen, mit dem sie nicht zurecht kommen<br />
und das sie mit unterschiedlichen Mitteln zu kompensieren versuchen. Bereits die Hälfte der<br />
<strong>Familie</strong>n haben bereits Jugendhilfeleistungen in Anspruch genommen – überwiegend handelt<br />
es sich in diesen Fällen um Sozialpädagogische <strong>Familie</strong>nhilfe und Erziehungsberatung. Auffällig<br />
ist allerdings, dass bei keinem der Kinder vor der Vermittlung in das <strong>ESCAPE</strong>-Projekt andere<br />
Formen sozialer Gruppenarbeit oder Einzelbetreuung durchgeführt wurden. Bedeutsam erscheint<br />
weiterhin, dass das Thema Heim bei den Kindern häufig auch dann eine Rolle spielt,<br />
wenn keine eigenen Erfahrungen mit Fremdunterbringung vorliegen – etwa in Form elterlicher<br />
Drohungen mit dem „Erziehungsheim“, mit denen die Sorgeberechtigten letztlich ihre eigene<br />
Hilflosigkeit und Überforderung zum Ausdruck bringen – wie im folgenden Auszug aus einem<br />
Elterninterview deutlich wird.<br />
„Na mein Mann hat generell nur bestraft mit zum Teil auch sinnlosen Bestrafungen.<br />
Also zum Beispiel Stubenarrest, das gipfelte dann darin, dass er gar nicht mehr raus<br />
sollte und ich bin gegen totaler Stubenarrest, das kann man mal zur Not machen, einen<br />
Tag, aber nicht wie er das eben dann gesagt hat, ein ganzes Jahr oder was weiß<br />
ich. Das wurde eben dann halt immer mehr. Dieses Widersprüchliche auch in der <strong>Familie</strong>,<br />
mein Mann lässt sich da nicht lenken oder reinreden und das habe ich zwar versucht<br />
vor dem Jungen nicht rumzubringen, aber das hatte er natürlich mitgekriegt. Und<br />
ich habe da versucht immer auszugleichen und zu vermitteln, vielleicht war es auch<br />
ein bisschen zu viel zu vermitteln, vielleicht hätte ich mich entscheiden sollen für einen<br />
von beiden, aber ich habe ja auch nicht weiter gewusst“<br />
Ein knappes Fünftel der Kinder (18%) hatten bereits Erfahrungen mit stationärer Unterbringung<br />
außerhalb der <strong>Familie</strong>. Vergleicht man die entsprechenden Werte der untenstehenden Tabelle<br />
mit den Zahlen des zweiten Sächsischen Kinder- und Jugendberichtes, so wird deutlich, dass<br />
die von <strong>ESCAPE</strong> betreuten Kinder gegenüber der „Normalpopulation“ in <strong>Sachsen</strong> in sehr viel<br />
größerem Umfang Hilfen zur Erziehung in Anspruch nehmen.<br />
Insgesamt lassen die vorliegenden Informationen den Schluss zu, dass es dem Projekt gelungen<br />
ist, sich in seiner Arbeit auf solche Kinder zu konzentrieren, bei denen die Delikte im Zusammenhang<br />
mit deutlichen psychosozialen Belastungen standen. Die folgende Übersicht ermöglicht<br />
eine Einschätzung zur Art und Ausprägung der Belastungsfaktoren, die dabei im Vordergrund<br />
standen. Als Grundlage der Datenerhebung diente in diesem Zusammenhang ein Elternfragebogen,<br />
der den Eltern der teilnehmenden Kinder einmalig zu Beginn der Maßnahme<br />
vorgelegt wurde. Die in der rechten Spalte aufgeführten Werte zur sächsischen „Normalpopulation“<br />
sind unterschiedlichen Quellen entnommen, die - wenn auch aufgrund der mangelnden<br />
Verfügbarkeit von Daten nicht vollständig - zumindest punktuell Anhaltspunkte für einen Vergleich<br />
bieten und deutlich machen, in welchen Lebensbereichen bei den Kindern von <strong>ESCAPE</strong><br />
von erhöhten Belastungen auszugehen ist.<br />
39
EVALUATIONSBERICHT<br />
Tabelle 5.5. Verteilung der <strong>ESCAPE</strong>-Teilnehmer auf Einflussfaktoren für delinquentes Verhalten im Vergleich zur Normalpopulation.<br />
Kategorien Faktoren Interventionsgruppe Normalpopulation<br />
(n=50)<br />
in <strong>Sachsen</strong> 1)<br />
<strong>Familie</strong> Alleinerziehend 48% 32%<br />
40<br />
Stiefelternfamilien 24% 11% 2)<br />
durchschnittliche Anzahl der Kinder<br />
in einer <strong>Familie</strong><br />
2,6 1,63 3)<br />
Arbeitslosigkeit/Sozialhilfe 40% 18,5 % ALQ 4)<br />
2,8% SHQ 5)<br />
Sozioökonomischer<br />
Status ABM 10%<br />
Schule 6)<br />
Auffälligkeiten<br />
Kinder- und<br />
Jugendhilfe<br />
Grundschule 16% 22,1%<br />
Mittelschule 42% 43,5%<br />
Gymnasium 2% 28,9%<br />
Förderschule 7)<br />
40% 5,3%<br />
mindest. eine Klassenwiederholung 32% 8) 2,6% 9)<br />
Schulschwänzen 22%<br />
Delinquenz (Hellfeld) 54% 3,3% 10)<br />
Trebegang 20%<br />
psychologisch auffällig 68%<br />
Hyperaktivität 53% 3-7% 11)<br />
Enuresis 14% 3-5% 11)<br />
Diagnostik in der Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrie<br />
Leistungen der Jugendhilfe<br />
bereits in Anspruch genommen<br />
Sozialpädagogische <strong>Familie</strong>nhilfe<br />
(§ 31)<br />
20%<br />
50%<br />
24% 1.414 12)<br />
Erziehungsberatung (§ 28) 22% 10.811 12)<br />
Tagesgruppe (§32) 8% 921 12)<br />
Stationäre Hilfe (Heim) (§ 34) 18% 3.931 12)<br />
Intensive Sozialpädagogische<br />
Einzelbetreuung (§ 35)<br />
0 64 12)<br />
Soziale Gruppenarbeit (§ 29) 0 683 12)<br />
1) Quellengrundlage: wenn nicht anders angegeben, dann Statistisches Landesamt des <strong>Freistaat</strong>es <strong>Sachsen</strong><br />
2) Ersten Dresdner Kinderstudie (2000): Ergebnis der Befragung von 2000 Kindern im Alter von 9-15 Jahre in Dresden<br />
3 )Statistisches Bundesamt<br />
4) Arbeitslosenquote in <strong>Sachsen</strong> Mai 2003<br />
5) Sozialhilfequote in <strong>Sachsen</strong> Mai 2003<br />
6) Vergleichszahlen beziehen sich auf die Verteilung der Schüler im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong> im Schuljahr 2001/2002 (Zweiter Sächsischer<br />
Kinder- und Jugendbericht, S.68)<br />
7) 26% in einer Lernbehindertenschule, 14% in einer Erziehungshilfeschule<br />
8) 81% der Klassenwiederholungen erfolgten bereits in der Grundschule<br />
9) Gesamtanteil der Klassenwiederholer im Schuljahr 2001/2002 in <strong>Sachsen</strong><br />
10) Berechnet aus der Tatverdächtigenbelastungszahl für Kinder in Sachen (Quelle: PKS <strong>Sachsen</strong> 2002)<br />
11) DSM-IV-TR, 2003<br />
12) Vergleichzahlen in absoluten Zahlen 2001 (Quelle: Zweiter Sächsischer Kinder- und Jugendbericht 2003)
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Wie die Übersicht zeigt, stammen die von <strong>ESCAPE</strong> betreuten Kinder in weit überproportionalem<br />
Maße (48%) aus Haushalten von Alleinerziehenden – in der Mehrzahl alleinerziehende Mütter.<br />
Aus den Unterlagen geht hervor, dass 42% der Kinder in der momentanen Situation ohne Vater<br />
aufwachsen. Mit 2,6 Kindern pro <strong>Familie</strong> liegt die durchschnittliche Anzahl über dem Bundesdurchschnitt.<br />
In 24% der Fälle leben die Kinder in Stiefelternfamilien. Der Anteil von Kindern aus<br />
Haushalten, die infolge von Arbeitslosigkeit besonderen Belastungen ausgesetzt sind, liegt mit<br />
40% weit mehr als doppelt so hoch wie in der sächsischen Normalpopulation (18.5%). Auffällig<br />
ist weiterhin der mit 40% sehr hohe Anteil von Förderschülern innerhalb der Klientel von<br />
<strong>ESCAPE</strong>, wobei der überwiegende Teil aus dem Lernbehindertenbereich kommt. Hoch ist weiterhin<br />
der Anteil von ca. einem Drittel der Kinder, die mindestens eine Klassenwiederholung<br />
aufwiesen. Auffällig ist zudem, dass 81% dieser Klassenwiederholungen bereits in der Grundschule<br />
erfolgten. Schon diese Hinweise zeigen die besondere Bedeutung des schulischen Umfelds<br />
und verweisen auf die Notwendigkeit einer gezielten Kooperation von Jugendhilfe und<br />
Schule zur Verbesserung der Früherkennung von Problementwicklungen und zur Frühförderung.<br />
Zu beachten ist nicht zuletzt, dass für ein Fünftel der Kinder bereits Kontakte zur Kinder-<br />
und Jugendpsychiatrie angegeben wurden.<br />
5.4.2 Die Sicht der Kinder<br />
Um einen Zugang zu den Sichtweisen der Kinder zu finden, war es wichtig, eine Gesprächssituation<br />
herzustellen, bei der nicht der Komplex „Delinquenz und Defizite“, sondern Alltagserfahrungen<br />
im Vordergrund standen. Ungeachtet dessen waren es in diesen Gesprächen oft die<br />
Kinder selbst, die von sich aus auf ihre Delikte zu sprechen kamen und zum Teil sehr persönliche<br />
Einzelheiten aus ihrem Leben erzählten, sobald in der Interviewsituation eine Vertrauensbasis<br />
hergestellt war. Bei den Gesprächen handelte es sich um Leitfadeninterviews mit narrativen<br />
Gesprächssequenzen, die sich auf die zentralen Themenbereiche <strong>Familie</strong>, Gleichaltrigengruppe,<br />
Schule und Jugendhilfe bezogen. Die nachfolgenden Aussagen können nicht die gesamte<br />
Bandbreite der in diesen Interviews angesprochenen Fragen wiedergeben, sollen aber in<br />
exemplarischer Form einen Einblick in subjektive Wahrnehmungen und Bewältigungsmuster<br />
der Kinder vermitteln.<br />
Trotz vielfältiger Schwierigkeiten sehen die Kinder die <strong>Familie</strong> als zentralen Lebensort. Im ersten<br />
Beispiel geht es um einen Jungen, der seine alkoholkranke Mutter nach einem Krebsleiden<br />
verliert und bei einer Stieffamilie aufwächst.<br />
B: [...] Also wo wir noch Babys waren [...] da hat meine richtige Mutter hat hier noch<br />
früh nur getrunken und getrunken und da hat sie mir nichts zu Essen gegeben und<br />
nichts zu trinken und [...] da haben wir gepleekt an der Treppe, da sind wir dann zu<br />
unserer Stiefmutter, die wir jetzt haben, sind wir dann hoch haben wir zu Essen gekriegt<br />
und so und meine richtige Mutter, die hat nur getrunken getrunken getrunken<br />
und geraucht und da [...] hat die dann Krebs gehabt und da ist sie auch dann gestorben.<br />
//mm// Und da ham wir jetzt unsere Stiefmutter. Die ist viel besser.<br />
Viele der befragten Kinder beklagen sich darüber, dass es ihnen an einer männlichen Bezugsperson<br />
mangelt – sei es weil die Mutter alleinerziehend ist, die Väter aufgrund beruflicher Verpflichtungen<br />
selten anwesend sind oder die Mutter ständig ihre Partner wechselt.<br />
G: Spielen. Ach so mit meinem Papa hab ich fast gar nichts weil [...] mein Papa arbeitet<br />
und meine Mutti muss ja auf die (Schwester) aufpassen, denn die ist zur Zeit krank.<br />
[...]<br />
A: Naja, die ersten drei Jahre bin ich ständig zur Schule gegangen - und so ab der<br />
vierten Klasse bin ich dann [...] einfach nicht gegangen, hab mein Zimmer zugeschlossen<br />
und weiter geschlafen, weil mein Vater arbeitet ziemlich lang und wenn der frühs<br />
nach Hause kommt, schläft der gleich ein, so müde ist der. //mm// Und ich mein, da<br />
wie soll ich sagen ich hab dann einfach weiter geschlafen [...]<br />
41
EVALUATIONSBERICHT<br />
Im folgenden Gesprächsauszug geht es darum, dass die Eltern sich an die Polizeikontakte des<br />
Kindes bereits „gewöhnt“ haben:<br />
A: Na, nach 'ner Zeit lang sind die Eltern dran gewöhnt. Da erschrecken die gar nicht<br />
mehr wenn's heißt ‘Guten Tag, Polizeirevier da und da. Wir haben ihren Sohn bei uns<br />
auf der Wache sitzen', da sagen die dann 'na toll, schon wieder'. Aber, wie gesagt,<br />
nach 'ner Zeit. Aber die erste Zeit war's auch 'oh, nee'. Hab ich auch Ärger abgekriegt<br />
aber ich mein, meine Eltern waren auch dran gewöhnt, dass ich ständig mit den Bullen<br />
zu tun hab.<br />
Ein weiterer zentraler Ort im Alltag der Kinder ist die Schule. Dass sie für ihr späteres Leben<br />
große Bedeutung besitzt, ist ihnen zumeist bewusst, auch wenn sie sie vor allem aus dem<br />
Blickwinkel von Problemen und Frustrationen erleben. Schwierigkeiten können sich aus Leistungsanforderungen<br />
ergeben, denen sie sich nicht gewachsen fühlen, oder aus Konflikten, die<br />
sich zu lange aufgestaut haben. Auf Überforderung in der Schule reagieren sie oft mit Rückzug<br />
oder Flucht. Schulbummelei und Schulverweigerung sind daher ernstzunehmende Signale für<br />
unbewältigte Probleme der Kinder, die nicht selten auch delinquente Verhaltensweisen nach<br />
sich ziehen.<br />
A: [...] in der Schulzeit, also wie gesagt, die ersten paar Jahre bin ich gegangen und<br />
dann kam aber die Zeit, wo ich einfach aufgestanden bin und wo anders hingegangen<br />
bin mit Kumpels abgehangen. Wir haben uns frühs getroffen. Statt Schule sind wir<br />
woanders hingegangen, klauen oder so was, [...] das machte mir früher mehr Spaß als<br />
Schule...(Erst) hab ich gute Leistungen gebracht aber so dann – dritte, vierte Klasse<br />
[...] fing ich dann an, langsam auf die Schule keinen Bock mehr zu haben, bin öfters<br />
nicht gegangen, was heißt öfters, so gut wie gar nicht dann mehr gegangen naja dann<br />
haben sie's dann nicht mitgemacht natürlich und dann bin ich dann wieder 'ne Weile<br />
gegangen und dann bin ich wieder nicht gegangen. [...] Naja, das war langweilig in der<br />
Schule, ich mein, dort hat's mir überhaupt kein Spaß gemacht. Ich fand's blöd in der<br />
Schule.<br />
Als Grund für seine beginnende Schulverweigerung nennt der Junge hier vor allem Langeweile<br />
(„keinen Bock mehr, kein Spaß, blöd“). Heute besucht er, mit bedingt durch seine Teilnahme an<br />
<strong>ESCAPE</strong>, den Unterricht wieder regelmäßig. In anderen Fällen hängt die Ablehnung des Unterrichts<br />
zusätzlich mit dem Erleben ständiger Überforderung zusammen.<br />
B: Manchmal hatten wir Probleme. Manchmal hatte ich keine Lust gehabt, mit Unterricht<br />
zu machen. Bin ich dann raus. [...] Also, ich bin dann raus aus dem --- nicht aus<br />
dem Schulgelände, ich bin dann raus aus dem [...] dem Haus bloß an die Tür, hab<br />
mich hingesetzt und dann kam die Lehrerin hat gesagt 'Kommste bitte mit wieder rein'.<br />
Hab ich gesagt 'nö' und da haben die gesagt 'Gut, da tu ich nen Eintrag eintragen'. Da<br />
hab ich gesagt 'Könn sie machen wenn sie wollen. Ich zerrupps eh' und dann haben<br />
die gesagt - und haben sie dann angerufen. Da haben meine Eltern mich abgeholt und<br />
dann gab's auch ziemlich Ärger.<br />
I: Mm, und warum bist du da raus?<br />
B: Weil ich dann irgendwie keine Lust mehr hatte mit Lernen, weil das dann so langweilig<br />
war und - keinen Bock mehr gehabt. [...] Naja, bei Mathe da - da hab ich auch<br />
manchmal Schwierigkeiten mit Bruchrechnung und so.<br />
Im folgenden Fall geht es um einen Jungen, der Schwierigkeiten mit seinen Mitschülern und,<br />
wie in der zitierten Passage, auch mit seiner Lehrerin hat.<br />
D: Hm, da hat Frau P. mit mir Schwierigkeiten gehabt. Nämlich da gab's mit uns Streit.<br />
Sonst haben wir uns immer gern gehabt. [...] Und wo sie mich angeschrieen hat, das<br />
war mir zu viel und dann die letzte Stunde bin ich abgehauen und da hat sie abends<br />
angerufen und hat sich entschuldigt. Und am nächsten Tag sind wir wieder Freunde<br />
geworden.<br />
Was die Gruppenorientierungen der befragten Jungen betrifft, so ging es dabei in einigen Fällen<br />
um Sichtweisen, die sich als Ergebnis starken Gruppendrucks verstehen lassen und auf eine<br />
Neutralisierung von Schuldgefühlen hinauslaufen. Da in der Gruppe Normen gelten, die abweichendes<br />
Verhalten unter Umständen dulden oder sogar gutheißen, werden Normverletzungen<br />
42
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
innerhalb der Clique als „normal“ empfunden, so dass das Begehen von Delikten plötzlich als<br />
erwünschte Verhaltensweise erscheinen kann. Geraten solche Haltungen mit konformen Orientierungen<br />
in Konflikt, so kann dies zu Verwirrung und zu Schuldgefühlen führen, wie im folgenden<br />
Beispiel.<br />
B: [...] da waren wir auf dem Abenteuerspielplatz und da war noch so ein Kumpel, das<br />
war abends so um fünf - naja, da hatten wir Langeweile und da haben wir Mülltonnen<br />
runtergehauen und da ist das Büro beschädigt worden und 'ne Mauer und da [...] sind<br />
wir dann abgehauen und da haben wir das wieder gemacht naja [...] und auf jeden Fall<br />
kam dann die Polizei hat uns die Fingerabdrücke gemacht und, ja - [...] Da war ich<br />
auch ganz schön blind. [...] Weil ich da auch Mist gebaut hab, weil das soll eigentlich<br />
nicht sein, also dass das ja eigentlich Scheiße ist, dass ich das überhaupt nicht machen<br />
dürfte.<br />
Wenn es um die Erfahrung der Kinder mit Angeboten der Jugendhilfe ging, stand nicht der institutionelle<br />
Rahmen von Jugendamt, Hilfen und Maßnahmen im Vordergrund – meist war ihnen<br />
dieser Zusammenhang kaum bewusst. Wichtiger war, ob die Angebote “Spaß machen“ und eine<br />
brauchbare Unterstützung darstellen. Das Heim als familientrennende Maßnahme wird<br />
durchweg abgelehnt und vor allem in einem Kontext von Drohung und Strafe wahrgenommen.<br />
Nur vorübergehende, zeitlich absehbare Heimaufenthalte erscheinen aus dieser Sicht als nicht<br />
ängstigend und akzeptabel.<br />
Dass das <strong>ESCAPE</strong>-Programm von den Kindern insgesamt sehr positiv erlebt wurde, lässt sich<br />
aufgrund der von ihnen geäußerten Einschätzungen auf folgende Faktoren zurückführen:<br />
� die Entscheidung für die Teilnahme wurde als freiwillig wahrgenommen<br />
� das Programm wurde als eine Form der Freizeitgestaltung und nicht der Freizeitbeschränkung<br />
gesehen<br />
� das Thema „Delinquenz“ stand nicht im Vordergrund der pädagogischen Arbeit<br />
Zum Schluss dieses Abschnitts sollen zwei Antworten auf die Frage wiedergegeben werden,<br />
wie sich die Befragten ihre Zukunft als Erwachsene vorstellen.<br />
(1) I: Und wenn du jetzt [...] drei Wünsche frei hättest was würdest du denn dann machen?<br />
B: Würd ich mir ein Auto wünschen und ein Haus und - was würd' ich mir noch wünschen?<br />
(2) I: Und wie stellst du dir das vor wenn du mal älter bist, so 20 oder so, wenn du mal<br />
erwachsen bist, hast du da irgendwelche Ziele?<br />
A: <strong>Familie</strong> gründen, arbeiten gehen - und leben.<br />
I: Und leben; und wie leben?<br />
A: Ohne Scheiße zu bauen, ganz sauberes Leben.<br />
Die Antworten der Jungen zeigen, dass sie sich an durchaus realistischen, sozial erwünschten<br />
Zukunftsvorstellungen orientieren – deliktfrei und mit dem Ziel, anerkannten Werten zu genügen.<br />
5.4.3 Fallbeispiele<br />
Exemplarisch sollen im folgenden einige Fallbeispiele herausgegriffen werden, die das breite<br />
Spektrum von Anforderungen an die pädagogische Arbeit von <strong>ESCAPE</strong> verdeutlichen und<br />
zugleich den komplexen Problemhintergrund veranschaulichen, mit dem es die Mitarbeiter des<br />
Projekts oft zu tun hatten. Es handelt sich um drei Jungen und ein Mädchen, die in sehr unterschiedlichen<br />
persönlichen und familiären Bedingungen aufgewachsen sind. Aber auch Ähnlichkeiten<br />
werden in den vier Kurzporträts deutlich. Lukas wies unter den von <strong>ESCAPE</strong> betreuten<br />
Kindern mit 28 Delikten (davon 24 in der Gruppe begangen) die weitaus höchste Delinquenzbelastung<br />
auf. Die familiäre Situation war in seinem Fall so schwierig, dass noch während seiner<br />
Teilnahme an <strong>ESCAPE</strong> eine Heimunterbringung erforderlich wurde. Albert war eines von insgesamt<br />
drei Kindern mit Migrationshintergrund, die von <strong>ESCAPE</strong> betreut wurden. Da seine Mutter<br />
43
EVALUATIONSBERICHT<br />
als Aussiedlerin aus einem osteuropäischen Land kaum Deutsch sprach, musste er eine Vielzahl<br />
alltäglicher Pflichten übernehmen, die ihn letztlich überforderten. Und obwohl er, anders als<br />
seine Mutter, die deutsche Sprache schon recht gut beherrschte, wurde er von Gleichaltrigen<br />
wiederholt als „Russe“ beschimpft. Die Beispiele von Christiane und Arnd schließlich können für<br />
jene Vielzahl von Teilnehmern des Projekts stehen, in denen sich familiäre Schwierigkeiten, Erfahrungen<br />
in der Schule, Beziehungen zu Gleichaltrigen etc. in einer Art „labilem Gleichgewicht“<br />
befinden: Deutlichen Risikofaktoren, die die Lebenssituation der Kinder belasten, zum Teil auch<br />
in ihren Delikten zum Ausdruck kommen und sich ohne Hilfestellung mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
weiter verfestigen würden, stehen eine Reihe positiver, förderlicher Faktoren gegenüber.<br />
In einem Fall ist dies der erfolgreiche Schulbesuch, im anderen die verlässliche Beziehung zur<br />
Mutter. Oft waren es gerade solche Konstellationen, in denen trotz zunehmendem Hilfebedarf<br />
an vorhandenen Stärken und familiären Ressourcen angesetzt werden konnte, die <strong>ESCAPE</strong> ein<br />
erfolgreiches Arbeiten möglich machten. Auch bei Christiane und Arnd gelang es, im Verhältnis<br />
zu den Kindern wie auch zu den Eltern stabilisierend zu wirken und positive Entwicklungen zu<br />
unterstützen.<br />
Lukas<br />
Lukas wuchs bei seinen leiblichen Eltern auf. Er ist das dritte von vier Kindern. Der Vater ist ungelernter<br />
Hilfsarbeiter, arbeitet im Schichtdienst und ist selten in der <strong>Familie</strong> anwesend. Die<br />
Mutter ist Alkoholikerin. Die <strong>Familie</strong> wohnt in einer Vier-Zimmer-Wohnung in einem Hochhaus.<br />
Im Haushalt der <strong>Familie</strong> leben nur noch die beiden jüngsten Kinder: Lukas selbst und sein<br />
10jähriger Bruder, der Epileptiker ist.<br />
Lukas wuchs nach Angaben der Eltern normal auf. Er besuchte regulär die erste und zweite<br />
Klasse der Grundschule, wiederholte die dritte Klasse und begann auch die vierte. Diese beendete<br />
er jedoch nicht, sondern verweigerte seitdem permanent die Schule. Bei der Polizei ist Lukas<br />
schon seit langem bekannt, 25 Polizeimeldungen liegen unterdessen über ihn vor. Darunter<br />
befindet sich die ganze Deliktbandbreite wie Einbruchdiebstahl, Nötigung, Raub und Körperverletzung.<br />
Mit elf Jahren wurde er erstmals polizeilich registriert. Innerhalb von zehn Tagen folgten<br />
weitere Straftaten. Die Mitarbeiter im Projekt beobachteten, dass sich Lukas mit den von<br />
ihm begangenen Delikten zum Teil stark identifizierte. In der Gleichaltrigengruppe seines Stadtteils<br />
sicherte ihm sein Verhalten eine starke Stellung. Zudem erschien das abweichende Verhalten<br />
von Lukas noch in anderer Weise als funktional: es verschaffte ihm den so genannten ‘Kick’,<br />
es diente der Freizeitgestaltung und half bei der Erfüllung materieller Wünsche.<br />
Zu <strong>ESCAPE</strong> kam Lukas mit 13 Jahren, und er nahm für mehr als ein halbes Jahr am Projekt<br />
teil. Die Vermittlung des Jungen erfolgte über den ASD des Jugendamtes, wo die <strong>Familie</strong> bereits<br />
über verschiedene Hilfen zur Erziehung (Erziehungsbeistandschaft, SPFH) bekannt war.<br />
<strong>ESCAPE</strong> wurde von den Eltern als eine Möglichkeit verstanden, den Schulbesuch ihres Jungen<br />
wieder anzugehen und weitere Straffälligkeiten zu verhindern. Lukas selbst erhoffte sich dies<br />
von <strong>ESCAPE</strong> ebenso und wünschte sich zudem Menschen, mit denen er reden kann und zu<br />
denen er eine Beziehung aufbauen kann. Parallel zu der Arbeit im Projekt <strong>ESCAPE</strong> liefen seitens<br />
des Jugendamtes Vorbereitungen zum Entzug des Sorgerechts der Eltern für ihre beiden<br />
Kinder Lukas und seinem jüngeren Bruder. Während Lukas am Projekt teilnahm, wurde das<br />
Aufenthaltsbestimmungsrecht über beide Kinder einem Vormund übertragen. Lukas und seine<br />
Geschwister wurden in ein Heim aufgenommen. Seitdem besucht Lukas wieder regelmäßig die<br />
Schule.<br />
Die starke emotionale Bindung des Jungen an seine Eltern äußert sich in seinem Wunsch, in<br />
Zukunft wieder zu Hause wohnen zu dürfen und in dem Heimweh, welches er während seines<br />
Heimaufenthaltes empfindet. In der Netzwerkkarte bestätigt sich, dass Lukas in seinen Eltern<br />
weiterhin die primären Bezugspersonen sieht. Das Verhalten der alkoholkranken Mutter nimmt<br />
Lukas in Schutz, auch wenn ihn die Situation stark belastet. Auf die Frage, wer denn seine Vor-<br />
44
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
bilder seien, antwortete er: „mein Großonkel und mein Dad“. Stolz ist Lukas darauf, eines der<br />
ersten Kinder im <strong>ESCAPE</strong>-Projekt gewesen zu sein und insgesamt sieben Monate dabei gewesen<br />
zu sein. Er selbst, aber auch die Mitarbeiter, bewerten seine Teilnahme als erfolgreich und<br />
positiv. Er verließ das Projekt mit positiven Wertungen, mit dem Interesse an einer Nachbetreuung<br />
und der Teilnahme in einem Karatesportclub. Verschiedene Versuche, die Schule wieder<br />
zu besuchen, schlugen fehl, da die Eltern (insbesondere die Mutter) ihren Teil der Verantwortung<br />
und die Vereinbarungen nicht erfüllten und auch Lukas Absprachen nicht einhielt, obwohl<br />
er andererseits offenkundiges Interesse an einem regelmäßigen Schulbesuch zeigte. Bei der<br />
Bearbeitung des Themas Schule wich Lukas in den Gesprächen mit den Mitarbeitern von<br />
<strong>ESCAPE</strong> und in der Gruppe meist aus. Dabei überspielte er die unüberwindbaren Ängste vor<br />
einem erneuten Schulbeginn mit „Coolness“.<br />
Lukas´ Gruppenverhalten veränderte sich im Verlaufe der Gruppenphase von sehr dominant,<br />
selbstherrlich und z.T. rücksichtslos hin zu dem Verhalten eines Gruppenmitgliedes, welches<br />
andere Meinungen wahrnimmt und Kompetenzen der anderen auch anerkennt und für sich<br />
