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Modellprojekt ESCAPE - Familie - Freistaat Sachsen

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MODELLPROJEKT<br />

Erprobung neuer Hilfeangebote für Kinder<br />

mit abweichendem Verhalten<br />

Schlussbericht zur Evaluation<br />

<strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong><br />

Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales


IMPRESSUM:<br />

Herausgeber:<br />

Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales<br />

Abteilung 4 - Landesjugendamt<br />

Reichsstr. 3<br />

09112 Chemnitz<br />

Telefon: 0371 577-0<br />

Fax: 0371 577-282<br />

E-Mail: Landesjugendamt@slfs.sms.sachsen.de<br />

Web: http://www.slfs.sachsen.de/lja<br />

Redaktion:<br />

Verantwortlich: Ursula Specht Tel. 577-338<br />

Ansprechpartnerin: Karla Losemann Tel. 577-268<br />

Red. Bearbeitung: Tobias Strieder,<br />

Caritasverband Leipzig e.V.<br />

Titelbild:<br />

Logo <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Projektleitung, Caritasverband Leipzig e.V.<br />

Druck:<br />

Druckspecht – Offsetdruck & Service GmbH Chemnitz<br />

Auflage:<br />

1000 Stück<br />

Bezug:<br />

Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales<br />

Abteilung 4 – Landesjugendamt<br />

Tel.: 0371 577-329<br />

Chemnitz, Dezember 2003<br />

Diese Broschüre wird kostenlos abgegeben.


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Juli 2000 – März 2003<br />

Schlussbericht zur Evaluation<br />

Tobias Strieder<br />

Christian v. Wolffersdorff<br />

Caritasverband Leipzig e.V.<br />

in Zusammenarbeit mit dem<br />

Lehrstuhl für Sozialpädagogik<br />

Universität Leipzig<br />

Leipzig, November 2003


EVALUATIONSBERICHT<br />

Projektträger<br />

Caritasverband Leipzig e.V.<br />

Elsterstr. 15, 04109 Leipzig<br />

Tel. (0341) 9 63 61 17<br />

Universität Leipzig<br />

Erziehungswissenschaftliche Fakultät<br />

Lehrstuhl für Sozialpädagogik<br />

Karl-Heine-Str. 22 b, 04229 Leipzig<br />

Tel. (0341) 9 73 14 75<br />

Projektleitung, wissenschaftliche Begleitung und Projektkoordination<br />

Prof. Dr. Christian v. Wolffersdorff<br />

MA EW Tobias Strieder<br />

Mitwirkung an der wissenschaftlichen Begleitung<br />

Dipl. soz. päd. Gabriele Gabriel Doreen Elsner (cand. päd.)<br />

Nicole Hammer (cand. päd.) Wiebke Stritz (cand. päd.)<br />

Susann Vahle (cand. sozpäd.) Martin Hoffmeier (cand. päd.)<br />

Simone Bär (cand. päd.) Marlen Beyer (cand. päd.)<br />

Katrin Wiesel (cand. päd.) Christina Knoll (cand. päd.)<br />

Cornelia Dupke (cand. psych.) Carola Risse (cand. päd.)<br />

Träger der Modellstandorte<br />

Diakonisches Werk im Kirchenbezirk Auerbach e.V.<br />

Bergstraße 5<br />

08209 Auerbach<br />

Diakonisches Werk - Stadtmission Dresden e.V.<br />

Glacisstraße 44<br />

01099 Dresden<br />

Diakonie Riesa gGmbH,<br />

Sozialunternehmen „Sprungbrett“<br />

Spinnereistraße 3<br />

01591 Riesa<br />

Projektmitarbeiterinnen und Projektmitarbeiter in den Modellstandorten<br />

Dipl. soz. päd. Astrid Kühnke (Auerbach)<br />

Dipl. soz. päd. Martin Jetter (Dresden)<br />

Dipl. päd. Annette Seidel (Dresden)<br />

Dipl. soz. päd. Reinhard Fries (Dresden)<br />

Dipl. päd. Marit Sieber (Riesa)<br />

Dipl. päd. Christin Spanier (Riesa)<br />

Dipl. soz. päd. Elke Fiedler (Riesa)<br />

2


Initiierung des <strong>Modellprojekt</strong>s<br />

Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales<br />

Landesjugendamt<br />

Reichsstraße 3<br />

09112 Chemnitz<br />

Verantwortliche Mitarbeiterinnen des Landesjugendamtes<br />

Grit Kalinka<br />

Karla Losemann<br />

Projektförderung<br />

Sächsisches Staatsministerium für Soziales<br />

Albertstraße 10<br />

01097 Dresden<br />

Projektbeirat<br />

Dr. Gisela Ulrich, Sächsisches Staatsministerium für Soziales<br />

Dietmar Lisofsky, Sächsisches Staatsministerium des Inneren<br />

Friedhelm Piepmeyer, Sächsisches Staatsministerium für Kultus<br />

Prof. Ullrich Gintzel, Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit Dresden (FH)<br />

Prof. Christian v. Wolffersdorff, Universität Leipzig<br />

Dr. Peter Rieker, Deutsches Jugendinstitut, Regionale Arbeitsstelle Leipzig/Halle<br />

Sabine Vietzke, Jugend- und Schulamt Hoyerswerda<br />

Karla Losemann, Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales, Landesjugendamt<br />

Grit Kalinka, Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales, Landesjugendamt<br />

Tobias Strieder, Caritasverband Leipzig e.V.<br />

<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

3


EVALUATIONSBERICHT<br />

Vorwort<br />

Das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> wurde vom Sächsischen Landesjugendamt initiiert und in wissenschaftlicher<br />

Begleitung vom Lehrstuhl für Sozialpädagogik der Universität Leipzig in enger Zusammenarbeit<br />

mit dem Caritasverband Leipzig e.V. umgesetzt. Der Durchführungszeitraum an<br />

drei Modellstandorten belief sich von Juli 2000 bis März 2003.<br />

Ein <strong>Modellprojekt</strong> bildet immer wieder einen besonderen Höhepunkt zur Entwicklung der Jugendhilfe.<br />

Insbesondere scheinen <strong>Modellprojekt</strong>e geeignet für die Erprobung und Überleitung<br />

neuer fachlicher Erkenntnisse und Arbeitsweisen in die Praxis. Das Landesjugendamt als Innovationsgeber<br />

an der Schnittstelle zwischen der örtlichen Ebene und der obersten Landesjugendbehörde<br />

kann dabei aus seiner Rolle heraus am ehesten neue Wege aufgreifen und umsetzen.<br />

Mit dem <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> reagierte das Landesjugendamt in 1999 auf Beobachtungen<br />

aus der Jugendhilfe und dem öffentlichen Politikbereich. Es wurden konkrete Konzepte für Kinder,<br />

die mehrfach wegen krimineller Handlungen aufgefallen sind, angemahnt. Dabei ging es<br />

darum, sozialpädagogische Alternativen zu den ordnungs- und rechtspolitischen Reaktionen zu<br />

erschließen, die nicht primär vom Ansatz der Sanktion charakterisiert sind.<br />

<strong>ESCAPE</strong> war der Versuch, neue Wege im Umgang mit delinquent auffällig gewordenen Kindern<br />

zu erproben und zu beschreiben.<br />

Die vorliegende Broschüre enthält die Ergebnisse der Beobachtungen, Befragungen und Auswertungen,<br />

die in der dreijährigen Laufzeit mit Hilfe verschiedener methodischer Zugänge von<br />

der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts erhoben wurden. Zu den Aufgaben gehörte es,<br />

Praxiserfahrungen zu reflektieren, das Konzept sowie die Qualität der Arbeit zu hinterfragen,<br />

Schwachstellen aufzudecken und die Zielsetzung des Projekts in den Zusammenhang der aktuellen<br />

Fachdiskussion über den pädagogischen Umgang mit delinquenten Kindern und Jugendlichen<br />

einzuordnen.<br />

Der Bericht schildert die Erfahrungen, die an den drei Projektstandorten bei der Betreuung der<br />

Kinder sowie in der Kooperation mit Eltern, Jugendamt, Schule, Polizei und anderen Institutionen<br />

gemacht wurden. In exemplarischen Zugängen geht er auf die Sichtweisen der Kinder ein<br />

und fragt, wie sie ihre Zeit bei <strong>ESCAPE</strong> erlebt haben. Weiterhin beschreibt er die unterschiedlichen<br />

Methoden, mit denen in den drei Teilprojekten gearbeitet wurde, und macht Aussagen<br />

über die Wirkungen, Erfolge, Lernprozesse und Probleme, die sich bei dieser Arbeit gezeigt haben.<br />

Es bleibt zu hoffen, dass der vorliegende Bericht möglichst viele beteiligte Akteure erreicht und<br />

dazu auffordert, sozialpädagogische Handlungsspielräume zu erschießen.<br />

Wir bedanken uns an dieser Stelle bei allen Beteiligten, die durch ihren persönlichen Einsatz<br />

und ihre Kooperationsbereitschaft zum Gelingen des <strong>Modellprojekt</strong>s beigetragen haben. Unser<br />

besonderer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Projekte in Auerbach, Dresden<br />

und Riesa, die sich mit Geschick, Kreativität und großem fachlichen Engagement auf die pädagogische<br />

Arbeit mit den Kindern eingelassen haben. Vor allem ihnen ist es zu verdanken, dass<br />

in der Laufzeit des Projekts die Voraussetzungen für eine Fortführung der begonnenen Arbeit<br />

über den Modellzeitraum hinaus geschaffen werden konnten.<br />

Prof. Dr. Christian v. Wolffersdorff Ursula Specht<br />

Lehrstuhl für Sozialpädagogik Leiterin des Landesjugendamtes<br />

Universität Leipzig<br />

4


Inhalt<br />

<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Vorwort...........................................................................................................................4<br />

1. Einführung .................................................................................................................7<br />

1.1 Zur Entstehung des <strong>Modellprojekt</strong>s ................................................................................... 7<br />

1.2 Drei Zugänge zum Thema Kinderdelinquenz .................................................................... 8<br />

2. Kinderdelinquenz als Problem der Jugendhilfe....................................................11<br />

2.1 Kindliche Lebenswelten und gestörte Sozialisation......................................................... 11<br />

2.2 Umgang mit Kinderdelinquenz: Rechtsgrundlagen, institutionelle Zuständigkeiten und<br />

Verfahrensweisen ........................................................................................................... 13<br />

3. <strong>ESCAPE</strong>: Projektansatz, Trägerstruktur und Rahmenbedingungen...................15<br />

4. Projektmanagement und wissenschaftliche Begleitung......................................17<br />

4.1 Integrativer Arbeitsansatz................................................................................................ 17<br />

4.2 Forschungsverständnis und Untersuchungsaufbau ........................................................ 17<br />

4.3 Untersuchungsplan.......................................................................................................... 19<br />

5. Projektentwicklung und Ergebnisse......................................................................21<br />

5.1 Chronologie ..................................................................................................................... 21<br />

5.1.1 Formale Projektdaten............................................................................................................ 21<br />

5.1.2 Schritte der Projektentwicklung............................................................................................. 22<br />

5.2 Bedarf, Nachfrage und Bestimmung der Zielgruppe ....................................................... 22<br />

5.2.1 Polizeiliche Kriminalstatistik .................................................................................................. 22<br />

5.2.2 Zur Bestimmung der Zielgruppe ........................................................................................... 25<br />

5.2.3 Jugendhilfe am Übergang vom Kind zum Jugendlichen – zum Problem der „Lücke“.......... 26<br />

5.2.4 Projektstatistik ....................................................................................................................... 27<br />

5.3 STRUKTUREN: Kooperation, Vermittlung und Erreichbarkeit ........................................ 29<br />

5.3.1 Austausch- und Verständigungsstrukturen im Projekt.......................................................... 30<br />

5.3.2 Kooperationspartner.............................................................................................................. 31<br />

5.3.3 Institutionsübergreifende Kooperation .................................................................................. 32<br />

5.4 KLIENTEL: Die Kinder und ihr Umfeld – Problemsituationen, Wahrnehmungen,<br />

Verhaltensmuster ............................................................................................................ 38<br />

5.4.1 Belastungsfaktoren ............................................................................................................... 38<br />

5.4.2 Die Sicht der Kinder .............................................................................................................. 41<br />

5.4.3 Fallbeispiele .......................................................................................................................... 43<br />

5.5 METHODEN: Pädagogische Ansätze, Arbeitsinhalte und Schwerpunkte....................... 49<br />

5.5.1 Der Hilfeprozess.................................................................................................................... 50<br />

5.5.2 Aufbau einer Trainingseinheit und Arbeitsinhalte ................................................................. 51<br />

5.5.3 Methodenstatistik .................................................................................................................. 51<br />

5


EVALUATIONSBERICHT<br />

6<br />

5.5.4 Einzelfallarbeit und soziale Gruppenarbeit............................................................................ 53<br />

5.5.5 Eltern- und <strong>Familie</strong>narbeit ..................................................................................................... 58<br />

5.5.6 Soziale Integration und Nachbetreuung................................................................................ 60<br />

5.6 Wirksamkeit und Akzeptanz .............................................................................................62<br />

5.6.1 Rückfalligkeit ......................................................................................................................... 62<br />

5.6.2 Einstellungsänderungen........................................................................................................ 64<br />

5.6.3 Subjektive Beurteilungen der Hilfe ........................................................................................65<br />

6. Zusammenfassung der Ergebnisse ...................................................................... 70<br />

6.1. Allgemeine Schlussfolgerungen ......................................................................................70<br />

6.2. Fazit.................................................................................................................................73<br />

7. Ausblick................................................................................................................... 73<br />

8. Schluss .................................................................................................................... 76<br />

Literaturverzeichnis.................................................................................................... 77<br />

Pressespiegel.............................................................................................................. 84<br />

Teiluntersuchungen<br />

Im Rahmen der Evaluation des <strong>Modellprojekt</strong>s wurden Teiluntersuchungen zu ausgewählten<br />

Themenbereichen und Fragestellungen durchgeführt. Diese können entweder im Anhang des<br />

ausführlichen Projektberichts oder im Internet auf den Servern der Universität Leipzig bzw. des<br />

Sächsischen Landesjugendamtes nachgelesen werden. Im Einzelnen handelt es sich um<br />

folgende sieben Untersuchungen:<br />

I. Bedarfsorientierte Angebote der Kinder- und Jugendhilfe für Kinder mit delinquentem<br />

Verhalten<br />

II. Institutioneller Umgang mit delinquenten Kindern – Interventionsanlässe und<br />

Lösungsstrategien<br />

III. Erreichbarkeit delinquenter Kinder und ihrer <strong>Familie</strong>n – eine vertiefende Analyse<br />

pädagogischer Vermittlungsprozesse<br />

IV. Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe bei Kindern mit abweichendem Verhalten<br />

V. Lebenserfahrungen delinquenter Kinder und Handlungsansätze der Jugendhilfe<br />

VI. Arbeit mit Eltern delinquenter Kinder<br />

VII. Intervention bei Delinquenz im Kindesalter - Wirksamkeit und Akzeptanz des<br />

<strong>Modellprojekt</strong>s <strong>ESCAPE</strong>


1. Einführung<br />

1.1 Zur Entstehung des <strong>Modellprojekt</strong>s<br />

<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

„Erprobung neuer Hilfeangebote für Kinder mit abweichendem Verhalten“ so lautete der Arbeitstitel<br />

des Landesmodellprojektes <strong>ESCAPE</strong> der Jugendhilfe im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>. Der Focus<br />

richtet sich dabei auf Kinder unter 14 Jahren mit delinquentem Verhalten. Das Projektanliegen<br />

entwickelte sich im Kontext der öffentlichen und politischen Debatte um die erheblich ansteigende<br />

Zahl tatverdächtiger Kinder und Jugendlicher in den Jahren zwischen 1988 und 1998 in<br />

Deutschland (PKS, Erster Periodischer Sicherheitsbericht 2001, S. 510 ff.). Neben dieser statistischen<br />

Entwicklung sorgten ausführliche Medienberichte über spektakuläre Einzelfälle kindlicher<br />

Aggression wie der Fall Mehmet oder die Morde in Meißen, Hamburg oder Bad Reichenhall<br />

für reichlich Verunsicherung und ein all zu pauschales Bild über aggressive Verhaltenstendenzen<br />

junger Menschen. In Schlagzeilen wurden Straftäter als „immer jünger“ und „immer brutaler“<br />

- ja sogar als „Monsterkids“ (Der Spiegel 1998) - dargestellt, die die innere Sicherheit in<br />

Deutschland bedrohten. Doch auch wenn Gewaltdelikte wie gefährliche Körperverletzungen<br />

und Raub zugenommen haben, relativiert sich der prozentuale Anstieg in Anbetracht der niedrigen<br />

absoluten Zahlen. Der überwiegende Teil rechtswidriger Handlungen von Kindern fällt in<br />

den Bereich der Bagatelldelinquenz. Dabei werden auch Verhaltensweisen als Straftaten eingestuft,<br />

bei denen es sich nicht um bewusste Strafnormverletzungen handelt, sondern vielmehr<br />

um entwicklungsbedingtes Verhalten und kindliches Ausprobieren, das sich in seiner Geringfügigkeit<br />

deutlich gegenüber der Kriminalität von Erwachsenen unterscheidet und in der Realität<br />

längst nicht das propagierte Sicherheitsrisiko darstellt. Abgesehen von der ohnehin nur sehr<br />

begrenzten Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik spielt Kinderdelinquenz im Gesamtspektrum<br />

der Kriminalität und gemessen am Anteil an der Gesamtbevölkerung nur eine untergeordnete<br />

Rolle. Undifferenzierte Betrachtungsweisen in den Medien oder auch in Wahlkampfparolen<br />

haben allerdings dennoch maßgeblich zu der verbreiteten Meinung in der Öffentlichkeit<br />

beigetragen, gegenüber jungen Straftätern sei härter und mit sichtbareren Maßnahmen durchzugreifen.<br />

Dies spiegelte sich konkret in den rechtspolitischen Forderungen wider, das Strafmündigkeitsalter<br />

von 14 auf 12 Jahre herabzusetzen, in <strong>Sachsen</strong> geschlossene Unterbringungen<br />

einzuführen oder auch die Eltern dieser Kinder in ihrer Erziehungsverantwortung stärker in<br />

die Pflicht zu nehmen (Lüders 1998).<br />

Dahinter stand aber auch die Annahme, dass die zuständigen Institutionen und Akteure im Feld<br />

nicht ausreichend aktiv seien. Neben der über Jahre geführten Diskussion im Spannungsfeld<br />

von Erziehung und Strafe im Rahmen des Jugendstrafrechts weitete sich die Aufmerksamkeit<br />

damit zunehmend auch auf den Bereich der Delinquenz von Kindern aus, die aufgrund ihres Alters<br />

nach § 19 Strafgesetzbuch (StGB) strafrechtlich noch nicht zur Verantwortung gezogen<br />

werden können. Die lebensweltorientierte, auf Prävention ausgerichtete, Kinder- und Jugendhilfe<br />

geriet in dieser Debatte zunehmend unter Erwartungs- und Legitimationsdruck, zumal die sozialpädagogische<br />

Praxis ebenfalls Handlungsunsicherheiten und einen Handlungsbedarf im<br />

Umgang mit so genannten „schwierigen Kids“ signalisierte. In der Tat blieb Kinderdelinquenz in<br />

der Kinder- und Jugendhilfe ein bislang vernachlässigtes Thema. Obwohl das Kinder- und Jugendhilfegesetz<br />

(KJHG) eine differenzierte Leistungspalette vorhält, fehlen überzeugende pädagogische<br />

Konzepte des Umgangs, aber auch Verbindlichkeiten und Verfahrensstandards im<br />