nutzt. Auch wenn das Verhalten des Jungen besonders bei Konflikten von Dominanzstreben<br />
und körperlichem Stärkegebaren gekennzeichnet war, konnten zunehmend auch andere Verhaltensanteile<br />
wahrgenommen werden – Offenheit für Gespräche, Rücksichtnahme auf die<br />
Meinungen anderer, Nachdenklichkeit. Seit Projektbeginn liegen über Lukas keine neuen Polizeimeldungen<br />
vor. Aufgrund der <strong>Familie</strong>nsituation war Elternarbeit und damit eine explizite Hilfe<br />
für die Eltern nicht möglich. Die einzigen Kontakte realisierten sich über eine Reihe von Hausbesuchen.<br />
Die Fallgeschichte bringt die belastete familiäre Situation zum Ausdruck, in der Lukas aufwachsen<br />
muss. Dennoch bedeutet ihm seine <strong>Familie</strong> sehr viel. Die Ambivalenz der Beziehungen<br />
wird zu einem Teufelskreis, aus dem Lukas nur mit fremder Hilfe heraus kommen kann. Obwohl<br />
Hilfen zur Erziehung in der <strong>Familie</strong> bereits zum Einsatz kamen, bezogen sich diese nie direkt<br />
auf Lukas. In einem Interview bringt er zum Ausdruck, dass er vor <strong>ESCAPE</strong> noch nie etwas mit<br />
Jugendhilfe zu tun gehabt hat. Dabei wäre es mit einem individuell abgestimmten und auf Lukas<br />
bezogenen Hilfeangebot möglicherweise schon sehr viel früher notwendig und möglich gewesen,<br />
die Situation zu verändern. Lukas konnte relativ schnell von <strong>ESCAPE</strong> überzeugt werden<br />
und zeigte die Bereitschaft, sich auf das Projekt einzulassen. <strong>ESCAPE</strong> hat ihn dort „abgeholt“,<br />
wo er stand und gab ihm die ersehnte Aufmerksamkeit. Er lernte in der Gruppenarbeit Freunde<br />
kennen und konnte Konflikte schließlich auch gewaltfrei lösen. Für seine ’Kumpels’, mit denen<br />
er die Straftaten zum Teil gemeinsam begangen hatte, hat er nach eigenen Angaben seit<br />
<strong>ESCAPE</strong> gar keine Zeit mehr, und den Kontakt zu ihnen hat er abgebrochen: „Na, und ich hab<br />
mich auch bissel gefreut drüber, von denen wegzukommen.“ Neben <strong>ESCAPE</strong> führt er sein<br />
nunmehr „straffreies“ Verhalten auch auf seine Freundin zurück, die ihn von neuen Straftaten<br />
und alten Verbindungen abhält. Er bereut seine Straftaten und wünscht sich für die Zukunft ein<br />
normales Leben. In einem anderen Zusammenhang erwidert Lukas auf die Wunschfrage allerdings:<br />
„Drei Wünsche? //mm// Ich sag mal so, (lacht) da ich in der rechten Szene bin, würd<br />
ich mir als erstes wünschen, dass alle Ausländer aus Deutschland raus gehen,//mm//<br />
und dann, dass es mehr Arbeit gibt und dass es keine Bullen mehr gibt (lacht).“<br />
Verfestigte Einstellungs- und Verhaltensmuster lassen sich nicht innerhalb weniger Wochen<br />
auflösen und bringen die Anfälligkeit und Widersprüchlichkeit von Lukas zum Ausdruck. Die<br />
Heimunterbringung kann insofern zu einer Stabilisierung der Normalitätsperspektive beitragen.<br />
Lukas nutzte die Angebote im Rahmen der Nachbetreuung regelmäßig. Auch wenn sich eine<br />
stationäre Unterbringung nicht vermeiden ließ und das Thema Schulverweigerung nur partiell<br />
bearbeitet werden konnte, hat sich gezeigt, dass es mit Hilfe von <strong>ESCAPE</strong> gelang, eine Beziehung<br />
aufzubauen und mit dem Kind gemeinsam kleine Schritte zu gehen. Wie aus den personenbezogenen<br />
Daten des LKA hervorgeht, wurde der Junge hinterher nicht wieder rückfällig<br />
(Stand Mai 2003).<br />
45
EVALUATIONSBERICHT<br />
Albert<br />
Albert wurde in einem osteuropäischen Land als uneheliches Kind geboren. Seinen Vater hat er<br />
nicht kennen gelernt. Seit ca. 1993 leben Mutter und Kind in Deutschland. Vorübergehend<br />
wohnten sie in Lagern und Aussiedlerheimen. In ihrer jetzigen Wohnung und Wohngegend fühlt<br />
sich die Mutter wohl, nur der Weg zur Schule ist sehr weit. Die Mutter war in der Zeit, als Albert<br />
an <strong>ESCAPE</strong> teilnahm, auf ABM-Basis berufstätig.<br />
Die Mutter schildert das Verhältnis zwischen ihr und Albert als sehr schwierig, geprägt von Annäherung<br />
und Ablehnung. Auch Albert äußert sich über seine Mutter selten positiv. Er verleumdet<br />
sie in der Schule, während sie ihm oft strafend und fordernd begegnet, ohne seine Bemühungen<br />
zu loben. Die Mutter bemängelt an Alberts Verhalten insbesondere, dass er immer seinen<br />
Kopf durchsetzen will, bettelt, die Mutter beschimpft, mit Gegenständen bewirft, keine Konzentration<br />
zeigt, nicht auf die Uhrzeit achtet, bei den Hausaufgaben trödelt etc. Die Mutter lehnt<br />
es ab, von dem <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter Hilfe anzunehmen; mit dem Kind solle etwas geschehen,<br />
sie selbst brauche keine Gespräche. Immer wieder äußert sie die Absicht, Albert in ein Heim zu<br />
geben, da sie mit ihm nicht klar komme. Wiederholt droht sie ihm diese Maßnahme als „Strafe“<br />
für sein Verhalten an. Albert wiederum bemängelt an seiner Mutter, dass sie immer herumschreit<br />
und eine neue Sache von ihm verlangt, ohne die alte beendet zu haben. In die Netzwerkkarte<br />
nimmt er seine Mutter gar nicht erst auf. Auch sie bestätigt, dass er mit Problemen<br />
nicht zu ihr kommen würde. Erwachsene und Mädchen beschreibt Albert überwiegend negativ,<br />
Jungen dagegen überwiegend positiv (Mitarbeiter <strong>ESCAPE</strong>).<br />
Die Mutter berichtet, der Junge habe sich während der Kindheit schneller entwickelt als andere<br />
Kinder. Gleichzeitig habe er von Geburt an problematisches Verhalten gezeigt, sei unruhig, laut,<br />
unkonzentriert, rechthaberisch, zerstörungswütig und unsicher, würde Türen knallen, mit Gegenständen<br />
werfen und schreien. Zudem sei er hyperaktiv und leide unter neurotischen Störungen.<br />
Das problematische Verhalten äußere sich zumeist dann, wenn Anforderungen an ihn gestellt<br />
würden: so z.B. in der Schule. Albert besucht die 6. Klasse einer Erziehungshilfeschule<br />
und geht ungern zur Schule. Über Lehrer äußert er sich stets negativ. Bereits in der 1. Klasse<br />
musste Albert aufgrund seiner psychischen Auffälligkeiten zur Diagnostik in die Kinder- und Jugendpsychiatrie.<br />
Besondere Schwierigkeiten gab es durch das fortgesetzte Bettnässen des<br />
Jungen. Für Albert wurde in diesem Zusammenhang ein Kuraufenthalt verordnet.<br />
Polizeilich ist Albert zweimal delinquent aufgefallen. Zum einen hatte er versehentlich beim<br />
Radfahren eine ältere Frau angefahren. Zum anderen hatte er im Auftrag zweier älterer Freunde<br />
(einer davon war 16 Jahre alt) für eine Mark ein Mädchen geschlagen. In beiden Fällen kam<br />
es zur Anzeige, eine Entschuldigung gegenüber den Opfern kam nicht zustande. Albert äußerte<br />
gegenüber dem Mitarbeiter von <strong>ESCAPE</strong>, er habe bisher noch nie eine Möglichkeit gehabt, sich<br />
zu entschuldigen, wenn etwas vorgefallen sei, auch nicht bei kleineren Dingen in der Schule. Er<br />
wisse aber, wie so etwas geht.<br />
Wenn andere Kinder ihn abweisen und hänseln, wird Albert schnell wütend und neigt dazu, sich<br />
zu schlagen. Nach den Schilderungen seiner Mutter findet er bei gleichaltrigen Kindern wenig<br />
Anerkennung, hat kaum Freunde und wird oft als „Russe“ beschimpft. Dies steigert die Wut des<br />
Jungen nur noch. Sie bemängelt, dass Albert in der Gleichaltrigengruppe das macht, was andere<br />
von ihm wollen, und dass er sich oft ausnutzen lässt.<br />
Dennoch sucht Albert, wie auch sein Verhalten im Projekt zeigt, den Kontakt zu Kindern und<br />
spielt gerne mit ihnen. So fragte er zu Beginn des Öfteren nach dem Verbleib der anderen Kinder<br />
und freute sich auf die Gruppenarbeit. Die Jugendhilfe wurde bereits mit erzieherischen Hilfen<br />
in Form von Erziehungsberatung und Sozialpädagogischer <strong>Familie</strong>nhilfe aktiv. Nach Beendigung<br />
von <strong>ESCAPE</strong> wird Albert erneut in die Psychiatrie eingewiesen und später, nach Aussagen<br />
der Mutter, in einem Heim in <strong>Sachsen</strong>-Anhalt untergebracht.<br />
46
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Das Beispiel zeigt den besonderen Hilfebedarf einer <strong>Familie</strong>, die nicht nur die Folgen eines<br />
„Kulturschocks“, sondern auch die Probleme einer gefährdeten sozialen Integration in ihr neues<br />
Umfeld bewältigen muss. Gegenüber dem Jungen zieht sich die Mutter auf eine fordernde und<br />
strafende Haltung zurück, und dem Projektmitarbeiter gegenüber betont sie ihre Unabhängigkeit<br />
als eine Person, die „keine Gespräche braucht“. Zugleich ist sie aber infolge ihrer schlechten<br />
Deutschkenntnisse selbst in einer schwachen Position, die ihr Verhältnis zu Albert belastet.<br />
Dass der Junge seine Mutter in der Netzwerkkarte „vergisst“, kann als Ausdruck des Gefühls<br />
verstanden werden, in einer schwierigen Situation allein dazustehen.<br />
Deutlich wird, dass sich aus der beschriebenen familiären Konstellation ein weitergehender Hilfebedarf<br />
bereits anbahnt. Dies zeigen sowohl die neurotischen Symptome des Jungen als auch<br />
die Tatsache, dass die Mutter aufgrund ihrer Überforderung wiederholt eine Heimunterbringung<br />
in Erwägung zieht. Das Angebot von <strong>ESCAPE</strong> wird in dieser Situation als hilfreiche Unterstützung<br />
wahrgenommen, die freilich durch eine Sozialpädagogische <strong>Familie</strong>nhilfe flankiert werden<br />
muss. Albert selbst fühlt sich während seiner Zeit im Projekt vor allem durch einen der<br />
<strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter unterstützt, zu dem sich ein gutes Vertrauensverhältnis entwickelt. Am<br />
Ende seiner Zeit bei <strong>ESCAPE</strong> gehört er einem Reitverein an.<br />
Christiane<br />
Christiane ist das jüngste von vier Kindern. Sie wächst zusammen mit einer Schwester bei ihrer<br />
Mutter auf, die vom Vater geschieden ist. Die ältere Schwester und der ältere Bruder haben den<br />
Haushalt schon verlassen. Die Mutter kann ihren Beruf als Altenpflegerin nicht mehr ausüben<br />
und bezieht Frührente. Der Vater ist berufstätig und kümmert sich regelmäßig um die Kinder.<br />
Trotzdem haben die <strong>ESCAPE</strong>–Mitarbeiter den Eindruck, dass die Mutter selbst die Scheidung<br />
noch nicht verarbeitet hat, sich von ihrem Mann verlassen und mit den elterlichen Pflichten alleingelassen<br />
fühlt.<br />
Die Mutter ist darauf bedacht, dass in ihrer Erziehung alles in geregelten Bahnen verläuft, sie ist<br />
gegenüber ihrer Tochter oft zu Kompromissen bereit, teilweise auch großzügig. Wenn es Probleme<br />
gibt, werden Gespräche geführt. Das Verhältnis zwischen Vater und Tochter ist problematisch.<br />
Nach der Scheidung der Eltern, die erst kurz zurück liegt, lebt Christiane zunächst bei ihrem<br />
Vater und ist zwischen beiden Elternteilen hin und her gerissen. Wenig später zieht sie zur<br />
Mutter. Zum Vater hat sie zwar nach wie vor Kontakt, spricht aber, auch bei <strong>ESCAPE</strong>, nur noch<br />
wenig über ihn.<br />
Christiane besucht die 7. Klasse einer Förderschule und erreicht befriedigende bis ausreichende<br />
Leistungen. Probleme ergeben sich wiederholt aus ihrer Konzentrationsschwäche, da sie<br />
dem Unterrichtsgeschehen nicht lange aufmerksam folgen kann. Ihre Schulfreunde kann sie in<br />
der Freizeit nicht sehen, weil sie auf einem Dorf in einiger Entfernung wohnt.<br />
In der Freizeit ist Christiane viel mit ihrer Clique im Heimatort zusammen. Gemeinsam genießen<br />
sie das „Abhängen“, zuweilen gehen sie gemeinsam ins Kino. Zum Zusammensein gehören Alkohol<br />
und Zigaretten. Auch ihre ersten sexuellen Erfahrungen macht Christiane mit Freunden<br />
aus der Clique. Der Mutter sind die Freunde bekannt. Den Kontakt mit einigen aus der Clique<br />
sieht sie nicht gern, weil sie den Eindruck hat, dass sie ihre Tochter zum „Mist bauen“ verleiten.<br />
Taschengeld erhält sie recht selten. Hinzu kommt, dass einige der Freunde schon fast volljährig<br />
sind. Trotzdem gehört Christiane zum festen Kern der Clique, die im Wohnort bereits durch<br />
wiederholte Ruhestörung aufgefallen ist.<br />
Zu <strong>ESCAPE</strong> kam Christiane, nachdem sie bei einem Ladendiebstahl aufgegriffen wurde. Zuvor<br />
fiel sie, zusätzlich zu den gemeinsamen Ruhestörungen in der Clique, durch Sachbeschädigung<br />
auf. Die Mutter erhofft sich von dem <strong>Modellprojekt</strong> eine persönliche Entlastung und eine Unterstützung<br />
in der Erziehung der Tochter. Sie wünscht sich, dass Christiane ihren Umgangston<br />
47
EVALUATIONSBERICHT<br />
ändert, pünktlicher wird, sich an verabredete Regeln hält und im Kontakt mit Gleichaltrigen<br />
selbständiger wird.<br />
Belastungsfaktoren und unterstützende Bedingungen halten sich in diesem Beispiel (noch) die<br />
Waage. Belastend wirken die nicht verarbeitete Trennung der Eltern, die Einflüsse einer Clique,<br />
die vor allem aus Älteren besteht und Christiane mit riskanten Verhaltensweisen konfrontiert,<br />
nicht zuletzt aber auch die Trennung von Lebensort und Schule. Letztere bringt nicht nur weite<br />
Schulwege mit sich, sondern führt auch zu einer Trennung der Lebenskreise, in denen sich<br />
Christiane bewegt – Schule und Freizeit fallen weit auseinander. Positiv erscheint demgegenüber<br />
die verlässliche Beziehung zur Mutter, die sich um Christianes Erziehung kümmert und<br />
nach konkreter Unterstützung sucht. Hier liegt zugleich die Chance für <strong>ESCAPE</strong>. Die Mitarbeiter<br />
versuchen, Christiane an ihrem Wohnort in eine Mädchengruppe einzubeziehen und auf diese<br />
Weise einen regionalen Bezug herzustellen.<br />
Arnd<br />
Arnd war dreizehn Jahre alt, als er zu <strong>ESCAPE</strong> kam. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder<br />
wuchs er bei seiner Mutter auf, die das alleinige Sorgerecht für die Kinder hat. Zur <strong>Familie</strong> von<br />
Arnd gehört auch noch ein älterer Bruder, der jedoch nicht mehr im Haushalt lebt. Die Mutter ist<br />
zum vierten Mal verheiratet, Arnds Stiefvater ist der Vater des jüngsten Bruders. Da Mutter und<br />
Stiefvater beide arbeitslos sind, muss die <strong>Familie</strong> von der Arbeitslosenhilfe der Mutter und der<br />
Sozialhilfe des Stiefvaters leben. Mit ihren Wohnbedingungen ist die <strong>Familie</strong> sehr unzufrieden.<br />
Über den Stiefvater wird berichtet, dass er über längere Zeit ein Alkoholproblem hatte, dieses<br />
aber inzwischen im Griff hat. Die Beziehung zwischen Sohn und Mutter wird als sehr gut, die<br />
zwischen Arnd und seinem Stiefvater als wechselhaft beschrieben. Zuweilen hat er den Jungen<br />
mit längerem Hausarrest bestraft. Die Mutter setzt sich sehr für ihren Sohn ein und versucht ihm<br />
bei der Lösung von Problemen zu helfen. Über die problematischen Verhaltensweisen des Jungen<br />
äußert sie sich nachsichtig („macht nichts, ich hab auch Scheiße gebaut“) – dies gehöre in<br />
seinem Alter dazu. Arnd selbst ärgert sich oft über seinen kleinen Bruder, weil er so frech zu<br />
den Eltern ist. Wenn es ihm reicht, kommt es zwischen beiden zu Rangeleien, in denen der<br />
Bruder ab und zu auch mal „eine abkriegt“.<br />
Arnd besucht die 7. Klasse der Realschule, geht gern zur Schule und erzielt dort befriedigende<br />
Leistungen. Er musste jedoch schon einmal die Schule wechseln, weil er sich auf der alten<br />
Schule oft mit einem anderen Jungen geprügelt hatte und gemeinsam mit ihm auch schon polizeilich<br />
auffällig geworden war. Arnd lässt sich sehr schnell provozieren, so dass es schnell zu<br />
Rangeleien und Prügeleien mit ihm kommt. Auf seiner neuen Schule ist Arnd bis jetzt aber nur<br />
einmal geringfügig auffällig geworden - er ritzte ein „A“ in die Tischplatte. Nach Angaben der<br />
Mutter gibt es momentan keine Probleme mit ihm. In seiner Freizeit ist Arnd im Fußballverein<br />
aktiv, ist mit seiner Clique unterwegs und läuft Inline-Skates.<br />
Mit der Polizei hatte Arnd dreimal Kontakt – alle drei Ereignisse liegen jedoch in der Zeit vor<br />
seinem Schulwechsel. Einmal ging es um Sachbeschädigung, wobei Arnd selbst sagt, er habe<br />
nur Schmiere gestanden; ein anderes Mal um Diebstahl – auch da behauptet er, nur auf die anderen<br />
gewartet zu haben; in einem Fall schließlich um Körperverletzung. Zwei dieser Delikte<br />
aus der Zeit vor der Projektteilnahme des Jungen wurden vom LKA registriert.<br />
Als Arnd zu <strong>ESCAPE</strong> kommt, ist er sich seiner Probleme schon bewusst. Er hat sich selbst zum<br />
Ziel gesetzt, in der Schule besser zu werden und keine Kontakte mehr zur Polizei zu haben.<br />
Sein Verhalten im Unterricht soll sich verbessern, und über <strong>ESCAPE</strong> äußert er sich positiv, weil<br />
ihm hier die Möglichkeit gegeben wird, seine Zeit sinnvoll zu verbringen. Von seiner beruflichen<br />
Zukunft hat Arnd klare Vorstellungen - er sieht sich in einer Karriere als Fußballprofi oder<br />
Gourmetkoch.<br />
Auch dieses letzte Beispiel zeigt eine Konstellation, in der durch die Teilnahme an <strong>ESCAPE</strong> eine<br />
Stabilisierung erreicht werden kann. Während der sechs Monate, in denen der Junge durch<br />
48
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
das Projekt betreut wird, entspannt sich die Situation zu Hause – auch die Eltern scheinen das<br />
Projekt als Entlastung zu empfinden und sind froh darüber, durch den Projektmitarbeiter Unterstützung<br />
zu erfahren. Auch kommt es nicht mehr zu weiteren Straftaten. Arnds Neigung zu impulsiven<br />
Reaktionen und seine Bereitschaft, sich auf riskante Situationen einzulassen, lässt in<br />
dieser Zeit deutlich nach. Dabei kommt Arnd zugute, dass er sich selbst Ziele setzen kann und<br />
ein Bewusstsein von den Risiken entwickelt, die eine Fortsetzung des Problemverhaltens für<br />
seine persönliche Zukunft bedeuten würde. Auch seine zufriedenstellende Schulsituation gehört<br />
zu den positiven Rahmenbedingungen.<br />
5.5 METHODEN: Pädagogische Ansätze, Arbeitsinhalte und Schwerpunkte<br />
Dieses Kapitel befasst sich mit der eigentlichen und unmittelbaren pädagogischen Arbeit. Der<br />
konzeptionelle Schwerpunkt war je nach Standort auf die „klassischen“ Handlungsmethoden:<br />
Einzelfallhilfe und soziale Gruppenarbeit ausgerichtet. Dabei geht es um den innovativen Einsatz<br />
bewährter und neuer Konzepte und die entsprechend „kindgemäße“ Umsetzung dieser<br />
Methoden. Die Anwendungspraxis dieser Methoden in der Sächsischen Jugendhilfe bewegt<br />
sich allgemein bisher noch auf recht niedrigem Niveau. Außerdem gibt es in der Anwendung<br />
bisher nur wenige Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern unter 14 Jahren. Über die gesamte<br />
Projektlaufzeit entstand in den Standorten ein breites Methodenrepertoire. Die Mitarbeiter protokollierten<br />
die methodische Arbeit auf der Grundlage gemeinsam erarbeiteter Vorlagen und<br />
gaben in Interviews darüber Auskunft.<br />
Die pädagogische Arbeit mit delinquenten Kindern zielt auf die Persönlichkeitsentwicklung und<br />
das soziale Lernen. Dabei geht es auf der Grundlage der Vermittlung von Normen und Werten<br />
um den Aufbau eines differenzierten Verhaltensspektrums und die Entwicklung von Handlungsalternativen.<br />
In diesem Zusammenhang standen vor allem die Stärkung sozialer Kompetenzen<br />
(z.B. Einfühlungsvermögen, Selbstkontrolle, positives und gewaltfreies Konfliktlöseverhalten),<br />
die Stärkung des Bewusstseins über Recht und Unrecht, die Förderung der sozialen Integration,<br />
das Erreichen eines angemessenen Selbstwertgefühls und eines positiven Selbstbildes sowie<br />
die Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln. Dazu gehört nicht zuletzt die<br />
sinnvolle Gestaltung der Freizeit.<br />
In dieser Zielformulierung findet sich wieder, was die befragten Kooperationspartner Jugendamt,<br />
Polizei und Schule von <strong>ESCAPE</strong> erwarten. Danach soll <strong>ESCAPE</strong> ein intensives Hilfeangebot<br />
sein, welches den Kindern Zuwendung zukommen lässt, ihnen Normen vermittelt und einen<br />
sinnvollen Beitrag zur Freizeitgestaltung leistet. Auch wenn sich die Aufmerksamkeit zunächst<br />
im engeren Sinne auf die Kinder bezieht, so zielt die Hilfe im weiteren und nachhaltigen Verständnis<br />
auf die Kompetenzförderung und Stärkung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten.<br />
Die positiven Zieldefinitionen bieten weitaus größere Handlungsmöglichkeiten als negativ formulierte<br />
Ziele wie z.B. Abbau von abweichendem Verhalten. Sie ermöglichen eine Orientierung<br />
und Aktivierung vorhandener Ressourcen. Selbst bei gleicher Zielsetzung und bei zum Teil ähnlicher<br />
methodischer Schwerpunktsetzung ist aufgrund der vielfältigen individuellen Einflüsse<br />
und Belastungsfaktoren der Kinder und der standortspezifischen Unterschiede wie Personalausstattung,<br />
regionale Besonderheiten und Rahmenbedingungen die Arbeitsweise in den<br />
Standorten nicht identisch. Ein bewertender Vergleich der methodischen Arbeit zwischen den<br />
Standorten sowohl der Einzelfallhilfe gegenüber Gruppenarbeit als auch der unterschiedlichen<br />
Umsetzung der Gruppenarbeit in Dresden und Riesa ist nur bedingt möglich. Dennoch sollen<br />
ansatzweise Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden.<br />
49
EVALUATIONSBERICHT<br />
5.5.1 Der Hilfeprozess<br />
Der Hilfeprozess basiert auf den pädagogischen Prinzipien: Freiwilligkeit, Lebenswelt- und Ressourcenorientierung.<br />
Auch wenn sich <strong>ESCAPE</strong> primär den handlungsmethodischen Schwerpunkten<br />
Einzelfallhilfe und soziale Gruppenarbeit widmet, geht das Verständnis dieses Hilfeansatzes<br />
darüber hinaus. Trotz der verschiedenen Konzeptionen lässt sich in allen Standorten ein<br />
ähnliches Ablaufschema der Hilfe erkennen. <strong>ESCAPE</strong> versteht sich als ein kurzfristig und zeitlich<br />
begrenztes Angebot. Der Hilfeprozess war zunächst für ca. vier Monate konzipiert. Er gliedert<br />
sich in drei Arbeitsphasen, die im Folgenden zunächst im Überblick dargestellt werden. Auf<br />
die Erfahrungen dieser Phasen wird nachfolgend noch gesondert eingegangen.<br />
Tabelle 5.6. Arbeitsphasen laut Konzeption.<br />
Vermittlungsphase Intensivphase Integrationsphase<br />
�<br />
�<br />
�<br />
Phasen- Kontaktaufnahme, 2x wöchentlich / Wiederholung früherer<br />
inhalte Abklärung des Hilfe- 2 Stunden Training in Programme,<br />
bedarfs, Motivation, der Gruppe bzw. in Ein- Integration in Vereine,<br />
Orientierung,<br />
zelfallhilfe,<br />
Verbände ... (Mobili-<br />
Beziehung aufbauen, Projekte,<br />
tätssteigerung/sozial- Vereinbarung / Kon- Freizeitgestaltung räumliche Orient.),<br />
trakt<br />
Abschiedsprogramm<br />
Auerbach<br />
(3 Monate)<br />
Dresden<br />
(4 Monate)<br />
Riesa<br />
(4 Monate)<br />
50<br />
Beginn der<br />
Elternarbeit<br />
Einzelfallarbeit<br />
ca. 2 Wochen<br />
Einzelfallarbeit und<br />
Gruppenaufbau<br />
ca. 4 Wochen<br />
Einzelfallarbeit<br />
Gruppenaufbau<br />
ca. 4 Wochen<br />
Elternarbeit<br />
Elternarbeit<br />
Einzelfallarbeit Einzelfallarbeit<br />
Gruppenaktivitäten,<br />
Gruppenfahrt<br />
Gruppenarbeit, erlebnis- Gruppe/Einzelarbeit<br />
pädagogische Freizeit<br />
8 Wochen<br />
4 Wochen<br />
Gruppenarbeit, Erlebnispädagogik<br />
Einbeziehung von Freunden<br />
12 Wochen<br />
Nachbetreuung<br />
Vereinbarungen,<br />
weiterführende Angebote,<br />
individuelle Beratung<br />
und Unterstützung<br />
teilweise offene Elternangebote<br />
Verlängerung bzw. Kontakte<br />
nach Bedarf<br />
regelmäßige offene<br />
Nachmittage,<br />
Kontakte nach Bedarf,<br />
Elternsprechstunde<br />
offener Treff<br />
Kontakte nach Bedarf<br />
(1) Vermittlungsphase: Diese Phase umfasst alle Aktivitäten zum Erreichen, Vermitteln und Heranführen<br />
der Zielgruppe an das Angebot als Grundvoraussetzung für eine gelingende Arbeit.<br />
Dabei geht es neben der Entwicklung der verschiedenen Zugangswege und der Zusammenarbeit<br />
mit anderen Institutionen auch um die Abklärung des Hilfebedarfs und der Motivation der<br />
Kinder und Eltern.<br />
(2) Intensivphase: Diese Phase stellte das eigentliche Training in Form von Einzelfallhilfe oder<br />
Sozialer Gruppenarbeit dar. Laut Vereinbarung umfasst die Intensivphase in allen Standorten<br />
zwei Kurs- bzw. Trainingseinheiten zu je zwei Stunden in der Woche. Im Zeitraum dieser intensiven<br />
Trainingsphase von mindestens acht Wochen stand in allen Standorten eine mehrtägige,<br />
erlebnispädagogische Gruppenfreizeit auf dem Programm.<br />
(3) Integrationsphase: Da es sich bei <strong>ESCAPE</strong> um ein kurzzeitiges befristetes Angebot handelt,<br />
stand in dieser Phase verstärkt die Integration der Kinder in bereits bestehende offene Freizeitangebote,<br />
Vereine etc. oder auch in weiterführende Hilfeangebote der Jugendhilfe im Vordergrund.<br />
Diese Phase bereitet den Ablöseprozess vor. Damit verbindet sich das Angebot der<br />
Nachbetreuung.
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
5.5.2 Aufbau einer Trainingseinheit und Arbeitsinhalte<br />
Eine Trainingseinheit besaß in der Regel in allen Standorten eine relativ feste Ablaufstruktur mit<br />
entsprechenden Ritualen im Rahmen sozialpädagogisch orientierter Einzel-, Partner-, Kleingruppen-<br />
und Gesamtgruppenarbeit. Im Wesentlichen setzte sich die Trainingseinheit in allen<br />
Standorten aus zwei Hauptteilen zusammen: einem thematischen Teil und einem eher freizeitund<br />
spielbetonten Teil. Bedenkt man, dass <strong>ESCAPE</strong> nach der Schule und in der Freizeit des<br />
Kindes angeboten wird, so ist insbesondere der freizeitorientierte Trainingsteil für die Motivation<br />
des Kindes unverzichtbar. Wenn es den Mitarbeitern erforderlich erschien, wurde das thematische<br />
Arbeiten auch zurückgestellt. Wiederum unterscheidet sich <strong>ESCAPE</strong> von herkömmlichen<br />
Freizeitangeboten durch inhaltlich-thematische Arbeitsanteile.<br />
Tabelle 5.7. Aufbau einer Trainingseinheit.<br />
Auerbach Dresden Riesa<br />
Reflexion und Rückblick/<br />
Warming up / Spiel 10 min<br />
Training 45 min<br />
Freizeit / Spiel / Projekt 60 min<br />
Auswertung/Tokenvergabe 5 min<br />
Zeitstruktur wird flexibel gehandhabt<br />
Ankommen 20 min<br />
Spiel 10 min<br />
Training 45 min<br />
Sport/Spiel 35 min<br />
Auswertung 10 min<br />
Ankommen / Teatime 15 min<br />
Fahrplan 10 min<br />
schnelles Spiel 10 min<br />
Training /Thema 60 min<br />
Spiel 20 min<br />
Wetterbericht/Feedback 5 min<br />
Wesentliche Arbeitsinhalte des thematischen Teils waren Elemente des Verhaltenstrainings<br />
(Rollen- und Planspiele, Belohnungssysteme), Übungen zur Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />
(Detektivbogen), Provokationstraining zur Kritikfähigkeit oder Frustrationstoleranz (heißer<br />
Stuhl), Kommunikationstraining oder auch schulische Unterstützung (alternative Lernmethoden).<br />
Durch den Einsatz von Videotechnik wurden verstärkt auch medienpädagogische Ansätze<br />
zum Einsatz gebracht. Auch Themen wie Freundschaft, Fairplay, Coolness etc. wurden in der<br />
Sprache der Kinder aufgegriffen und bearbeitet. Die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter einigten sich anfangs<br />
mit den Kindern auf ein Mindestmaß an Regeln, deren Einhaltung in Auerbach und in Dresden<br />
über ein Belohnungssystem verstärkt wurde. Die Auswertung und Punktevergabe erfolgte in einer<br />
Reflexionsrunde am Ende einer jeden Trainingseinheit. Zudem unterstützen die Mitarbeiter<br />
die Kinder bei der Alltagsbewältigung, bei der Bearbeitung von auftretenden Problemen und<br />
Konfliktsituationen.<br />
Der freizeitorientierte Trainingsteil beinhaltete handwerklich-kreative Angebote und Projekte wie<br />
Malen (Fensterbilder, T-Shirts, Seidenmalerei), Graffiti-Gestaltung, Basteln (Holzbearbeitung,<br />
Tonarbeiten), Videoclips, Visitenkarten etc., der Einsatz von Computer und Internet sowie attraktive<br />
und gesellschaftlich positiv bewertete Freizeitangebote wie Sport- und Bewegungsspiele<br />
darunter (Tisch-)Fußball, Tischtennis, Schwimmen, Pedalo, Jonglieren, Go-Kart, Einrad, Radtour,<br />
Reiten etc. sowie Brett-, Karten- und Gesellschaftsspiele wie UNO, Tabu, Halli Galli etc.<br />
Über die erlebnispädagogischen Gruppenfahrten wurden neben den intensiven gruppendynamischen<br />
Prozessen mit Kanu-, Klettertouren etc. primäre Erfahrungswelten angesprochen und<br />
„Grenzsituationen“ erzeugt.<br />
5.5.3 Methodenstatistik<br />
Die nachfolgende Tabelle stellt den Versuch dar, die methodische Arbeit hinsichtlich ausgewählter<br />
quantitativer Aspekte zu erfassen, zu beschreiben und zu vergleichen. Kinder, die das<br />
Hilfeangebot vorzeitig beendeten bzw. abbrachen, blieben in dieser Statistik weitestgehend unberücksichtigt,<br />
da diese zu einer Verzerrung beigetragen hätten. Unberücksichtigt blieb außerdem<br />
aufgrund der speziellen Situation die vierte Gruppe in Dresden. Schwierigkeiten der Erfassung<br />
und Auswertung ergaben sich aus fehlenden schriftlichen Vereinbarungen und der Tatsache,<br />
dass in der 3. Gruppe in Riesa nicht für alle Kinder eine Evaluation möglich war. Die vor-<br />
51
EVALUATIONSBERICHT<br />
liegende Statistik ist nicht über zu bewerten und lässt kaum Aussagen über die Qualität der Arbeit<br />
in den Standorten zu. Sie dient zur Orientierung für eine Leistungsbeschreibung und Finanzierung<br />
einer solchen Maßnahme.<br />
Tabelle 5.8. Methodenstatistik.<br />
Angebotscharakteristik Einzelarbeit mit<br />
Gruppenarbeit<br />
Anzahl/Spanne der Arbeitseinheiten<br />
für Einzelarbeit<br />
52<br />
Auerbach Dresden Riesa Gesamt<br />
Gruppenarbeit mit Einzelfallarbeit<br />
Gruppenarbeit<br />
mit Einzelarbeit,<br />
Einzelfallarbeit<br />
Kombination<br />
25 -57 4-10 4-12 4-57<br />
Anzahl der Gruppen 1 4 3 8<br />
Gruppen Nr. 1 2 3 4 1 2 3<br />
Anzahl der Arbeitseinheiten<br />
(je 2h) einer Gruppe<br />
- 29 27 24 9 21 24 24 9-29<br />
mittlere Beteiligung/ Anwe- Erhöhung durch 83 85 85 - 73 89 84 73-89<br />
senheit in Prozent<br />
Gruppenarbeit<br />
Anzahl Kinder in der EA / 14<br />
4 6 6 4 4 5 4<br />
33<br />
GA (davon abgebrochen)<br />
(3) (0) (1) (2) (2) (0) (1) (0) (9)<br />
Anzahl der Gruppenfahrten 2 4 4 9<br />
Spanne der Betreuungszeit<br />
in Monaten<br />
mittlere Dauer der Hilfe<br />
in Monaten<br />
Anzahl der persönlichen<br />
Elternkontakte<br />
mittlere Anzahl der persönlichen<br />
Elternkontakte<br />
4 - 10<br />
5x eine Verlängerung<br />
3x zwei Verlängerungen<br />
5-8 6-10 4-10<br />
7-8 6-7 7-8 7<br />
7-26 5-14 5-12 5-26<br />
12 10 7 10<br />
In der Tabelle ist der deutlich höhere Anteil der Einzelfallarbeit in Auerbach erkennbar. Das<br />
Spektrum reicht von 25 bis 57 Arbeitseinheiten im Einzelfall. Kinder waren durchschnittlich sieben<br />
bis acht Monate in Betreuung. Die Basisvereinbarungszeit von drei Monaten reichte in der<br />
Regel nicht aus. Verlängerungen waren möglich und kamen bei acht Kindern zur Anwendung.<br />
Jede Verlängerung für zunächst weitere drei Monate wurde erneut vereinbart. In drei Fällen<br />
wurde sogar ein zweites Mal verlängert, so dass sich die Betreuungszeit auf neun bzw. zehn<br />
Monate ausweitete. Die Dauer der Hilfe konnte sich in Auerbach individueller als in den anderen<br />
Standorten am Bedarf des Einzelfalls orientieren. Mit vier Kindern parallel in der Einzelbetreuung<br />
waren die Kapazitäten einer Personalstelle in Auerbach ausgeschöpft.<br />
In Dresden und Riesa vollzog sich eine begleitende Einzelfallhilfe in einem weitaus geringeren<br />
Umfang. Bis zu zwölf Arbeitseinheiten wurden dort im Einzelfall aufgebracht. Über den gesamten<br />
Projektzeitraum wurden in Dresden vier Gruppen mit insgesamt 20 Kindern und in Riesa<br />
drei Gruppen mit insgesamt 13 Kindern durchgeführt. Die Übersicht bringt zum Ausdruck, dass<br />
in Dresden die Abbruchrate am höchsten ausfiel. Allerdings blieb aufgrund fehlender Vereinbarungen<br />
in Riesa die Verbindlichkeit einzelner pädagogischen Beziehungen unklar. Mit Ausnahme<br />
der vierten Gruppe in Dresden lag die Anzahl der Trainingseinheiten einer Gruppe in beiden<br />
Standorten zwischen 21 und 29. Die Teilnahme der Kinder am Projekt dauerte in Dresden<br />
durchschnittlich sechs bis sieben Monate, in Riesa war sie in etwa vergleichbar mit Auerbach.<br />
Im Gegensatz zur Einzelfallhilfe ist der zeitliche Rahmen für Gruppenarbeit sehr viel klarer festlegbar.<br />
Festgeschriebene Verlängerungen der Betreuung gab es nicht.<br />
Die mittlere Beteiligung erfasst die durchschnittliche Anwesenheit der Kinder an geplanten Arbeitseinheiten<br />
und bringt deren Teilnahmebereitschaft zum Ausdruck. Für die Einzelfallhilfe in<br />
Auerbach war eine Auswertung schwierig. Nach Aussagen der Mitarbeiterin erhöhte sich aber
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
die Bereitschaft zur Teilnahme an <strong>ESCAPE</strong> mit der Einführung der offenen Gruppenarbeit im<br />
August 2002 deutlich. Sie stellte demnach eine zusätzliche Motivation für die Kinder dar. In<br />
Dresden lag die durchschnittliche Beteiligung an der Gruppenarbeit immer über 80%. Während<br />
in Riesa die durchschnittliche Beteiligung des ersten Kurses weiter unter 80% lag, vollzog sich<br />
in den beiden weiteren Kursen ein deutlicher Anstieg auf über 80%.<br />
Die Erfassung der persönlichen Elternkontakte bezog sich auf inhaltliche Gespräche, gemeinsame<br />
Aktivitäten etc., die über Terminabsprachen hinausgingen. Die Auswertung der Erhebung<br />
bedarf der Berücksichtigung des Interpretationsspielraums der Mitarbeiter. Durchschnittlich gab<br />
es in Auerbach zwölf, in Dresden zehn und in Riesa sieben persönliche Elternkontakte pro Kind.<br />
Darin kommt zum Ausdruck, dass die Elternarbeit im Standort mit dem konzeptionellen<br />
Schwerpunkt der Einzelfallhilfe gegenüber der Gruppenarbeit in Dresden und Riesa intensiver<br />
war.<br />
5.5.4 Einzelfallarbeit und soziale Gruppenarbeit<br />
Bevor auf einzelne Erfahrungen mit den beiden Handlungsmethoden näher eingegangen wird,<br />
soll zunächst auf theoretische Aspekte Bezug genommen werden.<br />
(A) Einzelfallarbeit: Die Geschichte der professionellen Einzelfallarbeit verbindet sich mit der<br />
Geschichte der Entstehung der Sozialen Arbeit sowie mit den Namen Mary Richmond (1861-<br />
1928) und Alice Salomon (1872-1948). Heute werden zahlreiche Begriffe wie Casework, Einzelfallfallhilfe,<br />
Soziale Einzelarbeit, lebensweltorientierte Individualhilfe, Fallarbeit etc. synonym<br />
verwendet (Pantucek, 1998). Die Ausdifferenzierung und Pluralisierung der Lebenswelten machen<br />
in der Sozialpädagogik eine individuelle Sicht der „Person in der Situation“ erforderlich<br />
(ebd.). Die lebensweltorientierte Einzelfallhilfe beruht dabei nicht auf dem Verständnis, dass<br />
Probleme des Individuums nur im Individuum selbst begründet liegen, sondern sie versucht<br />
vielmehr die individuelle Situation der Person in ihren komplexen Lebenszusammenhängen<br />
ernst zu nehmen, darauf flexibel zu reagieren und die Hilfe situationsadäquat und ressourcenorientiert<br />
zu gestalten. Auf zwei verschiedene praktizierte Ansätze der Einzelfallhilfe soll hier<br />
Bezug genommen werden.<br />
(1) Das KJHG nimmt im § 35 explizit auf die Handlungsmethode Einzelfallhilfe Bezug. Die Intensive<br />
Sozialpädagogische Einzelfallhilfe (ISE) nach § 35 KJHG gilt als eines der intensivsten<br />
Angebote im Rahmen der Hilfen zur Erziehung und erfordert einen Hilfeplan. Die ISE soll Jugendlichen<br />
gewährt werden, die einer intensiven Unterstützung zur sozialen Integration und zu<br />
einer eigenverantwortlichen Lebensführung bedürfen (ebd.). Die Besonderheit dieser Hilfe liegt<br />
in der Intensität der Betreuung auf der Grundlage einer pädagogisch gewachsenen Beziehung.<br />
Die ISE ist gekennzeichnet durch eine Offenheit der Betreuungsform, die sich flexibel und mobil<br />
auf den Adressaten einlässt. Die Hilfe ist in der Regel auf längere Zeit angelegt (ca. zwei Jahre)<br />
und umfasst häufig einen Umfang von ca. 20 Stunden pro Woche. Die Umsetzung der ISE erlaubt<br />
eine große Formenvielfalt. Da diese Maßnahme aufgrund der Intensität sehr teuer ist, findet<br />
sie in der Jugendhilfepraxis mit dem missverständlichen Hilfestatus einer „ultima ratio” in<br />
<strong>Sachsen</strong> nur sehr selten Anwendung (vgl. SMS, 2003, S.192).<br />
(2) Die Ambulante Intensive Betreuung (AIB) ist hingegen eine neue Form der Einzelbetreuung,<br />
die sich als eine Hilfe zur Selbsthilfe versteht, bei der der Aufbau und die Reaktivierung eines<br />
sozialen Netzwerkes im Mittelpunkt der Begleitung steht (Möbius/Klawe 2003). Der Schwerpunkt<br />
liegt dabei nicht auf der direkten methodischen Einflussnahme des Kindes bzw. des Jugendlichen<br />
auf der Grundlage einer persönlichen Beziehung, sondern vielmehr soll das zu aktivierende<br />
Netzwerk zur Veränderung und Stabilität im Leben des jungen Menschen beitragen.<br />
Die Verlagerung vom Ansatz der pädagogischen Beziehung hin zur Orientierung auf das soziale<br />
Netzwerk wird als Paradigmenwechsel bezeichnet. AIB wurde in einer dreijährigen Projektphase<br />
vom Institut für Soziale Praxis (isp) an verschieden Standorten in Deutschland u. a. auch<br />
in Leipzig erprobt. Sie wird mit den Merkmalen beschrieben: kurzfristig, intensiv, ziel-, ressourcenorientiert<br />
und flexibel. Als Zielgruppe der AIB werden bisher in der Regel 14- bis 21-jährige<br />
53
EVALUATIONSBERICHT<br />
genannt, die mit unterschiedlichsten Problemlagen und Krisensituationen konfrontiert sind. Das<br />
zu schaffende soziale Netzwerk wird unterteilt in ein so genanntes individuelles Netzwerk, das<br />
aus <strong>Familie</strong>nmitgliedern, Freunden, Bekannten, Nachbarn etc. besteht und in ein institutionelles<br />
Netzwerk, das sich aus professionellen Helfern der Bereiche Schule, Arbeit, Sozialamt, Wohnen,<br />
Ausbildung, Freizeit, Justiz, Polizei etc. zusammensetzt. AIB erfordert einen Hilfeplan und<br />
lässt sich in Kontakt-, Intensiv- und Kontrollphase einteilen. In der Kontaktphase ist eine "detaillierte<br />
Problembeschreibung" erste Voraussetzung, auf der die zu bewältigenden Schritte zur<br />
Problemlösung im weiteren Hilfeverlauf basieren. Im Bedarfsfall werden innerhalb von ca. zwei<br />
Wochen zunächst akute Notlagen beseitigt. Die Intensivphase umfasst einen Zeitraum von genau<br />
zwölf Wochen, in der gemeinsam durch das Kind und den verantwortlichen Sozialpädagogen<br />
so genannte "VIPs" aus privaten und professionellen Bereichen gefunden werden sollen,<br />
die dem jungen Menschen in Zukunft Halt und Sicherheit geben können. Dafür werden je nach<br />
Bedarf im Durchschnitt pro Jugendlichen zehn Stunden in der Woche aufgebracht. In AIB werden<br />
Zielvereinbarungen abgeschlossen, die den Begleitungsprozess strukturieren. Während<br />
dieser Zeit wird für akute Krisensituationen eine 24-stündige Erreichbarkeit des Sozialarbeiters<br />
gewährleistet. Am Ende der dreimonatigen Intensivphase soll ein wirksames individuelles Unterstützungskonzept<br />
gefunden sein. In der Kontrollphase werden nach zwei, sechs und 18 Monaten<br />
die ehemals begleiteten Jugendlichen nochmals kontaktiert, um die gegenwärtigen Lebensumstände<br />
zu prüfen und notfalls erneut kurzfristig tätig zu werden. Die Hilfe wird in Leipzig<br />
über eine einzelfallbezogene Maßnahmenpauschale mit einem Gesamtstundenumfang von 164<br />
h gewährt und erfolgt in Anlehnung an § 30 KJHG (Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer) in<br />
möglicher Kombination mit § 41 (Hilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung).<br />
Die beiden vorgestellten Ansätze verweisen auf die unterschiedlichen sozialpädagogischen Zugänge<br />
und möglichen methodischen Schwerpunkte der Einzelfallhilfe. Dennoch kann von einer<br />
alternativen Bandbreite einzelfallorientierter Hilfen in der Praxis der Jugendhilfe nicht die Rede<br />
sein. Dafür ist die eine Hilfe zu kostenintensiv und die andere Hilfe noch zu wenig in der Praxis<br />
bewährt. <strong>ESCAPE</strong> reiht sich mit eigener Akzentuierung in die Angebote der Einzelfallhilfe ein<br />
und bietet eine weitere Alternative. Die Einzelfallhilfe im Standort Auerbach versteht sich als eine<br />
kurzfristige und zeitlich befristet Hilfe auf der Basis einer persönlichen Beziehung zwischen<br />
Kind und Pädagogen. Die Hilfe kann im Vorfeld eines aufwendigen Hilfeplanverfahrens möglich<br />
werden. Mit der begleitenden Eltern- bzw. <strong>Familie</strong>narbeit verbindet sich der Anspruch, die Ressourcen<br />
im sozialen Netzwerk zu stärken.<br />
(B) Soziale Gruppenarbeit: In Deutschland kann die Jugendbewegung, als romantisierende Reaktion<br />
auf die unromantischen Bedingungen der industrialisierten Arbeits- und Lebensrealitäten,<br />
als wichtiger historischer Ausgangspunkt für die Gruppenpädagogik angesehen werden (Geißler/Hege<br />
1992). Die Entwicklung der Gruppenpädagogik beruht auf Erkenntnissen der Kleingruppenforschung,<br />
die sich insbesondere mit dem Namen Kurt Lewin (1890-1947) verbinden.<br />
Darin kommt die sozialisierende Funktion und Bedeutung der Gruppe zum Ausdruck, die man<br />
sich in der Gruppenpädagogik für Lern- und Erziehungsprozesse nutzbar macht. Insbesondere<br />
Ende der 60er Jahre konnte sich in Deutschland die soziale Gruppenarbeit in der Sozialen Arbeit<br />
als eigenständige Methode durchsetzen. Die Gruppe wird in Abgrenzung zur Einzelfallhilfe<br />
gezielt als Medium für gruppendynamische Prozesse und vielfältige Interaktionsmöglichkeiten<br />
genutzt.<br />
Soziale Gruppenarbeit steht als Oberbegriff für Angebote einer Pädagogischen Beratung und<br />
Betreuung. In der Jugendhilfepraxis kommen verschiedene gruppenpädagogische Konzepte<br />
zum Einsatz. Dabei lassen sich zwei grundsätzliche Organisationsformen der Gruppenarbeit<br />
unterscheiden: (1) die kursbezogene Gruppenform, die zeitlich befristet ist, eine feste Struktur<br />
aufweist, in der Regel Themen bearbeitet und klare Zielvorstellungen formuliert. Die Aufnahme<br />
erfolgt bei allen Teilnehmern gleichzeitig, ebenso beenden alle den Kurs gleichzeitig (vgl. Münder<br />
1998). Sie ermöglicht einen geschützten Rahmen und eine vertrauensvolle Atmosphäre. Im<br />
54
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Gegensatz dazu sind (2) offene, fortlaufende Gruppenformen längerfristig angelegt. Sie ermöglichen<br />
durch die offene Struktur ein ständiges „Kommen und Gehen“ und damit wechselnde<br />
Teilnehmer. Die Aufnahmen können zu jedem Zeitpunkt erfolgen.<br />
Das KJHG nimmt im Rahmen der Hilfen zur Erziehung im § 29 explizit auf die soziale Gruppenarbeit<br />
Bezug. Die Teilnahme an sozialer Gruppenarbeit kann bei der Überwindung von Entwicklungsschwierigkeiten<br />
und Verhaltensproblemen helfen. Für die Anwendungspraxis empfiehlt der<br />
Gesetzgeber ältere Kinder und Jugendliche. Eine Form der sozialen Gruppenarbeit ist der Soziale<br />
Trainingskurs für straffällige Jugendliche und Heranwachsende, der sich als ambulante<br />
Maßnahme zur Vermeidung stationärer Sanktionen bewährt hat und in der Jugendgerichtshilfepraxis<br />
verstärkt zur Anwendung kommt. Die rechtlichen Grundlagen ergeben sich aus dem § 29<br />
KJHG und dem § 10 Jugendgerichtsgesetz (JGG). Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal<br />
der Sozialen Gruppenarbeit nach § 29 KJHG gegenüber dem Sozialen Trainingskurs nach § 10<br />
JGG ist das Prinzip Freiwilligkeit. Richterliche Weisungen, die zur Teilnahme am Trainingskurs<br />
verpflichten, setzen nicht unbedingt die Motivation eines Jugendlichen an einem Trainingskurs<br />
voraus. Im Umgang mit delinquenten Kindern lassen sich im Rahmen der Sozialen Gruppenarbeit<br />
bewährte Elemente und Erfahrungen aus den Sozialen Trainingskursen wie z.B. Provokationstraining/Anti-Aggressionskurs,<br />
Erlebnispädagogik etc. übertragen, wenn sie in kindgerechter<br />
Form aufbereitet werden. Die Anwendungspraxis der Sozialen Gruppenarbeit nach § 29 KJHG<br />
ist in <strong>Sachsen</strong> sehr gering und als Methode daher unterentwickelt (Zweiter Sächsischer Jugendbericht).<br />
Ein Hilfeplan wäre dazu eigentlich nicht unbedingt erforderlich. Im DVJJ-Journal<br />
2/2001 (Nr.172, 141-150) veröffentlichte Hennig Fischer eine Leistungs- und Qualitätsentwicklungsbeschreibung<br />
für soziale Gruppenarbeit und Soziale Trainingskurse. Erfahrungen sozialer<br />
Gruppenarbeit mit delinquenten strafunmündigen Kindern gibt es bisher nur sehr wenige (Seybold<br />
1996: Sozialer Trainingskurs für Kinder, Welz-Stadelbauer/Schäfer: GRUPPE e.V., soziale<br />
Gruppenarbeit für strafunmündige Kinder). Vor diesem Hintergrund griffen die Standorte Dresden<br />
und Riesa schwerpunktmäßig das Konzept der sozialen Gruppenarbeit auf und erprobten<br />
eine entsprechende Anwendung für diese Zielgruppe. Beide Standorte arbeiteten in der Organisationsform<br />
einer festen Gruppe. In Dresden orientierte sich die Gruppenarbeit am Gruppenphasenmodel<br />
von Bernstein und Lowy (1975) und in Riesa gestaltet sich die Gruppenphase in<br />
Anlehnung an Gudjons „Interaktionsbeziehungen“ (1995).<br />
(C) Erfahrungen aus Einzelfallarbeit und Gruppenarbeit:<br />
� Die Erfahrungen der dreijährigen Modellzeit belegen, dass es weder die Methode Einzelfallhilfe<br />
noch die Methode soziale Gruppenarbeit gibt. Vielmehr handelt es sich dabei um sehr<br />
verschiedene Methoden, Verfahren und Techniken, die die Sozialpädagogen auf der Grundlage<br />
ihrer Erfahrungen, Fähigkeiten und Möglichkeiten mehr oder weniger lebendig und kreativ<br />
zum Einsatz bringen. Dabei geht es nicht um den Einsatz und die Abarbeitung möglichst<br />
vieler Methoden und Übungen, sondern um ein systematisches und zielorientiertes<br />
Vorgehen. Die konzeptionelle Umsetzung realisierte sich in den Standorten mit unterschiedlicher<br />
Qualität.<br />
� Zunächst kann allgemein festgestellt werden, dass sich sowohl Einzelfallarbeit als auch soziale<br />
Gruppenarbeit als wirksame Hilfeform für delinquente Kinder eignet. Keine der beiden<br />
erprobten Handlungsmethoden ist bei Kindern generell der anderen vorzuziehen. Die Methodenwahl<br />
sollte sich an den individuellen Bedingungen und Voraussetzungen orientieren.<br />
Während sich in der Gruppenarbeit soziale Lernprozesse unter Gleichaltrigen effizient auswirken,<br />
kann über die Einzelfallhilfe eine sehr viel individuellere Bezugnahme auf die Bedürfnisse<br />
des Kindes erfolgen und auf aktuelle Probleme reagiert werden.<br />
� Die Erfahrungen der Mitarbeiter lassen Tendenzen einer besseren Eignung einer Methode<br />
hinsichtlich des Alters und des Geschlechts erkennen. Alter: Während die „Jüngeren“ dieser<br />
Altersgruppe (8-12 Jahre) sich leichter für Einzelfallarbeit motivieren lassen, bevorzugen die<br />
55
EVALUATIONSBERICHT<br />
„Älteren“ (ca. 11-14Jahre) eher Gruppenarbeit und drängen darauf, mit Gleichaltrigen zusammen<br />
zu sein. Darin bestätigt sich die Empfehlung des KJHG, bei Gruppenarbeit mit älteren<br />
Kindern zu arbeiten. Allerdings konnten auch erhebliche Entwicklungsunterschiede in<br />
der Altersgruppe der 8-14jährigen festgestellt werden, die bei falscher Zusammenstellung<br />
der Gruppe sehr schnell auch zur Überforderung bzw. Unterforderung beigetragen haben.<br />
Geschlecht: Die Gruppenarbeit war insbesondere für die Jungen ein hoher Motivationsfaktor.<br />
Hingegen genossen die Mädchen eher die Zeit der ungeteilten Zuwendung der MitarbeiterInnen<br />
in der Einzelsituation.<br />