Zusammenwirken der Institutionen an der Schnittstelle von Kinderdelinquenz. Auf der Suche<br />

nach adäquaten Lösungsansätzen helfen weder Dramatisierung noch Verharmlosung weiter,<br />

sondern es bedarf einer differenzierten Auseinandersetzung mit den Erscheinungsformen und<br />

Hintergründen abweichender Verhaltensweisen im Allgemeinen und im Speziellen. Notwendig<br />

ist aber auch ein kritisches Hinterfragen der Leistungsfähigkeit der Angebote innerhalb der Jugendhilfe<br />

mit ihren verschieden Aufgabenfeldern, die über Kriminalprävention weit hinausgehen<br />

und durch das doppelte Mandat von Hilfe und Kontrolle immer wieder auch fachliche Entschei-<br />

7


EVALUATIONSBERICHT<br />

dungen im Spannungsfeld zwischen Freiwilligkeit und Notwendigkeit von Fremdhilfe, zwischen<br />

Früherkennung und der Gefahr von Stigmatisierung oder auch zwischen Spezialisierung und<br />

Entspezialisierung der Hilfen abverlangt.<br />

An dieser „Angebotslücke“ setzte das <strong>Modellprojekt</strong> an. Seine Aufgabe war es, neue und möglichst<br />

unkonventionelle Wege der Hilfe für gefährdete und problembelastete Kinder zu entwickeln,<br />

die dem Prinzip lebensweltorientierter Hilfe und anwaltschaftlicher Unterstützung für sie<br />

und ihre <strong>Familie</strong>n verpflichtet sein sollten. <strong>ESCAPE</strong> verfolgte dabei eine Strategie der Entkriminalisierung,<br />

um zu erproben, was mit frühzeitiger ambulanter Hilfe für die Zielgruppe im Rahmen<br />

institutioneller Zusammenarbeit möglich ist. Sowohl im Projektauftrag des Landesjugendamts<br />

als auch im Selbstverständnis der Modellstandorte und nicht zuletzt im Konzept der wissenschaftlichen<br />

Begleitung ging es dabei um den Versuch, der im Umgang mit delinquent auffälligen<br />

und schwierigen Kindern immer wieder geforderten Pädagogik der “Härte” Alternativen<br />

entgegen zu setzen.<br />

Der vorliegende Abschlussbericht fasst die Erfahrungen, Lernprozesse und Evaluationsergebnisse<br />

des von Juli 2000 bis Mai 2003 an drei sächsischen Orten durchgeführten <strong>Modellprojekt</strong>s<br />

zusammen. Um im Ansatz des Projekts die Unterschiedlichkeit regionaler Lebensbedingungen<br />

zu berücksichtigen, wurden dabei die Großstadt Dresden, die Mittelstadt Riesa sowie die ländliche<br />

Kleinstadt Auerbach ausgewählt. An allen drei Projektorten konnte nach dem Auslaufen der<br />

Modellphase eine Fortführung der Arbeit von <strong>ESCAPE</strong> sichergestellt werden. Aus Sicht der<br />

wissenschaftlichen Begleitung ist dies auch ein Ergebnis der hohen Akzeptanz, die sich die Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter der Projekte während der zurückliegenden Jahre in ihrem Arbeitsumfeld<br />

erworben haben.<br />

Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts wurde vom Lehrstuhl Sozialpädagogik der Universität<br />

Leipzig, Prof. Dr. Christian v.Wolffersdorff in enger Zusammenarbeit mit Herrn MA Tobias<br />

Strieder vom Caritasverband Leipzig e.V. durchgeführt, der zugleich für die Projektkoordination<br />

verantwortlich war. Durch diese Kooperation zwischen Praxisträger und Universität war<br />

es möglich, eine Reihe von Fragestellungen, denen wir im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung<br />

ansonsten kaum systematisch hätten nachgehen können, mit Hilfe von Magisterarbeiten<br />

zu untersuchen. Insgesamt sind auf diese Weise elf Magisterarbeiten zu sehr unterschiedlichen<br />

Themenbereichen entstanden. Beispiele dafür sind die Kooperationsbeziehungen, die sich<br />

in den einzelnen Projektorten entwickelt haben - speziell zur Zusammenarbeit mit der Schule,<br />

die Möglichkeiten und Grenzen von Elternarbeit, die subjektiven Erfahrungen und Sichtweisen<br />

der Kinder, die methodischen Erfahrungen des Projekts mit Einzelfallhilfe und Gruppenarbeit<br />

oder die Frage der Nachbetreuung von Kindern im Anschluss an die Projektteilnahme (vgl. Kap.<br />

5 in diesem Bericht).<br />

1.2 Drei Zugänge zum Thema Kinderdelinquenz<br />

(1) Kriminalitätsbilder und öffentliche Wahrnehmung: Als im Juli 2000 in Leipzig-Grünau die<br />

Auftaktveranstaltung zu diesem Projekt stattfand, waren die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik<br />

im Bereich Kinder- und Jugendliche über mehrere Jahre hinweg kontinuierlich gestiegen.<br />

Die Medienpräsenz "krimineller Kids" war bundesweit und auch in <strong>Sachsen</strong> beträchtlich.<br />

Grelle Berichte über Kids ohne Gnade, Monsterkids, junge Wilde und ähnliches hatten die Diskussion<br />

über Kinder- und Jugendkriminalität zusätzlich aufgeheizt. In einer Reihe von Landtagswahlkämpfen<br />

und im Bundestagswahlkampf 1998 war das Thema sogar zum Gegenstand<br />

parteipolitischer Auseinandersetzungen geworden.<br />

Von dieser Erregung ist gegenwärtig nicht mehr viel zu spüren. Die Polizeilichen Kriminalstatistiken<br />

der letzten Jahre vermeldeten für den Bereich der Kinderdelinquenz wie auch für die Jugendkriminalität<br />

durchweg rückläufige Werte, die bei oberflächlicher Betrachtung als Anlass für<br />

"Entwarnung" genommen werden könnten. Auch das Medienecho zu diesem Themenkomplex<br />

hat wieder deutlich nachgelassen – ein Hinweis darauf, dass es im öffentlichen Umgang mit<br />

8


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

diesem Thema so etwas wie Konjunkturen der Wahrnehmung gibt, die mit darüber entscheiden,<br />

was als wichtig oder unwichtig, als real oder irreal gesehen wird. Aus der Geschichte der Sozialarbeit<br />

könnte man dafür viele Beispiele anführen. Kriminologen haben zudem beharrlich darauf<br />

hingewiesen, dass in der Diskussion über abweichendes Verhalten und Kriminalität in besonderem<br />

Maße auf soziale Konstruktionen zurückgegriffen wird, die in der Regel nicht hinterfragt<br />

werden. Eine solche Konstruktion ist die des „gefährlichen Kindes“, wie sie in der angesprochenen<br />

Mediendiskussion teils zielgerichtet, teils fahrlässig verwendet wurde und die notwendige<br />

Sachdiskussion behindert hat.<br />

So unzulässig es vor fünf oder sechs Jahren war, aus einer bis in die politische Auseinandersetzung<br />

hinein reichenden Aufregung über steigende Werte der Polizeilichen Kriminalstatistik<br />

direkte Rückschlüsse auf die „Wirklichkeit“ der Kriminalitätsentwicklung zu ziehen, so falsch wäre<br />

es heute, aus den aktuell rückläufigen Werten der PKS etwas anderes zu schließen als dass<br />

solche Schwankungen immer wieder vorkommen, dass sie die unterschiedlichsten Gründe haben<br />

können und dass sie nur einen kleinen Teil der Faktoren abbilden, aus denen sich das<br />

Problemfeld Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung zusammensetzt. Mit anderen Worten:<br />

Auch heute müssen wir - nur eben spiegelbildlich in der anderen Richtung - vor einer Überinterpretation<br />

der Statistik und vor kurzschlüssigen Erfolgsmeldungen warnen. Aus rückläufigen<br />

Zahlen den Schluss zu ziehen, Probleme wie die Gefährdung des Kindeswohls, die Überforderung<br />

von <strong>Familie</strong>n an der Grenze zur Armut oder die Erfahrung sozialer Ausgrenzung seien nun<br />

endlich im Griff und damit wieder einmal eine sozialpädagogische "Herausforderung" erfolgreich<br />

bewältigt, wäre nur ein weiteres Missverständnis.<br />

Bezogen auf <strong>Modellprojekt</strong>e wie <strong>ESCAPE</strong> heißt das: Es ist gut, dass es hier einen Raum zur<br />

Erprobung und Erfahrungssammlung gab, aber wenn solche <strong>Modellprojekt</strong>e mehr sein sollen<br />

als das Reagieren auf eben solche Konjunkturen, dann geht es letztlich darum, aus ihnen auch<br />

über die vereinzelten Erfahrungen an unterschiedlichen Modellstandorten hinaus Konsequenzen<br />

für die Praxis der Jugendhilfe zu ziehen.<br />

(2) Die Bedeutung sozialer Prävention: Verfolgt man die einschlägigen Kinder-, Jugend-,<br />

<strong>Familie</strong>n-, Gesundheits- und Armutsberichte, die während der letzten Jahre in dichter Folge erschienen<br />

sind, dann schält sich aus der Fülle der dort vorgestellten Befunde eine neue Aufgabenbeschreibung<br />

für die Kinder- und Jugendhilfe heraus. So brachte der zehnte Kinder- und<br />

Jugendbericht etwa seine Untersuchungen zur Situation von Kindern (die den Themen Kindheit<br />

und Armut sowie Kindheit und Delinquenz zwei wichtige Schwerpunkte widmeten) auf die<br />

Grundformel, unsere Gesellschaft bedürfe einer neuen Kultur des Aufwachsens. „Wenn in einer<br />

menschlichen Gemeinschaft tragender Sinn und angebotene Handlungsmöglichkeiten, soziale<br />

Beziehungen und Ausdrucksformen in einem stimmigen Verhältnis stehen, sprechen wir von einer<br />

Kultur. Kulturen sind nicht einfach zu gründen. Jedenfalls ist die Welt von Kindern und Eltern<br />

nicht mit einigen Nachbesserungen an bestehenden Regelungen und zusätzlichen finanziellen<br />

Mitteln in Ordnung zu bringen, sondern (nur) in dem Sinn, Handlungsmöglichkeiten, Beziehungen<br />

und Ausdrucksformen in ein stimmiges Verhältnis gebracht werden.“(BMFSFJ 1998,<br />

S.298).<br />

Mit ähnlicher Zielsetzung hat der im Jahre 2002 erschienene elfte Kinder- und Jugendbericht<br />

der Bundesregierung das Prinzip sozialer Prävention, um das es hier geht, mit der Formulierung<br />

vom "Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung" beschrieben und aufgezeigt, was daraus für<br />

die einzelnen Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe folgt. Vergleichbare Grundgedanken<br />

finden sich auch in einigen weiteren großen Untersuchungen, die während der dreijährigen<br />

Laufzeit von <strong>ESCAPE</strong> erschienen sind. Zu nennen sind hier vor allem die Armuts- und Reichtumsberichte,<br />

die in den letzten Jahren von mehreren Wohlfahrtsverbänden sowie von der Bundesregierung<br />

vorgelegt wurden und insgesamt auf eine fortschreitende Polarisierung der sozialen<br />

Lebenslagen sowie einen zunehmenden Druck zur Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppierungen<br />

verweisen. Alle genannten Untersuchungen treffen sich darin, dass sie eindringlich auf<br />

Gefährdungen und Belastungen in den Lebenslagen von Kindern und jungen Menschen hin-<br />

9


EVALUATIONSBERICHT<br />

weisen und einen verstärkten gesellschaftlichen Konsens über die damit gegebenen Zukunftsaufgaben<br />

von Kinder- und Jugendhilfe, Schule und Politik einfordern.<br />

(3) Mehr Aufmerksamkeit für Kinder in gefährdeten Lebenslagen: Die heute verfügbaren<br />

Befunde aus verschiedenen Jugend- und Sozialberichten enthalten, wenn man dies mit einem<br />

geläufigen Begriff aus der Gesundheitswissenschaft beschreibt, eine Auflistung von Risikofaktoren.<br />

Diese ergeben sich vor allem aus der Konstellation von Arbeitslosigkeit, familiärer Überlastung<br />

(Alleinerziehende) und Beziehungskonflikten, wie sie auch in den Lebensgeschichten der<br />

Kinder, die von <strong>ESCAPE</strong> betreut wurden, häufig gegeben war. Fortgesetzte intensive Auffälligkeiten<br />

von Kindern, so der von Lothar Böhnisch betonte Aspekt des Bewältigungsverhaltens,<br />

enthalten zumeist Signale, die als Ausdruck von Überforderung oder Hilfebedarf verstanden<br />

werden müssen (Böhnisch 1998). Folglich muss das Prinzip Sozialer Prävention in einer intensiveren<br />

Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für Kinder in gefährdeten Lebenslagen zur Geltung<br />

kommen. Insbesondere für die “seit PISA” stärker beachtete Kooperation von Jugendhilfe und<br />

Schule liegt hier ein wichtiges Feld. Die in Punkt (2) zitierte Aussage aus den Schlussüberlegungen<br />

des zehnten Kinder- und Jugendberichts zu einer „Kultur des Aufwachsens“ formuliert<br />

Zielsetzungen, zu der auch das hier beschriebene <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> einen Beitrag zu leisten<br />

versucht.<br />

Auch der soeben erschienene zweite Sächsische Kinder- und Jugendbericht setzt sich an verschiedenen<br />

Stellen mit dieser Thematik auseinander und unterstreicht die Notwendigkeit einer<br />

Kinder- und Jugendhilfe als Sozialer Infrastruktur: Zum Abschluss dieser Einführung sei eine<br />

Passage aus dem Bericht zitiert, die den Gedanken einer verstärkten Aufmerksamkeit für gefährdete<br />

Kinder in den Mittelpunkt stellt und zugleich darauf hinweist, dass es sich hier im eigentlichen<br />

Sinne um eine gesellschaftspolitische Querschnittsaufgabe handelt: “Die Situation<br />

sozial benachteiligter und emotional belasteter Kinder muss früher beachtet und aufmerksamer<br />

registriert werden als bisher. Die PISA-Studie hat neben zahlreichen anderen Mängeln des<br />

Schulsystems auch dieses seit langem bekannte Problem endlich ins Blickfeld gerückt. Erstmals<br />

hat sie einer breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht, was von der Fachdiskussion schon<br />

seit langem bemängelt wird: Bei der Förderung sozial gefährdeter Kinder und Jugendlicher<br />

schneidet Deutschland im internationalen Vergleich besonders schlecht ab. Umso wichtiger erscheint<br />

es, endlich das gesellschaftliche Sensorium für die emotionale und soziale Situation<br />

dieser Kinder zu verbessern. Ein solches “Frühwarnsystem” muss bereits im Kindergarten beginnen.<br />

Auch Ansätze zu einer verbesserten Schuleingangsphase, wie sie in <strong>Sachsen</strong> während<br />

der letzten Jahre erprobt und wissenschaftlich begleitet wurden, sind dazu ein wichtiger Schritt.<br />

Nur wenn die emotionalen Signale, die von verhaltensauffälligen Kindern ausgehen, rechtzeitig<br />

ernst genommen werden, lassen sie sich für präventives Handeln nutzen. Die frühere Praxis,<br />

auffällige und störende Kinder möglichst schnell an Spezialeinrichtungen abzugeben, ist zu oft<br />

gescheitert, als dass sie einen zuverlässigen Maßstab für künftige Entwicklungen bieten könnte.<br />

Auch fortgesetzte Schulverweigerung darf nicht “übersehen” oder bagatellisiert werden, wie<br />

dies in der Praxis noch immer häufig geschieht. Ansätze der Schulsozialarbeit, die der Einübung<br />

von Konfliktlösungen und Respekt vor anderen dienen, müssen weiterentwickelt werden.<br />

Bestehende Konzepte der Konfliktschlichtung mit Hilfe von Mediation zeigen in dieser Hinsicht<br />

ermutigende Ergebnisse.” (SMS 2003, S.249).<br />

Wenn der Modellcharakter des hier beschriebenen Projekts so verstanden würde, dass es in<br />

der Gesellschaft insgesamt um mehr Aufmerksamkeit und mehr gezielte Angebote für Kinder in<br />

gefährdeten Lebenslagen geht, dann wäre die Intention von <strong>ESCAPE</strong> zutreffend erfasst. Im<br />

Vordergrund steht dabei nicht das Phänomen "abweichendes Verhalten", sondern die Frage<br />

des Hilfebedarfs. Dementsprechend bestand die Zielsetzung des Projekts zu keinem Zeitpunkt<br />

in der Vorverlagerung von Sanktionen oder in der Ausweitung von Kontrollen, sondern in der<br />

Verbesserung und Vernetzung von Hilfeangeboten für eine Klientel, für die geeignete Hilfen bislang<br />

oft fehlten.<br />

10


2. Kinderdelinquenz als Problem der Jugendhilfe<br />

2.1 Kindliche Lebenswelten und gestörte Sozialisation<br />

<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

„Mit dreizehn Monaten sind Kinder zum Fressen süß, mit dreizehn Jahren bereuen Eltern, es<br />

nicht getan zu haben.“ Dieses Sprichwort verweist auf eine kindliche Lebensphase, die den Erwachsenen<br />

offensichtlich immer wieder Probleme macht. In einer repräsentativen Längsschnittstudie<br />

in England wurde festgestellt, dass die Zufriedenheit von Ehepartnern in der Phase der<br />

Pubertät ihrer Kinder einen absoluten Tiefpunkt erreicht (Argyle 1986). Die Entwicklungspsychologie<br />

liefert dafür nachvollziehbare Erklärungen, denn es handelt sich um eine besonders<br />

sensible Phase im Prozess des Aufwachsens.<br />

Die späte Kindheit am Übergang vom Kind zum Jugendlichen und das Jugendalter stellen für<br />

junge Menschen eine Lebensphase mit erheblichen Entwicklungsanforderungen dar, die in einer<br />

pluralen und immer unübersichtlicher werdenden Welt verbunden sind mit einer Vielzahl<br />

von Entwicklungsrisiken. Bei der sich anbahnenden Suche nach der eigenen Identität beginnen<br />

Kinder, das Verhältnis zu den Eltern neu zu justieren und sich von der Welt der Erwachsenen<br />

abzugrenzen. Neugier, Abenteuerlust, Entdeckungsdrang oder auch erhöhte Risikobereitschaft<br />

sind Verhaltensanteile, mit denen sich der Handlungs- und Aktionsradius der Kinder allmählich<br />

vergrößert. Neben den zentralen Sozialisationsinstanzen <strong>Familie</strong> und Schule erschließen sich<br />

neue Lebenswelten und Lebensräume. Öffentliche Orte wie Straßen, Plätze, Kaufhäuser, Jugendclubs<br />

und insbesondere die Gruppe der Gleichaltrigen werden zunehmend interessanter<br />

und üben einen unkalkulierbaren Einfluss auf das Sozialisationsgeschehen aus. Diese verstärkte<br />

Außenorientierung ermöglicht gleichsam, sich den Erziehungsautoritäten zu entziehen. Im<br />

Zuge des kindlichen Ausprobierens kommt es dann auch zum Austesten von Grenzen. Dabei<br />

begehen Kinder außerhalb ihres geschützten Rahmens auch Normverletzungen, die bereits<br />

strafrechtliche Relevanz besitzen können. Zumeist handelt es sich lediglich um Verstöße im<br />

Bagatellbereich. In der Dunkelfeldforschung wird in diesem Zusammenhang davon ausgegangen,<br />

dass abweichende Verhaltensweisen im Kindes- und Jugendalter nahezu überall vorkommen,<br />

mit anderen Worten ubiquitär sind, und in aller Regel nur einen episodenhaften Charakter<br />

aufweisen. Polizeilich registrierte Delikte stellen demnach lediglich einen Bruchteil der tatsächlichen<br />

straftatrelevanten Verstöße dar. Aufgrund ihrer Geringfügigkeit unterscheiden diese sich<br />

jedoch deutlich von Erwachsenenkriminalität und stellen in der Realität längst nicht das von den<br />

Medien propagierte innere Sicherheitsrisiko dar. Vielmehr bringen diese Verhaltensweisen zum<br />

Ausdruck, dass das Hineinwachsen in die Gesellschaft immer auch als ein Prozess des Erlernens<br />

von Normen zu verstehen ist und dass sich mit eben diesen Lernprozessen immer wieder<br />

auch Grenzüberschreitungen verbinden, die allerdings nicht in jedem Fall mit delinquentem<br />

Verhalten gleichzusetzen sind. Normkonformes Verhalten kann daher nur Ziel und nicht Ausgangspunkt<br />

im Erziehungsprozess sein. Erschwerend kommt hinzu, dass durch den beschleunigten<br />

gesellschaftlichen Wandel sowie die zunehmende Ausdifferenzierung und Individualisierung<br />

der Lebenswelten traditionelle Wertesysteme ihre soziale Bindungskraft verlieren und Eltern<br />

in der Erziehung allgemeine Wertekonzepte zur Vermittlung von Normen fehlen.<br />

Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass die meisten Kinder und Jugendlichen die<br />

Entwicklungsaufgaben positiv bewältigen und abweichende Verhaltensweisen lediglich vorübergehend<br />

auftreten. Es gibt aber auch eine relativ kleine - jedoch tendenziell anwachsende -<br />

Gruppe von potentiell gefährdeten Kindern, bei denen sich abweichende Verhaltensweisen zu<br />

verfestigen drohen. Die Ursachen dafür sind vielfältig und lassen sich aufgrund komplexer Zusammenhänge<br />

nicht mit einseitigen Erklärungsansätzen erfassen. Im Dschungel zahlreicher<br />

Erklärungsversuche verdichtet sich allerdings die These, dass sich mit der Anhäufung und<br />

Überlagerung verschiedener Risikofaktoren bei zugleich fehlenden Schutzfaktoren die Wahrscheinlichkeit<br />

des Auftretens von Kriminalität, als einer Form abweichenden Verhaltens, erhöht<br />

(Lösel 2000).<br />

11


EVALUATIONSBERICHT<br />

Für die Pädagogik und für den Handlungsauftrag der Jugendhilfe stellt sich in diesem Zusammenhang<br />

insbesondere die Frage nach den Entwicklungs- und Sozialisationsbedingungen des<br />

Kindes. Auch wenn sich die <strong>Familie</strong> als Lebensform ausdifferenziert, bleibt sie als primäre Sozialisationsinstanz<br />

für Kinder - mehr noch als für Jugendliche - der wichtigste Bezugsort. Eine<br />

produktive Bewältigung der Entwicklungsphase erfolgt auf der Grundlage personaler und sozialer<br />

Ressourcen (Fend 1990). Für einen inneren und äußeren Halt brauchen Kinder eine stabile<br />

Beziehung mit emotionaler Zuwendung und Geborgenheit. Die Lebenssituation und die Entwicklungsmöglichkeiten<br />

der Kinder sind daher entscheidend von den Bedingungen in der <strong>Familie</strong><br />

bzw. im engsten sozialen Umfeld abhängig.<br />

Unter ungünstigen sozialen Bedingungen und in gestörten familiären Milieus verringern sich die<br />

Entwicklungschancen eines Kindes. Fehlt der Schonraum einer fördernden Umwelt (Winnicott<br />

1974, 1988), sind Kinder in direkter Weise den sozialen Anforderungen und Risiken ausgesetzt.<br />

Soziale Benachteiligungen und dauerhafte Belastungen, unverarbeitete kritische Lebensereignisse<br />

und Einsamkeit in seelischen Notlagen führen zu Überforderungen, zu biografischen Brüchen<br />

und Entwicklungsstörungen im Sozialisationsprozess. Das Kind wird zum Symptomträger<br />

komplexer Problemlagen. Nach der Deprivationsthese von Winnicott ist der spätere „Räuber“<br />

ein in seiner frühen Entwicklungszeit „beraubtes Kind“. Im Konzept der Lebensbewältigung beschreibt<br />

Böhnisch (1999a) abweichendes Verhalten als eine Form der Bewältigung, gleichsam<br />

als das subjektive Streben nach situativer und biografischer Handlungsfähigkeit sowie nach<br />

psychosozialer Balance. In diesem Verständnis kann wiederholt delinquentes Verhalten, als eine<br />

Form abweichenden Verhaltens, kindliche Hilflosigkeit und Unterstützungsbedarf zum Ausdruck<br />

bringen. Diese Signale entsprechend frühzeitig zu erkennen und ernst zu nehmen, ist<br />

Aufgabe sekundärer Sozialisationsinstanzen wie Schule und Jugendhilfe. Je früher angemessene<br />

Hilfen einsetzen und fördernde Bedingungen geschaffen werden, umso größer sind die<br />

Chancen, entwicklungsdienliche Weichen zu stellen. Untersuchungen belegen, dass Verhaltensauffälligkeiten<br />

in Kindereinrichtungen und in der Schule häufig ignoriert werden. Die Schule<br />

spielt bei der Früherkennung eine Schlüsselrolle. Sie ist ein Ort, wo Kinder und Jugendliche einen<br />

Großteil ihrer täglichen Zeit verbringen und an dem Verhaltensauffälligkeiten außerhalb der<br />

<strong>Familie</strong> sichtbar werden. Auch das unentschuldigte Fernbleiben vom Unterricht oder gar Schulverweigerung<br />

können Indikatoren für sich verdichtende Problemlagen und delinquentes Verhalten<br />

sein. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat einen Zusammenhang<br />

zwischen Schuleschwänzen und Delinquenz nachgewiesen. Je häufiger Kinder und Jugendliche<br />

die Schule schwänzen, desto stärker sind sie auch in Straftaten involviert, wie auch im<br />

Ersten Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung gezeigt wird (BMJ/BMI, Hrsg.<br />

2001). Allerdings muss auch hier ausdrücklich betont werden, dass es sich in der weit überwiegenden<br />

Anzahl der Fälle um Bagatelldelikte handelt.<br />

Delinquenz im Kindes- und Jugendalter sollte vor diesem Hintergrund nicht vom strafrechtlichen,<br />

sondern vielmehr vom erzieherischen Standpunkt aus betrachtet werden. Wer als Pädagoge<br />

lediglich die Delinquenz und die Defizite des Kindes im Blick hat, bleibt an der Oberfläche<br />

und dringt nicht zum Kern des Problems. Mit der sozialisationsorientierten Argumentation sollen<br />

aber auch nicht die Eltern zum Sündenbock abgestempelt und delinquentes Verhalten auf Erziehungsversagen<br />

reduziert werden. Vielmehr soll damit die Bedeutung der <strong>Familie</strong> und der<br />

ganzheitliche Charakter für auffälliges Verhalten von Kindern zum Ausdruck gebracht werden,<br />

die Probleme machen, weil sie Probleme haben (Nohl). Professionelle Hilfe darf sich deshalb<br />

nicht nur auf das Kind beschränken, sondern muss immer auch das soziale Umfeld erreichen<br />

und einbeziehen.<br />

12


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

2.2 Umgang mit Kinderdelinquenz: Rechtsgrundlagen, institutionelle Zuständigkeiten<br />

und Verfahrensweisen<br />

Neben der über Jahrzehnte geführten Diskussion über das Verhältnis von Erziehung und Strafe<br />

im Rahmen des Jugendstrafrechts weitete sich in den 90er Jahren die Aufmerksamkeit zunehmend<br />

auch auf den Bereich der Kinderdelinquenz aus. Unter Berücksichtigung der geistigen<br />

und sittlichen Reife gelten Kinder unter 14 Jahren in Deutschland als strafunmündig (§ 19<br />

StGB). Dies hat zur Folge, dass die Justiz Straftaten von Kindern nicht weiter verfolgt und Strafverfahren<br />

sofort einstellt. Aus diesem Grund stellt das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII/<br />

KJHG) den allgemeinen rechtlichen Handlungs- und Bezugsrahmen für den Umgang mit delinquenten<br />

Kindern dar. Die zuständige Behörde ist das Jugendamt. Im Unterschied zum strafrechtlich<br />

klar geregelten und verbindlichen Vorgehen bei Jugendlichen sind die Verfahrensweisen<br />

in Bezug auf strafunmündige Kinder rechtlich nur sehr wenig fixiert. Es handelt sich um eine<br />

Grauzone mit bundesweit sehr heterogenen Verfahrensweisen und fehlenden Verbindlichkeiten<br />

zwischen den zuständigen Institutionen an der Schnittstelle von Kinderdelinquenz (DJI 1999).<br />

Die Polizei steht in der Bearbeitungspraxis meist an vorderster Front. Der durch das Legalitätsprinzip<br />

bedingte Strafverfolgungszwang der Polizei in Deutschland erfordert auch bei geringfügigen<br />

Delikten von Kindern Ermittlungsaktivitäten und die Meldung an die Staatsanwaltschaft.<br />

Sobald Kinder und Jugendliche als Tatverdächtige ermittelt werden, bildet die 1996 novellierte<br />

und bundesweit gültige Polizeidienstvorschrift 382 (PDV) zur „Bearbeitung in Jugendsachen“<br />

die Richtlinie für polizeiliches Handeln. Darin werden Mindeststandards für eine polizeiliche Jugendarbeit<br />

gesetzt, die den Ansprüchen einer zeitgemäßen Bewältigung normabweichenden<br />

Verhaltens junger Menschen in notwendiger Kooperation mit anderen jugendbezogenen Kontrollinstanzen<br />

genügen soll (Hübner/Kerner 1997).<br />

Die Umsetzung soll sich mit besonders geschulten Polizeibeamten – so genannten Jugendsachbearbeitern<br />

– nach dem Grundsatz „Prävention geht vor Repression“ (Vorwort PDV) realisieren.<br />

Zunehmend wird dafür sogar das Tatortprinzip der Polizei zu Gunsten des Wohnortprinzips<br />

aufgegeben. Die Meldungspflicht an das Jugendamt besteht bei einer „Gefährdung“ des<br />

Kindes: „Das Jugendamt und sonst zuständige Behörden sind unverzüglich zu unterrichten,<br />

wenn schon während der polizeilichen Ermittlungen erkennbar wird, dass Leistungen der Jugendhilfe<br />

in Frage kommen. In allen anderen Fällen ist spätestens mit der Abgabe der Ermittlungsvorgänge<br />

an die Staatsanwaltschaft das Jugendamt zu unterrichten, sofern eine Gefährdung<br />

Minderjähriger [...] vorliegt... (PDV 832). Was heißt aber für den einzelnen diensthabenden<br />

Polizeibeamten „Gefährdung“? Die Schwierigkeit besteht auch darin, dass sich in der<br />

Mehrzahl der Fälle eine Gefährdung nicht einzig und allein aus der bloßen Tatsache einer Deliktbegehung<br />

ableitet. In der Praxis führt diese Kann-Bestimmung zu einem Ermessensspielraum,<br />

der Unsicherheiten erzeugt und willkürlichen Entscheidungen Vorschub leistet. Wie Jugendämter<br />

dann wiederum auf die Meldungen der Polizei reagieren, ist vor dem Hintergrund<br />

kommunaler Selbstverwaltungsstrukturen der Jugendhilfe ebenfalls sehr unterschiedlich und<br />

bisher noch relativ wenig bekannt. Das KJHG macht keine konkreten Aussagen darüber, wie im<br />

Falle polizeilicher Mitteilungen mit straftatverdächtigen Kindern zu verfahren ist.<br />

Delinquentes Verhalten von Kindern muss nicht zwangsläufig zu Reaktionen der Jugendhilfe<br />

führen, denn ihr Tätigwerden orientiert sich nicht in erster Linie an Delinquenz, sondern am erzieherischen<br />

Bedarf im Einzelfall. Die Konsequenzen für begangene Straftaten von strafunmündigen<br />

Kindern liegen zunächst primär in der Verantwortung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten.<br />

Der Staat ordnet seinen Einfluss im Erziehungsbereich auch im Fall von Kinderdelinquenz<br />

dem natürlichen Recht der Eltern auf Erziehung unter, aber verpflichtet sie zugleich zur elterlichen<br />

Sorge (Art. 6 GG, §1626 f. BGB). Deshalb werden nach Abschluss der Ermittlungen in der<br />

Regel zuerst die Eltern von der Polizei informiert und Kinder mit ihren Eltern gemeinsam im Ermittlungsverfahren<br />

zur Anhörung geladen.<br />

13


EVALUATIONSBERICHT<br />

Das Jugendhilferecht versteht sich vor allem als ein Dienstleistungsgesetz mit Angebotscharakter<br />

für Kinder, Eltern und <strong>Familie</strong>n zur Verwirklichung des Rechts jedes jungen Menschen auf<br />

Förderung seiner Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen<br />

Persönlichkeit (§ 1). Es betont deutlich den „sozialpädagogischen Sozialleistungscharakter“<br />

der Jugendhilfe (Schone 2002, S. 945). Die einzelnen Leistungen (§§ 11 – 41)<br />

und Aufgaben (§§ 42 – 60) haben unterschiedliche Gewährleistungspflicht. Auch wenn das<br />

KJHG einen differenzierten Katalog vorhält und konstruktive Spielräume anbietet, fehlt es an<br />

speziellen Angeboten für auffällige und mehrfach delinquente Kinder. Gerade diese Kinder jedoch,<br />

so vermuten Praktiker und Experten, werden von den etablierten und tradierten Angeboten<br />

der Kinder- und Jugendhilfe nicht erreicht und zwar unbeachtet der Tatsache, dass hier<br />

nicht selten ein erheblicher erzieherischer Bedarf vorliegt.<br />

Mit der Inanspruchnahme einer Leistung nach dem SGB VIII (KJHG) ist keinesfalls eine Beschränkung<br />

der elterlichen Sorge verbunden. Ganz im Gegenteil: Ganz der Philosophie des<br />

KJHG entsprechend, nach der die „Pflege und Erziehung der Kinder [...] das natürliche Recht<br />

und die zuvörderst obliegende Pflicht [...]“ (§ 1 Abs. 2 KJHG) der Eltern ist, sollen diese Leistungen<br />

„helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten<br />

Verhaltens der natürlichen Eltern gerichtete Maßnahmen“ sein (Kunkel 2001, S.<br />

19).<br />

Die rechtliche Position der Eltern ist in Deutschland sehr stark gemacht worden. Das in Art. 6<br />

Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Elternrecht bezeichnet die Pflege und Erziehung der Kinder als<br />

natürliches Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht. Das Elternrecht garantiert<br />

den Eltern gegenüber dem Staat den Vorrang als Erziehungsträger. Es wird den Eltern ein<br />

Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in die Erziehung der Kinder gewährt, jedoch nur so weit,<br />

wie es dem Wohl des Kindes dient (vgl. Schone 2002, S. 946).<br />

Ist das Kindeswohl sichtlich gefährdet und sind die Eltern bzw. Personensorgeberechtigten<br />

nicht gewillt oder nicht in der Lage, diese Gefährdung abzuwenden, so ist der Staat befugt einzugreifen.<br />

In § 1666 BGB wird das staatliche Wächteramt im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG<br />

konkretisiert. Die Fachkräfte des Jugendamtes sind bei begründetem Verdacht dazu verpflichtet,<br />

das <strong>Familie</strong>ngericht zu informieren (§ 50 Abs. 3 KHJG) und gegebenenfalls Zwangsmaßnahmen<br />

zu veranlassen.<br />

Aus der Rechtslage geht hervor, dass die Jugendhilfe mit einem Doppelmandat von Hilfe und<br />

Kontrolle konfrontiert ist. Einerseits soll die Jugendhilfe den Kindern, Jugendlichen und Eltern<br />

helfen, sie fördern, beraten und unterstützen und andererseits muss sie eingreifend tätig werden,<br />

wenn das Wohl von Kindern und Jugendlichen gefährdet ist.<br />

Bevor ein massiver Eingriff im Zwangskontext erfolgt, sollten andere pädagogische Konzepte<br />

Vorrang haben. Um Zwangsmaßnahmen vorzubeugen, braucht daher manch freiwilliges Angebot<br />

der Jugendhilfe im Einzelfall mehr Nachdruck und Beratung über die Notwendigkeit von Hilfe.<br />

Wer Feuerwehr spielen muss, sollte auch im Brandschutz aktiv werden und dafür die entsprechenden<br />

Mittel bereitgestellt bekommen.<br />

14


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

3. <strong>ESCAPE</strong>: Projektansatz, Trägerstruktur und Rahmenbedingungen<br />

Im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong> startete im Juli 2000 das <strong>Modellprojekt</strong> der Jugendhilfe mit dem Arbeitstitel<br />

„Erprobung neuer Hilfeangebote für Kinder mit abweichendem Verhalten“. Das <strong>Modellprojekt</strong><br />

– später erhielt es durch die Projektmitarbeiter seinen Namen <strong>ESCAPE</strong> - entstand auf Initiative<br />

des Sächsischen Landesjugendamtes für eine Laufzeit von knapp drei Jahren (1. Juli 2000 –<br />

31. März 2003). Die Förderung erfolgte durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales<br />

und <strong>Familie</strong>. Rahmenziel dieses Projektes war die Methoden– und Strukturentwicklung der Jugendhilfe<br />

im Handlungsfeld Kinderdelinquenz. Dabei sollten neue Konzepte im Umgang mit delinquenten<br />

Kindern erprobt und geeignete Konzepte aus anderen pädagogischen Handlungsfeldern<br />

weiterentwickelt werden. Das Projekt bezog sich auf die Zielgruppe der strafünmündigen<br />

wiederholt delinquenten Kinder bis zum 14. Lebensjahr.<br />

Die Arbeitsschwerpunkte umfassten: (1) die Entwicklung adäquater ambulanter Hilfeangebote<br />

für Kinder und deren <strong>Familie</strong>n, (2) die Suche nach neuen und unkonventionellen Wegen zur<br />

Früherkennung und Erreichbarkeit der Adressaten sowie (3) die Entwicklung alternativer Strategien<br />

der Zusammenarbeit und institutionellen Vernetzung.<br />

Das <strong>Modellprojekt</strong> umfasste drei verschiedene Modellstandorte in <strong>Sachsen</strong>, die nach fachlichen<br />

und territorialen Gesichtspunkten ausgewählt wurden. Dabei handelte es sich um das „ländliche“<br />

Auerbach im Vogtland, den „Problemstadtteil“ Dresden-Prohlis sowie das „mittelstädtische“<br />

Riesa. Die einzelnen Projekte standen alle in Trägerschaft des Diakonischen Werkes und waren<br />

auf der Grundlage ihrer eingereichten Konzeptionen für die konkrete Umsetzung dieses Hilfeangebotes<br />

verantwortlich. Die Modellstandorte unterschieden sich nicht nur in ihren regionalen<br />

Besonderheiten und Rahmenbedingungen, sondern auch hinsichtlich der Akzentuierung in<br />

der konzeptionellen Arbeit. Während in Dresden und Riesa der methodische Schwerpunkt auf<br />

der Sozialen Gruppenarbeit lag und mit jeweils zwei Projektmitarbeitern realisiert wurde, richtete<br />

sich der Fokus in Auerbach mit einer Personalstelle primär auf die Einzelfallhilfe.<br />

Abbildung 3.1. Modellstandorte in <strong>Sachsen</strong>.<br />

15


EVALUATIONSBERICHT<br />

Alle Projektorte verbindet die Gemeinsamkeit, dass die Konzeptentwicklung in Abstimmung mit<br />

dem örtlichen Jugendamt erfolgte und <strong>ESCAPE</strong> vor Ort jeweils eingebunden ist in bereits bestehende<br />