� Für die Gruppenarbeit bestätigte sich, dass es am besten ist, wenn zwei Sozialpädagogen<br />
beiderlei Geschlechts mitarbeiten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des überdurchschnittlich<br />
hohen Anteils an Eineltern-<strong>Familie</strong>n. Durch die Anwesenheit eines männlichen<br />
und eines weiblichen Mitarbeiters ist eine geschlechtsspezifische Arbeit möglich, und<br />
die Kinder können somit den Umgang von Erwachsenen beiderlei Geschlechts erleben. Bestehende<br />
Einstellungen über das Verhalten von Mann und Frau können dadurch neu überdacht<br />
werden. Das Bezugspersonenprinzip der beiden weiblichen Mitarbeiter in Riesa zur<br />
Erhöhung der Beziehungsintensität kann eine geschlechtsbezogene Ausgewogenheit nicht<br />
ausgleichen.<br />
� In <strong>ESCAPE</strong> wurde sowohl mit reinen Jungengruppen, mit gemischten Gruppen als auch mit<br />
einer reinen Mädchengruppe gearbeitet. So wie jede Gruppe eine ganz eigene Dynamik und<br />
Atmosphäre entwickelt, so unterscheiden sich bei unterschiedlicher Geschlechterzusammensetzung<br />
auch die Themen.<br />
� Die Basis für das Erreichen der pädagogischen Ziele von <strong>ESCAPE</strong> ist der Aufbau einer Beziehungsebene,<br />
die von Vertrauen, Echtheit und Offenheit geprägt ist und somit zu einer<br />
(lern)förderlichen Atmosphäre beiträgt. Ein Mitarbeiter umschrieb die Bedeutung mit den<br />
Worten „Die Beziehung ist mehr als das Angebot“.<br />
� Eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende Beziehungsarbeit ist eine vom Kind getragene<br />
Entscheidung zur Teilnahme an <strong>ESCAPE</strong>. Der eigene Entschluss gibt dem Kind von<br />
Beginn an das Gefühl, ernst genommen zu werden und am Geschehen partizipieren zu dürfen.<br />
Um einem noch unschlüssigen oder auch ablehnenden Kind einen Eindruck zu vermitteln<br />
von dem, was bei <strong>ESCAPE</strong> zu erwarten ist, hat sich wie in Auerbach die Möglichkeit einer<br />
Probezeit von ca. zwei Wochen bewährt. Der Prozess der Entscheidungsfindung des<br />
Kindes kann somit pädagogisch genutzt bzw. unterstützt werden und hilft, Ängste zu überwinden.<br />
„Also entschieden haben, hab eigentlich ich, weil - wenn ich nicht wollte, dass ich hier<br />
her will, wär ich auch nicht hier her gekommen. Aber ich hab mal gesagt, das wird bestimmt<br />
ganz lustig, mal hier her gehen und gucken. Kann ja immer noch dann mal<br />
raus gehen. Und so bin ich hierher gekommen und es hat mir gefallen. Deswegen bin<br />
ich drinnen geblieben.“ (Interview mit einem Kind)<br />
� Die Erfahrungen der Projektmitarbeiter haben gezeigt, dass die Kontakt- und Motivationsphase<br />
zu den Eltern und den Kindern im Vorfeld der Einbindung in das Projekt sehr zeitintensiv<br />
ist. Es bestehen mindestens zwei Chancen, die vermittelte Klientel für das <strong>ESCAPE</strong>-<br />
Angebot zu erreichen: einerseits können über das zur Teilnahme bereite Kind im Verlauf der<br />
Hilfe zunächst abweisende Eltern aufgeschlossen werden, anderseits kann über die<br />
Bereitschaft der Eltern die Motivation des Kindes erarbeitet werden. Dort wo die Eltern gegenüber<br />
der Hilfe eine positive Grundhaltung einnahmen, beteiligten sich die Kinder auch<br />
sehr viel regelmäßiger am Training. Eine Vereinbarung, in der sich die Kinder zur Teilnahme<br />
und die Eltern zur Mitarbeit verpflichten, erhöht den Grad der Verbindlichkeit und gibt dem<br />
Handeln einen zeitlichen und inhaltlichen Rahmen. Mit der schriftlichen Vereinbarung erfolgte<br />
der Übergang in die Intensivphase.<br />
� Die Motivation des Kindes ist eine grundlegende Voraussetzung für den Hilfeprozess. Im<br />
Gegensatz zur Gruppenarbeit konnte in der Einzelfallarbeit beobachtet werden, dass die<br />
56
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Motivation der Kinder im Verlauf der Hilfe zunehmend abnimmt. Dies erfordert einen erhöhten<br />
Motivationsaufwand. Es empfiehlt sich daher eine Kombination aus Einzelfallarbeit und<br />
Gruppenarbeit. Ohne die Schwerpunktsetzung aufzugeben, können durch den kombinierten<br />
Einsatz beider Methoden die Vorteile des jeweiligen Ansatzes genutzt und die Nachteile minimiert<br />
werden. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen ergänzt in Auerbach die soziale<br />
Gruppenarbeit das Konzept der Einzelfallhilfe. Seit August 2002 wird soziale Gruppenarbeit<br />
mit einem fortlaufenden Charakter einmal wöchentlich zusätzlich angeboten. Die<br />
Teilnahmebereitschaft und Motivation der Kinder im Projekt stieg dadurch spürbar an.<br />
� So wie in Auerbach die Gruppenarbeit zunehmend ins Konzept integriert wurde, so weitete<br />
sich umgekehrt die Gruppenarbeit in Riesa auf die intensivere Einzelfallhilfe aus. Zwar waren<br />
in Dresden und Riesa Anteile von Einzelfallarbeit in geringem Umfang von Anfang an<br />
ergänzend enthalten, um auch den individuellen Erfordernissen Rechnung tragen zu können.<br />
Dies hatte aber nicht den Status einer eigenen Hilfeform. Diese Erweiterung war dem<br />
Nachteil einer kursbezogenen Gruppenarbeit geschuldet, dass eine Gruppe nur bei einer<br />
bestimmten Anzahl von Kindern und zu einem bestimmten Zeitpunkt möglichst mit allen<br />
gleichzeitig beginnen sollte. Dieser Aspekt verstärkt sich insbesondere in ländlich geprägten<br />
Regionen, wo weitere Anfahrtswege, verschiedene Schulorte und geringerer lokalisierbarer<br />
Bedarf die Zusammenstellung einer Gruppe erschweren. Um mit dem Angebot zeitnah reagieren<br />
zu können, und nicht nur auf den Beginn einer nächsten Gruppe vertrösten zu müssen,<br />
eignet sich der methodische Einsatz von Einzelfallarbeit.<br />
� Die Gruppenarbeit erfolgte im Projekt mit maximal sechs Kindern. Auch wenn diese Anzahl<br />
aus der Sicht der Mitarbeiter als optimal eingestuft wird, halten zwei Sozialpädagogen noch<br />
eine geringfügige Ausweitung für denkbar. Die Erfahrungen haben außerdem gezeigt, dass<br />
die Gruppen mit vier Kindern eigentlich für die gruppenpädagogische Arbeit zu klein waren.<br />
Dort wirkt sich bereits das Fehlen eines Kindes auf die gesamte Trainingsplanung und den<br />
Prozess aus.<br />
� Zur Motivation trug in Auerbach und Dresden der verhaltenstherapeutische Ansatz eines<br />
Belohnungssystems bei. Im Training gesammelte Belohnungspunkte können, nach dem Erreichen<br />
einer vorher bestimmten Punktzahl, durch die Kinder in Freizeitaktivitäten u. a. eingelöst<br />
werden. Dieser Ansatz hat sich im Projekt bei dieser Altersgruppe sehr bewährt. Die<br />
damit verbundene regelmäßige Auswertung diente nicht nur der Motivation und Durchsetzung<br />
vereinbarter Regeln, sondern auch einer Selbst- und Fremdreflexion sowie der Mitbestimmung<br />
und Mitgestaltung im Sinne selbstbestimmter Erlebniseffekte.<br />
� Der fachliche Anspruch von <strong>ESCAPE</strong> geht über die Angebote der Freizeitgestaltung hinaus.<br />
Je realitätsnäher die Inhalte und Übungen sind, umso leichter ist ein Transfer in den Alltag<br />
der Kinder. Weitestgehend war in den Standorten ein systematisches Vorgehen und eine<br />
inhaltliche Struktur deutlich erkennbar. Die methodische Umsetzung orientiert sich an einem<br />
zeitlichen Rahmen. Bewährt haben sich der wiederholte Einsatz von Übungen mit Variationen<br />
und erhöhtem Schwierigkeitsgrad. Es lassen sich in der Gruppenarbeit drei Entwicklungsstufen<br />
herausarbeiten (1) Kennen lernen/Vertrauensaufbau/Regeln, (2) Kooperation/Teamfähigkeit,<br />
(3) Auseinandersetzung/Konfrontation. Dort wo ständig neue Übungen,<br />
Spiele etc. eingesetzt wurden, ging zum Teil die Systematik verloren und blieb die Weiterentwicklung<br />
auf dem Niveau der zweiten Entwicklungsstufe stehen.<br />
� In keinem Standort stand das delinquente Verhalten im Vordergrund der Arbeit. Dennoch<br />
wurde es in unterschiedlicher Form thematisiert und bearbeitet. Die Einzelfallarbeit ermöglichte<br />
eine individuellere Auseinandersetzung mit dem Fehlverhalten. So fanden dort auch<br />
ganz gezielt und erfolgreich Wiedergutmachungsleistungen statt, die mit pädagogischer Begleitung<br />
eine Opferperspektive vermittelte und Gelegenheit zur verständigungsorientierten<br />
Konfliktschlichtung ermöglichte. Die Einzelfallhilfe ermöglicht mehr Zeit für den Einzelnen,<br />
und damit verbunden auch entsprechend breiteren Raum für individuelle Zuwendung und<br />
57
EVALUATIONSBERICHT<br />
Anerkennung. Während die Gruppenarbeit eher einen geschlossenen Rahmen bietet, kann<br />
die Einzelarbeit methodisch intensiver in das soziale Umfeld hineinwirken. In einem Standort<br />
kamen hingegen in der sozialen Gruppenarbeit Elemente aus Sozialen Trainingskursen und<br />
Anti-Aggressionstraining wie heißer Stuhl etc. in abgewandelter und kindgemäßer Weise<br />
zum Einsatz. Die Erfahrungen waren in verschiedenen Gruppen nicht in gleicher Weise positiv.<br />
Positive Erfahrungen gab es hingegen bei der Übertragung der Gruppenleitung auf die<br />
Kinder. Jedes Kind durfte dabei einmal das Training der Gruppe selber leiten und gestalten.<br />
� Die konzeptionelle Überlegung in Riesa, auch Freunde der Zielgruppe in <strong>ESCAPE</strong> einzubeziehen,<br />
um Stigmatisierungen vorzubeugen, blieb ohne Erfolg. Die Einführung des offenen<br />
Freizeitangebotes mit dem „Tag der offenen Tür“ rückte diesem Ansatz zwar ein wenig näher,<br />
allerdings wurden die anfänglichen gescheiterten Versuche zu schnell negativ verallgemeinert<br />
und dieses Ziel im Projektverlauf sehr früh aus dem Auge verloren.<br />
� Aus den Erfahrungsberichten aller Standorte leitet sich eine allgemein positive Bilanz der<br />
ergänzenden mehrtägigen erlebnispädagogischen Gruppenfahrten ab. Die Gemeinschaft ist<br />
in dieser Zeit sehr viel intensiver. Die Gruppenfahrten dienen, neben den gruppendynamischen<br />
Effekten auch dem Zwecke primärer Erlebnisse und der Konfrontation mit Grenzerfahrungen.<br />
Die Wirkung dieser erlebnispädagogischen Fahrten wird in Frage gestellt, wenn<br />
diese lediglich Klassenfahrtcharakter im Verständnis einer Aneinanderreihung von Events<br />
beinhalten wie Museum, Kino, Mc Donald´s etc. Auch wenn es Situationen gab, in denen<br />
die Ereignisse eskalierten, so konnten diese doch meist konstruktiv weiterverarbeitet werden.<br />
Von Bedeutung ist deshalb die zeitliche Einordnung im Gesamtprogramm. Die Fahrten<br />
sollten einerseits nicht zu früh angesetzt werden, da eine gewisse Vertrauensebene notwendig<br />
ist, andererseits auch nicht zu spät, damit die Dynamiken weiterverarbeitet und<br />
nutzbar gemacht werden können. Es empfiehlt sich, diese Maßnahme im zweiten Drittel zu<br />
platzieren.<br />
� Die konzeptionell angedachte Dauer der Hilfe von vier Monaten konnte in keinem Standort<br />
umgesetzt werden. Die Möglichkeit der Verlängerung der Einzelfallhilfe im Standort Auerbach<br />
hat sich bewährt. Realistischer erscheint als Orientierungsmaß eine Betreuungszeit<br />
von ca. sechs Monaten in Abhängigkeit vom Einzelfall oder auch unter Berücksichtigung<br />
von Ausfallzeiten in den Schulferien. Eine geläufige Faustregel besagt, dass erzieherische<br />
Hilfen über sechs Monate einen Hilfeplan nach § 36 KJHG erforderlich machen. <strong>ESCAPE</strong><br />
könnte somit mit einer Dauer von sechs Monaten einem Hilfeplan vorgelagert sein.<br />
5.5.5 Eltern- und <strong>Familie</strong>narbeit<br />
In der Jugendhilfe nahm Elternarbeit lange Zeit nur eine Randposition ein. Die Hilfe richtete sich<br />
ausschließlich auf das Kind bzw. den Jugendlichen. Das soziale Umfeld des Kindes fand dabei<br />
nur wenig Berücksichtigung. Erst im Rahmen der Methodendiskussion in den 60er Jahren und<br />
später dann mit dem neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz und den lebensweltorientierten Konzepten<br />
der Jugendhilfe zu Beginn der 90er Jahre gewann Elternarbeit immer mehr an Bedeutung.<br />
Die Intensivierung von Elternarbeit resultiert aus der Einsicht, dass Kinder und Jugendliche<br />
„im Kontext ihrer Lebenslage in ihrer sozialen Situation gesehen werden müssen, dass Hilfe<br />
oft nur in solchem Kontext effektiv sein kann“ (BMJFFG 1990, S. 79). Die sozialpädagogische<br />
Aufgabe in der Elternarbeit ist dementsprechend, „dass sie Müttern, Vätern und Kindern dabei<br />
hilft, tragfähige und befriedigende Beziehungen zu entwickeln, mit Krisensituationen fertig zu<br />
werden und ihre Innen- und Außenbeziehungen so zu gestalten, dass alle Mitglieder des <strong>Familie</strong>nsystems<br />
die Chance zur Selbstverwirklichung erhalten“ (Leube 1996, S. 159). Ziel ist somit<br />
die Handlungskompetenz der Eltern derart zu erweitern, dass sie fähig sind, Probleme und Aufgaben<br />
so weit wie möglich selbst zu lösen. Gerade wenn es um die Bewältigung von Delinquenz<br />
bei Kindern geht, ist vor allem die Interaktion in der <strong>Familie</strong> von Bedeutung (vgl. Rieker<br />
2001, S. 5). In einer Teiluntersuchung wurden dazu die Mitarbeiter in den Standorten und am<br />
58
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Projekt beteiligte Eltern befragt sowie Protokolle ausgewertet. Die Ergebnisse lassen sich wie<br />
folgt zusammenfassen.<br />
� Elternarbeit ist ein gesetzlich fixierter und methodisch unverzichtbarer Bestandteil. Sie stellt<br />
eine wichtige Voraussetzung für die Nachhaltigkeit der Hilfe dar und erfordert viel Zeit. Die<br />
Einbeziehung der Eltern besaß in allen Standorten eine hohe Relevanz. Dennoch waren die<br />
konzeptionellen Überlegungen in Bezug auf die Elternarbeit nur wenig konkret. Aufgrund der<br />
strukturellen Anfangsschwierigkeiten begann eine Intensivierung der Elternarbeit erst im<br />
zweiten Projektjahr.<br />
� Die Reaktionen der Eltern auf das delinquente Verhalten ihrer Kinder sind häufig straforientiert<br />
(Fernsehverbot, Stubenarrest) und lassen fehlende erzieherische Kompetenzen erkennen.<br />
Ziele der Elternarbeit sind daher die Erarbeitung von Bewältigungs- und Handlungsstrategien<br />
und die Überwindung von Hilflosigkeit, um von Seiten der Eltern angemessener<br />
auf das abweichende Verhalten ihrer Kinder reagieren zu können.<br />
� Das Interesse der Eltern besteht vor allem in einer schnellen Symptombeseitigung, d.h. der<br />
Vermeidung von erneutem straftatverdächtigem Verhalten. Ihre Erwartungen beziehen sich<br />
somit in erster Linie auf das Kind und sie zeigen kaum ein Interesse an einer weitergehenden<br />
Hilfestellung für sich selbst. Die Pädagogen dagegen sind um eine grundlegende Intervention<br />
bemüht.<br />
� Bei den Eltern zeigt sich häufig ein fehlender Problembezug und die Fähigkeit Zusammenhänge<br />
zwischen familialer Situation und dem abweichenden Verhalten des Kindes zu erkennen.<br />
Eine zentrale Aufgabe in der Elternarbeit besteht deshalb darin, eine Problemeinsicht<br />
bei diesen Eltern zu entwickeln sowie das Bewusstsein für bestehende Zusammenhänge<br />
zu fördern.<br />
� Aufgrund der schwierigen Erreichbarkeit und mangelnden Kooperation einiger Eltern ließ<br />
sich die Elternarbeit in den Standorten nur schwer systematisch durchführen. Manche Eltern<br />
entzogen sich der Hilfe permanent, zu anderen gelang der Kontakt nur über Gehstrukturen.<br />
So war der Hausbesuch mitunter die einzige Möglichkeit, manche <strong>Familie</strong>n zu erreichen.<br />
� Die Elternarbeit zeigte bei einem auf wenige Monate befristeten Training seine Grenzen im<br />
Hinblick auf den Beziehungsaufbau. Erfahrungen haben gezeigt, dass die Motivation der Eltern<br />
im Hilfeverlauf tendenziell zunimmt. Eltern die anfangs das Projekt ablehnten, suchen<br />
im Projektverlauf zunehmend das Gespräch und die Beratung. Überwiegend waren es die<br />
Mütter, die im Kontakt mit den <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeitern standen.<br />
� Bei den Eltern lassen sich hinsichtlich der Bereitschaft zur Zusammenarbeit tendenziell drei<br />
Gruppen unterscheiden, die mit hoher, mittlerer und geringer Motivation beschrieben werden<br />
können. Die Bereitwilligkeit zur Kooperation steht im Zusammenhang damit, welche<br />
Rolle das Hilfeangebot für die Eltern spielt und welche Erwartungen die Eltern an das Projekt<br />
haben. Das Projekt wird von den Eltern vielfach als gute Freizeitmöglichkeit betrachtet,<br />
was für die Eltern gleichzeitig die größte Unterstützung darstellt. Von Seiten der Eltern wird<br />
das delinquente Verhalten der Kinder auch auf fehlende und unangemessene Freizeitangebote<br />
zurückgeführt. Bei Eltern, die das Projekt als reine Freizeitbeschäftigung betrachten,<br />
besteht keine wirkliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Diese Eltern entziehen sich vielmehr<br />
der Verantwortung für die Problemlösung und delegieren die Verantwortung an das<br />
Projekt. Höhere Motivation ist hingegen bei den Eltern erkennbar, die das Projekt als Anstoß<br />
sehen, Hilfe anzunehmen. Diese Eltern sehen die Bedeutung des Projektes neben der Beschäftigung<br />
des Kindes hauptsächlich in der konkreten Einflussnahme auf das Kind (Verhaltensänderung)<br />
sowie vereinzelt in einer Hilfestellung für die <strong>Familie</strong>.<br />
� Wichtige Bestandteile der Elternarbeit sind sowohl Hausbesuche als auch im Projekt stattfindende<br />
Gespräche. Hausbesuche lassen oft eine ungezwungene Atmosphäre entstehen,<br />
die sich insgesamt positiv auf die Zusammenarbeit mit den Eltern auswirkt. Zum anderen<br />
zeigt sich, dass das Kennenlernen der Projektarbeit in den Räumlichkeiten eine intensivere<br />
59
EVALUATIONSBERICHT<br />
Auseinandersetzung mit der Thematik bei den Eltern ermöglicht, da beim Hausbesuch häufig<br />
Störfaktoren auftreten können.<br />
� Eine besondere Bedeutung in der informellen Elternarbeit kommt den „Tür- und Angel-<br />
Gesprächen“ zu, da sie den Vertrauensaufbau zwischen Eltern und Pädagogen fördern, einen<br />
regelmäßigen Austausch gewährleisten sowie die Gelegenheit bieten, Eltern mit ihrem<br />
Kind unbefangen zu erleben.<br />
� Inhalte der Elterngespräche sind vor allem das Erleben der Kinder bei <strong>ESCAPE</strong> (Entwicklungen<br />
der Kinder während der Gruppenarbeit), Entwicklungsprozesse zu Hause sowie teilweise<br />
Erziehungsberatung, Paarberatung und Problembearbeitung der Eltern.<br />
� Eine positive Resonanz fand im Standort Dresden die Einführung einer wöchentlichen Elternsprechstunde<br />
zur Beratung sowie eines monatlichen Elterntreffs. Der Elterntreff diente<br />
dabei vor allem als Freizeitangebot und zum gegenseitigen Austausch zwischen den Eltern.<br />
Beide Angebote stellten eine wirksame niedrigschwellige Ergänzung dar. Die geplante Elterngruppe,<br />
die parallel zur Kindergruppe einmal wöchentlich stattfinden sollte, kam nicht<br />
zustande.<br />
� <strong>Familie</strong>narbeit geht über Elternarbeit hinaus und bezieht alle <strong>Familie</strong>nmitglieder bzw. Personen<br />
im Nahraum des Kindes mit ein. Der Einsatz einer Netzwerkkarte eignete sich am Beginn<br />
der Maßnahme gut, um mit dem Kind über die <strong>Familie</strong> und das soziale Netzwerk ins<br />
Gespräch zu kommen, um dann auch Personen zu finden, die im sozialen Nahraum für das<br />
Kind eine Ressource darstellen. Dennoch fand eine konkrete Einbeziehung der gesamten<br />
<strong>Familie</strong> in den Hilfeprozess kaum statt. Vereinzelt erfolgten gemeinsame Ausflüge oder<br />
Freizeitaktivitäten, an denen auch Geschwister teilnahmen. In den meisten Fällen jedoch<br />
beschränkte sich der Kontakt auf einen bzw. beide Elternteile. Die Kontakte mit Geschwistern<br />
waren eher spontaner und informeller Natur.<br />
� Gemeinsame Ausflüge vermittelten den Mitarbeitern einen direkten Einblick in den persönlichen<br />
Umgang der Eltern mit ihren Kindern und umgekehrt erlebten die Eltern den Umgang<br />
der Mitarbeiter mit ihren Kindern. Eine solche Konstellation ermöglicht ein effektives „Lernen<br />
am Modell“.<br />
� Elternarbeit hat ihre Grenze bei den <strong>Familie</strong>n, die aufgrund ihrer Problemlagen zum Teil einer<br />
therapeutischen Behandlung bedürfen. Die Aufgabe des Projekts wird daher darin gesehen,<br />
den Bedarf erkennbar zu machen und eine Vermittlung in andere Hilfeangebote zu<br />
gewährleisten.<br />
� Insgesamt gewann die Elternarbeit im Laufe der Projektzeit an Bedeutung und auch an Intensität.<br />
Die Elterngespräche liefen zielgerichteter ab. Zudem wurden die Eltern mehr und<br />
bewusster bei der Zielbestimmung wie auch bei Kontakten zur Schule, Sozialpädagogischen<br />
<strong>Familie</strong>nhilfe oder Fachärzten etc. mit einbezogen. Der Grad der Einbeziehung der<br />
Eltern ist entscheidend für die Wirksamkeit des Hilfeangebotes. Die Elternarbeit konnte in<br />
Ansätzen entwickelt werden, dennoch entsprach sie insgesamt nicht der hohen Relevanz,<br />
die ihr beigemessen wird. Die Mitarbeiter brachten in allen Standorten zum Ausdruck, dass<br />
die Möglichkeiten für die Elternarbeit im Rahmen von <strong>ESCAPE</strong> nur sehr begrenzt sind.<br />
Dennoch lassen sich noch erhebliche Ressourcen vermuten.<br />
5.5.6 Soziale Integration und Nachbetreuung<br />
Jede pädagogische Intervention ist eine Beziehung auf Zeit. In einem auf Selbsthilfe und Autonomie<br />
ausgerichteten Verständnis von Hilfe sollte sich der Pädagoge überflüssig machen. Ein<br />
auf persönliche Beziehungsarbeit ausgerichtetes Konzept erfordert daher einen geplanten Prozess<br />
der sozialen Integration und eine behutsame Ablösung. Damit verbindet sich die pädagogische<br />
Gratwanderung von Nähe und Distanz. Je intensiver eine Beziehung ist und je länger sie<br />
besteht, umso mehr Energie und Beachtung braucht der Prozess der Ablösung (vgl. Geißler<br />
1992). Die Klientel muss darauf vorbereitet und frühzeitig damit konfrontiert werden. Dazu be-<br />
60
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
darf es der Transparenz über die zeitliche Struktur der Maßnahme. Eine abrupte Beendigung<br />
kann Verlustängste erzeugen, zu Überforderungen führen und den Erfolg der Hilfe gefährden.<br />
Schwellensituationen von der Gegenwart in die Zukunft können durch Reflexion, Rituale und<br />
Zeremonien erleichtert werden. Die Betrachtung der gemeinsamen Zeit und das Aufzeigen von<br />
Perspektiven können dabei ganz hilfreich sein (ebd.). „Loslassen vs. Binden“ berührt aber<br />
zugleich auch das Thema Auslastungszahlen und finanzielle Interessen eines Trägers. Keinesfalls<br />
darf eine Entscheidung zur Verlängerung einer Maßnahme als Selbstzweck dienen. Die<br />
Phase „danach“ stellt in Konzeptionen oftmals eine Schwachstelle dar.<br />
� In allen Modellstandorten werden die Kinder aus dem Projekt verabschiedet. Der Abschluss<br />
von <strong>ESCAPE</strong> wird vorbereitet und der Übergang in Form von Nachbetreuung begleitet. Der<br />