Angebote der Jugendhilfe des jeweiligen Trägers. Der Caritasverband Leipzig e.V.<br />

übernahm in enger Kooperation mit dem Lehrstuhl für Sozialpädagogik der Erziehungswissenschaftlichen<br />

Fakultät der Universität Leipzig die Gesamtträgerschaft des <strong>Modellprojekt</strong>es. Die<br />

drei Modellstandorte bildeten gemeinsam mit dem Gesamtprojektträger auf der Grundlage eines<br />

Kooperationsvertrages einen Trägerverbund.<br />

Tabelle 3.1. Trägerstruktur und Standortspezifika.<br />

Modellstandorte Auerbach Dresden Riesa<br />

Träger Diakonisches Werk im Kirchenbezirk<br />

Auerbach e.V.,<br />

Fachbereich Jugendhilfe<br />

Standortbeschreibung Große Kreisstadt im Vogtland<br />

mit ca. 20.300 Einwohnern,<br />

ländlich geprägte Region<br />

Personal 100% Diplom<br />

Sozialpädagogik<br />

(weiblich)<br />

Arbeitsschwerpunkte � Einzelfallhilfe<br />

� Elternarbeit<br />

� Schaffung altersspezifischer<br />

Angebote<br />

16<br />

Diakonisches Werk -<br />

Stadtmission Dresden e.V.<br />

Abteilung Jugendhilfe / Re-<br />

gionalbüro Reick<br />

Plattenbaugebiet im Süden<br />

der Stadt Dresden / ein<br />

Stadtteil mit besonderem<br />

Entwicklungsbedarf (ca.<br />

59.400 Einwohnern), hoher<br />

Anteil von Minderjährigen<br />

mit sozial auffälligem<br />

Verhalten<br />

1 x 50% Diplom Pädagogik,<br />

1 x 50% Diplom Sozialpädagogik<br />

(weiblich/männlich)<br />

� soziale Gruppenarbeit<br />

� Elternarbeit<br />

� Sozialraumbezug<br />

Diakonie Riesa gGmbH,<br />

Sozialunternehmen<br />

„Sprungbrett“<br />

Große Kreisstadt mit ca.<br />

40.000 Einwohnern im<br />

Landkreis Riesa-<br />

Großenhain, ehemalige<br />

Stahlwerkerstadt<br />

2 x 75% Diplom Pädagogik<br />

(weiblich/weiblich)<br />

� von Einzelfallhilfe zur<br />

soz. Gruppenarbeit<br />

� Einbeziehung von<br />

Freunden<br />

� Elternarbeit<br />

� offener Treff<br />

Projektmanagement & wissenschaftliche Begleitung<br />

Caritasverband Leipzig e.V. in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Sozialpädagogik<br />

der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig<br />

Der gewählte Projektname <strong>ESCAPE</strong>, eingebettet<br />

in das Projektlogo eines Skateboard-Fahrers, war<br />

einerseits in dieser Kombination eine zeitgemäße<br />

und ansprechende Einladung an die Kinder, um<br />

ihnen einen Anreiz zu schaffen, die angebotene<br />

Hilfe auch in Anspruch zu nehmen. Andererseits<br />

sollte das standortübergreifende gemeinsame<br />

Logo im Sinne einer Corporate Identity eine Einheit<br />

aller <strong>ESCAPE</strong>-Standorte und Mitarbeiter erzeugen<br />

sowie zu einer professionellen Außenwirkung<br />

verhelfen. Der Begriff <strong>ESCAPE</strong> ist der zunehmend<br />

technologisierten Lebenswelt von Kin-<br />

Abbildung 3.2. Logo des <strong>Modellprojekt</strong>es. dern und Jugendlichen entnommen. Er erinnert<br />

an die gleichnamige Computertaste, die die<br />

Möglichkeit bietet, eine Anwendung zu verlassen, um etwas ganz Neues auszuprobieren oder<br />

einen anderen Weg einzuschlagen. Da es mit einem Knopfdruck aber in der Realität oft nicht<br />

getan ist, wird mit dem Skateboard-Fahrer die aktivierende und stimulierende Komponente<br />

symbolisiert, die auf die Ressourcen des Kindes baut. In diesem Sinne versteht sich <strong>ESCAPE</strong><br />

als eine kurzfristige und auf begrenzte Zeit, von drei bzw. vier Monaten, angelegte Hilfe, die ohne<br />

das aufwändige Hilfeplanverfahren nach § 36 KJHG für längerfristige Hilfen realisiert werden<br />

kann. Das Kind soll unbürokratisch an die Hand genommen werden und in der Jugendhilfe einen<br />

Partner finden.


4. Projektmanagement und wissenschaftliche Begleitung<br />

4.1 Integrativer Arbeitsansatz<br />

<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Im Arbeitsauftrag des Landesjugendamtes waren für den Gesamtprojektträger das Projektmanagement<br />

und die wissenschaftliche Begleitung integrierte Bestandteile und konzeptionell eng<br />

gekoppelt. Diese Konstellation konnte konstruktiv in der Praxis genutzt und umgesetzt werden.<br />

Sie ermöglichte einen effektiven Personaleinsatz und Arbeitsaufwand. Dennoch birgt dieser integrative<br />

Arbeitsansatz einen Rollenkonflikt. Denn nicht immer vertragen sich die Interessen<br />

des Managements mit den Anforderungen und den Ergebnissen der Evaluation. Hilfreich war<br />

der moderierende und nondirektive Ansatz des Projektmanagements. Darin realisierten sich<br />

Fachberatung, Förderung eines verständigungsorientierten Austauschs und die Entwicklung<br />

von Strukturen im Sinne des Anstoßens von Prozessen. Die unterschiedlichen Aktivitäten, Bedingungen<br />

und Erfahrungen wurden zusammengeführt, hinsichtlich ihrer handlungspraktischen<br />

Relevanz geprüft und für das Gesamtvorhaben nutzbar gemacht.<br />

Abbildung 4.1. Integrativer Arbeitsansatz von Projektmanagement und wissenschaftlicher Begleitung.<br />

4.2 Forschungsverständnis und Untersuchungsaufbau<br />

Die Evaluation von Präventions- und Interventionsprojekten gehört in Deutschland noch immer<br />

eher zur Ausnahme und weniger zur Regel. Auch wenn erzieherische Prozesse nur begrenzt<br />

kalkulierbar sind und immer von Besonderheiten des Einzelfalls geprägt werden, ist die Evaluation<br />

auch für die pädagogische Praxis eine wichtige Voraussetzung und notwendiges Instrument<br />

zur Implementierung und Qualitätsentwicklung professioneller Hilfeleistungen. Der wechselseitige<br />

Austausch von Theorie und Praxis im Verständnis eines horizontalen Transfers ermöglicht<br />

einerseits, dass in der Theorie praxisrelevante Fragen gestellt bzw. Problemschwerpunkte<br />

aufgegriffen werden und andererseits die Praxis durch Reflexion in eine wirkungsvolle<br />

Spannung versetzt wird.<br />

17


EVALUATIONSBERICHT<br />

Im Gesamtkonzept des <strong>Modellprojekt</strong>es <strong>ESCAPE</strong> war die wissenschaftliche Begleitung in Anbindung<br />

an das Projektmanagement ein von Beginn an integrierter Bestandteil. Im Verständnis<br />

einer unterstützenden Praxisforschung wurden Prozesse und Ergebnisse der Projektaktivitäten<br />

evaluiert und über Feedbackschleifen reflektiert. Die Befunde der wissenschaftlichen Begleitung<br />

ermöglichen nun für die konkrete Anwendungspraxis der Jugendhilfe die Entwicklung von<br />

Handlungsansätzen mit größeren Verbindlichkeiten im Umgang mit delinquenten Kindern. Für<br />

die Implementierung und Etablierung dieses Hilfeansatzes bzw. für die Überführung von der<br />

Modellphase zu einem Regelangebot geben die Ergebnisse Auskunft über Tendenzen der<br />

„Wirksamkeit“ und Akzeptanz von <strong>ESCAPE</strong>.<br />

Die wissenschaftliche Begleitung von <strong>ESCAPE</strong> basierte primär auf einem qualitativen Forschungsverständnis<br />

– jedoch nicht ausschließlich. Damit war dem Forschungskonzept eine Offenheit<br />

zugrunde gelegt, die dem Prozesscharakter des <strong>Modellprojekt</strong>es Rechnung trug und das<br />

Handlungsfeld Kinderdelinquenz mit den unterschiedlichen subjektiven Sichtweisen systematisch<br />

erschließen ließ. Das Forschungskonzept wurde aufgrund der Vielschichtigkeit des Handlungsfeldes<br />

mehrgleisig angelegt und umfasste verschiedene gegenstandsangemessene Erhebungsverfahren<br />

und Teiluntersuchungen, in denen sowohl Innen- als auch Außenperspektive<br />

sowie Entwicklungsverläufe durch wiederholende Erhebungsanteile in die Betrachtung einbezogen<br />

wurden. Dabei kamen auch standardisierte Erhebungsinstrumente zum Einsatz wie der<br />

Persönlichkeitsfragebogen für Kinder von 9-14 Jahren nach Seitz/Rausche (1992), um Veränderung<br />

von Einstellungen und Motiven feststellen zu können, oder auch ein Fragebogen zur<br />

subjektiven Beurteilung der Maßnahme durch die Kinder, Eltern und Sozialpädagogen in Anlehnung<br />

an Mattejat/Remschmidt (1998) sowie ein teilstandardisierter Elternfragebogen zur Erfassung<br />

soziobiografischer Merkmale. Zentrales Erhebungsverfahren waren Protokolle mit verschiedenen<br />

Schwerpunkten im Hilfeprozess, qualitative Interviews und Gruppendiskussionen<br />

zur Erfassung subjektiver Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, sowohl der beteiligten<br />

Institutionen als auch der Klientel.<br />

Der konzeptionell vorgedachte Untersuchungsansatz konkretisierte sich durch die praxisrelevanten<br />

Fragen und Diskussionen in der explorativen Phase im ersten Projektjahr. In Abstimmung<br />

mit den Mitarbeitern wurden dabei vergleichbare Dokumentationsvorlagen und Erhebungsinstrumente<br />

für die Vermittlungs- und Kontaktphase, für den Hilfeprozess und die Abschlussphase<br />

erstellt und eingeführt. Um die Komplexität des Untersuchungsfeldes zu reduzieren<br />

und überschaubar zu gestalten, konzentrierte sich die Evaluation auf drei Themenschwerpunkte<br />

und Fragenkomplexe: (1) Strukturen und Institutionen, (2) Klientel und Klientensystem<br />

sowie (3) Hilfe und Methoden. Die durchgeführten Teiluntersuchungen orientierten sich weitestgehend<br />

an diesen Themenkomplexen, auch wenn sich die Grenzen im Handlungsfeld fließend<br />

gestalteten. Für eine differenzierte Gesamtbetrachtung wurden die Befunde der Teiluntersuchungen<br />

dann wieder zusammengeführt und aufeinander bezogen. Auf der Grundlage der abgestimmten<br />

Dokumentationen, Befragungen und Erhebungsverfahren, die in der nachfolgenden<br />

Übersicht dargestellt sind, konnte das <strong>ESCAPE</strong>-Hilfeangebot in den drei Standorten beschrieben,<br />

analysiert und bewertet werden.<br />

18


Abbildung 4.2. Untersuchungsansatz.<br />

4.3 Untersuchungsplan<br />

Phase 1 (Juli 2000 – Dezember 2001)<br />

<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

(0) Explorative Phase<br />

Die explorative Phase diente der gemeinsamen Entwicklung und Systematisierung der Dokumentation<br />

wie Protokolle, Fragebögen etc. und zur Erstellung des Untersuchungsdesigns.<br />

(1) (Struktur) Institutioneller Umgang mit delinquenten Kindern in den Projektorten<br />

Die Untersuchung bezog sich auf die Zusammenarbeit und die Verfahrensweisen der verschiedenen<br />

Institutionen. In neun Interviews wurden in allen Standorten die subjektiven Sichtweisen<br />

von je einem Vertreter der beteiligten Institutionen Polizei, Jugendamt und Schule erhoben.<br />

(2) (Methode/Klientel) Elternarbeit und Sichtweisen der Eltern im Projekt<br />

Da alle Standorte die Elternarbeit von Beginn an als einen wichtigen Baustein konzeptionell<br />

verankerten, sollte die Untersuchung erfassen, wie dieser Anspruch in der Realität umgesetzt<br />

wird. Dazu wurden fünf Eltern und vier <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter der beteiligten Standorte zur konzeptionellen<br />

Elternarbeit, deren Möglichkeiten und Grenzen interviewt.<br />

(3) (Klientel) Lebenserfahrungen und Sichtweisen der Kinder im Projekt<br />

Wenn ein Hilfeangebot für Kinder entwickelt werden soll, muss man die Sichtweisen, Wahrnehmungen<br />

und Perspektiven der Kinder kennen. Dazu wurden acht Kinder zu ihrer Lebenssituation<br />

und den Erfahrungen mit der Jugendhilfe, insbesondere dem <strong>ESCAPE</strong>-Angebot, interviewt.<br />

Phase 2 (Januar 2002 – November 2002)<br />

(4) (Struktur) Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe am Beispiel <strong>ESCAPE</strong><br />

Nach der Öffnung der Zugangkriterien wurde verstärkt auch die Institution Schule in das Projekt<br />

einbezogen. Bei dieser Erhebung standen die Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit<br />

an der Schnittstelle zwischen Schule und Jugendhilfe, insbesondere aus der Sicht der Schule,<br />

im Vordergrund. Dazu wurden insgesamt 10 Interviews durchgeführt. Interviewpartner waren<br />

19


EVALUATIONSBERICHT<br />

die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter, Schulleiter und Beratungslehrer verschiedener Schularten in den Modellstandorten.<br />

(5) (Struktur/Methode) Erreichbarkeit und Vermittlung auf der Grundlage von Freiwilligkeit<br />

Auf der Grundlage der Untersuchung eins zur institutionellen Zusammenarbeit erfolgte unter<br />

Berücksichtigung der Möglichkeiten und Grenzen von Freiwilligkeit eine vertiefende Studie über<br />

die genauen Zugangswege ins Projekt. Wer wird erreicht und wie gestaltet sich der Prozess der<br />

Vermittlung ins Projekt? Dazu erfolgte eine Auswertung der Dokumentation zur Vermittlung und<br />

des Kontaktaufbaues, von Protokollen und Berichten aus Gruppendiskussionen sowie sechs Interviews<br />

mit zuständigen Mitarbeitern vom Allgemeinen Sozialen Dienst und den <strong>ESCAPE</strong>-<br />

Mitarbeitern.<br />

(6) (Methode) Analyse der Handlungsmethoden<br />

Die pädagogischen Handlungsmethoden betreffen die unmittelbare Arbeit mit den Kindern und<br />

Eltern. Dabei interessierten insbesondere die konzeptionellen Schwerpunkte der sozialen<br />

Gruppenarbeit in Dresden und Riesa sowie die Einzelfallarbeit in Auerbach. Für die Analyse<br />

wurden Konzeptionen, Protokolle und Berichte ausgewertet. Im Sinne einer kommunikativen<br />

Validierung wurden mit den Mitarbeitern in den Standorten Interviews geführt. In der Sozialen<br />

Gruppenarbeit erfolgt eine Bezugnahme auf Erfahrungen und Kenntnisse über Soziale Trainingskurse<br />

und in der Einzelfallarbeit auf die Intensive Sozialpädagogische Einzelfallhilfe (ISE)<br />

und die Ambulante Intensive Betreuung (AIB).<br />

Phase 3 (November 2002 – März 2003)<br />

(7) (Methode) Abschlussphase – Nachbetreuung – Loslassen<br />

Das <strong>ESCAPE</strong>-Angebot versteht sich als eine relativ intensive und kurzfristige Hilfe. Der Hilfeprozess<br />

ist auf eine vereinbarte Zeit begrenzt. Dem Beziehungsaufbau stehen demnach Prozesse<br />

der Ablösung und die Nachbetreuung bevor. Dazu wurden spezielle Dokumente und Protokolle<br />

ausgewertet und mit den <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeitern kommunikativ validiert.<br />

(8) (Klientel) Fallgeschichten/Kasuistik<br />

Für die Entwicklung eines adäquaten Hilfeangebotes und der näheren Zielgruppenbestimmung<br />

bedurfte es der differenzierten Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen der Kinder und<br />

<strong>Familie</strong>n im Projekt. Mit Hilfe personenbezogener Daten wie dem soziobiografischen Elternfragebogen<br />

und durch die Verarbeitung von Beobachtungen und Protokollen wurden von 50 Kindern<br />

Fallgeschichten erstellt und analysiert.<br />

(9) (Struktur) Bestands-/ Bedarfsanalysen<br />

Die vorhandenen statistischen Berichte und die Jugendhilfeplanung geben wenig Auskunft über<br />

zielgruppenspezifische Bestands- und Bedarfslagen. Die Untersuchung erfasste mit vier Interviews<br />

die Sichtweisen der zuständigen Jugendhilfeplaner der Modellstandorte und in Leipzig.<br />

(10) Wirksamkeit und Akzeptanz des <strong>ESCAPE</strong>-Angebots<br />

Wirksamkeit und Akzeptanz sind Erfolgs- und Qualitätskriterien für Hilfemaßnahmen. Auch<br />

wenn der Erfolg von Hilfen schwer messbar ist, sollte nicht nur auf qualitative Interviews und<br />

Protokolle zurückgegriffen werden, sondern auch auf quantitative Instrumente, die ansatzweise<br />

Aussagen darüber erlauben. Dabei handelte es sich um die Rückfallstatistik, den<br />

Persönlichkeitsfragebogen für Kinder und den Fragebogen zur subjektiven Beurteilung der Hilfe<br />

durch die Kinder, die Eltern und Sozialarbeiter.<br />

Phase 4: Auswertung und Abschlussbericht (März 2003 – Oktober 2003)<br />

Die Modellphase wurde in den Standorten am 31. März 2003 offiziell beendet. Danach begann<br />

die systematische Auswertung der wissenschaftlichen Begleitung auf der Grundlage der erhobenen<br />

Daten und der durchgeführten Teiluntersuchungen. Einige ausgewählte Teiluntersuchungen<br />

sind im Anhang zusammengefasst. Die Reihenfolge erfolgt dort nach inhaltlichen und<br />

nicht nach chronologischen Gesichtspunkten.<br />

20


5. Projektentwicklung und Ergebnisse<br />

5.1 Chronologie<br />

5.1.1 Formale Projektdaten<br />

<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

28.07.1999 Ausschreibung des Landesjugendamtes, über die Jugendämter gerichtet an alle freien Träger der Jugendhilfe<br />

30.11.1999 Bewerbungsfrist (24 Träger bewerben sich für 3 Modellstandorte, 4 Träger für das Projektmanagement)<br />

08.03.2000 Auswahl und Bekanntgabe der ausgewählten Träger<br />

18.04.2000 erstes gemeinsames Treffen aller beteiligten Träger in Leipzig<br />

01.05.2000 geplanter Projektstart wird aufgrund von Finanzierungsunsicherheiten auf unbestimmte Zeit verschoben<br />

20.06.2000 Finanzzusage des Sozialministeriums<br />

01.07.2000 Projektstart<br />

10.07.2000 allgemeine Eröffnungsveranstaltung und Auftaktworkshop im Caritas <strong>Familie</strong>nzentrum in Leipzig-Grünau<br />

31.08.2000 regionale Auftaktveranstaltung in Dresden<br />

13.09.2000 regionale Auftaktveranstaltung in Auerbach<br />

19.10.2000 regionale Auftaktveranstaltung in Riesa<br />

Oktober 2000 in Auerbach erstes Kind im Projekt<br />

November 2000 in Dresden und Riesa erste Kinder im Projekt<br />

30.11.- Beteiligung am Europäischen Fachkongress in Luxemburg „Zum Umgang mit Kinder- und Jugenddelinquenz im<br />