Prozess zur sozialen Integration, Ablösung und Nachbetreuung gestaltete sich allerdings<br />
unterschiedlich intensiv. Dass es sich bei <strong>ESCAPE</strong> um ein kurzfristiges und zeitlich begrenztes<br />
Angebot handelt, muss allen Beteiligten von Beginn an mit der schriftlichen Vereinbarung<br />
und möglichst einem darin vorläufig festgelegten Zeitpunkt bewusst gemacht<br />
werden.<br />
� Der Ablöseprozess erfolgt schrittweise durch eine Verringerung der Intensität des Trainings<br />
die verbunden ist mit einer Vergrößerung der Abstände zwischen den Kurseinheiten und einer<br />
zunehmenden Freizeitorientierung. Zugleich vollzieht sich eine verstärkte individuelle Integrationsarbeit.<br />
Dazu bedarf es einerseits der Kenntnisse über die Interessen und Stärken<br />
der Kinder, andererseits der Kenntnisse über vorhandene Möglichkeiten und Angebote im<br />
Stadtgebiet. Auf diese Weise soll zugleich auch in den Sozialraum hineingewirkt und dieser<br />
entsprechend dem Bedarf der Kinder mitgestaltet werden. Im Dresdner Konzept lag darin<br />
explizit der Sozialraum- und Regionalbezug im Stadtteil Dresden-Prohlis begründet. Im<br />
Konzept in Auerbach war aus diesem Grund die regionale Erforschung der Lebenswelt vorgesehen.<br />
� In Dresden beginnt diese soziale Integration eigentlich bereits mit der ersten Kurseinheit.<br />
Eine Stadtralley führt die Kinder mit Aufgaben durch den Stadtteil. Bereits dabei lernen die<br />
Kinder verschiedene Einrichtungen und Freizeitangebote kennen. So kam es sogar vor,<br />
dass Kinder bereits dabei ein neues Hobby für sich entdeckten. Die Konsequenz war eine<br />
unregelmäßige Teilnahme an <strong>ESCAPE</strong> aufgrund dieser Hobbyaktivitäten. Auch wenn der<br />
Junge die Vereinbarung von <strong>ESCAPE</strong> nicht befolgte, kann das in diesem Beispiel positiv<br />
bewertet werden.<br />
� Die Außenorientierung der Integrationsphase kann sich gestalten in Form von Absprachen<br />
für Probetrainings in Sportvereinen, Hobbymannschaften etc. oder im begleiteten Ausprobieren<br />
verschiedener Freizeitaktiviten, -einrichtungen und –angebote, die eine gewisse Regelmäßigkeit<br />
ermöglichen und sozial-akzeptiertes Freizeitverhalten entwickeln helfen. Wenn<br />
erforderlich, wird auch in andere weiterführende Hilfemaßnahmen der Jugendhilfe vermittelt,<br />
ggf. unter Einbeziehung der ASD-Mitarbeiter des Jugendamtes.<br />
� Die Bedeutung der Abschiedsrituale wurde in allen Standorten entsprechend berücksichtigt<br />
und drückt sich sehr unterschiedlich aus. Es werden Abschlussfeiern und z.T. auch Abschlussfahrten<br />
durchgeführt, die mit den Kindern geplant und vorbereitet werden. In Dresden<br />
wurde eine zweitägige Abschlussfahrt für alle <strong>ESCAPE</strong>-Kinder durchgeführt, die während<br />
der Modellphase im Projekt waren.<br />
� In einem Abschlussgespräch i.d.R. gemeinsam mit dem Kind und den Eltern erfolgt eine Reflexion<br />
und subjektive Einschätzung der Hilfe und es werden Perspektiven für ein mögliches<br />
weiteres Vorgehen, zum Beispiel die Möglichkeit der Nachbetreuung, aufgezeigt. Diese Gespräche<br />
setzen einerseits den Schlusspunkt der Maßnahme, andererseits signalisieren sie,<br />
dass die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter weiterhin als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.<br />
� In Auerbach bewährte sich ein Abschlussbrief an die Kinder, der ihnen nochmals eine Wertschätzung<br />
vermitteln soll und die Erinnerungen an die Zeit im Projekt dokumentiert.<br />
61
EVALUATIONSBERICHT<br />
� Mit dem Angebot der Nachbetreuung bleiben die Sozialpädagogen den Kindern und Eltern<br />
als Ansprechpartner erhalten, und umgekehrt bekommen die Mitarbeiter Rückmeldungen<br />
über den Erfolg ihrer Arbeit. In Auerbach läuft auch die Nachbetreuung in Einzelbetreuung<br />
mit der ergänzenden Möglichkeit, einmal wöchentlich an einer Gruppe teilzunehmen. In<br />
Dresden erfolgt die Nachbetreuung 14tägig als gruppenübergreifendes Freizeitangebot, wofür<br />
eine Einverständniserklärung der Eltern benötigt wird. In Riesa geben im Rahmen der<br />
Nachbetreuung die „selbst organisierten Treffen“ die Möglichkeit die Räume und offenen<br />
Angebote von <strong>ESCAPE</strong> weiter zu nutzen und mit den Mitarbeitern im Gespräch zu bleiben.<br />
� Auch wenn das Angebot der Nachbetreuung in den Standorten unterschiedlich angenommen<br />
wurden, stellt sie im Gesamtkonzept einen bedeutenden Aspekt von <strong>ESCAPE</strong> dar. Insbesondere<br />
in Dresden gab es eine sehr positive Resonanz der Nachbetreuungsangebote.<br />
Das ging so weit, dass Kinder darüber auch in Erfahrung bringen, welche Kinder denn als<br />
nächstes von <strong>ESCAPE</strong> betreut werden.<br />
� <strong>ESCAPE</strong> übernimmt somit für die Kinder, die Hilfe benötigen, eine Vermittlungsfunktion in<br />
Freizeitangebote und Einrichtungen.<br />
� Oft wurde eine weiterführende Hilfe von den Mitarbeitern empfohlen. Keinesfalls darf es zu<br />
einem unvermittelten Weiterreichen des Kindes an die nächste Institution kommen, das eine<br />
bereits bestehende Vertrauensbeziehung zwischen dem Sozialarbeiter und dem Kind unterbricht.<br />
5.6 Wirksamkeit und Akzeptanz<br />
Bekanntlich ist der Erfolg einer pädagogischen Intervention schwer nachzuweisen. Die Bewertungsmaßstäbe<br />
werden je nach Zugang, Berufs- und Forschungsverständnis unterschiedlich<br />
angesetzt. Oberstes Ziel der Jugendhilfe ist die Förderung der Entwicklung des jungen Menschen<br />
und die Erziehung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit (§1 KJHG). Pädagogische<br />
Langzeiteffekte bedürfen einer kontinuierlichen Förderung und Zuwendung. So lassen sich<br />
nur bedingt durch kurzfristige Fremdhilfemaßnahmen tiefgreifende Veränderungen erzielen.<br />
Vielmehr muss es gelingen, Prozesse in Gang zu setzen, deren Erfolg sich nicht unmittelbar<br />
nach Abschluss der Maßnahme einstellt, sondern darüber hinaus reicht. Dennoch kann sich die<br />
Pädagogik einer Qualitätsdiskussion und einem Bewertungsanspruch nicht entziehen. Im Rahmen<br />
der wissenschaftlichen Begleitung wurde mittels quantitativer und qualitativer Instrumente<br />
der Versuch unternommen, einzelne Aspekte hinsichtlich der Wirksamkeit und Akzeptanz des<br />
<strong>Modellprojekt</strong>es <strong>ESCAPE</strong> herauszuarbeiten. Dazu gehören eine Recherche über die Rückfälligkeit<br />
der teilnehmenden Kinder, eine Analyse über mögliche Einstellungsänderungen, die subjektive<br />
Bewertung der Hilfe durch die Kinder, Eltern und Sozialarbeiter sowie eine Auswahl ausgewählter<br />
Interviewaussagen über das <strong>ESCAPE</strong>-Angebot.<br />
5.6.1 Rückfalligkeit<br />
Die Rückfälligkeit bzw. Legalbewährung stellt ein für die Außenwahrnehmung bedeutsames Erfolgskriterium<br />
eines Interventionsprogramms für Kinder mit delinquentem Verhalten dar. Die<br />
Rückfallquote gibt die Anzahl bzw. den Anteil der Kinder wieder, die nach dem Hilfsprogramm<br />
erneut durch delinquente Verhaltensweisen in Erscheinung getreten sind. Die Zeiträume zwischen<br />
Beendigung der einzelnen Maßnahmen und der Evaluation des <strong>Modellprojekt</strong>s betragen<br />
zwei bis 27 Monate. Die Datengrundlage zur Erfassung der Rückfälligkeit ist die Sonderrecherche<br />
des sächsischen Landeskriminalamtes im Polizeilichen Auskunftssystem (PASS) vom<br />
Stand 31. Mai 2003 bezogen auf die Regionen der Modellstandorte. Somit beziehen sich die<br />
folgenden Ergebnisse ausschließlich auf das polizeiliche Hellfeld. In dieser Recherche können<br />
daher keine vollständig zuverlässigen Angaben über die Rückfälligkeit der teilnehmenden Kinder<br />
erwartet werden.<br />
62
Tabelle 5.9. Kinder im Projekt, die im Polizeilichen Auskunftssystem in <strong>Sachsen</strong> (PASS) erfasst sind.<br />
Name 1)<br />
Geschlecht/<br />
Ort im Projekt<br />
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Tatzeit und<br />
<strong>ESCAPE</strong> Straftaten Straftaten<br />
Alter in Monaten vor während nach einzeln in Gruppe gesamt<br />
Albert m/11 Auerbach 9 2 2 3 1 4<br />
Clemens m/12 Auerbach 6/Abbrecher 1 4 5 5<br />
Hans m/12 Auerbach 9 3 1 2 3<br />
Jörg m/12 Auerbach H.n.n.b. 2) 2 2 2<br />
Moritz m/12 Auerbach 7 2 1 3 3<br />
Theo m/13 Auerbach 5 2 2 2<br />
Arnd m/13 Auerbach 6 2 2 2<br />
Rolf m/12 Auerbach/EFR 3) 8 1 1 1<br />
Lukas m/13 DD-Prohlis 7 27 1 4 24 28<br />
Till m/13 DD-Prohlis 1/Abbrecher 9 1 2 8 10<br />
Matthias m/9 DD-Prohlis 2/Abbrecher 11 12 14 9 23<br />
Richard m/8 DD-Prohlis Abbrecher 1 2 2 1 3<br />
Marek m/14 DD-Prohlis 5 5 4 6 3 9<br />
Silvio m/12 DD-Prohlis 5 2 1 1 2<br />
Emil m/13 Riesa 3/Abbrecher 1 2 2 1 3<br />
Oskar m/14 Riesa 5 13 3 10 13<br />
Norbert m/11 Riesa 7 1 1 1<br />
Achim m/13 Riesa 6/Abbrecher 9 3 2 10 12<br />
Daniel m/13 Riesa 6/Abbrecher 5 5 5<br />
Axel m/13 Riesa 7 5 2 3 5<br />
Bernd m/13 Riesa 7 2 2 2<br />
Nora w/10 Riesa 4/Abbrecher 2 2 2<br />
Karsten m/11 Riesa/GRH 4) 8 1 1 1<br />
Jana w/14 Riesa/GRH 7 1 1 1<br />
Carmen w/13 Riesa/GRH 7 4 4 4<br />
Katrin w/13 Riesa/GRH 7 1 1 1<br />
Pascal m/12 Riesa/GRH 8 11 11 11<br />
N=27 23/m 4/w Gesamt 123 5/10 8/25 56 102/64% 158<br />
1)<br />
Namen geändert<br />
2)<br />
<strong>ESCAPE</strong>-Hilfe ist noch nicht beendet<br />
3)<br />
EFR… Ellefeld, Falkenstein und Rodewisch (territoriale Einbeziehung der angrenzenden Gemeinden von Auerbach)<br />
4) GRH…Landkreis Riesa Großenhain<br />
In der Tabelle sind die teilnehmenden Kinder mit geänderten Namen erfasst, die mindestens<br />
einmal mit straftatrelevantem Verhalten in Erscheinung getreten sind und dabei von der Polizei<br />
erfasst wurden. Dabei handelt es sich insgesamt um 27 Kinder (in Auerbach acht, in Dresden<br />
sechs, in Riesa dreizehn), vier davon sind weiblich. Drei Kinder sind aus dem Dunkelfeld ins<br />
Projekt vermittelt und erst während bzw. nach <strong>ESCAPE</strong> erstmalig polizeilich erfasst wurden.<br />
Von den insgesamt 27 Kindern sind fünf Kinder während der <strong>ESCAPE</strong>- Maßnahme mit insgesamt<br />
zehn Delikten und acht Kinder nach der Maßnahme mit insgesamt 25 Delikten erneut aufgefallen.<br />
In Auerbach fiel ein Kind während und nach <strong>ESCAPE</strong> auf. Unter den acht Kindern waren<br />
allein fünf Kinder, die die Hilfe vorzeitig beendet bzw. abgebrochen haben. So gesehen<br />
reduziert sich die Anzahl der rückfälligen Kinder, die das Projekt abgeschlossen haben auf drei.<br />
Bezieht man die Gesamtanzahl der registrierten Rückfälle nach <strong>ESCAPE</strong> auf die Grundgesamtheit<br />
der 55 Teilnehmer, so ergibt sich eine Rückfallquote von 14,5%, bezieht man sich nur<br />
63
EVALUATIONSBERICHT<br />
auf die rückfälligen Kinder, die das Projekt beendet haben, so ergibt sich eine Rückfallquote von<br />
5,4%. Diese geringe Quote kann durchaus als ein Erfolg der Hilfe gesehen werden.<br />
Um genauere Angaben über die Rückfälligkeit zu erhalten, wäre es günstiger, zum einen die<br />
Kinder selbst, aber auch die Eltern oder das Jugendamt zu befragen. Zum anderen sollte der<br />
zeitliche Abstand zwischen Beendigung der Intervention und Feststellung der Rückfälligkeit<br />
größer sein, um die Nachhaltigkeit der Maßnahme besser einschätzen zu können.<br />
5.6.2 Einstellungsänderungen<br />
Eine wichtige Voraussetzung für eine Verhaltensänderung der Kinder ist die Änderung ihrer Einstellungen<br />
und ihres Erlebens. Zur Erfassung potentieller Veränderungen, die im Sinne der Zielstellung<br />
und der Wirksamkeit des Projektes interpretiert werden können, diente der Einsatz des<br />
Persönlichkeitsfragebogen PFK 9-14 Jahre von Seitz und Rausche (1992) im Prä-Post-Design<br />
(vgl. Teiluntersuchung VII im Anhang). Die erste Erhebung fand jeweils unmittelbar zu Beginn<br />
der Maßnahme statt. Die Post-Erhebung wurde mit Beendigung der Intervention durchgeführt.<br />
Der PFK 9-14 zielt auf eine möglichst breite und gleichzeitig differenzierte Erfassung der kindlichen<br />
Persönlichkeit. Im PFK 9-14 werden drei Äußerungsbereiche der Persönlichkeit des Kindes<br />
unterschieden: Verhaltensstile (VS) – nach außen manifestierte und von außen beobachtbare<br />
Charakteristika des Verhaltens; Motive (Mo) – dynamische Antriebe als Beweggründe des<br />
Verhaltens, wie Bedürfnisse, Einstellungen, Werthaltungen; Selbstbildaspekte (SB) – qualitative<br />
Aspekte der Bewertung des eigenen Verhaltens und Erlebens auf Basis der eigenen Selbstwahrnehmung<br />
und Selbstreflexion. Da nicht alle Kinder in die Untersuchung einbezogen werden<br />
konnten, handelt es sich um eine Stichprobe von 34 Kindern (elf Auerbach, dreizehn Dresden,<br />
zehn Riesa). Ungünstige Einflussfaktoren der Untersuchung sind: die kleine Stichprobe,<br />
die Selbsteinschätzung der Kinder, drei verschiedene Standorte mit unterschiedlichen Mitarbeitern,<br />
Methoden und regionalen Einflüssen. Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich wie<br />
folgt zusammenfassen.<br />
Für die Gesamtstichprobe sind nur geringe Effekte erkennbar, die in der Heterogenität der Probanden,<br />
Standorte und Methode begründet liegen. Ein positiver Nebeneffekt der Intervention ist<br />
der gesteigerte schulische Ehrgeiz für einen großen Teil der gesamten Stichprobe. Diese Veränderung<br />
lässt eine verstärkte Orientierung an kulturellen und gesellschaftlichen Idealen vermuten.<br />
Bei einen Drittel der Kinder führte die Maßnahme zu einer erhöhten Offenheit gegenüber<br />
sozialen Kontakten und zur Abnahme der allgemeinen sowie spezifischen Angst. Eine negative<br />
Entwicklung zeigte sich im Bereich des aggressiven Verhaltens, da die meisten Teilnehmer<br />
nach der Maßnahme mehr aggressive und oppositionelle Motive für ihr Verhalten angeben.<br />
Worauf dies zurückzuführen ist, konnte nicht zufriedenstellend geklärt werden. Differenziertere<br />
Ergebnisse lassen sich durch Betrachtung der einzelnen Standorte darstellen.<br />
Im Vergleich der drei Modellstandorte sind unterschiedliche Erfolge erkennbar. In der Einzelfallhilfe<br />
in Auerbach konnten auf vier Skalen positive Veränderungen nachgewiesen werden. Bei<br />
den Kindern wurde ein stärkeres Selbstwertgefühl aufgebaut, da sie sich nach der Intervention<br />
weniger ängstlich fühlten, mehr Selbstvertrauen äußerten und sich anderen Kindern gegenüber<br />
weniger unterlegen fühlten. Außerdem wurden für acht der elf Probanden positive Veränderungen<br />
entweder auf dem Faktor „Emotionalität“ oder dem Faktor „Aktives Engagement“ festgestellt.<br />
Die Arbeitsweise in Auerbach zielte somit vorrangig auf die differenzierte Selbstwahrnehmung<br />
sowie positive Selbstbewertung, Abnahme von Angst und Steigerung der Sozialkompetenz.<br />
In Dresden konnten für die Gesamtgruppe wünschenswerte Veränderungen auf zwei Skalen<br />
abgebildet werden und zehn von dreizehn Probanden lassen Verbesserungen auf einem<br />
der zwei benannten Faktoren erkennen. Die Intervention bewirkte bei den Kindern eine realistischere<br />
Einschätzung der eigenen Person, allerdings mit der Folge, dass sich einige Kinder im<br />
Vergleich mit anderen negativer beurteilten als vorher. Das Interesse an sozialer Interaktion<br />
konnte bei dem Teil der Kinder gefördert werden, die positive Veränderungen auf dem Faktor<br />
64
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
„Aktives Engagement“ zeigten. Die Arbeitsschwerpunkte lagen in Dresden auf der Erhöhung<br />
der Sozialkompetenz und der Steigerung der Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung.<br />
In Riesa haben sich auf zwei Skalen positive Veränderungen nachweisen lassen.<br />
Durch die Intervention konnte bei den Kindern das Vertrauen in sich und ihr eigenes Tun gestärkt<br />
werden. Außerdem nahm das Bedürfnis an aggressiven Verhaltensweisen ab. Die Arbeitsziele<br />
lassen dort Akzentuierungen auf den Abbau des aggressiven Verhaltens und die Förderung<br />
der Selbsteinschätzung erkennen.<br />
Im Vergleich der beiden Arbeitsmethoden Einzelfall- und Gruppenarbeit lassen sich keine allgemeinen<br />
Aussagen zur besseren Wirksamkeit einer Methode treffen. Sowohl in Auerbach<br />
(Einzelfallhilfe) als auch in Dresden (Gruppenarbeit) erzielten über 70% der Probanden auf<br />
mindestens einem Faktor wünschenswerte Veränderungen. Mit beiden Methoden kann demzufolge<br />
wirksam interveniert werden. Während Einzelfallhilfe die intensivere Arbeitsweise mit<br />
emotionalen Erlebensinhalten ermöglicht, kann Gruppenarbeit soziales Engagement fördern.<br />
Die Gegenüberstellung der gesetzten Interventionsziele mit den erreichten Ergebnissen zeigt,<br />
dass einige Ziele realisiert werden konnten. Zieht man die Charakteristika der Probanden und<br />
die Kürze der Interventionsmaßnahmen in Betracht, so kann das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> hinsichtlich<br />
der erzielten Veränderungen sehr positiv bewertet werden. Es wäre unrealistisch zu<br />
erwarten, dass alle Interventionsziele bei allen Kindern ereicht werden könnten. Vielmehr lag<br />
die Bedeutung der Intervention darin, bei jedem einzelnen Kind spezifische Defizite im Erleben<br />
und Verhalten auszugleichen und vorhandene Ressourcen für die Entwicklung neuer Handlungsalternativen<br />
zu nutzen. Zudem ist es nicht ungewöhnlich, dass gerade in der Förderung<br />
von Kindern und Jugendlichen nicht jede Interventionsmaßnahme bei allen Probanden intendierte<br />
Wirkungen hat.<br />
5.6.3 Subjektive Beurteilungen der Hilfe<br />
Die subjektive Beurteilung der Hilfe durch die beteiligten Personen gibt Aufschluss über die Akzeptanz<br />
der Maßnahme und kann als zentrales Kriterium des Hilfeverlaufs und Hilfeerfolgs gesehen<br />
werden. Dazu wurden den teilnehmenden Kindern, Eltern und Mitarbeitern nach Beendigung<br />
des Programms ein Fragebogen zur Beurteilung der Hilfe/des Trainings (FBH) in Anlehnung<br />
an den Fragebogen zur Beurteilung der Behandlung (FBB) von Mattejat/Remschmidt<br />
(1998) vorgelegt. Der FBB wurde entwickelt als ein Instrument zur Therapieevaluation und zur<br />
Qualitätssicherung bei der Behandlung von Kindern, Jugendlichen und ihren <strong>Familie</strong>n. Die<br />
Abbildung auf der nächsten Seite gibt einen Überblick über die Ergebnisse dieser Befragung.<br />
Die Werte der Skalen liegen zwischen 0 und 4. Je höher der Skalenwert ist, umso günstiger<br />
wird die Maßnahme beurteilt. Aus den absoluten Skalenwerten ist somit unmittelbar ersichtlich,<br />
wie positiv bzw. negativ die Intervention beurteilt wird. In diese Untersuchung fließen Angaben<br />
für 34 Kinder ein.<br />
Die Ergebnisse der Fragebögen zur Beurteilung der Hilfe geben für die Gesamtbeurteilung eine<br />
allgemein positive Einschätzung des <strong>Modellprojekt</strong>s wieder. Die Intervention zeigt in allen Fällen<br />
mäßige bis deutliche Erfolge. Mit dem Verlauf des Interventionsprogramms sind die beteiligten<br />
Personen teilweise bis vollständig zufrieden. Die Gesamteinschätzungen der Intervention reichen<br />
von mäßigen bis sehr guten Urteilen, so dass das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> durch seine Beurteiler<br />
die Gesamtnote „gut“ erhält. Es ist auffällig, dass die Mitarbeiter von <strong>ESCAPE</strong> die Interventionen<br />
im Durchschnitt ungünstiger beurteilen als die Kinder. Die Eltern hingegen bewerten<br />
die Maßnahmen positiver als die Kinder. Diese Verteilung ist nach Angaben von Mattejat/<br />
Remschmidt (1998) nicht ungewöhnlich. Zum einen sind die Dimensionen der Mitarbeiterversion<br />
stärker differenziert, während die Beurteilungen der Eltern relativ pauschal gehalten sind.<br />
Zum anderen bewerten Intervenierende häufig sich selbst und ihre Arbeit kritischer und setzen<br />
höhere Ansprüche an den Erfolg einer Intervention. Die Eltern auf der anderen Seite haben<br />
nicht selten andere Bewertungsmaßstäbe und beurteilen selbst kleinere Veränderungen als Erfolg<br />
für die Intervention.<br />
65
EVALUATIONSBERICHT<br />
Tabelle 5.10. Übersicht zur Interpretation der FBH-Ergebnisse.<br />
66<br />
FBH-Skalen Wertebereich<br />
Ergebnisqualität (Hilfeerfolg)<br />
Prozessqualität (Hilfeverlauf)<br />
Gesamtbeurteilung<br />
(„Benotung“ der Hilfe)<br />
Mitarbeiterversion<br />
Kindversion<br />
Elternversion<br />
Gesamturteil<br />
Erfolg Kind (E1)<br />
Erfolg <strong>Familie</strong> (E2)<br />
Kooperation Kind (P1)<br />
Kooperation Mutter (P2)<br />
Kooperation Vater (P3)<br />
Mitarbeiter-Gesamtskala (G1)<br />
Erfolg der Hilfe (E3)<br />
Beziehung zum Mitarbeiter (P4)<br />
Rahmenbedingung (P5)<br />
Kind-Gesamtskala (G2)<br />
Erfolg der Hilfe (E4)<br />
Verlauf (P6)<br />
Eltern-Gesamtskala (G3)<br />
Ergebnisqualität (EG)<br />
Prozessqualität (PG)<br />
Gesamtbeurteilung (G)<br />
E1 Erfolg Kind (N=34)<br />
E2 Erfolg <strong>Familie</strong> (N=33)<br />
P1 Kooperation Kind (N=34))<br />
P2 Kooperation Mutter (N=29)<br />
P3 Kooperation Vater (N=11)<br />
PG Mitarbeiter-Gesamtskala (N=34)<br />
0 � x � 0.5 0.5 < x � 1.5 1.5 < x � 2.5 2.5 < x � 3.5 3.5 < x � 4.0<br />
Völlig erfolglos<br />
(keine Fortschritte)<br />
Völlig unzufrieden<br />
Überwiegend<br />
erfolglos (geringeFortschritte)<br />
Überwiegend<br />
unzufrieden<br />
Teilweise<br />
erfolgreich<br />
(mäßige Fortschritte)<br />
Teilweise zufrieden<br />
Überwiegend<br />
erfolgreich<br />
(deutliche Fortschritte)<br />
Überwiegend<br />
zufrieden<br />
Vollständig<br />
erfolgreich<br />
(sehr gute Fortschritte)<br />
Vollständig zufrieden<br />
Schlecht Unzureichend Mäßig Gut Sehr gut<br />
0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4<br />
E3 Erfolg der Hilfe Kindversion (N=30)<br />
P4 Beziehung zum Mitarbeiter (N=30)<br />
P5 Rahmenbedingungen der Hilfe (N=30)<br />
G2 Kind-Gesamtskala (N=30)<br />
E4 Erfolg der Hilfe Elternversion (N=27)<br />
P6 Verlauf der Hilfe (N=27)<br />
G3 Eltern-Gesamtskala (N=27)<br />
EG Ergebnisqualität Gesamtwert (N=34)<br />
PG Prozessqualität Gesamtwert (N=34)<br />
G Gesamtbeurteilung (N=34)<br />
Abbildung 3.22. Ergebnisse der Mitarbeiter-, Kind- und Elternbefragung mit dem FBH. (E) Ergebnisqualität, (P) Prozessqualität, (G)<br />
Gesamtbeurteilung.<br />
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Mitarbeiter, Kinder und Eltern insgesamt Erfolge<br />
in der <strong>ESCAPE</strong>-Hilfe sehen und mit dem Verlauf zufrieden waren. Die Kinder nahmen das<br />
Projekt gut an und auch die Eltern äußerten ihre Zufriedenheit gegenüber der Maßnahme. Das<br />
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> erhält somit eine positive Beurteilung, welche die Akzeptanz dieser<br />
Form der Intervention verdeutlicht.