02.12.2000 europäischen Vergleich“.<br />

04.12.2000 Gestaltung des Dies Academicus an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig<br />

18.01.2001 Absprachen mit dem Regionalschulamt Zwickau für den Standort Auerbach<br />

25.01.2001 Absprachen mit dem Regionalschulamt Dresden für die Standorte Dresden und Riesa<br />

16.03.2001 erweitertes Arbeitstreffen mit allen Projektträgerverantwortlichen in Dresden<br />

09.06.2001 Präsentation auf dem Campus Leipzig 2001<br />

06.06.2001 Berichterstattung im Landesjugendhilfeausschuss in Chemnitz<br />

Veröffentlichung der Zwischenergebnisse der Evaluation<br />

13./14.07.2001 Beteiligung am bundesweiten Workshop der Friedrich-Ebert-Stiftung mit Präventionsprojekten im Bereich der<br />

Kinder- und Jugenddelinquenz, Thema: „Warten, bis sie 14 sind ...?!“<br />

1./2.10.2001 Beteiligung am Expertenworkshop des Institutes für Sozialpädagogik der TU Berlin<br />

8./9.11.2001 öffentliche <strong>ESCAPE</strong>-Fachtagung in Meißen (Veröffentlichung einer Tagungsdokumentation)<br />

26.-28.11.2001 Beteiligung am 7. Deutschen Präventionstag in Düsseldorf<br />

19.06.2002 Berichterstattung im Landesjugendhilfeausschuss in Chemnitz<br />

21.06.2002 Beteiligung am 2. Expertenworkshop des Institutes für Sozialpädagogik der TU Berlin<br />

07.08.2002 Problemdarstellung im Unterausschuss Hilfen zur Erziehung des LJHA in Chemnitz<br />

11.09.2002 Präsentation im Jugendhilfeausschuss Vogtlandkreis hinsichtlich einer <strong>ESCAPE</strong>-Weiterführung<br />

01.02.2003 Ausweitung des <strong>ESCAPE</strong>-Angebotes im Vogtlandkreis<br />

19.03.2003 regionale Abschlussveranstaltung in Dresden<br />

27.03.2003 regionale Abschlussveranstaltung in Auerbach<br />

28.03.2002 regionale Abschlussveranstaltung in Riesa<br />

31.03.2003 Ende der Modellphase in den Standorten<br />

27.06.2003 Abschlusstagung in Schmochtitz<br />

12.11.2003 Präsentation des Abschlussbericht im Landesjugendhilfeausschuss<br />

Abbildung 5.1. Formaler Projektverlauf aus Sicht des Projektmanagements und der wissenschaftlichen Begleitung.<br />

21


EVALUATIONSBERICHT<br />

5.1.2 Schritte der Projektentwicklung<br />

Die inhaltlichen Schwerpunkte und Entwicklungsschritte des <strong>Modellprojekt</strong>es <strong>ESCAPE</strong> können<br />

wie folgt im Überblick zusammengefasst werden. In der weiteren Darstellung insbesondere in<br />

den Kapiteln Strukturen und Methoden wird darauf im Einzelnen noch näher Bezug genommen.<br />

� Konzeptentwicklung in Zusammenarbeit mit den jeweiligen örtlichen Jugendämtern<br />

� Entwicklung der internen Projektstrukturen und Zusammenarbeit der Modellstandorte<br />

� verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und Information, Entwicklung des gemeinsamen Projektnamens,<br />

des Logos etc. (Corporate Design/Corporate Identity)<br />

� Gewinnung und Einbeziehung verschiedener Kooperationspartner<br />

� Entwicklung formaler Vermittlungswege und Strukturen (konkrete und verbindliche Verfahrensweisen)<br />

� Erweiterung der Zugangskriterien<br />

� Entwicklung informeller Vermittlungswege/stärkere Einbeziehung der Schulen und<br />

Einrichtungen der freien Jugendhilfe<br />

� Ausdifferenzierung der methodischen Angebote für das Kind<br />

� Konkretisierung und Intensivierung der Elternarbeit<br />

� Entwicklung von Gehstrukturen zur besseren Erreichbarkeit<br />

� Ausweitung des Einzugsbereiches auf angrenzende Stadtteile bzw. Städte und Gemeinden<br />

(dadurch Einschränkung des Regional-/Stadtteilbezuges, insbesondere in Dresden)<br />

� Ausweitung der Angebote (Gruppenarbeit in Auerbach, Einzelfallhilfe in Riesa,<br />

Sozialpädagogische Gruppenarbeit mit einer Erziehungshilfeklasse in Dresden)<br />

� Nachfolgekonzeptionen für eine Regelfinanzierung<br />

� Weiterführung der <strong>ESCAPE</strong>-Angebote nach der Modellphase<br />

Abbildung 5.2. Inhaltliche Schwerpunkte und Entwicklungsschritte des <strong>Modellprojekt</strong>es <strong>ESCAPE</strong>.<br />

5.2 Bedarf, Nachfrage und Bestimmung der Zielgruppe<br />

5.2.1 Polizeiliche Kriminalstatistik<br />

Den Ausgangspunkt der Bedarfsanalyse in Hinblick auf die Zielgruppe des <strong>Modellprojekt</strong>es<br />

<strong>ESCAPE</strong> bildete zunächst die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Auch wenn aus Sicht der Jugendhilfe<br />

die Zahlen der PKS nicht überbewertet werden dürfen und die Objektivität der statistischen<br />

Erfassung hinterfragt werden muss, so gibt sie doch Anhaltspunkte über Erscheinungsformen,<br />

Entwicklungen und Konjunkturen von Kinderdelinquenz.<br />

Die nachfolgenden Daten und Übersichten stützen sich überwiegend auf Angaben aus der Polizeilichen<br />

Kriminalstatistik. Die Angaben bezüglich der Modellstandorte beruhen auf einer Sonderrecherche<br />

des Landeskriminalamtes. Die PKS enthält prinzipiell keine Verkehrsstraftaten<br />

und keine Staatsschutzdelikte. Sie wird nicht nach der Tatzeit, sondern nach dem Zeitpunkt des<br />

Fallabschlusses geführt. So können beispielsweise in der PKS 2002 also auch Tatverdächtige<br />

enthalten sein, deren Straftat schon vor 2002 begangen, von der Polizei aber erst 2002 abschließend<br />

bearbeitet wurde.<br />

Von 1991 (seit der statistischen Erfassung in <strong>Sachsen</strong>) bis 1998 nahm der Anteil der tatverdächtigen<br />

Kinder in <strong>Sachsen</strong> deutlich zu. Dieser Anstieg entsprach einer allgemeinen Entwicklung<br />

der Kinderdelinquenz in Deutschland, die bereits 1988 einsetzte und in den 90er Jahren zu<br />

einer öffentlichen Diskussion Anlass gab. In der DDR wurden Straftaten von Kindern statistisch<br />

nicht erfasst bzw. veröffentlicht. 1998 erreichten die polizeilich registrierten Straftaten von Kindern<br />

in <strong>Sachsen</strong> und in der Bundesrepublik ihren Höhepunkt. In <strong>Sachsen</strong> wurden 10.611 Kinder<br />

22


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

polizeilich erfasst, 1999 sank erstmals im Vergleich zum Vorjahr die Zahl um 340 auf 10.271<br />

Kinder. Dieser rückläufige Trend setzte sich bis 2002 auf Landes- und Bundesebene weiter fort.<br />

12000<br />

10000<br />

8000<br />

6000<br />

4000<br />

2000<br />

0<br />

6649<br />

8118<br />

9624 9819<br />

10611 10271<br />

Abbildung 5.3. Entwicklung der Tatverdächtigenzahl der Altersgruppe der 8- 14jährigen Kinder in <strong>Sachsen</strong>.<br />

Betrachtet man die sächsischen Zahlen der zurückliegenden vier Jahre zwischen 1999 und<br />

2002 differenziert, so lassen sich folgende charakteristische Merkmale erkennen. Mit zunehmendem<br />

Alter nimmt innerhalb dieser Altersgruppe die Anzahl der tatverdächtigen Kinder (TV)<br />

zu. So betrug der Anteil der 12-14jährigen Kinder mehr als 60%. Bei den erfassten Kindern<br />

handelt es sich mit einem Anteil von durchschnittlich 69% überwiegend um Jungen. Obwohl die<br />

polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) den Anteil der Mädchen für das Jahr 2000 unter den Tatverdächtigen<br />

in der Altersgruppe der 8–13jährigen mit 29% als am höchsten liegend ausweist, bekommen<br />

Mädchen, die ihnen zustehende Aufmerksamkeit nur ansatzweise und in aller Regel<br />

auch erst dann, wenn sie diese Aufmerksamkeit ausreichend „auffällig“ einfordern. Anders bei<br />

den Jungen, hier genügt nicht selten schon eine Anhäufung von „Dummen-Jungen-Streichen“,<br />

um in das Visier der Polizei und der Jugendhilfe zu geraten. So überwiegt dann auch bei den<br />

registrierten Delikten von Kindern mit 49,6% der einfache Ladendiebstahl vor Sachbeschädigung<br />

mit durchschnittlich 22,75%. In der Altersgruppe der bis 14jährigen Kinder traten Gewaltdelikte<br />

nur in geringem Umfang auf. Allerdings können sich Veränderungen der geringen absoluten<br />

Zahlen prozentual erheblich auswirken und ein falsches Bild erzeugen. Im Jahr 2002 ermittelte<br />

die Polizei 334 Kinder wegen Gewaltkriminalität (4,2% aller ermittelten Kinder), das waren<br />

111 Kinder weniger als im Vorjahr.<br />

Trotz des Rückgangs tatverdächtiger Kinder und des Anteils an der Gesamtkriminalität vollzog<br />

sich ein Anstieg der Tatverdächtigenbelastungszahl (TVBZ). Diese ergibt sich aus dem Anteil<br />

der tatverdächtigen Kinder auf 100.000 Einwohner derselben Altersgruppe. Bei der Interpretation<br />

der Zahlen muss berücksichtigt werden, dass sich die Altersstruktur der Bevölkerung nicht<br />

unwesentlich verändert. Dabei vollzieht sich ein Rückgang des Anteils an Kindern. So lebten<br />

2002 in <strong>Sachsen</strong> mit 10,6% Anteil an der Gesamtbevölkerung rund 29.000 Kinder weniger als<br />

noch ein Jahr zuvor (11,2%). Der Anstieg der Tatverdächtigenbelastungszahl bedeutet, dass<br />

der Rückgang an straftatverdächtigen Kindern sich nicht in dem Maße reduziert wie der Rückgang<br />

des Anteils der Kinder an der Gesamtbevölkerung.<br />

9025<br />

8710<br />

1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002<br />

8044<br />

TV Kinder<br />

23


EVALUATIONSBERICHT<br />

Tabelle 5.1. PKS der Altersgruppe der 8 bis 14jährigen Kinder in <strong>Sachsen</strong>.<br />

24<br />

Anzahl der TV Anteil Anzahl der TV<br />

männlich nach Alter<br />

1999 10.271 69% (10-12) 25,5%<br />

(12-14) 62,7%<br />

2000 9.025 70,2% (10-12) 25,3%<br />

(12-14) 62,8%<br />

2001 8.710 70,3% (10-12) 25,8%<br />

(12-14) 62,8%<br />

2002 8.044 66,8% (10-12) 22,8%<br />

(12-14) 66,1%<br />

TVBZ TV- Anteil Anteil an Bevölkerung<br />

2.966 7,4% 12,2%<br />

2.844 6,8% 11,7%<br />

3.103 6,3% 11,2%<br />

3.278 6,1% 10,6%<br />

Betrachtet man den Aspekt des Mehrfachtatverdachts von Kindern, so sei zunächst erklärt,<br />

dass in <strong>Sachsen</strong> unter einem Mehrfachtatverdächtigen (MTV) ein Tatverdächtiger zu verstehen<br />

ist, der zum Zeitpunkt seiner Ermittlung bereits als Tatverdächtiger im Zusammenhang mit einer<br />

oder mehreren früheren Straftaten im Polizeilichen Auskunftssystem <strong>Sachsen</strong> (PASS) registriert<br />

war. Das mehrfache Auftreten bezieht sich nicht nur auf einzelne Kalenderjahre. Der Anteil der<br />

tatverdächtigen Kinder, die in <strong>Sachsen</strong> mehrfach polizeilich erfasst waren, lag im betrachteten<br />

Zeitraum zwischen 18,5 und 20,3 %. Der Anteil der Kinder mit drei und mehr Delikten betrug<br />

zwischen 11,6 und 13,1%, das entspricht in absoluten Zahlen ausgedrückt zwischen 989 und<br />

1197 Kindern.<br />

Tabelle 5.2. Häufigkeit des Auftretens der Tatverdächtigen der Altersgruppe der bis 14jährigen Kinder in <strong>Sachsen</strong>.<br />

1999 Anzahl<br />

in %<br />

2000 Anzahl<br />

in %<br />

2001 Anzahl<br />

in %<br />

2002 Anzahl<br />

in %<br />

als TV registriert mit Anzahl der zugeordneten Straftaten seit 1991<br />

einer<br />

Straftat<br />

8.375<br />

81,5<br />

7.262<br />

80,5<br />

7.004<br />

80,4<br />

6.415<br />

79,7<br />

mehreren<br />

Straftaten<br />

1.896<br />

18,5<br />

1.763<br />

19,5<br />

1.706<br />

19,6<br />

1.629<br />

20,3<br />

2 3 4 5 6-10 11-20 mehr<br />

als 20<br />

699<br />

6,8<br />

589<br />

6,5<br />

632<br />

7,3<br />

640<br />

8,0<br />

448<br />

4,4<br />

435<br />

4,8<br />

408<br />

4,7<br />

388<br />

4,8<br />

In einer Untersuchung des LKA (1998) zu mehrfach in Erscheinung getretenen Tatverdächtigen<br />

konnte festgestellt werden, dass bei etwa einem Viertel der tatverdächtigen deutschen Kinder<br />

im Alter ab 10 Jahren mit mindestens drei zugeordneten Straftaten eine zunehmende Schwere<br />

der begangenen Delikte beobachtet werden kann. Eine Tendenz der fortschreitenden Verringerung<br />

des Abstandes zwischen den einzelnen Delikten sei etwa bei 40% erkennbar. Kinder bzw.<br />

Jugendliche, die im Alter von 13 bis 15 Jahren erstmals als Tatverdächtige in Erscheinung getreten<br />

sind, weisen die höchste Wahrscheinlichkeit für erneute strafbare Handlungen auf.<br />

Betrachtet man nun die Modellstandorte hinsichtlich der mehrfach straftatverdächtigen Kinder,<br />

so fällt auf, dass es sich um eine sehr überschaubare Gruppe handelt. Diese zu identifizieren<br />

und hinsichtlich des Hilfebedarfes zu prüfen, dürfte eigentlich eine lösbare Aufgabe darstellen.<br />

Während in Auerbach, Riesa und der Stadt Dresden der Anteil der MVT zwischen 1999 und<br />

2002 insgesamt zurückging, vollzog sich im Stadtteil Dresden-Prohlis ein leichter Anstieg, der<br />

u.a. auf die soziale Entwicklung des Plattenbauviertels mit einem zunehmend belasteten Bevölkerungsanteil<br />

zurückgeführt werden kann.<br />

228<br />

2,2<br />

226<br />

2,5<br />

207<br />

2,4<br />

195<br />

2,4<br />

114<br />

1,1<br />

115<br />

1,3<br />

122<br />

1,4<br />

105<br />

1,3<br />

261<br />

2,5<br />

258<br />

2,9<br />

215<br />

2,5<br />

203<br />

2,5<br />

97<br />

0,9<br />

96<br />

1,1<br />

74<br />

0,8<br />

66<br />

0,8<br />

49<br />

0,5<br />

44<br />

0,5<br />

48<br />

0,6<br />

32<br />

0,4


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Tabelle 5.3. Anzahl tatverdächtiger Kinder 1999 – 2002 im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong> nach ausgewählten Wohnorten zur Tatzeit.<br />

1999<br />

2000<br />

2001<br />

2002<br />

tatverd. Kinder darunter mit Wohnsitz im/in ...<br />

<strong>Freistaat</strong><br />

<strong>Sachsen</strong><br />

insgesamt<br />

Vogtlandkreis<br />

darunter<br />

Auerbach/<br />

Vogtl., Stadt<br />

Dresden,<br />

Stadt<br />

darunter<br />

Prohlis<br />

Nord/Süd<br />

Landkreis<br />

Riesa-<br />

Großenhain<br />

darunter<br />

Riesa,<br />

Stadt<br />

gesamt TV 10.271 219 38 1.500 51 274 113<br />

MTV 1.896 (18,5 %) 54 14 344 10 65 28<br />

gesamt TV 9.025 171 25 1.161 50 268 107<br />

MTV 1.763 (19,5 %) 44 7 325 19 61 20<br />

gesamt TV 8.710 178 18 1.166 46 252 96<br />

MTV 1.706 (19,6 %) 26 3 283 19 69 21<br />

gesamt TV 8.044 168 19 1.022 52 213 74<br />

MTV 1.629 (20,3 %) 20 5 284 21 52 21<br />

5.2.2 Zur Bestimmung der Zielgruppe<br />

Obwohl sich der Arbeitstitel des <strong>Modellprojekt</strong>es auf Kinder mit „abweichendem Verhalten“ bezog,<br />

implizierte der Projektauftrag - von der oben dargestellten Projektintention ausgehend -<br />

von Beginn an die Bezugnahme auf Kinder mit delinquentem bzw. straftatrelevantem Verhalten<br />

und deren <strong>Familie</strong>n. Dabei sollten auch Adressaten erreicht werden, die die Jugendhilfe bisher<br />

nur sehr schwer oder gar nicht erreichen konnte. Um im Projekt auszuschließen, dass einfache<br />

und entwicklungsbedingte episodenhafte Bagatelldelikte von Kindern zu Interventionen der Jugendhilfe<br />

führen und „Überreaktionen“ auslösen, wurden die Zugangskriterien zunächst relativ<br />

eng nach Anzahl (mindestens drei Delikte) und nach Schwere (nicht nur �agatelldelikte) definiert.<br />

Damit sollte die Gefahr einer frühzeitigen Stigmatisierung und „Kolonialisierung“ der Lebenswelt<br />

des Kindes ausgeschlossen werden. Um diesen Kriterien entsprechen zu können, lag<br />

der Focus zunächst primär auf dem Hellfeld der polizeilich erfassten Kinder, die in <strong>Sachsen</strong> bei<br />

wiederholten Straftaten über die PKS hinaus im Polizeilichen Auskunftssystem personenbezogen<br />

registriert waren. Bundesweit gibt es zurzeit allerdings noch keinen gemeinsamen Nenner<br />

bezüglich des Verständnisses von „Mehrfach- und Intensivtäter“, das in den verschiedenen<br />

Bundesländern sowohl nach Anzahl als auch nach Schwere variiert. In <strong>Sachsen</strong> gelten alle<br />

straftatverdächtigen Personen ab zwei Straftaten als Mehrfachtäter. Die personenbezogene<br />

Registrierung im PASS des Landeskriminalamtes ist der Jugendhilfepraxis aus datenschutzrechtlichen<br />

Gründen nicht zugänglich. Lediglich die PKS ermöglicht einen zahlenmäßigen Überblick<br />

über die Anzahl und regionale Verteilung von Mehrfachtätern in <strong>Sachsen</strong>. Bricht man<br />

diese Zahl der Mehrfachtäter auf die Regionen der Modellstandorte herunter, so bleibt eine sehr<br />

überschaubare Gruppe von Kindern übrig (siehe oben, Statistik). Diese Zahl reduziert sich noch<br />

einmal, da nicht alle Fälle in der Jugendhilfe bekannt werden, die Jugendhilfe wiederum nicht<br />

auf alle ihr von der Polizei gemeldeten Fälle reagiert und aufgrund der Freiwilligkeit eines präventiven<br />

Hilfeansatzes die Angebote von den Betroffenen nicht immer angenommen werden.<br />

Es musste daher sehr bald festgestellt werden, dass es sich mit den anfangs festgelegten Zugangskriterien<br />

um eine sehr kleine Zielgruppe handelt und es die so genannten „Monsterkids“<br />

(Spiegel 1998) im eigentlichen Sinne überhaupt nicht gibt. Darin bestätigte sich das überzeichnete<br />

Bild der Medien, welches sich meist an spektakulären Einzelfällen orientiert und diese<br />

pauschal verallgemeinert. Das Kapitel Klientel wird zeigen, dass es sich im Projekt vielmehr um<br />

Kinder mit sehr problembelasteten Lebensbedingungen handelt, die im straffälligen Verhalten<br />

lediglich ihren hilflosen Ausdruck finden und sich von anderen Indikatoren abweichender Verhaltensformen<br />

wie Trebegang, wiederholter Schulbummelei und Schulverweigerung etc. nur<br />

schwer abgrenzen lassen.<br />

Da die konkreten Anfragen und Fallzahlen allgemein hinter den Erwartungen blieben und im<br />

Widerspruch zu dem immer wieder geäußerten Bedarf aller Institutionen an einem solchen An-<br />

25


EVALUATIONSBERICHT<br />

gebot für delinquente Kinder standen, erwiesen sich die anfangs formulierten Zugangskriterien<br />

von daher bereits in den ersten Projektmonaten als zu starr. Sie blockierten die Vermittlung von<br />

potentiell in Frage kommenden Kindern mit einem entsprechenden Hilfebedarf. Es dauerte fast<br />

vier Monate, bis das erste Kind in einen der Projektstandorte vermittelt war, fast acht Monate,<br />

bis die erste Gruppenarbeit in Dresden und Riesa beginnen konnte.<br />

Aufgrund der zahlreichen erfolglosen Vermittlungsbemühungen wurde von allen beteiligten Institutionen<br />

und Kooperationspartnern das Anliegen geäußert, die Zugangskriterien weniger eng<br />

zu formulieren und auf das Dunkelfeld auszuweiten. Da sich der Handlungsauftrag der Jugendhilfe<br />

ohnehin primär auf den erzieherischen Bedarf bezieht, erfolgte mit Zustimmung des Landesjugendamtes<br />

noch im ersten Halbjahr der Modellphase eine Öffnung der Zugangskriterien,<br />

die sich zwar weiterhin an delinquentem Verhalten orientierten, aber dennoch eine flexiblere<br />

Handhabe der Vermittlung ins Projekt möglich machten. Wiederholtes straftatrelevantes Verhalten<br />

im Hell- und im Dunkelfeld wurde von nun an allgemein zum Anlass genommen, um den<br />

Hilfebedarf abzuklären und ggf. angemessene Hilfe anzubieten. Auch wenn teilweise eine Öffnung<br />

der Altersbegrenzung insbesondere von der Polizei gefordert wurde, hielt man an dem<br />

Kriterium der Strafunmündigkeit fest.<br />

Neben der Polizei und der öffentlichen Jugendhilfe rückten mit der Zugangserweiterung verstärkt<br />

auch informelle Zugangswege über die Schulen und über freie Jugendhilfeeinrichtungen<br />

in den Blick, in denen delinquente Verhaltensweisen von Kindern in unterschiedlichen Kontexten<br />

wahrgenommen wird. Auch wenn es durch die veränderten Zugangskriterien einen leichten<br />

Anstieg der Fallzahlen gab, entsprach die reale Anzahl der Fallanfragen nicht den Erwartungen<br />

und stand im Widerspruch zu dem von den beteiligten Institutionen immer wieder geäußerten<br />

Bedarf an einem solchen Hilfsangebot. Besonders offensichtlich war dieser Widerspruch seitens<br />

der Schulen, die ausgesprochen wenige Kinder ins Projekt vermittelten. Die Ursachen lagen<br />

einerseits an der mangelnden und lückenhaften Verbreitung der geänderten Zugangskriterien<br />

mit einer jeweils eigenen und kaum nachvollziehbaren institutionellen Vermittlungslogik –<br />

bis zum Schluss gab es potentielle Vermittlungspartner, die noch nichts von den geöffneten Zugangskriterien<br />

wussten – und andererseits fanden darin auch die strukturellen Probleme und<br />

Grenzen der Zusammenarbeit von Institutionen mit unterschiedlichen Handlungsaufträgen ihren<br />

Ausdruck.<br />

Der durch die erweiterten Zugangskriterien eröffnete Handlungsspielraum und die damit verbundene<br />

- wenig spezifizierbare - Orientierung am Hilfebedarf setzte zur Vermeidung von Vermittlungswillkür<br />

bei den Projektmitarbeitern ein hohes Maß an Fachlichkeit und eine enge Zusammenarbeit<br />

mit dem Jugendamt voraus. Trotz spürbarer Unsicherheiten im Einzelfall gelang<br />

insbesondere in den Standorten Auerbach und Dresden im Prozess der Zielgruppenvermittlung<br />

ein flexibler und kreativer Umgang mit den Zugangskriterien.<br />

5.2.3 Jugendhilfe am Übergang vom Kind zum Jugendlichen – zum Problem der „Lücke“<br />

Vor dem Hintergrund der geringen Fallzahlen und der Schwierigkeiten bei der Erreichbarkeit der<br />

Zielgruppe, stellte sich neben der statistischen Analyse der PKS auch die qualitative Frage<br />

nach dem konkreten Bedarf, der bei der Evaluation in einer Teiluntersuchung über die Sicht der<br />

Jugendhilfeplaner in den Modellstandorten gesondert nachgegangen wurde.<br />

Bei der Zielgruppe des <strong>Modellprojekt</strong>es <strong>ESCAPE</strong> handelt es sich um eine Altersgruppe, die aus<br />

entwicklungspsychologischer Sicht mit dem Merkmal des Übergangs vom Kind zum Jugendlichen<br />

gekennzeichnet ist. Damit verbinden sich zugleich Übergangs- und Lückephänomene auf<br />

verschiedenen Ebenen. In diesem Zusammenhang wird deshalb auch der Begriff der „Lückekids“<br />

geprägt und diskutiert, der einerseits ein Defizit beschreibt, andererseits eine Phase, die<br />

jedes Kind durchläuft.<br />

Wie aus der Untersuchung von Friedrichs (1984) über das Freizeitverhalten von Kindern hervorgeht,<br />

gibt es für die Altersgruppe der neun bis vierzehnjährigen Kindern eine institutionelle<br />

26


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Lücke, d.h. eine Unterversorgung an Angeboten. Während sich Kinder mit acht und neun Jahren<br />

noch den verbindlichen Strukturen der Tagesbetreuungsangebote (wie Hort) unterordnen,<br />

unterstellt Friedrichs den Kindern ab 10 Jahren bereits eine gewisse Selbstständigkeit, die impliziert,<br />

dass sie sich über einen kurzfristigen Zeitraum selbst versorgen und ihre Freizeit autonom<br />

gestalten können. „Mit zunehmendem Alter sinkt die Bereitschaft der Kinder, sich in den<br />

reglementierten Rahmen der öffentlichen Erziehung […] einzuordnen.“ (ebd.). Einerseits suchen<br />

sie dabei „unfertige Räume“ und partizipieren zunehmend weniger an den Angeboten für Kinder,<br />

andererseits orientieren sie sich bereits an Freizeitangeboten für Jugendliche, in denen sie<br />

aber noch nicht vollständig akzeptiert werden. Dies bestätigen die Ergebnisse der ersten<br />

Dresdner Kinderstudie (2000). Darin kommt zum Ausdruck, dass von 2000 Befragten im gesamten<br />

Altersbereich der 9- 15jährigen lediglich 19,2% Nutzer von offenen Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen<br />

sind. Innerhalb dieser Altersgruppe nimmt bei den 14-15jährigen der Anteil<br />

der Nutzer solcher Einrichtungen deutlich zu (ebd.). Aus dieser Betrachtung wird deutlich, dass<br />

die Betreuung in einer Tageseinrichtung sowie die Angebote der Jugendarbeit, der Jugendverbandsarbeit<br />

und des Jugendschutzes die Kinder nicht mehr oder noch nicht befriedigen.<br />

Die befragten Jugendhilfeplaner in Dresden, Leipzig, Riesa-Großenhain und im Vogtlandkreis<br />

nehmen dieses Lückephänomen differenzierter wahr. Sie gehen davon aus, dass in einer pluralen<br />

Trägerlandschaft weitestgehend ausreichend Jugendhilfeangebote für Kinder existieren,<br />

dass aber problembelastete Kinder, und somit auch delinquente Kinder, von diesen Angeboten<br />

häufig nicht erreicht werden. Sie verweisen auf die Notwendigkeit, die bestehenden Angebote<br />

mehr auf die Bedürfnisse und Entwicklungsanforderungen der Kinder abzustimmen. Dazu bedürfe<br />

es der Qualifizierung der Pädagogen und Sozialarbeiter, die nur über unzureichendes<br />

Wissen über die Lückekids verfügen. Sie favorisieren damit die Integration in bestehende Angebote<br />

und weniger die Schaffung von Spezialangeboten. Sie begrüßen daher die Öffnung der<br />

Zugangskriterien im <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> und sehen Möglichkeiten für eine weitere Zielgruppenerweiterung.<br />

Da einerseits Spezialisierung wichtige Impulse für die Qualifizierung von Jugendhilfe<br />

liefert und Spezialwissen notwendige Fachlichkeit garantiert, andererseits die gesellschaftliche<br />

Pluralisierung lebensweltorientierte und entspezialisierte Angebote notwendig<br />

macht, bedarf es einer ausgewogenen Mischung, die weder das eine noch das andere aus dem<br />

Blick verliert.<br />

Ändert man die Betrachtungsebene, so lässt sich in diesem Zusammenhang auch eine weitere<br />

institutionelle Lücke zwischen den relativ niedrigschwelligen Jugendhilfeangeboten und den<br />

Angeboten im Bereich der Hilfen zur Erziehung mit ihren zumeist relativ hohen Zugangsschwellen<br />

beschreiben. Woran es fehlt, sind vermittelnde Angebote mit Brückenfunktion.<br />

Nicht zuletzt kann auch in der fehlenden Verzahnung von Schule und Jugendhilfe eine institutionelle<br />

Lücke gesehen werden, denn schließlich handelt es sich bei dieser Altersgruppe um den<br />

festgelegten Übergang von der Grundschule in andere zukunftsweisende Schulform.<br />

Die Jugendhilfeplaner verweisen bei der Entwicklung der Jugendhilfe auf drei zu berücksichtigende<br />

Faktoren: (1.) den Bedarf und die Bedürfnisse der Klientel, (2.) die Finanzsituation der<br />

Kommunen und (3.) die (kommunal-)politischen Vorgaben. Schlussendlich sei es die Politik, die<br />

bestimmt, welcher Bedarf handlungsrelevant ist. Dennoch, die Überzeugung der Jugendhilfeplaner<br />

vor Ort, hinsichtlich Fachlichkeit, Qualität und Akzeptanz der Arbeit in den <strong>Modellprojekt</strong>en<br />

war ein ausschlaggebender Faktor für die Weiterführung von <strong>ESCAPE</strong> über die<br />

Modellphase hinaus.<br />

5.2.4 Projektstatistik<br />

Alle statistischen Aussagen zum <strong>Modellprojekt</strong> beziehen sich in der Regel auf die knapp dreijährige<br />

Modellphase bis zum 31. März 2003. Entwicklungen, die über diesen Zeitraum hinausgehen,<br />

blieben unberücksichtigt. Sie beruhen auf einer gemeinsam abgestimmten Dokumentation<br />

aller Mitarbeiter in den Standorten. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über<br />

ausgewählte Aspekte in der Fallstatistik. Dabei konnte auf eine Sonderrecherche des Sächsi-<br />

27


EVALUATIONSBERICHT<br />

schen Landeskriminalamtes zurückgegriffen werden, in der über das Polizeiliche Auskunftssystem<br />

in <strong>Sachsen</strong> (PASS) alle straftatregistrierten Kinder im Einzugsgebiet der Modellstandorte<br />

erfasst wurden (vgl. dazu auch Kap. 5.6.1 zur Rückfallstatistik).<br />

Tabelle 5.4. Übersicht Projektstatistik.<br />

Auerbach Dresden Riesa Gesamt<br />

Fallanfragen 28 48 37 113<br />

28<br />

davon angefragt von…/ und davon vermittelt<br />

davon weiblich 3 3 10 16 (14%)<br />

Jugendamt (ASD,JGH, Beratungsstelle) 10 / 5 35 / 16 25 / 13 67 / 34<br />

direkt durch Polizei - 1 / 0 2 / 1 3 / 1<br />

Interventions- und Präventionsprojekt (IPP) - 5 / 2 - 5 / 2<br />

<strong>Familie</strong>n über <strong>ESCAPE</strong>-Gehstruktur angesprochen<br />

/ davon im Projekt<br />

freie Träger 6 / 6 - 4 / 2 10 / 7<br />

Schulen 6 / 3 4 / 4 - 10 / 7<br />

Trägerintern - 2 / 1 4 / 2 6 / 3<br />

Sonstige/Selbstmelder 1 / 1 2 / 0 3 / 0 6 / 1<br />

12 / 5 28 / 13 6 / 0 46 / 18<br />

Anzahl der Kinder im Projekt 14 23 18 55 (49%)<br />

davon weiblich 2 2 5 9 (15%)<br />

Altersspanne in Jahre 8-14 8-14 (15) 10-14 8-14<br />

Altersdurchschnitt in Jahre 11,8 12,0 12,5 12,1<br />

davon im PASS 8 6 13 27 (47%)<br />

davon die Hilfe nicht beendet 3 (21%) 8 (35%) 6 (33%) 17 (31%)<br />

davon in Gruppenarbeit - 20 13 33<br />

Anzahl der durchgeführten Gruppen - 4 3 7<br />

Insgesamt erfolgten 113 Fallanfragen von verschiedenen Vermittlungsinstanzen an die<br />

<strong>ESCAPE</strong>-Standorte. Von den 113 Anfragen wurden 55 Kinder, d.h. mit 49% etwa die Hälfte im<br />

Projekt aufgenommen. Als ins Projekt aufgenommen galten dabei die Kinder, die mit ihren Eltern<br />

eine schriftliche Vereinbarung unterschrieben und sich damit bewusst für dieses Hilfeangebot<br />

entschieden. Drei Kinder, die im Februar 2003 in Auerbach aufgenommen wurden, fanden<br />

in dieser Statistik keine Berücksichtigung mehr.<br />

Die Gründe für gescheiterte bzw. unvermittelte Fallanfragen waren vielfältig. Dazu gehörten die<br />

Ablehnung der Hilfe durch Kinder oder Eltern, fehlender Hilfebedarf, andere bereits bestehende<br />

Hilfeangebote oder die Notwendigkeit spezieller Hilfen, beispielsweise therapeutischer Interventionen,<br />

oder auch ein ungünstiger Zeitpunkt der Nachfrage hinsichtlich der Auslastung bzw.<br />

dem Rhythmus der festen Gruppen. Die Altersstatistik der Kinder im Projekt zeigt, dass sich die<br />

Hilfe weitestgehend auf strafunmündige Kinder bezog. Der Altersdurchschnitt ist mit 11,8 Jahren<br />

in Auerbach am geringsten und bestätigt die Erfahrung, dass sich Einzelfallhilfe bei jüngeren<br />

Kindern besser eignet als Gruppenarbeit und umgekehrt. Der überwiegende Teil der Fälle<br />

wurde über die Jugendämter bzw. den Allgemeinen Sozialen Dienst angefragt und in die Projekte<br />

vermittelt. Die geringen Fallanfragen durch die Polizei kommen dadurch zustande, dass<br />

der Vermittlungsweg in der Regel von der Polizei über das Jugendamt verlief und weniger auf


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

direktem Wege erfolgte. Da das Interventions- und Präventionsprojekt nur im Standort Dresden<br />

existiert, konnten Fallanfragen durch das IPP nur in Dresden erfolgen. Vermittlungen durch die<br />

Schulen realisierten sich in Auerbach und in Dresden, wobei es sich bei den vier Fällen in<br />

Dresden lediglich um einen Vermittlungsvorgang von einer Förderschulklasse handelte. 15%<br />

der Kinder im Projekt waren weiblich. Über die im Projekt entwickelten Gehstrukturen, die aufgrund<br />

der Weitergabe von Adressen nach Einzelfallprüfung bzw. nach Schweigepflichtentbindung<br />

ein aktives Herantreten der <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter an die <strong>Familie</strong>n ermöglichen, konnten 18<br />

Kinder ins Projekt aufgenommen werden.<br />

Von den 55 Kindern im Projekt waren 27 Kinder (47%) im Polizeilichen Auskunftssystem des<br />

Landeskriminalamtes namentlich mit mindestens einer Straftat registriert. Da es sich bei der<br />

Zielgruppe des Projektes um Kinder mit delinquentem Verhalten handelte, kommt demnach der<br />

übrige Teil aus dem so genannten Dunkelfeld und ist nicht in der Kriminalstatistik erfasst.<br />

Die Quote der Kinder, die das <strong>ESCAPE</strong>-Angebot vorzeitig beendeten, lag bei 31%. Am geringsten<br />

war dabei mit 21% der Anteil in Auerbach. Für ein vorzeitiges Ende gab es sehr verschiedene<br />

Gründe: Umzug der <strong>Familie</strong>, Heimeinweisung, Psychiatrie, fehlende Motivation der Kinder<br />

etc. Die Abbruchquote von <strong>ESCAPE</strong> liegt damit im Bereich der Abbruchquote anderer Hilfeangebote.<br />

In der Ambulanten Intensiven Betreuung (AIB) ist von 28% die Rede, bei der Aufsuchenden<br />

<strong>Familie</strong>ntherapie in Leipzig von 21% (Projektbericht des AFT-Team-Leipzig 2002). In<br />

der Jugendhilfe Effektstudie hinsichtlich der Sozialpädagogischen Einzelfallhilfe wird sogar von<br />

43% Abbruchquote ausgegangen.<br />

Insgesamt wurde mit 33 Kindern in Dresden und Riesa die soziale Gruppenarbeit durchgeführt.<br />

Bei sieben Gruppen entspricht das durchschnittlich 4,7 Kindern je Gruppe. In Auerbach wurde<br />

das Konzept am Ende der Modelllaufzeit um die soziale Gruppenarbeit erweitert. Diese Kinder<br />

fanden in der Gruppenstatistik keine Berücksichtigung.<br />

5.3 STRUKTUREN: Kooperation, Vermittlung und Erreichbarkeit<br />

Es gibt sehr vielfältige Angebote, Projekte und Aktivitäten der Jugendhilfe für belastete und beeinträchtigte<br />

Kinder, Jugendliche und <strong>Familie</strong>n. Von flächendeckenden Angeboten kann allerdings<br />

nicht die Rede sein, und oftmals mangelt es an Abstimmung und Vernetzung. Dadurch<br />

unterliegen die Hilfen der Gefahr einer Verinselung mit einer inneren Logik zur Selbsterhaltung.<br />