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Interviews, Meinungen, Stimmen…<br />
Die zahlreichen Interviews, die im Verlauf der Projektzeit im Rahmen der wissenschaftlichen<br />
Begleitung geführt wurden, bieten einen Fundus an Daten mit subjektiven Sichtweisen der verschiedensten<br />
beteiligten Personen und Projektpartner. Sie spiegeln ein sehr buntes Meinungsspektrum<br />
in Bezug auf das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> wider. Zum überwiegenden Teil bestätigen<br />
sie die positiven Erfahrungen und Ergebnisse, zum Teil äußern sie sich aber auch kritisch<br />
gegenüber dem Angebot von <strong>ESCAPE</strong>. Bei der folgenden Auswahl an Zitaten handelt es sich<br />
um Aussagen, die sich zu unterschiedlichen Erhebungszeitpunkten auf <strong>ESCAPE</strong> beziehen und<br />
in Ergänzung zu den Ergebnissen der oben dargestellten Untersuchungen einen kleinen<br />
qualitativen Eindruck vermitteln.<br />
Kinder<br />
„Naja, am Anfang hab ich mir das alles anders vorgestellt. Ich dacht, hier kommen irgendwelche<br />
Idioten rein. Aber ich mein, das war total cool. Den einen kannte ich<br />
schon. Das ist auch einer von <strong>ESCAPE</strong>.“<br />
„Ich hab das total anders erwartet, dass das hier so öde ist, ständig nur quatschen.<br />
Naja, 'warum habt ihr das gemacht' und so, was aber - so war's halt nicht.“<br />
„Ich fand das eigentlich Spitze...“<br />
„[…], (<strong>ESCAPE</strong>) hat mir eigentlich auch sehr gut gefallen vor allem das mit den Punkten<br />
hier (deutet auf das Belohnungssystem) also alles so, die Regeln, Wörter, die wir<br />
nicht sagen dürfen...“<br />
Eltern<br />
Eine Mutter äußert auf die Frage, welche Erfahrungen sie mit <strong>ESCAPE</strong> für sich ableitet:<br />
„...das man sich nicht scheuen sollte, wenn man Probleme hat, auch Hilfe zu suchen<br />
und anzunehmen. [...] Der Weg zum Jugendamt hat mich viel Überwindung gekostet.<br />
„Mir ist wichtig, dass es eben wirklich Alternativprogramme gibt für die Kinder, was<br />
nicht nur immer unbedingt Sport sein muss und was eben weg ist von der Straße. Und<br />
da wäre es wünschenswert, dass das Projekt hier bleibt und auch weitergeführt wird.<br />
Aus welchen Gründen auch immer und was hier unternommen wird, ist total egal,<br />
wichtig ist, die Kinder kommen von der Straße weg, in eine gewisse Beaufsichtigung.“<br />
„... und wenn das (<strong>ESCAPE</strong>) nicht gewesen wäre, dann hätte er – glaube ich – noch<br />
mehr Mist gebaut.“<br />
„Ich würde auf alle Fälle sagen, dass Projekt ist super und es ist wirklich angebracht<br />
für solche Kinder.“<br />
„Die haben hier (<strong>ESCAPE</strong>) ganz andere Möglichkeiten, die werden hier daraufhin geschult,<br />
der (JUNGE) sieht uns nur als Eltern, dass wir nur schimpfen. Hier bekommt er<br />
es auf einen anderen Weg gesagt, dass es falsch ist, was er macht und wie er sich zu<br />
verhalten hat.“<br />
Schule<br />
„Mal gut zureden, manch einem fehlt nur mal wirklich der Ansprechpartner, jemand der<br />
sich für seine Probleme wirklich interessiert, dass wir Schüler haben, gerade fünfte<br />
und sechste Klasse, die mit ihren Problemen Null wissen wohin. Die hätten dort jemanden,<br />
der ihnen gleichzeitig mal zeigt, mach es doch mal so und der auch Grenzen<br />
aufzeigt. Bei paralleler Zuwendung dann.“<br />
„[...] Der Trend in der Zwischenzeit ist immer mehr, dass wir Eltern hier haben zu Gesprächen<br />
in der Schule, die sagen: „Was soll ich machen, die Probleme sind zu Hause<br />
ähnlich“ und dort denke ich, ist es wichtig vor allem bei den Kleineren, was ja Altergruppe<br />
<strong>ESCAPE</strong> ist, dass man denen mal eine Lösung anbietet“<br />
67
EVALUATIONSBERICHT<br />
68<br />
Auf die Frage hin was <strong>ESCAPE</strong> leisten kann antwortete die Mitarbeiterin der Schule:<br />
„Zuwendung. Die Aufmerksamkeit für das Kind. Ihm vielleicht wirklich mal auch nur<br />
zuhören.“<br />
„Das Projekt ist, sowie wir es verstanden haben, für Kinder, die schon gestrandet sind,<br />
sagen wir mal so, die schon kriminell geworden sind. Das sind im Prinzip hier die wenigsten.<br />
[...] Aber gefährdet sind viele, die das Projekt eigentlich gar nicht aufgreift. [...]<br />
Das war mein erster Gedanke, wo ich gesagt habe, und die, das Mittelfeld, die noch<br />
nicht kriminell geworden sind, was ist da. Muss erst mein Kind kriminell werden, damit<br />
es so ein Angebot kriegt.“<br />
<strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter<br />
„Also ich würde mal sagen, so dass es sehr, sehr viel Sinn macht die Altersgruppe und<br />
wahrscheinlich auch unsere Zielgruppe speziell [...] mit dieser Gruppenarbeit zu erreichen.<br />
Ich denke mal, das ist ein ideales Angebot, um die zu motivieren, also dass sie<br />
freiwillig kommen und um sie bei der Stange zu halten und gleichzeitig die Möglichkeit<br />
zu haben, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln.“<br />
„Ich denke, es gibt ja auch die Kinder, wo weitergearbeitet wird oder wo jetzt innerhalb<br />
der Zeit oder danach was passiert und ich denke trotzdem, dass es für alle was gebracht<br />
hat [...] und ich denke, wenn die sich positiv äußern, das hat schon was gebracht.“<br />
„Mehr Anfragen, die wir bearbeiten können, weil ich denke, es hat sich gezeigt, relativ<br />
gut die Leute zu motivieren, teilzunehmen, ich finde da liegt der Hund begraben, dass<br />
wir zu wenig Anfragen haben und ja wünschen würde ich mir auch noch, dass es mit<br />
der Elternarbeit noch besser vorangeht, also dass es klapp, wie wir uns das vorstellen[...],<br />
dass Gruppenarbeit kombiniert wird, also dass Elternarbeit irgendwann auch<br />
mal gleichberechtigt neben dem Angebot für die Kinder läuft.“<br />
„Für mich ist es immer noch eine Testphase. Eine Ausprobierphase. Was mir immer<br />
wieder deutlich wird, was von ganz anderen gesagt wird, die jetzt das Projekt gar nicht<br />
kennen: In drei Monaten kannst du kein Kind verändern.[...] Und das hinterfragt eben<br />
immer wieder diesen kurzen Ansatz. Da ist eben ein Zwiespalt für mich daraus, wenn<br />
genug Kinder sich für das Projekt melden, soll man eben möglichst viele hindurchschleusen<br />
oder soll man möglichst mit dem Einzelnen sehen, dass es voran geht.“<br />
Kinder- und Jugendhilfe<br />
„Als das <strong>Modellprojekt</strong> damals angeboten wurde und ich die ersten Informationen vom<br />
Landesjugendamt bekam, war ich sofort Feuer und Flamme. [...] Nun ist das <strong>Modellprojekt</strong><br />
auch installiert und meine Euphorie ist etwas zurückgegangen. Ich glaube jetzt,<br />
dass es vom Ansatz her mit dieser Zielgruppensache eine Stigmatisierung gegeben<br />
hat. Das müsste man dann beim nächsten Mal, also was wir schon besprochen haben,<br />
dieser Ansatz her breiter anlegen.“<br />
„[...] für uns war da nicht so viel Neues beschrieben, was wir nicht auch schon kennen<br />
oder haben.“<br />
„Jetzt können wir der Reaktion auf Kinderdelinquenz mehr Nachdruck verleihen, mit<br />
<strong>ESCAPE</strong> haben wir ja jetzt etwas anzubieten. Ohne adäquate Hilfeangebote, die man<br />
den Eltern anbieten kann, ist es viel schwieriger mit den Eltern zu argumentieren.“<br />
Jugendhilfeplaner<br />
Die Interviews mit den Jugendhilfeplanern der jeweiligen Standorte wurden im 1. Quartal 2003<br />
durchgeführt und sind im Anhang in der Teiluntersuchung A I weiter ausgeführt. Zu diesem<br />
Zeitpunkt war bereits absehbar, wie es mit der Arbeit in den Standorten nach der Modellzeit<br />
weitergehen wird. Die Aussagen spiegeln wider, in wie weit es den Standorten in den drei Jahren<br />
gelungen ist, dass Jugendamt von der Qualität der Arbeit mit den Kindern und den <strong>Familie</strong>n<br />
zu überzeugen.
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Auerbach<br />
„Wir haben jetzt ein besonderes Angebot für eine Zielgruppe, die wir bisher noch nicht<br />
ansprechen konnten. Die eher etwas vernachlässigt wurde. [...]. Ich möchte nicht sagen,<br />
dass da gar nichts gelaufen ist, aber das war eher punktuell. [...] <strong>ESCAPE</strong> hat<br />
uns gezeigt, welche Ressourcen bisher ungenutzt blieben. [...] Es war ein von allen<br />
gewolltes Projekt.“<br />
„Unsere Strategie ist, wir wollen versuchen das Budget, was da ist für die teuren Erziehungshilfen,<br />
umzuleiten in den präventiven Bereich.“<br />
Dresden<br />
„Das schöne an <strong>ESCAPE</strong> ist, dass es konzeptionell lernfähig gewesen ist, dass macht<br />
es mir sympathisch und so hat es auch sich seinen Ruf und Stellenwert erarbeiten<br />
können.[...] Unabhängig von <strong>ESCAPE</strong>, wird ein Angebot dieser Art voraussichtlich<br />
dauerhaft in welcher Form auch immer notwendig sein.“<br />
Riesa<br />
„Es hat sich gezeigt, dass es für <strong>ESCAPE</strong> in dieser Form keinen Bedarf gibt. Das<br />
<strong>ESCAPE</strong>-Angebot ist zu starr und kostenintensiv. [...] Bloß für diese Zielgruppe zwei<br />
Leute zu bezahlen, das kann sich der Landkreis eigentlich - dass muss man auch<br />
ganz ehrlich sagen – nicht leisten. [...] Als ergänzendes Angebot, ja. [...] wir werden<br />
das Projekt definitiv am 30.03. beenden.“<br />
69
EVALUATIONSBERICHT<br />
6. Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
6.1. Allgemeine Schlussfolgerungen<br />
<strong>Modellprojekt</strong>e in sozialen Arbeitsfeldern werden von Praktikern und Institutionen oft mit Skepsis<br />
betrachtet, obwohl sich ein entsprechender Handlungsbedarf meist direkt aus der Praxis ableitet.<br />
Das mit <strong>Modellprojekt</strong>en verbundene Hinterfragen gewohnter Handlungsmuster und Alltagsroutinen<br />
sowie mögliche Veränderungen erzeugen Verunsicherungen, fordern die Bereitschaft<br />
zu Mehraufwand und die Auseinandersetzung mit der eigenen Fachlichkeit. Dazu lässt<br />
die zumeist reagierende statt agierende Praxis wenig Zeit. Hinzu kommen die bisherigen Erfahrungen,<br />
dass sich <strong>Modellprojekt</strong>e mit viel Aufwand und Aktionismus lediglich auf die Modelllaufzeit<br />
beschränken und aus verschiedenen Gründen dann doch nicht in die Regelpraxis überführt<br />
werden. Betritt man ein solches Neuland, braucht es daher überzeugende fachliche Argumente<br />
und Geduld, um in der Praxis sich zu bewähren und akzeptiert zu werden.<br />
Das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> hatte dazu knapp drei Jahre Zeit und steht nun am Übergang in die<br />
Regelpraxis und zugleich in der Verantwortung, sowohl den fachpolitischen Diskurs weiterzuführen<br />
als auch alle relevanten Akteure weiterhin in die Arbeit einzubeziehen. Nach drei sehr<br />
arbeitsintensiven und interessanten Projektjahren stellt sich am Ende der Modellphase die Frage:<br />
Was hat das Projekt geleistet und bewirkt? Entsprechen die Ergebnisse den Intentionen der<br />
Projektausschreibung? Wie der Bericht zeigt, können seitens der wissenschaftlichen Begleitung<br />
des Projekts keine pauschalen Antworten darauf gegeben werden, denn <strong>ESCAPE</strong> liefert keine<br />
Patentrezepte, aber fachliche Argumente für ein pädagogisches Handlungsverständnis im Umgang<br />
mit delinquenten Kindern. Die dargestellten Ergebnisse im <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong>, die<br />
hier noch einmal zusammengefasst werden sollen, verweisen auf die Möglichkeiten und Grenzen<br />
pädagogischer Interventionen der Jugendhilfe.<br />
� Die unterschiedlichen institutionellen und konzeptionellen Rahmenbedingungen sowie die<br />
regionalen Besonderheiten und Kooperationspartner der drei Modellstandorte sorgten im<br />
Projektprozess für eine jeweils eigene Dynamik. Die Ergebnisse müssen von daher differenziert<br />
und im jeweiligen Kontext betrachtet werden. Unter Berücksichtigung dieser Unterschiede<br />
kann es nicht darum gehen, die Bedingungen und Voraussetzungen aller Standorte<br />
zu vereinheitlichen, sondern es soll daraus vielmehr ein allgemeiner Handlungsrahmen der<br />
Jugendhilfe im Umgang mit delinquenten problembelasteten Kindern abgeleitet werden, der<br />
den Kindern frühzeitig professionelle Hilfe ermöglicht und institutionelle Verfahrensunsicherheiten<br />
in der Praxis bewältigen hilft.<br />
� <strong>ESCAPE</strong> hat an einer institutionellen Schnittstelle Aufmerksamkeit erzeugt, Kooperationsprozesse<br />
in Gang gesetzt und zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den<br />
zuständigen Institutionen beigetragen, auch wenn dabei strukturelle Grenzen der Kooperation<br />
sichtbar und spürbar geworden sind. Die institutionelle Einbindung und Akzeptanz von<br />
<strong>ESCAPE</strong> gestaltet sich umso schwieriger, je komplexer die regionalen Strukturen der Institutionen<br />
ausgeprägt sind. Die überschaubaren Verständigungsebenen und kurzen Wege<br />
zwischen den Kooperationspartnern in Auerbach vereinfachten die Zusammenarbeit. Dagegen<br />
wirkten sich die anonymen und komplexeren Großstadtstrukturen wie in Dresden erschwerend<br />
auf die Entwicklung der Kooperationen aus. Potentielle Kooperationspartner sollten<br />
von Beginn an - möglichst bereits in der Konzeptentwicklungsphase – ins Projekt einbezogen<br />
und daran beteiligt werden.<br />
� Interventionserfolge hängen von der Art der Kooperationsbeziehungen ab. Eine gute Kooperation<br />
kann die Früherkennung problembelasteter <strong>Familie</strong>n fördern. Eine wichtige Voraussetzung<br />
zur Erreichbarkeit der Zielgruppe liegt im schnellen Reagieren sowie im verständigungsorientierten<br />
und verbindlichen Zusammenwirken der beteiligten Institutionen. Ver-<br />
70
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
schiedene Formen der Kooperation bilden die Basis der Entwicklung einer Zusammenarbeit,<br />
die sich auf verschiedene Kooperationsbeziehungen übertragen lassen:<br />
� persönliche Kontaktaufnahme und Festlegung von Ansprechpartnern<br />
� Kommunikationssysteme und Informationsaustausch mit regelhaften Zeiten<br />
� gegenseitige Öffnung von Fortbildungsangeboten und Durchführung gemeinsamer<br />
Fortbildungsveranstaltungen<br />
� Mitgliedschaft in Ausschüssen und Gremien<br />
� Dem <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> ist es mit überarbeiteten Zugangskriterien gelungen, Kinder in<br />
das Interventionsprogramm zu integrieren, deren Entwicklung durch delinquenzfördernde<br />
Risikofaktoren belastet ist. Die durchschnittliche Risikobelastung der Kinder im Projekt lag in<br />
den untersuchten Merkmalen deutlich höher als die durchschnittliche Risikobelastung<br />
gleichaltriger Kinder im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>. Zu den Risikofaktoren zählen unvollständige<br />
<strong>Familie</strong>nstrukturen, geringer sozioökonomischer Status, unterdurchschnittliche kognitive<br />
Leistungen und eine hohe Prävalenz psychischer Auffälligkeiten. Auch wenn jedes Kind seine<br />
ganz eigene Lebensgeschichte und Sichtweise auf die Welt hat, lassen sich dadurch in<br />
der individuellen Vielfalt der Problemkonstellationen vielfach Gemeinsamkeiten in der Fallstruktur<br />
erkennen.<br />
� Kinder, die in ihrer Entwicklung erheblich beeinträchtigt sind, brauchen frühzeitig professionelle<br />
Hilfe und Förderung. In Anbetracht der nachgewiesenen hohen Risiko- und Problembelastung<br />
der Kinder im Projekt ist mehrfach auffälliges delinquentes Verhalten ein ernst zu<br />
nehmender Indikator für das Tätigwerden der Jugendhilfe mit ihren Kooperationspartnern.<br />
Repressive Maßnahmen, wie geschlossene Unterbringung oder Ausweitung des Strafmündigkeitsalters,<br />
stellte für keines der Kinder im Projekt eine adäquate und fachliche Alternative<br />
dar.<br />
� Bei extrem belasteten Kindern stößt <strong>ESCAPE</strong> allerdings aufgrund der konzeptionell angelegten<br />
zeitlichen Befristung der Hilfe von ca. sechs Monaten und den damit verbundenen<br />
begrenzten Möglichkeiten hinsichtlich der Einbeziehung und Einflussnahme auf das gesamte<br />
<strong>Familie</strong>nsystem deutlich auch an Grenzen. Weiterführende Hilfen - darunter auch Fremdunterbringung<br />
- können mit <strong>ESCAPE</strong> nicht ausgeschlossen werden. Wenn auch eine<br />
Fremdunterbringung durch die Angebote nicht verhindert bzw. ersetzt werden kann, so können<br />
doch über die Vermittlungen positiver Erfahrungen und Angebote des sozialen Lernens<br />
Verhaltensänderungen bewirkt werden und die Kinder zugleich in Freizeitangebote integriert<br />
werden. Mit <strong>ESCAPE</strong> filtern sich Fälle heraus, bei denen es verstärkt einer längerfristigen<br />
und zum Teil auch therapeutischen Intervention wie beispielsweise der aufsuchenden <strong>Familie</strong>ntherapie<br />
bedarf. <strong>ESCAPE</strong> ist daher eher ein Präventivangebot im Bereich der Früherkennung<br />
und -förderung für Kinder in so genannten Kippkonstellationen.<br />
� Mit <strong>ESCAPE</strong> verbindet sich die Diskussion von Spezialisierung und Integration von Angeboten<br />
der Jugendhilfe. Eine Spezialisierung liefert einerseits wichtige Impulse für die Qualifizierung<br />
von Jugendhilfe, da Spezialwissen notwendige Fachlichkeit garantiert, andererseits<br />
verlangt die gesellschaftliche Pluralisierung lebensweltorientierte und entspezialisierte Angebote.<br />
Weder das eine noch das andere darf aus dem Blick verloren werden. Der zielgruppenorientierte<br />
Ansatz ist ein erster Schritt des Tätigwerdens und schließt eine Öffnung und<br />
Ausweitung z.B. auf andere Verhaltensindikatoren für problembelastete Kinder nicht aus.<br />
Von einer Ausgrenzung delinquenter Kinder kann bei <strong>ESCAPE</strong> keine Rede sein, denn die<br />
Arbeit versteht sich als eine sozial-integrative Hilfe, die in die Lebenswelt der Kinder hineinwirken<br />
soll. Weder die beteiligten Eltern noch die Kinder erlebten die Hilfe als stigmatisierend,<br />
vielmehr fand <strong>ESCAPE</strong> bei den meisten beteiligten Kindern und Eltern große Akzeptanz.<br />
� Die Untersuchung macht deutlich, dass für delinquente Kinder ein Bedarf an Hilfe besteht.<br />
Der Bedarf an Jugendhilfeangeboten für die Altersgruppe der 9-14jährigen geht allerdings<br />
71
EVALUATIONSBERICHT<br />
72<br />
über die Zielgruppe des Projekts hinaus. Diese Altersgruppe ist durch Übergangsphänomene<br />
charakterisiert, die in mehrfacher Hinsicht ein Problem der „Lücke“ kenntlich machen.<br />
Von der Jugendhilfe sollte dieses Problem aufmerksamer beobachtet und in die Planung<br />
pädagogischer Angebote einbezogen werden. Von Lücken lässt sich im Zusammenhang mit<br />
folgenden entwicklungspsychologischen und institutionellen Übergangssituationen sprechen:<br />
� „Nicht-Mehr-Kind“ – „Noch-Nicht-Jugendlicher“<br />
� „Nicht-Mehr-Hort“ – „Noch-Nicht-in-Freizeiteinrichtungen“<br />
� Übergang von Grundschule auf Mittelschule/Gymnasium (weitere Schullaufbahn)<br />
� fehlende Verzahnung zwischen Schule und Jugendhilfe<br />
� Die Erfahrungen der dreijährigen Modellzeit belegen, dass es weder die Methode Einzelfallhilfe<br />
noch die Methode soziale Gruppenarbeit gibt. Sowohl Einzelfallarbeit als auch soziale<br />
Gruppenarbeit eignen sich als wirksame Hilfeform für delinquente Kinder. Keine der beiden<br />
erprobten Handlungsmethoden ist bei Kindern generell der anderen vorzuziehen. Die Methodenwahl<br />
sollte sich an den individuellen Bedingungen und Voraussetzungen orientieren.<br />
� Auch wenn die Strukturen sich nur sehr langsam entwickelten, über <strong>ESCAPE</strong> nicht alle potentiell<br />
in Frage kommenden <strong>Familie</strong>n erreicht werden konnten, einige Kinder das Projekt<br />
vorzeitig beendeten oder gar rückfällig wurden, kann für die Projektlaufzeit eine insgesamt<br />
positive Bilanz gezogen werden. Die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen tragen<br />
trotz der genannten Einschränkungen zum Nachweis der gewünschten pädagogischen<br />
Wirksamkeit und Akzeptanz des Interventionsprogramms bei. Das <strong>Modellprojekt</strong> hat entwicklungsgefährdete<br />
Kinder integriert. Es interveniert verstärkt in den Bereichen Selbstwahrnehmung/Selbsteinschätzung,<br />
Erhöhung des Selbstwertgefühls und Entwicklung sozialer<br />
Kompetenzen, um eine Reduktion delinquenter Verhaltensweisen und den Aufbau von<br />
sozialadäquaten Handlungsalternativen zu bewirken. Zudem ist eine geringe Rückfallquote<br />
delinquent handelnder Kinder zu verzeichnen, die das Projekt beendet haben.<br />
� Ein Indiz für die erfolgreiche Umsetzung des Projektauftrags ist die Überführung der Modellphase<br />
in ein Regelangebot der kommunalen Jugendhilfe. Das KJHG bietet für eine inhaltliche<br />
Zuordnung einen großen Spielraum (vgl. Kap.7). Nur in Kombination mit bestehenden<br />
Angeboten wird <strong>ESCAPE</strong> entsprechend flexibel und finanzierbar sein. Allen Standorten ist<br />
es gelungen, die öffentliche Jugendhilfe von der präventiven Arbeit zu überzeugen. Besonders<br />
erfreulich ist, dass <strong>ESCAPE</strong> in Auerbach und Dresden unter diesem Namen weiterläuft.<br />
Während sich <strong>ESCAPE</strong> in Auerbach über Pauschalfinanzierung mit den Regionen<br />
Reichenbach und Adorf/Oelsnitz sogar auf weitere Standorte im Vogtlandkreis ausweitet,<br />
wird <strong>ESCAPE</strong> in Dresden allerdings beschränkt auf die soziale Gruppenarbeit, über vereinbarte<br />
Fachleistungsstunden einzelfallfinanziert. Aufgrund einiger Schwierigkeiten schien<br />
<strong>ESCAPE</strong> in Riesa zunächst nach der Modellphase auszulaufen. Schließlich entstand dann<br />
doch noch ein Nachfolgeprojekt - zunächst unter dem Namen „Spielräume“, später dann<br />
benannt als K.A.P. (Kids and Parents) – pauschalfinanziert in Anbindung an die familienorientierte<br />
Gemeinwesenarbeit im Stadtteilhaus Riesa-Gröba.<br />
� Die konzeptionelle Umsetzung realisierte sich in den Standorten mit unterschiedlicher Qualität.<br />
Insbesondere den Modellstandorten Auerbach und Dresden kann ein hohes Maß an<br />
Fachlichkeit bescheinigt werden. Zukunftsweisende <strong>Modellprojekt</strong>e benötigen qualifiziertes<br />
und hoch motiviertes Personal mit Berufserfahrung, was die Widerstände und Schwierigkeiten<br />
in der Praxis aushält und mit den regionalen Strukturen vertraut ist. Dazu müssen den<br />
Trägern aber auch entsprechende materielle Ressourcen zu Verfügung gestellt werden.