Das Zauberwort heißt Kooperation. Jeder kennt es, doch wie kann ein kooperativer Arbeitsansatz<br />

ganz konkret in der Praxis gelingen, wo doch Sozial- und Hilfesysteme gekennzeichnet<br />

sind durch organisatorische Abgrenzung von Zuständigkeiten, durch verfestigte Handlungsroutinen,<br />

durch bürokratische Verwaltungsabläufe und unflexible Verfahrensweisen?<br />

Allein schon die Struktur des Handlungsfeldes Kriminalprävention verlangt die Einbindung verschiedener<br />

Akteure. Neben der Polizei und Justiz ist dies in erster Linie sicher die Kinder- und<br />

Jugendhilfe. Aber auch die Schulen, Vereine und Verbände, kirchliche Einrichtungen, der Einzelhandel<br />

sowie kommunale und freie Wirtschaftsunternehmen werden in die jeweiligen Strategien<br />

von Kommunen, Gemeinden oder auch auf Landesebene mal mehr, mal weniger intensiv<br />

einbezogen. Allerdings gestaltet sich diese Kooperation nicht im Selbstlauf, ist an einige unverzichtbare<br />

Voraussetzungen gebunden und lässt die einbezogenen Akteure immer wieder auch<br />

an Grenzen stoßen.<br />

Ungeachtet der noch immer existierenden Blockadehaltungen, gegenseitigen Schuldzuweisungen<br />

und Ablehnungen – wobei die „Mauern“ zwischen Jugendhilfe und Schule an einigen Stellen<br />

schier unüberwindbar scheinen – gibt es mittlerweile deutschlandweit und insbesondere in<br />

den neuen Bundesländern positive Entwicklungen. Diese belegen, dass Kooperationsbeziehungen<br />

trotz aller damit verbundenen Probleme möglich sind und dass diese Arbeitsbündnisse<br />

ganz wesentlich zu einer Verbesserung der Praxis vor Ort beitragen. Die Verbesserung der<br />

wechselseitigen Arbeitsbeziehungen entlastet nicht nur die fachlichen Akteure, sondern kommt<br />

letztlich – und schließlich sollte dies das entscheidenden Kriterium sein – den Kindern, Jugend-<br />

29


EVALUATIONSBERICHT<br />

lichen und ihren <strong>Familie</strong>n zugute, indem Prozesse für sie transparenter und nachvollziehbarer<br />

und damit letztendlich auch effizienter werden.<br />

Auch die Beteiligten im <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> haben sehr bald feststellen müssen, dass das<br />

Projekt zwar ein Angebot der Jugendhilfe ist, seine Wirksamkeit aber nur entfalten kann, wenn<br />

die verschiedenen Institutionen und angrenzenden Leistungsbereiche einbezogen werden und<br />

intensiv zusammen arbeiten. Die Voraussetzungen für konstruktive Kooperationsbeziehungen<br />

sind gemeinsame Ziele, kontinuierliche Kontakte und transparente Kommunikationsstrukturen.<br />

5.3.1 Austausch- und Verständigungsstrukturen<br />

im Projekt<br />

Im <strong>Modellprojekt</strong> wurde sowohl auf regionaler<br />

als auch überregionaler Ebene gearbeitet. Dabei<br />

entstanden mit Unterstützung des Projektmanagements<br />

und dem Landesjugendamt multiprofessionelle<br />

Kooperationsformen und -strukturen,<br />

die dem regelmäßigen Austausch, der Entwicklung<br />

und der Vernetzung des <strong>ESCAPE</strong>-<br />

Angebots dienten.<br />

Für die Modellstandorte waren die Kooperationen<br />

und die Vernetzung mit den Partnern vor Ort<br />

im regionalen Kontext von besonderer Bedeutung.<br />

Dazu gehörte die regelmäßige Kontaktaufnahme<br />

mit den beteiligten Institutionen und Informationsveranstaltungen<br />

zum Bekannt werden<br />

des Arbeitsansatzes von <strong>ESCAPE</strong>.<br />

30<br />

Beiratstreffen<br />

Gremienarbeit<br />

Regionaltreffen <br />

Standorttreffen<br />

Arbeitstreffen<br />

Abbildung 5.4. Austausch und Verständigungsstrukturen.<br />

Zur Unterstützung eines regelmäßigen gemeinsamen Austausches zwischen den beteiligten<br />

Partnern wurden so genannte Regionaltreffen in einem Arbeitsrhythmus von ca. 6 Monaten<br />

(wenn nötig auch öfter) initiiert. Sie dienten als Rückmeldung und zur Information über den Projektstand<br />

und der gemeinsamen Entwicklung konstruktiver Wege der Zusammenarbeit. Dabei<br />

wurden die verschiedenen Sichtweisen und Handlungsaufträge diskutiert und konkrete Verfahrensweisen<br />

abgestimmt.<br />

Darüber hinaus bedurfte es zur regionalen Vernetzung einer aktiven Beteiligung in relevanten<br />

Gremien wie beispielsweise in Stadtteilrunden oder der AG Kinder- und Jugendkriminalität etc.<br />

Über die regionalen Austauschprozesse hinaus gab es standortübergreifende Arbeitsformen<br />

zwischen den einzelnen Modellstandorten und der Projektkoordination. Dafür gab es insgesamt<br />

23 Arbeitstreffen in einem Rhythmus von ca. 5-6 Wochen, in denen u.a. Erfahrungen und Methoden<br />

ausgetauscht, Experten eingeladen und Dokumentationen abgestimmt wurden.<br />

Für die individuellen Absprachen und die Fachberatung der einzelnen Standorte durch wurden<br />

je nach Bedarf so genannte Standorttreffen durchgeführt. Sie ermöglichten konkrete Problemund<br />

Situationsanalysen sowie einen Einblick in die inhaltlich-methodische Arbeit vor Ort.<br />

Eine beratende und unterstützende Funktion übernahm der Projektbeirat. Neben Vertretern aus<br />

Wissenschaft und Praxis beteiligten sich daran auch das Sozial- und Innenministerium. Auf Anfrage<br />

gelang es ferner nach der ersten Sitzung einen Vertreter des Sächsischen Staatsministeriums<br />

für Kultus (Referat 36 – schulübergreifende Angelegenheiten) für den Beirat zu gewinnen.<br />

In den insgesamt sechs Beiratstreffen in den verschiedenen Modellstandorten konnten sich<br />

die Mitglieder ein konkretes Bild von der Arbeit verschaffen.


Freie<br />

Träger der<br />

Jugendhilfe<br />

Jugendamt<br />

ASD/JGH<br />

<strong>Familie</strong><br />

<strong>ESCAPE</strong><br />

Kinder- u.<br />

Jugendpsychiatrie<br />

Sonstige<br />

kommunale<br />

Vertreter<br />

und Netzwerke<br />

Polizei<br />

Polizeireviere<br />

Polizeidirektion<br />

Justiz<br />

<strong>Familie</strong>ngerichtStaatsanwaltschaft<br />

Schule<br />

Schulen<br />

Regionalschulämter<br />

Abbildung 5.5. Kooperationspartner im <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong>.<br />

<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

5.3.2 Kooperationspartner<br />

Der Kreis potentiell in Frage kommender Kooperationspartner sollte anfangs möglichst nicht zu<br />

eng gezogen werden. Das Handlungsfeld Kinderdelinquenz ist komplex und berührt viele Lebens-<br />

und Zuständigkeitsbereiche. Neben der <strong>Familie</strong> lassen sich nach Aussagen interviewter<br />

Experten dennoch insbesondere drei verantwortliche Institutionen an der „Schnittstelle“ Kinderdelinquenz<br />

herausarbeiten: (1) die Jugendhilfe (2), die Polizei und (3) die Schule. Kooperationspartner<br />

der Jugendhilfe waren im Projekt insbesondere der Allgemeine Soziale Dienst der<br />

jeweiligen Jugendämter (oder wie in Auerbach die Jugendgerichtshilfe) und kooperationsbereite<br />

freie Träger. Die Zusammenarbeit mit der Polizei erfolgte mit den zuständigen Polizeirevieren<br />

unter Einbeziehung der jeweiligen Polizeidirektionen in den Landkreisen und in Dresden das<br />

zentralisierte Jugendkommissariat. Die Kooperationsbemühungen mit der Schule bezogen sich<br />

schulartübergreifend insbesondere auf die Schulleiter, Beratungslehrer, wenn vorhanden auf<br />

die Schulsozialarbeiter und Klassenlehrer. Auch hier wurde die übergreifende Aufsichtsbehörde<br />

mit den betreffenden Regionalschulämtern in den Kooperationsprozess einbezogen.<br />

Neben den genannten Institutionen bedurfte es aufgrund des relativ hohen Anteils psychisch<br />

beeinträchtigter Kinder im Projekt einer punktuellen Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie.<br />

Sie darf als Kooperationspartner im Kontext von Kinderdelinquenz nicht unberücksichtigt<br />

bleiben und hätte von Beginn an in den Prozess einbezogen werden müssen.<br />

Eine Zusammenarbeit mit der Justiz beschränkte sich auf nur sehr wenige Kontakte. Dabei kam<br />

wiederholt zum Ausdruck, dass beispielsweise die Staatsanwaltschaft sich aufgrund der Strafunmündigkeit<br />

der Kinder nicht oder nur wenig für dieses Handlungsfeld zuständig fühlt und sich<br />

auf die Einstellung der Verfahren beschränkt, ggf. mit einem Vermerk an das Jugendamt. Auch<br />

die <strong>Familie</strong>ngerichte hatten als Kooperationspartner im Projektverlauf für die <strong>ESCAPE</strong>-<br />

Mitarbeiter kaum eine Bedeutung.<br />

Nicht zuletzt hat die Erfahrung gezeigt, dass die Einbeziehung und Beteiligung kommunaler<br />

Amts- und Entscheidungsträger die regionale Verortung und Vernetzung beschleunigt - so geschehen<br />

im Standort Auerbach, wo der Oberbürgermeister die Schirmherrschaft für <strong>ESCAPE</strong><br />

übernahm und damit sehr zur erfolgreichen Entwicklung und zur Anerkennung des Projektes in<br />

der Region beitrug.<br />

31


EVALUATIONSBERICHT<br />

5.3.3 Institutionsübergreifende Kooperation<br />

Das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> begann mit erheblichen Anlaufschwierigkeiten, die insbesondere<br />

die Implementierung des <strong>ESCAPE</strong>-Projekts betrafen und zugleich Strukturprobleme der Zusammenarbeit<br />

zwischen den verschiedenen Institutionen aufdeckten.<br />

In der Projektarbeit kristallisierten sich in der Zusammenarbeit insbesondere zwei Schlüsselprobleme<br />

heraus, die sich wie ein roter Faden durch die gesamte Projektlaufzeit hindurch zogen:<br />

(a) die allgemeine Verfahrensweise und Abstimmung des Zusammenwirkens der beteiligten Institutionen<br />

hinsichtlich der Reaktionen auf Kinderdelinquenz und die Vermittlung der Zielgruppe<br />

sowie<br />

(b) der konkrete Zugang ins Projekt, die Erreichbarkeit und Einbeziehung der Zielgruppe.<br />

Um die Kooperation zu unterstützen und die wahrgenommenen Schwierigkeiten näher zu analysieren,<br />

wurden ausgewählte Vertreter der beteiligten Institutionen: Jugendhilfe, Polizei und<br />

Schule dazu befragt und die verschiedenen Sichtweisen herausgearbeitet. Dabei zeigte sich<br />

deutlich, dass bei aller signalisierten Bereitschaft zur Unterstützung des Projekts die Kooperation<br />

ihre strukturellen Grenzen hat. Jugendhilfe, Polizei und Schule sind unterschiedlichen gesetzlichen<br />

Aufträgen verpflichtet und zählen die Bearbeitung von Kinderdelinquenz nicht zur<br />

Kernaufgabe ihres institutionellen Handelns. Das gesetzlich determinierte Rollenverständnis<br />

bestimmt zum einen ihre Arbeitsweise, zum anderen aber auch ihre Problemperspektive. Während<br />

für die Polizei und die Justiz die Aufklärung der Straftaten und deren strafrechtliche Verfolgung<br />

im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen, ist die Kinder- und Jugendhilfe weniger an einer<br />

angemessenen „Bestrafung“ der Kinder oder Jugendlichen, sondern vielmehr an der Bearbeitung<br />

der Probleme interessiert, die sich aus schwierigen Lebenslagen ergeben. Der Problemfokus<br />

liegt bei der Jugendhilfe auf dem feststellbaren Hilfebedarf des Kindes bzw. der <strong>Familie</strong>, bei<br />

der Schule auf schulischen Schwierigkeiten. Letztendlich wird die Problemsicht auch dadurch<br />

bestimmt, über welche Informationen die jeweiligen Institutionen hinsichtlich des Ausmaßes und<br />

Umfangs von Kinderdelinquenz verfügen. Die Polizei wird mit dem gesamten Hellfeld konfrontiert.<br />

Die Jugendhilfe erhält von diesen bekannten Fällen wiederum nur einen Ausschnitt. Die<br />

Schule erwirbt nach eigenen Angaben nur in seltenen Fällen Kenntnis von den Delikten der<br />

Kinder, mit denen die Polizei und die Jugendhilfe täglich zu tun hat.<br />

Das jeweilige berufliche Selbstverständnis und die Handlungsaufträge der einzelnen Instanzen<br />

beruhen auf unterschiedlichen Arbeitsprinzipien und Organisationsstrukturen. Während die Jugendhilfe<br />

lebensweltnah über kommunale Selbstverwaltungsstrukturen organisiert ist, werden<br />

Polizei und Schule auf Landesebene zentral verwaltet. Das Legalitätsprinzip der Polizei einerseits<br />

und das Vertrauensprinzip der Jugendhilfe andererseits oder die strengen Datenschutzbestimmungen<br />

zum persönlichen Schutz und die Schweigepflicht beschränken die Weitergabe<br />

personenbezogener Informationen und zugleich die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen.<br />

Oftmals sind Mitarbeiter nur unzureichend informiert bzw. erhalten Informationen über eine<br />

schwer nachvollziehbare eigene institutionelle Logik. Informationsdefizite blockieren Entwicklungsprozesse.<br />

Daher empfiehlt sich eine Zusammenarbeit mit verantwortlichen Kontaktpersonen<br />

und ein regelmäßiger Austausch mit klaren Absprachen über die Informationsverteilung.<br />

Die Schwierigkeiten beschränkten sich aber nicht nur auf die Zusammenarbeit zwischen den<br />

Institutionen mit unterschiedlichem Handlungsauftrag, sondern waren auch innerhalb der jeweiligen<br />

Institutionen feststellbar. Um Frustration und Enttäuschungen zu vermeiden und die einmal<br />

etablierten Arbeitsbündnisse zu tragfähigen und auch belastbaren Beziehungen ausbauen<br />

zu können, ist es notwendig, dass sich die Kooperationspartner gegenseitig über ihre<br />

Arbeitsaufträge, Berufsrollen– und Handlungslogiken informieren und diese gegenseitig akzeptieren.<br />

32


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Der Kontakt und das Verhältnis der Institutionen untereinander unterscheidet sich in den einzelnen<br />

Modellstandorten. So lässt sich betreffend der Intensität und Komplexität der Kontakte zwischen<br />

Auerbach, Riesa und Dresden ein Gefälle beobachten. Der Umgang mit delinquenten<br />

Kindern im kleinstädtischen Milieu gestaltet sich relativ unkompliziert, da die Anzahl der kindlichen<br />

Täter sich in einem überschaubaren Rahmen hält und auch die räumliche Distanz zwischen<br />

den einzelnen Institutionen nicht allzu groß ist. Zudem kennen sich die Vertreter dieser<br />

Institutionen oft persönlich. Betrachtet man dagegen die Vermittlungswege und die Kooperation<br />

in Dresden, so wird deutlich, dass das System der beteiligten Personen und Institutionen hier<br />

weitaus komplexer ist. Die institutionelle Einbindung und Akzeptanz von <strong>ESCAPE</strong> gestaltete<br />

sich von daher umso schwieriger, je komplexer die regionalen Strukturen der Institutionen ausgeprägt<br />

waren.<br />

Bei aller Unterschiedlichkeit der Institutionen wird Kinderdelinquenz übereinstimmend als<br />

Symptom tieferer Problemlagen verstanden, wobei auf ungenutzte Ressourcen der Kooperation<br />

und Prävention sowie auf die mangelnde Gewährleistung einer fördernden Umwelt für das Aufwachsen<br />

von Kindern hingewiesen wird. Die Verbesserung der Kooperation wurde von allen<br />

Befragten als wichtig erachtet. Insgesamt konnte das <strong>Modellprojekt</strong> zu einer Intensivierung der<br />

Zusammenarbeit zwischen den Institutionen beitragen.<br />

Vermittlungswege (1): Polizei - Jugendamt - <strong>ESCAPE</strong><br />

Der zentrale Vermittlungsweg erfolgt von der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft über das Jugendamt,<br />

insbesondere dem Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD), ins <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong>. Dabei<br />

hat das Jugendamt eine Schlüsselrolle mit Vermittlerfunktion, da dort alle Informationen über<br />

delinquente Kinder zusammenlaufen und Hilfebedarfe aufgedeckt werden. Der in der Studie<br />

des Deutschen Jugendinstituts (DJI 1999a) beschriebene Ermessensspielraum und die heterogenen<br />

Verfahrensweisen zwischen Polizei und Jugendhilfe fanden sich auch in den drei Modellstandorten<br />

wieder. Vergleicht man die Institutionen in ihrer Reaktion auf delinquentes Verhalten<br />

von Kindern, lassen sich trotz aller Unterschiedlichkeit Gemeinsamkeiten und Handlungsroutinen<br />

erkennen:<br />

Auf die Mehrheit der Fälle von abweichendem oder delinquentem Verhalten von Kindern reagieren<br />

die Institutionen nicht, oder ohne zusätzliche Anstrengungen. Die Institutionen arbeiten<br />

dann an einem aktuellen Fall, ohne eine andere Institution in die Bearbeitung einzubeziehen<br />

und Informationen auszutauschen. Diese Verfahrensweise betrifft die Gruppe der so genannten<br />

Ersttäter, die mit einmaligen und leichten Delikten im Bagatellbereich auffallen, und deren Delinquenz<br />

als episodenhaftes Verhalten interpretiert wird. Die Polizei sendet diese Vorfälle oft gar<br />

nicht erst an den ASD weiter, sondern bewertet das Gespräch mit dem Kind und dessen Eltern<br />

als ausreichend. Erhält der ASD dennoch eine Nachricht von der Polizei, werden die Informationen<br />

oft nur zur Kenntnis genommen, ohne weitere Schritte zu unternehmen.<br />

Treten dagegen Kinder mehrfach und massiv delinquent in Erscheinung, mobilisieren die Institutionen<br />

die verfügbaren Mittel und es kommt in der Regel zur Zusammenarbeit. Oft sind die<br />

Kinder und deren <strong>Familie</strong>n der Jugendhilfe und der Polizei schon bekannt. Zum Teil bestehen<br />

zu den <strong>Familie</strong>n bereits Betreuungsverhältnisse (z.B. Hilfen zur Erziehung), dort wird bei einem<br />

der nächsten Treffen das Delikt besprochen. Andere <strong>Familie</strong>n verweigern sich trotz Hilfebedarf<br />

den Angeboten und bagatellisieren das Verhalten ihrer Kinder. Schwer einzuschätzen sind die<br />

bisher unbekannten <strong>Familie</strong>n und die so genannten „Kippkonstellationen“ (DJI 1999a: 68), bei<br />

denen die Zahl der polizeilichen Ermittlungen das übliche Maß an geringfügiger, alterstypischer<br />