6.2. Fazit<br />
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Was ist das Neue und Innovative an <strong>ESCAPE</strong>? Zusammenfassend lässt sich das erprobte Hilfeangebot<br />
wie folgt beschreiben:<br />
� <strong>ESCAPE</strong> beschränkt sich nicht nur auf einzelne handlungsmethodische Ansätze, sondern<br />
umfasst einen Gesamtansatz des Tätigwerdens bei Kinderdelinquenz. Das Leistungsspektrum<br />
beinhaltet Kooperation, Vermittlung, pädagogische Arbeit mit dem Kind, Elternarbeit,<br />
Nachbetreuung sowie sozialräumliche Orientierungs- und Integrationshilfe.<br />
� <strong>ESCAPE</strong> trägt zu einer intitutionsübergreifenden Zusammenarbeit und zur Schaffung von<br />
Verbindlichkeiten zwischen den Kooperationspartnern bei und ermöglicht Früherkennung<br />
und Frühförderung.<br />
� <strong>ESCAPE</strong> ist ein ambulantes Angebot der freien Jugendhilfe für delinquente und problembelastete<br />
Kinder zwischen 9 und 14 Jahren und deren <strong>Familie</strong>n, wobei hier delinquentes bzw.<br />
abweichendes Verhalten zum Anlass genommen wird, um den Hilfebedarf zu prüfen.<br />
� <strong>ESCAPE</strong> ist eine kurzfristige und flexible Hilfemaßnahme, die über relativ niedrigschwellige<br />
und unkonventionelle Zugangswege bereits im Vorfeld eines Hilfeplanverfahrens bzw. über<br />
ein verkürztes Hilfeplanverfahren in Anspruch genommen werden kann. Dabei können auch<br />
aufgrund von Gehstrukturen schwerer erreichbare <strong>Familie</strong>n an das Hilfesystem herangeführt<br />
werden, ohne gleichsam den Eltern das Gefühl zu vermitteln, sie hätten bei der Erziehung<br />
ihres Kindes versagt. Jugendhilfe kann somit frühzeitig als Partner wahrgenommen werden.<br />
� <strong>ESCAPE</strong> schlägt eine Brücke zwischen bestehenden niedrigschwelligen offenen Angeboten<br />
der Jugendhilfe und relativ hochschwelligen Hilfen zur Erziehung. Es füllt eine Angebotslücke<br />
und leistet wichtige soziale Integrationsarbeit.<br />
7. Ausblick<br />
Was bleibt? Neben der wesentlichen – und sich hoffentlich weiter durchsetzenden - Erkenntnis,<br />
dass dem abweichenden Verhalten von Kindern sehr gut mit ausschließlich pädagogischen Mitteln<br />
begegnet werden kann, auch die Erkenntnis, dass die Umsetzung neuer Strategien, Arbeitsansätze<br />
und Methoden im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe mit Hilfe von <strong>Modellprojekt</strong>en<br />
angemessen geplant und realisiert werden kann. Immerhin ist es für <strong>Modellprojekt</strong>e kennzeichnend,<br />
dass sie ausreichend Spielraum für das Ausprobieren unterschiedlicher Strategien<br />
bieten und Fehler, anders als in der Regelpraxis, nicht zwingend mit finanziellen Einbußen verbunden<br />
sind, sondern neue inhaltliche Erkenntnisse ermöglichen.<br />
Und dennoch: Modellprogramme können nicht die einzige Antwort auf neue Problemlagen von<br />
Kindern und Jugendlichen sein. Neben den finanziellen Aspekten, die eine solche Strategie<br />
mindestens fragwürdig erscheinen lassen, wiegen die inhaltlichen Aspekte ebenso deutlich.<br />
Dies kann dazu führen, dass die Jugendhilfe der Anforderung, sich inhaltlich, organisatorisch<br />
und methodisch weiterzuentwickeln, lediglich mit dem Verweis auf bestehende <strong>Modellprojekt</strong>e<br />
begegnet und dabei übersieht, dass die dort gewonnenen Einsichten auf struktureller Ebene<br />
umgesetzt werden müssten. Außerdem lassen Modellprogramme an mancher Stelle vergessen,<br />
dass sowohl die vorhandenen gesetzlichen Grundlagen, in diesem Fall das Kinder- und Jugendhilfegesetz,<br />
als auch die bestehenden Jugendhilfestrukturen es durchaus zulassen, Neues<br />
zu implementieren. Die an einigen Stellen immer wieder geführten Diskussionen um Veränderungen<br />
im KJHG ignorieren, dass das Gesetz an vielen Stellen ausreichend Möglichkeiten vorhält,<br />
die es erlauben, über die gesetzlich fixierten und nun fast schon „traditionellen“ Angebote<br />
hinaus, Arbeitsansätze zu entwickeln, die veränderten inhaltlichen Anforderungen entsprechen.<br />
So ist z.B. in den Kommentaren zu den Erziehungshilfen ausdrücklich die Rede davon, dass es<br />
73
EVALUATIONSBERICHT<br />
sich bei den in den §§ 28 – 35 beschriebenen Angebotsformen um einen offenen Katalog handelt,<br />
der jederzeit ergänzt werden kann. (vgl. Münder 1998).<br />
Diese Offenheit lässt sich ebenso für andere Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe, etwa die offene<br />
Jugendarbeit oder die Jugendsozialarbeit feststellen, gilt also für verschiedene Handlungsfelder<br />
und Zielgruppen.<br />
Bezogen auf die Arbeit mit delinquenten Kindern bzw. straffälligen Jugendlichen wird im Folgenden<br />
auf einige dieser Möglichkeiten näher eingegangen, wobei die Auswahl insofern nicht<br />
ganz zufällig ist, als sie sich auf Angebote bezieht, in deren Rahmen die ehemaligen <strong>Modellprojekt</strong>e<br />
ihre Arbeit künftig fortsetzen werden.<br />
Tabelle 7.1. Perspektiven für Angebote wie <strong>ESCAPE</strong><br />
<strong>ESCAPE</strong><br />
Beschreibung<br />
als integriertes und ergänzendes<br />
Angebot in der Jugendarbeit,Jugendsozialarbeit<br />
oder dem Jugendschutz<br />
74<br />
§§ Anmerkung Ergänzungen<br />
§ 11, §13 Entwicklung der KINDER-<br />
SOZIALARBEIT<br />
oder auch im Kontext von Präventionsarbeit<br />
in Schulen...<br />
Jugendschutz §14 Präventive Projekte<br />
als ergänzendes Angebot<br />
der Jugendgerichtshilfe<br />
als eigenes Angebot im Bereich<br />
der Hilfen zur Erziehung<br />
(HZE)<br />
Soziale Gruppenarbeit<br />
ISE<br />
Erziehungsbeistand<br />
als integriertes und ergänzendes<br />
Angebot der HZE<br />
(Erziehungsberatung,<br />
SPFH, Tagesgruppe,<br />
Heim…)<br />
§ 52/§ 27ff Präventionsarbeit mit Spezialisten<br />
für soziale Gruppenarbeit<br />
§ 27ff<br />
§ 29<br />
§ 35<br />
§ 30<br />
das gesamte Leistungsspektrum<br />
von <strong>ESCAPE</strong><br />
§ 27ff in Kombination mit einer Qualifizierung<br />
der Mitarbeiter in den bestehenden<br />
Einrichtungen<br />
§ 16 Eltern- und <strong>Familie</strong>narbeit<br />
durch Kombination mit<br />
<strong>Familie</strong>nbildung und Förderung,<br />
§ 78 a Vereinbarungen über<br />
Leistungsangebote, Entgelte<br />
und Qualitätsentwicklung<br />
Als eine erste Möglichkeit der Überführung der <strong>ESCAPE</strong>-Projekte in bestehende Strukturen bietet<br />
sich die Integration des Angebotes in die Jugendarbeit (§11 KJHG) oder die Jugendsozialarbeit<br />
(§13) an. Unter der Maßgabe, dass Angebote der Jugendarbeit jungen Menschen, die<br />
„[...] zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote [...]“ (§11, Abs. 1 KJHG) bereitstellen<br />
soll, ist es durchaus denkbar, dass dies auch Angebote umfasst, die sich an delinquente<br />
Kinder und Jugendliche wenden. Nimmt man den weiter oben beschriebenen Befund ernst,<br />
dass diese Kinder in erster Linie Schwierigkeiten im Aufwachsen haben, die aber nicht in jedem<br />
Fall auch gravierend sind, dann sind außerschulisch angesiedelte Projekte, die neben der Bildung<br />
im weiteren Sinne auch Hilfe und Beratung umfassen, überall dort angebracht, wo sich<br />
kein erzieherischer Bedarf erkennen lässt. An die bereits etablierte Praxis in diesem Bereich<br />
stellt sich damit die Anforderung, sich neuen, manchmal vielleicht unbequemen, Zielgruppen<br />
stärker zu öffnen als dies bisher der Fall war. Trotzdem können auch in diesem Bereich „normale“<br />
Kinder und Jugendliche gleichzeitig Zielgruppe der Angebote sein. Im Gegenteil, gerade die<br />
Arbeit mit heterogenen Zielgruppen wäre hier wichtig und pädagogisch erwünscht.<br />
Ebenfalls nahezu ausgeschlossen ist bisher die Arbeit mit delinquenten Kindern im Rahmen der<br />
Jugendsozialarbeit. Während die verschiedenen Gruppen der Jugendlichen mit abweichendem<br />
Verhalten, also z. B. Jugendliche mit rechtsextremistischer Orientierung, hier sehr wohl Berücksichtigung<br />
finden, gilt dies nicht gleichermaßen für Kinder. Dies verwundert in Zeiten, da allerorten<br />
davon die Rede ist, dass die Zielgruppen der Jugendarbeit immer jünger werden, „Lücke-
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
kids“ geradezu als eine vernachlässigte Zielgruppe der Kinder- und Jugendhilfe gelten. Und<br />
auch aus der inhaltlichen Beschreibung der Jugendsozialarbeit als „arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit<br />
oder Jugendberufshilfe“ lässt sich diese Konzentration auf Jugendliche nicht<br />
ableiten. Denn gerade in der Jugendsozialarbeit - als eines der ältesten Arbeitsfelder der Kinder-<br />
und Jugendarbeit - hat es in den letzten Jahren enorme Veränderungen gegeben, und<br />
zwar sowohl hinsichtlich ihrer Angebote als auch in Bezug auf die Zielgruppen. Es kann längst<br />
nicht mehr die Rede davon sein, dass es sich hierbei ausschließlich um Angebote für Jugendliche<br />
handelt (vgl. Jugendpolitisches Programm der Sächsischen Staatsregierung 1996). So ist<br />
immer dann, wenn von schulischer Integration die Rede ist, automatisch die Rede auch von<br />
Kindern. Und so wäre es nur folgerichtig, die Entwicklung von Arbeitsansätzen einer „Kindersozialarbeit“<br />
in den Blick zu nehmen und dabei auch die hier in Rede stehende Zielgruppe der<br />
Kinder mit abweichendem Verhalten zu berücksichtigen. Gerade wenn man davon ausgeht,<br />
dass es nicht in jedem Fall immer wieder neue und spezielle Angebote sein müssen, in die Kinder<br />
mit abweichendem Verhalten integriert werden, bieten sich bestehende Maßnahmen im<br />
Rahmen der Jugendsozialarbeit an, die an Schulen oder im schulischen Umfeld angesiedelt<br />
sind. Damit werden die Kinder nicht in erster Linie über die Probleme angesprochen, die sie<br />
„machen“, sondern es wird ihnen zuallererst einmal Hilfe bei Problemen angeboten, die sie haben<br />
- z. B. im schulischen Bereich.<br />
Auch eine Integration der entwickelten Arbeitsansätze in die Jugendschutzarbeit (§14 KJHG) ist<br />
denkbar. Da hier ohne das Instrument des Hilfeplanes gearbeitet wird, geht es eher um die Kinder,<br />
die keine „verfestigte Karriere“ aufweisen, sondern bei denen das delinquente Verhalten als<br />
Ausdruck einer Suchbewegung angesehen werden kann. So werden am Standort Riesa die in<br />
den letzten drei Jahren entwickelten Arbeitsansätze und Erfahrungen in ein gemeinwesenorientiertes<br />
Projekt integriert, das im Rahmen des Jugendschutzes präventive Arbeit anbietet. Es ist<br />
davon auszugehen, dass in den Fällen, in denen dieses Angebot an seine Grenzen stößt, die<br />
Kinder und Jugendlichen in bestehende Projekte der Erziehungshilfen integriert werden, beispielsweise<br />
in Einrichtungen der Erziehungsberatung.<br />
Als auf den ersten Blick ungewöhnlich und eigentlich nicht für die Zielgruppe der unter 14jährigen<br />
geeignet, erweist sich die inhaltliche Anbindung und Verknüpfung der Projektarbeit mit<br />
der Arbeit der Jugendgerichtshilfe, wie sie an den Standorten Auerbach und Dresden teilweise<br />
realisiert wird. Diese Vorgehensweise erweist sich indes insofern als eine gute Möglichkeit die<br />
Arbeit weiterzuführen, als hier die fachlichen Ressourcen, die Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe<br />
in ihrer Arbeit mit den Jugendlichen entwickeln konnten, behutsam auf die Arbeit mit den<br />
Kindern übertragen werden. Konkret heißt dies z.B., dass es Angebote der sozialen Gruppenarbeit<br />
geben kann, die sich sehr eng an den sozialen Trainingskursen für Jugendliche orientieren.<br />
Damit wird garantiert, dass, auch wenn es sich dabei um ein ausschließlich präventives<br />
Angebot handelt, Erfahrungen aus der Arbeit mit straffälligen Jugendlichen in diese Arbeit einfließen<br />
und eine Schwerpunktsetzung auf das abweichende Verhalten ermöglichen.<br />
Es dürfte selbstverständlich sein, dass die über die inhaltliche Arbeit der JGH hinausgehenden<br />
Strukturen, also etwa die partielle Zusammenarbeit mit der Polizei und der Justiz für die Arbeit<br />
mit den Kindern völlig unberücksichtigt bleiben, also nicht etwa schon „präventiv“ mit der Polizei<br />
über in Kürze strafmündig werdende „Problemfälle“ verhandelt wird.<br />
Die im Vogtlandkreis vorgenommene Ausweitung der Arbeit mit delinquenten Kindern folgt in<br />
den anderen Standorten Reichenbach und Adorf/Oelsnitz eher der bisherigen Praxis, d. h. die<br />
neuen Angebote sind den Erziehungshilfen zugeordnet, wobei ausdrücklich darauf verwiesen<br />
wird, dass alle Hilfeangebote ohne oder mit verkürztem Hilfeplan realisiert werden. So ist ein<br />
schneller und unkomplizierter Beginn der Arbeit möglich, der eine Spezifizierung und Erweiterung<br />
des Hilfeplanes zu einem späteren Zeitpunkt, nicht ausschließt.<br />
Ferner sei noch auf die nahe liegende Möglichkeit verwiesen, die Arbeit mit Kindern, die mit<br />
abweichendem Verhalten auffallen, in Angebote der Hilfen zur Erziehung zu integrieren. Auch<br />
75
EVALUATIONSBERICHT<br />
hier geht es ausdrücklich nicht um gesondert zu schaffende Angebote, sondern um die Integration<br />
der Kinder in bereits bestehende Einrichtungen bzw. Maßnahmen. Das schließt ein, dass<br />
bestehende Angebote konzeptionell für dieses Angebot geöffnet werden. Grundsätzlich können<br />
dabei alle Angebotsformen (§§27 ff KJHG) dieser Zielgruppe geöffnet werden. Die Entscheidung<br />
darüber, welches Angebot angemessen ist, hängt dabei ausschließlich vom Hilfebedarf<br />
ab. Eine solche Integration setzt allerdings voraus, dass die Mitarbeiter in den jeweiligen Einrichtungen<br />
entsprechend qualifiziert sind. Neben einer Qualifikation im engeren Sinne schließt<br />
das in diesem Arbeitsgebiet den professionellen und kooperativen Umgang mit (potentiellen)<br />
Kooperationspartnern, also der Polizei und gegebenenfalls der Justiz ein. Hier können bestehende<br />
Projekte auf die Erfahrungen der Mitarbeiter des <strong>ESCAPE</strong>- Programms zurückgreifen.<br />
Abschließend soll noch auf die Möglichkeiten der Förderung im Bereich der <strong>Familie</strong>nbildung<br />
nach § 16 KJHG verwiesen werden. Der Anspruch einer begleitenden Eltern- bzw. <strong>Familie</strong>narbeit<br />
im Rahmen der Maßnahme erlaubt auch kreative Querverbindungen.<br />
Mit der hier beschriebenen Fortführung der Arbeit wird nicht nur dokumentiert, dass eine zentrale<br />
Erwartung an ein Modellprogramm, nämlich die Arbeit nach der Modellphase in ein Regelangebot<br />
zu überführen, erfolgreich bewältigt wurde – und zwar von allen drei Standorten. Darüber<br />
hinaus bestätigt sich, dass die gesetzliche und inhaltliche Regelpraxis ausreichend „Nischen“<br />
für Neuentwicklungen bereithält. Voraussetzung für die Implementierung in die Regelpraxis im<br />
Fall der <strong>ESCAPE</strong> – Projekte war es dabei allerdings, dass die Arbeit mit delinquenten Kindern<br />
flexibel mit bereits existierenden Angeboten verknüpft wird. Dies ist nicht nur unter finanziellen,<br />
sondern darüber hinaus auch unter pädagogischen Gesichtspunkten sinnvoll: So kann einerseits<br />
eine Stigmatisierung der Kinder vermieden und gleichzeitig ihre mittel- und langfristige Integration<br />
in andere Angebote realisiert werden.<br />
8. Schluss<br />
Kindliche Lebenswelten haben viele Seiten und Ausdrucksformen. Erwachsene tun sich in ihrem<br />
rationalen Denken oft schwer, sich in die Welt der Kinder hineinzuversetzen. Dass für Erwachsene<br />
ganz andere Dinge im Leben wichtig sind als für Kinder, wird bereits in dem allseits<br />
bekannten Buch „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry eindrücklich beschrieben. Nur<br />
selten gelingt es, im öffentlichen Raum die Perspektive des Kindes einzunehmen - wie in der<br />
Aufschrift auf einem Hinweisschild am Zugang zu einem öffentlichen Spielplatz, auf dem sinngemäß<br />
zu lesen war: „Diesen Platz dürfen Erwachsene nur in Begleitung von Kindern betreten.“<br />
Um Kinder in ihren Ausdrucksformen zu verstehen, muss ihre Sicht der Dinge in die pädagogische<br />
Arbeit einfließen. Erziehung versteht sich dabei als eine Kunst, einerseits die notwendige<br />
Anpassung an gesellschaftliche Normen zu leisten und andererseits die Autonomie des Einzelnen<br />
zu stärken. Dazu bedarf es der Sensibilität für die Situation und der Ausgewogenheit des<br />
Anspruchs von „Fördern und Fordern“. Dazu braucht es aber auch Erzieher mit Vorbildfunktion.<br />
Grenzen zu setzen und aufzuzeigen ist legitim und notwendig. Dabei aber auszugrenzen und<br />
bei Verstößen gleichsam die ganze Person in Frage zu stellen, hinterlässt prägende Spuren.<br />
Projekte wie <strong>ESCAPE</strong> nehmen Politik und Jugendhilfe nicht aus der Pflicht, das Thema Kinderdelinquenz<br />
ganzheitlich anzugehen und gesamtgesellschaftlich zu diskutieren. Der wichtigsten<br />
Sozialisationsinstanz <strong>Familie</strong> darf nicht erst politische Aufmerksamkeit geschenkt werden, wenn<br />
sie den gesellschaftlichen Erwartungen nicht entspricht. Es bedarf vielmehr einer generellen<br />
Entlastung, Förderung und Unterstützung der <strong>Familie</strong> auf den verschiedensten Ebenen unserer<br />
Wohlstandsgesellschaft, in der Kinder zunehmend ein Armutsrisiko darstellen. Junge Menschen<br />
brauchen Zukunftsperspektiven und Rahmenbedingungen für eine förderliche und wertgetragene<br />
Persönlichkeitsentwicklung.<br />
76
Literaturverzeichnis<br />
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Das folgende Verzeichnis enthält zusätzlich zu der im vorliegenden Abschlussbericht verwendeten<br />
Literatur auch sämtliche Quellen, die in den Teiluntersuchungen herangezogen wurden.<br />
Argyle, M.: Social behavior problems in adolescence. In: Silbereisen R.K.; K. Eyferth & G. Reedinger<br />
(Hrsg.): Development as action in context, Berlin (Springer) 1986, S. 55-86<br />
Bendit, R./ Erler. W/Nieborg, S.: H. Schäfer (Hrsg.): Kinder- und Jugendkriminalität. Strategien<br />
der Prävention und Intervention in Deutschland und den Niederlanden. Opladen<br />
(Leske+Budrich) 2000.<br />
Bernstein, S./Lowy, L.: Neue Untersuchungen zur sozialen Gruppenarbeit. Freiburg (Lambertus)<br />
1975.<br />
Bindel-Kögel, G/ Heßler, M. u.a.: Kinder- und Jugenddelinquenz im Spannungsfeld informeller<br />
und formeller Reaktionen insbesondere der Jugendhilfe. Diskussionsbeiträge. TU Berlin<br />
2001.<br />
Bleistein, R.: Kindsein heute – Elternsein heute. In: Jugendwohl 1/1993<br />
Böhnisch, L. /Lenz, K. (Hrsg.): <strong>Familie</strong>n – Eine interdisziplinäre Einführung. Weinheim, München<br />
(Juventa),1997.<br />
Böhnisch, L.: Abweichendes Verhalten. Eine pädagogisch-soziologische Einführung. Weinheim,<br />
München (Juventa) 1999 a<br />
Böhnisch, L.: Sozialpädagogik der Lebensalter. 2. überarb. Auflage. Weinheim, München (Juventa)<br />
1999 b.<br />
Brumlik, M.: Kriminelle Sozialisation. In: Müller, S., H. Peter (Hrsg.): Kinderkriminalität. Empirische<br />
Befunde, öffentliche Wahrnehmung, Lösungsvorschläge. Opladen (Leske Budrich)<br />
1998.<br />
Bullinger, H./Nowak, J.: Soziale Netzwerkarbeit. Eine Einführung für soziale Berufe. Freiburg i.<br />
B.,1998.<br />
Bundesministerium des Inneren/Bundesministerium der Justiz: Erster Periodischer Sicherheitsbericht<br />
(PSB). Berlin 2001.<br />
Bundesministerium für <strong>Familie</strong>, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ, Hrsg.): Kinder- und<br />
Jugendhilfe. Achtes Buch Sozialgesetzbuch (Stand: 2.11.2000). Bonn 2000.<br />
Bundesministerium für Jugend, <strong>Familie</strong>, Frauen und Gesundheit (BMJFFG, Hrsg.): Achter Jugendbericht.<br />
Bericht über Bestrebungen und Leistungen der Jugendhilfe. Bundestagsdrucksache<br />
11 / 6576. Bonn 1990<br />
Bundesministerium für <strong>Familie</strong>, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ, Hrsg.): Zehnter Kinder-<br />
und Jugendbericht. Berlin 1998<br />
Bundesministerium für <strong>Familie</strong>, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ, Hrsg.): Handbuch sozialpädagogische<br />
<strong>Familie</strong>nhilfe. 2. überarbeitete Auflage Stuttgart 1998<br />
Conen M.-L.: Elternarbeit in der Heimerziehung – Eine empirische Studie zur Praxis der Eltern-<br />
und <strong>Familie</strong>narbeit in Einrichtungen der Erziehungshilfe. Frankfurt/Main, 1996.<br />
Deutscher Bundesrat: Gesetzesantrag des <strong>Freistaat</strong>es Bayern. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung<br />
des §1666 BGB und weiterer Vorschläge. Bundesratsdrucksache 645/98 vom<br />
26.06.98, Bonn 1998.<br />
Deutscher Bundestag: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten<br />
Dr. Jürgen Meyer, Günter Graf, Thomas Krüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion<br />
der SPD. Bundestagsdrucksache 13 / 8284 vom 23.07.1997<br />
Deutscher Bundestag: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der gesetzlichen Maßnahmen<br />
gegenüber Kinder- und Jugenddelinquenz. BT-Drs.: 14/3189 vom 12.04.2000. In: DVJJ-<br />
Journal 4/2000: 328-332.<br />
Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.): Der Mythos der Monsterkids. Strafunmündige „Mehrfach- und<br />
Intensivtäter“. Ihre Situation – Grenzen und Möglichkeiten der Hilfe. München,1999b.<br />
Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.): Strafverdächtige Kinder und ihre <strong>Familie</strong>n – Problembewusstsein<br />
zuständiger Institutionen. DJI Materialien München / Leipzig 1999<br />
77
EVALUATIONSBERICHT<br />
Drößler, Th.: Kids. In: Wolfgang Schroer et al (Hrsg.): Handbuch Kinder- und Jugendhilfe. München,<br />
Weinheim (Juventa) 2002.<br />
Dusolt, H.: Elternarbeit für Erzieher, Lehrer, Sozial- und Heilpädagogen. München 1993.<br />
Farrington, D. P.: Psychologische Beiträge zur Erklärung, Verhütung und Behandlung von Kriminalität.<br />
Gruppendynamik, 22, 141-160,1991.<br />
Farrington, D.P.: The Explanation and Preventing of Youthful Offending. In J.D. Hawkins<br />
(Hrsg.), Delinquency and Crime – Current Theories (S. 68-148). Cambridge: University<br />
Press, 1996.<br />
Fatke, R. (Hrsg.): Was macht ihr für Geschichten? Ausdrucksformen des kindlichen Erlebens.<br />
Aktual. Auflage, München (dtv), 1997.<br />
Feltes, Th.: Die überforderte Polizei. Kinder, Kriminalität und Polizei. In: Müller, S. / Peters, H.<br />
(Hrsg.): Kinderkriminalität. Empirische Befunde, öffentliche Wahrnehmung, Lösungsvorschläge.<br />
Opladen (Leske + Budrich) 1998, S. 305-323.<br />
Fend, H.: Vom Kind zum Jugendlichen. Der Übergang und seine Risiken. Bern, Stuttgart 1990.<br />
Fend, H.: Entwicklungspsychologie des Jugendalters. 2.Auflage, Opladen (Leske+ Budrich),<br />
2001<br />
Flick, U.: Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 6.Auflage, Rowohlt, Hamburg, 2002.<br />
Forschungsgruppe Schulevaluation (Hrsg.): Gewalt als soziales Problem in Schulen. Die<br />
Dresdner Studie: Untersuchungsergebnisse und Präventionsstrategien. Opladen<br />
(Leske+Budrich.), 1998<br />
Franzke, M. / Oehme, A.: Das Schulverweigererprojekt TAKE OFF Leipzig – Wege zur Begegnung<br />
schulaversiven Verhaltens von Jugendlichen. In: Sächsisches Landesjugendamt:<br />
Veröffentlichungen zum Pilotprojekt „Jugendwerkstatt für Schulverweigerer“, 1999.<br />
Friedrich, P.: Die „Lücke“-Kinder: Zur Freizeitsituation der 9-14 Jährigen. Weinheim, Basel<br />
(Beltz) 1984<br />
Fröhlich-Gildhoff (Hrsg.): Indikation in der Jugendhilfe. Grundlagen für die Entscheidungsfindung<br />
in Hilfeplanung und Hilfeprozess. Weinheim und München 2002<br />
Furian, M. (Hrsg.): Praxis der Elternarbeit in Kindergarten, Hort, Heim und Schule. Heidelberg<br />
1982.<br />
Geißler, K..A.: Schlusssituationen. Die Suche nach dem Ende. Weinheim, Basel (Beltz) 1992.<br />
Geißler, K.A./ Hege, M.: Konzepte sozialpädagogischen Handelns. Ein Leitfaden für soziale Berufe.<br />
6. Aufl., Weinheim, Basel (Beltz) 1992<br />
Gernert, W.: Jugendhilfe: Einführung in die sozialpädagogische Praxis. München, Basel (E.<br />
Reinhardt), 1993.<br />
Glinka, H.-J.: Das narrative Interview. Eine Einführung für Sozialpädagogen. Edition Soziale Arbeit.<br />
Weinheim, München (Juventa) 1998.<br />
Gudjons, H.: Spielbuch Interaktionserziehung. Bad Heilbrunn 1995.<br />
Günder, R.: Hilfen zur Erziehung. Eine Orientierung über die Erziehungshilfen im SGB VIII.<br />
Freiburg im Breisgau, 1999.<br />
Hager, W. & Hasselhorn, M.: Psychologische Interventionsmaßnahmen: Was sollen sie bewirken<br />
können? In W. Hager, J.-L. Patry & H. Brezing (Hrsg.), Evaluation psychologischer<br />
Interventionsmaßnahmen. Standards und Kriterien: ein Handbuch (S. 41-85). Bern,<br />
2000: Verlag Hans Huber.<br />
Hartmann, A. & Herzog, T.: Varianten der Effektstärkenberechnung in Meta-Analysen: Kommt<br />
es zu variablen Ergebnissen? Zeitschrift für klinische Psychologie, 24, 337-343, 1995.<br />
Hartwig, L.: Spezialisierung versus Entspezialisierung In: Wolfgang Schroer et al (Hrsg.): Handbuch<br />
Kinder- und Jugendhilfe. München, Weinheim (Juventa) 2002, S.959-970.<br />
Hasselhorn, M. & Mähler, C.: Transfer: Theorien, Technologien und empirische Erfassung. In<br />
W. Hager, J.-L. Patry & H. Brezing (Hrsg.), Evaluation psychologischer Interventionsmaßnahmen.<br />
Standards und Kriterien: ein Handbuch (S. 86-101). Bern, 2000: Verlag<br />
Hans Huber.<br />
Heckel, H.: Schulrechtskunde. Ein Handbuch für Praxis, Rechtssprechung und Wissenschaft.<br />
Neuwied, Darmstadt: Luchterhand, 1986.<br />
78
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Herrmann, F.: Jugendhilfeplanung. Wolfgang Schroer et al (Hrsg.): Handbuch Kinder- und Jugendhilfe.<br />
München, Weinheim (Juventa) 2002, S.869-882.<br />
Holfelder, W.: Sächsisches Schulgesetz: Handkommentar mit Sonderteil Lehrerdienstrecht.<br />
Stuttgart (u.a.): Boorberg,1992.<br />
Holtappels, H. G. (Hrsg.): Forschung über Gewalt an Schulen: Erscheinungsformen und Ursachen,<br />
Konzepte und Prävention. Weinheim, München (Juventa), 2000.<br />
Hoops, S.; H. Permien; P. Riecker: Delinquenz von Kindern – eine Herausforderung für <strong>Familie</strong>,<br />
Jugendhilfe und Politik. In: DJI – Das Forschungsjahr 1999. S. 37 – 50.<br />
Hoops, S.; H. Permien; P. Riecker: Zwischen null Toleranz und null Autorität. Strategien von<br />
<strong>Familie</strong>n und Jugendhilfe im Umgang mit Kinderdelinquenz. München (DJI Verlag) 2000.<br />
Hopf, A.: Sozialpädagogik für Lehrerinnen und Lehrer. München: Oldenbourg, 1997.<br />
Hübner, G.-E./Kerner, S./Kunath, W./ Planas, H.: Mindeststandards Polizeilicher Jugendarbeit.<br />
In DVJJ-Journal 1997, S. 26 ff.<br />
Hurrelmann, K.: Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung.<br />
Weinheim und München (Juventa), 1994.<br />
Jugendpolitisches Programm der Sächsischen Staatsregierung. Landesjugendplan. Sächsisches<br />
Staatsministerium für Soziales, Gesundheit und <strong>Familie</strong>. Dresden 1996<br />
Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hrsg.): Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe.<br />
Schuljugendarbeit. Bönen (Verlag für Schule und Weiterbildung),1997.<br />
Lösel, F.: Risikodiagnose und Risikomanagement in der inneren Sicherheit: Das Beispiel der<br />
Jugendkriminalität. In: Neuhaus, H. (Hrsg.): Sicherheit in der Gesellschaft heute. Wirklichkeit<br />
und Aufgabe. Erlanger Forschungen. Reihe A, Band 92, Erlangen 2000.<br />
Karmann, G. & Ludwig, P. (). Soziale Gruppenarbeit für gefährdete Kinder. Abschlussbericht.<br />
1996.<br />
Klatetzki, T.: Flexible Erziehungshilfen. Ein Organisationskonzept in der Diskussion. Münster<br />
(Votum), 1995.<br />
Kösel, Edmund: Postmoderne Lebens- und Lernprogramme von Kindern. In: Seibert, Norbert:<br />
Kindliche Lebenswelten. Eine mehrperspektivische Annäherung. Bad Heilbrunn, 1999.<br />
Kreie, G.: Integrative Kooperation – Ein Modell der Zusammenarbeit. In: Eberwein, Hans<br />
(Hrsg.): Handbuch Integrationspädagogik. Weinheim und Basel (Beltz), 1997, S. 285-<br />
290.<br />
Krüger, H.-H./ Marotzki, W. (Hrsg.): Erziehungswissenschaftliche Biographieforschung. Studien<br />
zur Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung. Bd. 6. Opladen (Leske und<br />
Budrich), 1995.<br />
Kunkel, P.-Ch.: Grundlagen des Jugendhilferechts. Systematische Darstellung für Studium und<br />
Praxis. Baden-Baden, 2001.<br />
Lamnek, S.: Qualitative Sozialforschung. 2 Bde. Weinheim (Beltz), 1995.<br />
Leitner, W.: kindliche Lebenswelten unter besonderer Berücksichtigung der Situation von<br />
Scheidungswaisen im familiären und schulischen Kontext. In: Seibert, Norbert: Kindliche<br />
Lebenswelten. Eine mehrperspektivische Annäherung. Bad Heilbrunn, 1999.<br />
Leube, K.: Elternarbeit. In: Kreft, Mielenz: Wörterbuch Sozialer Arbeit. Weinheim und Basel<br />
1996.<br />
Loeber, R.: Developmental Continuity, Change, and Pathways in Male Juvenile Problem Behaviors<br />
and Delinquency. In J. D. Hawkins (Hrsg.), Delinquency and Crime – Current Theories<br />
(S. 68-148) Cambridge, 1996: University Press.<br />
Lüders, Ch.: Kinderdelinquenz - noch eine Herausforderung für die Kinder- und Jugendhilfe? In:<br />
Müller, S.; H. Peter (Hrsg.): Kinderkriminalität. Empirische Befunde, öffentliche Wahrnehmung,<br />
Lösungsvorschläge. Opladen (Leske und Budrich), 1998, S. 51-81<br />
Mand, J.: Lernbehinderung als soziale Benachteiligung. In: Eberwein, H. (Hrsg.): Handbuch<br />
Lernen und Lern-Behinderung. Weinheim und Base (Beltz), 1996, S. 165-175.<br />
Mattejat, F. & Remschmidt, H.: Fragebögen zur Beurteilung der Behandlung (FBB). Handanweisung.<br />
Göttingen (Hogrefe), 1998.<br />
Mayring, P.: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken.<br />
5. Auflage, Weinheim, Basel (Beltz), 2002.<br />
79
EVALUATIONSBERICHT<br />
McEvoy, A. & Welker, R. (). Antisocial Behavior, Academic Failure, and School Climate: A Critical<br />
Review. Journal of Emotional and Behavioral Disorders, 8, 130-140, 2000.<br />
Melzer, W.: Statement beim Hearing „Jugendhilfe und Schule“. In: vds – Fachverband für Behindertenpädagogik<br />
(Hrsg.): Mitteilungen aus dem Landesverband <strong>Sachsen</strong> e.V.. Leipzig,<br />
2001, Heft 1/2001, 34-37.<br />
Meuser, M. / Nagel, U.: ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. In: Garz, D. /<br />
Kraimer, K. (Hrsg.): Qualitativ-empirische Sozialforschung. Opladen (Westdeutscher<br />
Verlag GmbH), 1991, S. 441-471.<br />
Meyer, H.: Schulpädagogik. Band I: Für Anfänger. Berlin (Cornelsen Scriptor),1997.<br />
Möbius, T./ Klawe, W. (Hg.): AIB - Ambulante Intensive Begleitung. Handbuch für eine innovative<br />
Praxis in der Jugendhilfe. Weinheim, Berlin, Basel 2003<br />
Moffitt, T. E.: Adolescence-Limited and Life-Course-Persistent Antisocial Be-havior: A Developmental<br />
Taxonomy. Psychological Review, 100, 674-701,1993.<br />
Müller, F.W.: „Hurra, wir haben einen Konflikt!“ Einrichtungsübergreifende Fortbildung zu Gewalt<br />
in Kindertagesstätten, Horten und Grundschulen. In: Deutsches Jugendinstitut<br />
(Hrsg.): Wider der Ratlosigkeit im Umgang mit Kinderdelinquenz. Präventive Ansätze<br />
und Konzepte. München, 2000, S. 24-36.<br />
Müller, S./Peter, H. (Hrsg.): Kinderkriminalität. Empirische Befunde, öffentliche Wahrnehmung,<br />
Lösungsvorschläge. Opladen (Leske und Budrich), 1998.<br />
Münder, J. et al.: Frankfurter Lehr- und Praxiskommentar zum KJHG/SGBVIII, 3. Auflage,<br />
Münster (Votum), 1998.<br />
Münder, J.: Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG). In: Otto, H.-U. / Thiersch, H. (Hrsg.): Handbuch<br />
der Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Neuwied, Kriftel (Luchterhand), 2001, S. 1001-<br />
1019.<br />
Mutzeck, W.: Verhaltensgestörtenpädagogik und Erziehungshilfe. Bad Heilbrunn/Obb. (Klinkhardt)<br />
2000.<br />
Nestmann, F.: <strong>Familie</strong> als soziales Netzwerk und <strong>Familie</strong> im sozialen Netzwerk. In: Böhnisch,<br />
L./Lenz, K. (Hrsg.): <strong>Familie</strong>n – Eine interdisziplinäre Einführung. Weinheim und München<br />
(Juventa), 1997.<br />
Niebes, L. / Becher, B. / Pollmann, A.: Schulgesetz und Schulordnungen im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>:<br />
Praxiskommentar mit Hinweisen zum Lehrerdienstrecht. Stuttgart (u.a.): Boorberg, 2001.<br />
Niehaus, J./Gerstein, H.: Fragen und Beobachtungen zur Rolle der Jugendhilfe bei der Verhinderung<br />
von Jugendkriminalität. In: DVJJ-Journal 4/2000: 378-379.<br />
Olweus, D.: Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten – und tun können. Bern<br />
(Huber), 1996.<br />
Ostendorf, H.: Vorrang der Prävention vor Repression. In: Schmidt-Gödelitz, A.; C. Pfeiffer; J.<br />
Ziegenspeck (Hrsg.): Kinder- und Jugendkriminalität in Deutschland. Ursachen, Erscheinungsformen,<br />
Gegensteuerung. Bericht über eine Tagung der "Friedrich-Ebert-Stiftung"<br />
in Berlin. Lüneburg: Ed. Erlebnispädagogik 1997, S. 87-92.<br />
Pantucek, P.: Lebensweltorientierte Individualhilfe. Eine Einführung für soziale Berufe. Freiburg<br />
(Lambertus) 1998<br />
Pieper, A. (Hrsg.): Aristoteles. ausgew. und vorgestellt von Annemarie Pieper. München 1995<br />
Plewig, H.-J.: Was braucht der kleine Willy? Zum aktuellen Umgang mit dem Phänomen ‘Kinder-Kriminalität’.<br />
In: Müller, S.; H. Peter (Hrsg.): Kinderkriminalität. Empirische Befunde,<br />
öffentliche Wahrnehmung, Lösungsvorschläge. Opladen (Leske und Budrich), 1998, S.<br />
277-288.<br />
Pongratz, E.: Zum Umgang mit kindlicher Delinquenz. Eine Untersuchung zum Dunkelfeld und<br />
zur Prävention von Kinderdelinquenz in Grundschulen. Heidelberg: Univ., Diss. 1999.<br />
Reichling, U.: Die Absenkung des Strafmündigkeitsalters: Wirksames Mittel zur Bekämpfung<br />
der Kinder- und Jugendkriminalität. In: Gehl, G. (Hrsg.): Kinder- und Jugendkriminalität.<br />
Über den Umgang mit einem gesellschaftspolitischen Sprengsatz. Perspektiven und<br />
Konzepte. Weimar: Dadder 2000, S. 77-81.<br />
Retzmann, E.: Familiäre Interaktion und delinquentes Verhalten bei Kindern. Eine explorative<br />
Studie zur Planung und Durchführung eines Elterntrainings. In: Interdisziplinäre Beiträge<br />
zur Kriminologischen Forschung. Band 13. Köln, Berlin, Bonn, München 1986.<br />
80
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Sächsisches Staatsministerium für Kultus (1992a): Verwaltungsvorschrift des Sächsischen<br />
Staatsministeriums für Kultus zur Auswahl und Bestellung von Beratungslehrern im<br />
<strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>. In: Sächsisches Staatsministerium für Kultus: Amtsblatt des Sächsischen<br />
Staatsministeriums für Kultus. Dresden: Nr. 10/1992, 49-50.<br />
Sächsisches Staatsministerium für Kultus (1992b): Verwaltungsvorschrift des Sächsischen<br />
Staatsministeriums für Kultus zur Tätigkeit von Beratungslehrern an den Schulen im<br />
<strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>. In: Sächsisches Staatsministerium für Kultus: Amtsblatt des Sächsischen<br />
Staatsministeriums für Kultus. Dresden: Nr. 10/1992, 50-52.<br />
Sächsisches Staatsministerium für Kultus (1996): Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums<br />
für Kultus über Förderschulen im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong> (Schulordnung Förderschulen<br />
– SOFS). In: Niebes, L. / Becher, B. / Pollmann, A. (2001): Schulgesetz und Schulordnungen<br />
im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>: Praxiskommentar mit Hinweisen zum Lehrerdienstrecht.<br />
Stuttgart (u.a.): Boorberg.<br />
Sächsisches Staatsministerium für Kultus (1997): Konzept des Sächsischen Staatsministeriums<br />
für Kultus zur Schuljugendarbeit. In: Sächsisches Staatsministerium für Kultus: Amtsblatt<br />
des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus. Dresden: Nr. 4/1997, 106-108.<br />
Sächsisches Staatsministerium für Kultus (1999a): Förderrichtlinie des Sächsischen Staatsministeriums<br />
für Kultus zur Gewährung von Zuwendungen für Projekte der Schuljugendarbeit<br />
in Kooperation mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. In: Sächsisches<br />
Staatsministerium für Kultus: Ministerialblatt des Sächsischen Staatsministeriums für<br />
Kultus. Dresden: Nr. 1/1999, 2-3.<br />
Sächsisches Staatsministerium für Kultus (1999b): Verwaltungsvorschrift des Sächsischen<br />
Staatsministeriums für Kultus über die schulpsychologische Beratung im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>.<br />
In: Sächsisches Staatsministerium für Kultus: Ministerialblatt des Sächsischen<br />
Staatsministeriums für Kultus. Dresden: Nr. 12/1999, 382-383.<br />
Sächsisches Staatsministerium für Kultus (2000): Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums<br />
für Kultus über die Zuständigkeiten bei Ordnungsmaßnahmen (Ordnungsmaßnahmenzuständigkeitsverordnung<br />
– ZustOrdVO). In: Sächsisches Staatsministerium für<br />
Kultus: Ministerialblatt des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus. Dresden: Nr.<br />
10/2000.<br />
Sächsisches Staatsministerium für Kultus / Sächsisches Staatsministerium für Soziales, Gesundheit,<br />
Jugend und <strong>Familie</strong> (Hrsg.) (2001): Entwurf eines Positionspapier des SMK<br />
und des SMS zur Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>.<br />
Unveröffentlicht<br />
Saint-Exupéry, A.: Der kleine Prinz. 5. Aufl. Berlin 1975.<br />
Sander, U./ R. Vollbrecht: Zwischen Kindheit und Jugend. Träume, Hoffnungen und Alltag 13-<br />
bis 15jähriger. Weinheim, München (Juventa),1985.<br />
Schäfer, H.: Zum Umgang mit delinquenten Kindern - eine Einführung. In: Arbeitsstelle Kinder –<br />
und Jugendkriminalitätsprävention / Bundesjugendkuratorium (Hrsg.): Wider der Ratlosigkeit<br />
im Umgang mit Kinderdelinquenz. Präventive Ansätze und Konzepte. München<br />
(DJI Verlag), 2000.<br />
Schäfers, B.: Gesellschaftlicher Wandel in Deutschland. Ein Studienbuch zur Sozialstruktur und<br />
Sozialgeschichte. Stuttgart, 1995.<br />
Schneider, U./Sengling, S.: Die <strong>Familie</strong> im Schatten sozialpolitischer Herausforderungen. In:<br />
Hohmeier, J.; Mair, H. (Hrsg.): Eltern- und <strong>Familie</strong>narbeit. <strong>Familie</strong>n zwischen Selbsthilfe<br />
und professioneller Hilfe. Freiburg im Breisgau 1989.<br />
Schone, R.: Hilfe und Kontrolle. In: Schröer, W. /Struck, N. / Wolff, M. (Hrsg.): Handbuch Kinder-<br />
und Jugendhilfe. Weinheim und München 2002, S. 945-958<br />
Schroer, W., N. Struck, M. Wolff(Hrsg.): Handbuch Kinder- und Jugendhilfe. München, Weinheim<br />
(Juventa), 2002.<br />
Sedlmeier, P.: Jenseits des Signifikanztest-Rituals: Ergänzungen und Alternativen. Methods of<br />
Psychological Research – online, 1, 45-68, 1996.<br />
Seitz, W. & Rausche, A.: Persönlichkeitsfragebogen für Kinder zwischen 9 und 14 Jahren (PFK<br />
9-14). Handanweisung (3., überarb. und erg. Aufl.). Göttingen (Hogrefe),1992.<br />
Selman, R. L.: Die Entwicklung des sozialen Verstehens. Entwicklungspsychologische und klinische<br />
Untersuchungen. Frankfurt a.M. (Suhrkamp), 1984.<br />
81
EVALUATIONSBERICHT<br />
Seybold, H.: Soziale Trainingskurse für Kinder. Bericht über ein <strong>Modellprojekt</strong>. In: Jugendwohl.<br />
(hg. Dt. Caritasverband e.V.Freiburg) 77.Jg., H.7, S. 332-341<br />
Silbereisen, R./ Wiesner, M.: Delinquentes Verhalten in Ost und West. Jahreshäufigkeit, Schweregrad<br />
und Verlaufsmuster. In: Silbereisen, R.; J. Zinnecker (Hrsg.): Entwicklung im sozialen<br />
Wandel. Weinheim (Beltz), 1999, S. 251-270.<br />
Steffen, W.: Delinquenz strafunmündiger Kinder. In: Deutsches Jugendinstitut: Der Mythos der<br />
Monsterkids. Strafunmündige "Mehrfach- und Intensivtäter". Ihre Situation – Grenzen<br />
und Möglichkeiten der Hilfe. München (DJI Verlag), 1999, S. 5-14.<br />
Stickelmann, B./ Frühauf, H.P.: Kindheit und sozialpädagogisches Handeln. Auswirkungen der<br />
Kindheitsforschung. Weinheim, München (Juventa) 2003<br />
Stimmer, F. (Hrsg.): Lexikon der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit. München, Wien 2000.<br />
Stouthamer-Loeber, M., Loeber, R. & Wei, E. (2002). Risk and promotive effects in the explanation<br />
of persistent serious delinquency in boys. Journal of Consulting & Clinical Psychology,<br />
70, 111-123.<br />
Straus, F.: Netzwerkarbeit. Die Netzwerkperspektive in der Praxis. In: Textor, M. R. (Hrsg.): Hilfen<br />
für <strong>Familie</strong>n. Ein Handbuch für psychosoziale Berufe. Frankfurt am Main,1990.<br />
Strieder, T.: <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong>. Hilfeangebote für Kinder mit abweichendem Verhalten. In:<br />
Stickelmann, B./ Frühauf, H.P.: Kindheit und sozialpädagogisches Handeln. Auswirkungen<br />
der Kindheitsforschung. Weinheim, München (Juventa) 2003<br />
Textor, M. R. (Hrsg.): Hilfen für <strong>Familie</strong>n. Ein Handbuch für psychosoziale Berufe. Frankfurt am<br />
Main, 1991.<br />
Thiersch, H.: Lebensweltorientierte Soziale Arbeit. Aufgaben der Praxis im sozialen Wandel.<br />
Weinheim und München 1995.<br />
Thiersch, H.: Notizen zum Zusammenhang von Lebenswelten, Flexibilität und flexiblen Hilfen.<br />
In: Friedhelm Peters et al (Hrsg.):Integrierte Erziehungshilfen. Qualifizierung der Jugendhilfe<br />
durch Flexibilisierung und Integration, Farnkfurt am Main, 1998.<br />
Thomas, K.: Kinderdelinquenz: Erscheinungsformen, Ursachen, Prävention. Projektbericht. Bremen:<br />
Hochschule für öffentliche Verwaltung Bremen 1998.<br />
Thomas, K.: Der Kinderdelinquenz Einhalt gebieten – aber wie? In: Zeitschrift für Rechtspolitik,<br />
32. Jahrgang Heft 5 1999. S.193 – 196.<br />
Tillmann, K.-J. (u.a.): Schülergewalt als Schulproblem: verursachende Bedingungen, Erscheinungsformen<br />
und pädagogische Handlungsperspektiven. Weinheim, München (Juventa),<br />
1999.<br />
von Wolffersdorff, Ch.: Jugendkriminalität in Deutschland – Über den Umgang mit schwierigen<br />
Jugendlichen und das neue Bedürfnis nach "law and order". In: Bendit, R.; Erler,<br />
W./Nieborg, S./Schäfer, H. (Hrsg.): Kinder- und Jugendkriminalität. Strategien der Prävention<br />
und Intervention in Deutschland und den Niederlanden. Opladen<br />
(Leske+Budrich), 2000.<br />
von Wolffersdorff, Ch.: Kinder- und Jugenddelinquenz. In: Wolfgang Schroer et.al.(Hrsg.):<br />
Handbuch Kinder- und Jugendhilfe, Weinheim, München (Juventa), 2002, S.495-525.<br />
von Wolffersdorff, Ch.: Kinder- und Jugendkriminalität: Gewalt im Brennpunkt der pädagogischen<br />
Diskussion. In: Stickelmann, B./ Frühauf, H.P.: Kindheit und sozialpädagogisches<br />
Handeln. Auswirkungen der Kindheitsforschung. Weinheim, München (Juventa) 2003<br />
Warnke, A.: Elternarbeit. In: Speck, O./Martin, K. L. (Hrsg): Handbuch der Sonderpädagogik<br />
Bd.10, Sonderpädagogik und Sozialarbeit. Berlin, 1990.<br />
Welz-Stadelbauer, B. / Schäfer, H.: Soziale Gruppenarbeit für strafunmündige Kinder. In: Deutsches<br />
Jugendinstitut (Hrsg.): Wider der Ratlosigkeit im Umgang mit Kinderdelinquenz.<br />
Präventive Ansätze und Konzepte. München, 2000, S. 161-173.<br />
Witzel, A.; Auswertung problemzentrierter Interviews. Grundlagen und Erfahrungen. In Reiner<br />
Strobl, Andreas Böttger: Wahre Geschichten? Zu Theorie und Praxis qualitativer Interviews,<br />
Baden Baden, 1996.<br />
Witzel, A.: Das problemzentrierte Interview. In: Jüttemann, G. (Hrsg.): Forschung in der Psychologie.<br />
Heidelberg (Roland Asanger Verlag), 1989, S. 227-255.<br />
Wocken, H.: Integration heißt auch: Arbeit im Team. Bedingungen und Prozesse kooperativer<br />
Arbeit. In: Pädagogik. 41. Jg., 18 – 22, 1991.<br />
82
<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
Wolff, M.: Integrierte Hilfen und ihre Perspektiven für die Flexibilisierung von Jugendhilfe. Einige<br />
Befunde der wissenschaftlichen Begleitung des Verbunds Sozialpädagogischer Projekte<br />
e.V. Dresden.*<br />
Zimmer, E.: Systemische Arbeit mit Kindern und deren <strong>Familie</strong>n – Integrative <strong>Familie</strong>nhilfe. In:<br />
Arbeitsstelle Kinder – und Jugendkriminalitätsprävention / Bundesjugendkuratorium<br />
(Hrsg.): Wider der Ratlosigkeit im Umgang mit Kinderdelinquenz. Präventive Ansätze<br />
und Konzepte. München (DJI Verlag), 2000.<br />
Zimmermann, P.: Grundwissen Sozialisation. Opladen 2000<br />
Zitzmann, R. J.: Kinderdelinquenz. Ursachen, Hintergründe und Ergebnisse einer empirischen<br />
Untersuchung über delinquente Kinder in Mainz. Mainz: Univ., Fachbereich Medizin,<br />
Diss. 1981.<br />
Internetquellen:<br />
Bundesdatenschutzgesetz vom 20. Dezember 1990, Stand: 06/94. URL:<br />
http://www.datenschutz-berlin.de/informat/bdsg/bdsg1.htm#bdsg_nr16<br />
Bundesministerium des Inneren / Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Erster Periodischer Sicherheitsbericht.<br />
http://www.bmi.bund.de/Downloads/5.pdf am 13.07.2002 um 20:29<br />
Uhr.<br />
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (2001): Weiterentwickelte Empfehlung<br />
und Arbeitshilfe für den Ausbau und die Verbesserung der Zusammenarbeit der Kinder-<br />
und Jugendhilfe mit der Schule. http://www.deutscherverein.de/portal/stellungnahmen/200103<br />
am 24.05.2002 um 9:48 Uhr.<br />
Hamburgisches Schulgesetz vom 16. April 1997<br />
(HmbSG)http://lbs.hh.schule.de/welcome.phtml?unten=/schulgesetz/schulgesetz.htm am<br />
28.07.2002 um 10:51 Uhr<br />
Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales (2000): Verzeichnis der Jugendämter im <strong>Freistaat</strong><br />
<strong>Sachsen</strong>. Chemnitz.<br />
Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (1994):<br />
Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik<br />
Deutschland. http://www.kmk.org/doc/beschl/sopae94.pdf am 02.07.2002 um 17:27<br />
Uhr.<br />
Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (1999):<br />
Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Lernen und zum Förderschwerpunkt emotionale<br />
und soziale Entwicklung. http://www.kmk.org/doc/beschl/sopäle.pdf<br />
http://www.kmk.org/doc/beschl/emotsozentw.pdf am 02.07.2002 um 17:16<br />
Pressespiegel<br />
Die nachfolgenden Seiten enthalten gesammelte Presseartikel. Sie umfassen alle Veröffentlichungen<br />
der Printmedien zum <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong>, sofern sie dem Projektmanagement und<br />
der wissenschaftlichen Begleitung bekannt geworden sind.<br />
83