Delinquenz überschreitet bzw. zu überschreiten droht.<br />

33


EVALUATIONSBERICHT<br />

34<br />

Staatsanwaltschaft<br />

Polizei<br />

ASD<br />

zuständige<br />

Mitarbeiterin<br />

Ersttäter Mehrfachtäter<br />

i. d.R. keine Reaktion<br />

Betroffenenmitteilung<br />

Meldung<br />

Beratungsgespräch<br />

Klärung Hilfebedarf<br />

Vermittlung in Angebote<br />

Erzieh-berat., <strong>ESCAPE</strong><br />

öffentlich beteiligte Personen<br />

und Institutionen<br />

massive Delikte<br />

Schreiben an die Eltern<br />

(Beratungsangebot)<br />

Abbildung 5.6. Verfahrensweg mit delinquenten Kindern beim ASD.<br />

keine Reaktion<br />

der Eltern<br />

Einzelfallprüfung<br />

Gehstrukturen<br />

Die Allgemeinen Sozialen Dienste erfahren von Deliktmeldungen durch Mitteilungen der Polizei<br />

und/oder der Staatsanwaltschaft. Diese Mitteilungsschreiben sind jedoch nicht einheitlich formuliert.<br />

So werden oft keine oder kaum ausreichende Angaben zum Delikt des Kindes gemacht.<br />

Das gleiche Problem eröffnet sich bei den Einstellungsschreiben der Staatsanwaltschaft, woraus<br />

oftmals nicht hervorgeht, ob das Kind an einer Straftat beteiligt war oder nicht. Der ASD-<br />

Mitarbeiter kann in solchen Fällen nicht erkennen, ob sich hinter so einer Meldung ein dringender<br />

Hilfebedarf verbirgt, bei dem die Jugendhilfe zum Handeln aufgefordert ist.<br />

Aus den Ergebnissen geht hervor, dass die Meldungen der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft oft<br />

mit einer großen Zeitverzögerung den ASD erreichen. Das hat wiederum zur Folge, dass Kinder<br />

sich teilweise gar nicht mehr an das begangene Delikt erinnern können und dementsprechend<br />

auch schlechter für ein Hilfeangebot zu motivieren sind. Erfahrungsgemäß ist die Bereitschaft<br />

zur Annahme einer Hilfe als auch die Veränderungsbereitschaft unmittelbar nach der Tat am<br />

größten.<br />

Diese Erfahrungen in den Modellstandorten haben gezeigt, dass die Zielgruppe besser erreicht<br />

wird, wenn die Polizei dem ASD in jedem Fall mitteilt, wenn ein Kind straftatverdächtig in Erscheinung<br />

getreten ist. Die Meldungen sollten möglichst zeitnah und mit genauen Angaben über<br />

das Delikt dem ASD übermittelt werden, damit der ASD umgehend an die Eltern herantreten<br />

kann. Diese Verfahrensweise ist zwar mit einem Mehraufwand für die ASD-Mitarbeiter verbunden,<br />

hat aber den Vorteil, dass der ASD hartnäckiger an problematisch erscheinenden <strong>Familie</strong>n<br />

„dranbleiben“ kann, indem sofort telefonisch oder schriftlich mit den <strong>Familie</strong>n Kontakt<br />

aufgenommen werden kann, wenn es notwendig erscheint.<br />

Wenn der ASD von der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft Deliktmeldungen bekommt, die einen<br />

Hilfebedarf signalisieren, wird den Eltern ein Anschreiben geschickt, indem die sie zu einem Beratungsgespräch<br />

eingeladen und über das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> informiert werden.<br />

Bezüglich der Anschreiben des ASD der einzelnen Modellstandorte lassen sich Unterschiede<br />

erkennen, die ausschlaggebend für die Reaktionen der Eltern sind. Allgemein beruht die Erreichbarkeit<br />

von Eltern mit delinquenten Kindern auf der Basis von Freiwilligkeit. Gerade bei einer<br />

Zielgruppe, die zum Teil schwer erreicht wird, ist ein unverbindliches Aufzeigen von Hilfe-


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

angeboten nicht ausreichend. Zumal sich die Alternativen vor <strong>ESCAPE</strong> in der Regel lediglich<br />

auf Beratungsgespräche im Jugendamt oder auf eine Erziehungsberatung beschränkten, die<br />

wiederum zugleich Erziehungsdefizite der Eltern suggerieren. Um überhaupt eine Chance zu<br />

bekommen, die Eltern für das <strong>Modellprojekt</strong> aufzuschließen, hat sich eine verbindliche Terminangabe<br />

im Anschreiben als vorteilhaft erwiesen. Es wurde betont, dass die Eltern diese Verfahrensweise<br />

auch nicht „als Belastung“ ansehen. Das Prinzip der Freiwilligkeit ist dadurch nicht<br />

eingeschränkt, da die Eltern immer noch die Möglichkeit haben, den ASD anzurufen, um eventuell<br />

die Einladung abzulehnen. Ausschlaggebend ist zunächst, dass die Eltern überhaupt reagieren.<br />

Kommen die Eltern zu einem Beratungsgespräch in den ASD, ist es von Vorteil, die <strong>ESCAPE</strong>-<br />

Mitarbeiter hinzuzuziehen. Die <strong>ESCAPE</strong>- Mitarbeiter können direkt den Eltern und Kindern das<br />

Projekt vorstellen und motivieren. Damit bleibt es den Eltern und Kindern erspart, selbständig<br />

mit den Mitarbeitern Kontakt aufzunehmen.<br />

Reagieren die Eltern überhaupt nicht auf ein Anschreiben, kann der ASD nach Einzelfallprüfung<br />

die Adressen bzw. auch Telefonnummern der Eltern an die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter weiterreichen.<br />

Die Eltern werden darüber bereits im Anschreiben informiert. Die Verfahrensweise der Weitergabe<br />

personenbezogener Daten des Jugendamtes an nicht-öffentliche Stellen ist mit § 16 Bundesdatenschutzgesetz<br />

begründbar, hat sich bewährt und als unproblematisch herausgestellt.<br />

Durch diese eingeräumte Verfahrensweise wurde es den <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeitern möglich, „Gehstrukturen“<br />

zu entwickeln und aktiv an die Eltern heranzutreten, bei <strong>Familie</strong>n, die sonst schwer<br />

erreichbar sind, hartnäckiger am „Problemfall“ dranzubleiben und gegebenenfalls eine Bereitschaft<br />

zur Hilfe zu erarbeiten. Dabei bewährten sich die persönliche Kontaktaufnahme und<br />

Hausbesuche. So kam es vor, dass Mitarbeiter bis zu dreimal versuchten, die <strong>Familie</strong> zu Hause<br />

anzutreffen und sie zu erreichen.<br />

Die Erstgespräche dienen der Klärung des Hilfebedarfs und der Vermittlung der Hilfe. Ein Erstgespräch<br />

mit den Eltern und Kindern reicht oftmals nicht aus, um eine Teilnahme im Projekt zu<br />

bewirken. Vielmehr ist die Motivation als Prozess zu verstehen, der unterschiedlich lang sein<br />

kann und in der Regel mehrere Kontakte umfasst. Wichtig ist, dass die Kinder sich am Entscheidungsprozeß<br />

beteiligt fühlen. Eine vereinbarte „Schnupperzeit“ wie in Auerbach kann dabei<br />

sehr hilfreich sein. Gelingt es darüber hinaus, die Eltern zu öffnen und für <strong>ESCAPE</strong> zu interessieren,<br />

dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der positiven Vermittlung und der regelmäßigen<br />

Teilnahme des Kindes unter Mitwirkung der Eltern. Mit einer schriftlichen Vereinbarung<br />

stimmen die Eltern und die Kinder der Maßnahme zu. Sie gibt ihnen die Möglichkeit sich bewusst<br />

für <strong>ESCAPE</strong> zu entscheiden. Außerdem erzeugt die Vereinbarung eine gewisse Verbindlichkeit<br />

und legt die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit unter Einbeziehung der Eltern<br />

fest. In Fällen, wo die Vereinbarung nicht zustande kam, blieben der Hilfekontext und das Beziehungsverhältnis<br />

unklar.<br />

Vermittlungswege (2): Freie Träger; Schule - <strong>ESCAPE</strong><br />

Mit der Öffnung der Zugangskriterien erfolgte im Projekt eine „informelle“ Ausweitung. Damit erlangten<br />

neben Jugendamt und Polizei auch andere Institutionen und Einrichtungen wie Schulen,<br />

Beratungsstellen, Freizeiteinrichtungen und Vereine, die in ihrer täglichen Arbeit Berührungspunkte<br />

mit delinquenten Kindern haben, für die Vermittlung einen höheren Stellenwert. Ihre<br />

Aufgabe sollte vor allem darin bestehen, über das <strong>Modellprojekt</strong> zu informieren, Kontakt herzustellen<br />

und der Zielgruppe einen Zugang ins Hilfeangebot zu verschaffen. Wie in der Projektstatistik<br />

ersichtlich ist, blieben selbst mit der Öffnung der Zugangskriterien die Fallanfragen und<br />

Vermittlungen auf diesem Verfahrensweg hinter den Erwartungen zurück.<br />

Vor dem Hintergrund der Aktualität einer verstärkten Zusammenarbeit von Jugendhilfe und<br />

Schule wurde im Projektverlauf eine Teiluntersuchung durchgeführt, die diesem Aspekt gesondert<br />

nachging. Ausgewählte Ergebnisse dieser Untersuchung werden im Folgenden dargestellt.<br />

35


EVALUATIONSBERICHT<br />

Die befragten Lehrer sehen in erster Linie den Bildungsauftrag als Grundlage ihrer Arbeit. Die<br />

Übernahme der Erziehungsverantwortung durch die Schule lehnen sie nicht ab, sie fühlen sich<br />

allerdings häufig damit überfordert. Hohe Pflichtstundenzahlen, ein zu hoher Klassenteiler oder<br />

auch fehlende Bereitschaft der Sorgeberechtigten zur Zusammenarbeit beschränken ihren<br />

Handlungsspielraum. Zudem mangelt es den Lehrern oft an Wissen, wie Schwierigkeiten bei<br />

Schülern zu erkennen sind und wie darauf reagiert werden kann. Es bestätigte sich der Eindruck,<br />

dass die Lehrer in Schulen nur ungenügend über die Arbeit und Hilfeangebote der Jugendhilfe<br />

informiert sind.<br />

Es fehlt der Konsens hinsichtlich eines gemeinsamen pädagogischen Konzepts und der Strukturen<br />

für eine verbindliche Zusammenarbeit. Die grundlegenden Rahmenbedingungen für eine<br />

Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule sind in den gesetzlichen Bestimmungen der jeweiligen<br />

Institution unterschiedlich verankert. Während die Jugendhilfe im Kinder- und Jugendhilfegesetz<br />

(§ 81 KJHG) zur Zusammenarbeit mit der Schule und Stellen der Schulverwaltung<br />

aufgefordert wird, beinhaltet das Sächsische SchulGesetz bisher (noch) keinen auf die Kooperation<br />

mit anderen Institutionen bezogenen Paragraphen.<br />

Die Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule kann entweder punktuell wie etwa in Projektwochen<br />

oder regelhaft erfolgen und lässt sich in Anlehnung an Franzke/Oehme (1999, S.<br />

23) auf verschiedenen Qualitätsstufen vollziehen:<br />

1.Qualitätsstufe: Die Jugendhilfe unterstützt von außen die Schulpflichterfüllung der Kinder- und<br />

Jugendlichen (z.B. sozialpädagogische Tagesgruppen, WG-Plätze am Schulhort usw.),<br />

2. Qualitätsstufe: Die Jugendhilfe geht in Form der Schulsozialarbeit in die sich öffnende Schule,<br />

um den Schülern präventive Hilfen bei der Bewältigung ihres Alltags zu geben. Hier lassen<br />

sich die Schulbezogene Jugendarbeit und sonstige Präventivangebote wie Drogenberatung,<br />

sexualpädagogische Seminare etc. zuordnen.<br />

3. Qualitätsstufe: Die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule geht qualitativ weit über den<br />

bisherigen Rahmen hinaus und bedeutet in Konsequenz eine gleichberechtigte Kooperation<br />

sowohl in konzeptioneller als auch in personeller und finanzieller Hinsicht.<br />

Die Schule erfährt nicht auf offiziellem Wege von angezeigten Straftaten ihrer Schüler bei der<br />

Polizei. Schule kann aber straftatrelevantes Verhalten beobachten, von dem wiederum die Polizei<br />

nie erfährt. Die Schule informiert die Polizei und die Jugendhilfe nur sehr selten über Vorfälle<br />

von Kinderdelinquenz. Es gibt keine gesetzlichen Meldepflichten und Vorschriften, wie das<br />

Schulsystem auf straftatrelevantes Verhalten reagieren muss. Im Normalfall regelt sie die Vorfälle<br />

intern. An den einzelnen Schulen haben sich verschiedene Umgangsweisen bezüglich der<br />

einzelnen Delikte entwickelt und die Verantwortlichkeit ist nicht auf eine Person festgelegt. Jeder<br />

Lehrer wird zunächst in der Verantwortung gesehen, auf Delinquenz innerhalb der Schule<br />

zu reagieren. Diese Offenheit lässt Raum für eine gewisse Beliebigkeit und Willkür und steht im<br />

Widerspruch zu den sonst so festen Strukturen des Schulwesens. Im SächsSchulGesetz sind<br />

drei mögliche Maßnahmen verankert:<br />

(1) Schulberatung<br />

Grundsätzlich hat jeder Lehrer die Aufgabe Eltern und Schüler zu beraten (§ 17 Abs. 1 SächsSchulG).<br />

Zur weiteren Unterstützung der pädagogischen Arbeit stehen Beratungslehrer und<br />

Schulpsychologen zur Verfügung. Während jede Schule einen Beratungslehrer vorhalten muss,<br />

sind sehr wenige Schulpsychologen für ein großes Einzugsgebiet in den Regionalschulamtsbereichen<br />

im Einsatz. Der Beratungslehrer erhält für seine Arbeit geringfügige Abminderungsstunden.<br />

Wenn eine Bearbeitung durch ihn allein nicht möglich ist, sucht er externe Hilfe.<br />

(2) Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen:<br />

Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen sollen der “Sicherung des Erziehungs- und Bildungsauftrags<br />

oder (dem) Schutz von Personen und Sachen” (§ 39 Abs. 1 SächsSchulG) innerhalb<br />

der Institution Schule dienen. Erziehungsmaßnahmen unterliegen der pädagogischen Freiheit<br />

36


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

des Lehrers und können im laufenden Unterricht verfügt werden. Ordnungsmaßnahmen dürfen<br />

erst ergriffen werden, “soweit andere [pädagogische] Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen”<br />

� schriftlicher Verweis durch den Klassenlehrer;<br />

� schriftlicher Verweis durch den Schulleiter;<br />

� Überweisung in eine andere Klasse gleicher Jahrgangsstufe;<br />

� Androhung des Ausschlusses aus der Schule;<br />

� Ausschluss aus der Schule” (§ 39 Abs. 2 SächsSchulG).<br />

Das SächsSchulGesetz regelt allerdings nicht, ob und wie auf welche Verhaltensweisen eine<br />

bestimmte Erziehungs- oder Ordnungsmaßnahme erfolgen soll. Offen bleibt ebenfalls, was<br />

nach einer Ordnungsmaßnahme, insbesondere nach einem Schulausschluss passiert.<br />

(3) Sonderpädagogische Förderung:<br />

Die inhaltliche Ausrichtung der Förderung orientiert sich mit folgenden Förderschwerpunkte am<br />

Einzelfall: Lernen, Sprache, emotionale und soziale Entwicklung, geistige Entwicklung, körperliche<br />

und motorische Entwicklung, Hören, Sehen, sowie körperliche und seelische Verfassung<br />

bei lang andauernder Krankheit (vgl. KMK 1994: 6f.).<br />

Eine Zusammenarbeit der befragten Schulen wurde hinsichtlich der Reaktion auf delinquentes<br />

Verhaltens erstmalig mit dem <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> realisiert. Die Vertreter aller Schularten<br />

betrachten das <strong>Modellprojekt</strong> als ein wichtiges Hilfeangebot. Die Erfahrungen der Standorte in<br />

der Zusammenarbeit mit den Schulen sind unterschiedlich. Dennoch kann das Fazit gezogen<br />

werden, dass es mit Ausnahme von Auerbach kaum gelungen ist, die Schulen mit ins Boot zu<br />

holen und aktiv in den Projektprozess einzubinden.<br />

Die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter und Lehrer in den verschiedenen Modellstandorten diskutierten und<br />

erprobten teilweise diese Möglichkeiten. Der Ablauf der Vermittlungen über die Schule kann,<br />

wie die nachfolgende Übersicht zeigt, sehr flexibel verlaufen. Große Schwierigkeiten bereiteten<br />

den Schulen bei der Vermittlung in das Projekt die Datenschutzbestimmungen. Zur Überwindung<br />

dieser Hürde erarbeiteten die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter eine standortübergreifende Schweigepflichtentbindung,<br />

in der die Eltern ihr Einverständnis zur Weitergabe der personenbezogenen<br />

Daten ihrer Kinder geben. Damit der Informationsfluss nicht zur Einbahnstraße wird und eine<br />

Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule auch während der <strong>ESCAPE</strong>-Maßnahme<br />

möglich ist, kann diese Möglichkeit der Schweigepflichtsentbindung für einen klar abgesteckten<br />

Bereich auch auf die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter ausgeweitet werden. Das Ausgeben von Informationsflyern<br />

genügt in der Regel nicht.<br />

Abbildung 5.7. Vermittlungsmöglichkeiten über die Schule in das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong>.<br />

37


EVALUATIONSBERICHT<br />

5.4 KLIENTEL: Die Kinder und ihr Umfeld – Problemsituationen, Wahrnehmungen,<br />

Verhaltensmuster<br />

Die Untersuchungen zur Klientel des Projekts zielten auf die Beschreibung der Kinder und ihres<br />

sozialen Umfelds sowie auf die Erfahrungen mit Institutionen der Jugendhilfe. Unter welchen<br />

Bedingungen leben die Kinder? Konnte <strong>ESCAPE</strong> die intendierte Zielgruppe erreichen? Dabei<br />

interessierten sowohl objektive Daten als auch die Sichtweisen der Kinder selbst, der Eltern und<br />

Sozialpädagogen. Von über 50 Kindern wurden im Projektverlauf Fallgeschichten erhoben, in<br />

denen spezifische individuelle Lebensumstände, aber auch übergreifende familiäre und soziale<br />

Problemkonstellationen zum Ausdruck kommen. Weitere Einblicke vermittelten die qualitativen<br />

Interviews mit teilnehmenden Kindern, in denen versucht wurde, Bedingungen des Aufwachens,<br />

soziobiografische Belastungen, Zukunftsvorstellungen sowie Selbst- und Fremdbilder herauszuarbeiten.<br />

Die nachfolgende Darstellung beginnt mit allgemeinen Informationen über die Klientel<br />

des Projekts, wobei sie sich auf die wichtigsten Belastungsfaktoren im Leben der Kinder<br />

konzentriert. Dann wendet sich einer Reihe von Gesprächsauszügen aus Interviews mit Kindern<br />

zu. Den Abschluss bilden vier ausführlich wiedergegebene Fallbeispiele. Anhand dieser exemplarischen<br />

Auszüge aus dem qualitativen Projektmaterial sollen sowohl die subjektiven Wahrnehmungen<br />

der Kinder verdeutlicht als auch die Problemkonstellationen beschrieben werden,<br />

denen sie im Hinblick auf <strong>Familie</strong>, Gleichaltrigengruppe, Schule und Jugendhilfe unterliegen.<br />

5.4.1 Belastungsfaktoren<br />

Die Kinder im Projekt waren in der Altersspanne zwischen 8 und 14 Jahren und in der Regel<br />

bereits mehrfach im Hell- oder im Dunkelfeld durch straftatrelevantes Verhalten aufgefallen. Am<br />

häufigsten vertreten waren Zwölf- und Dreizehnjährige. Der Altersdurchschnitt der Kinder lag<br />

bei 12,1 Jahren. Ausgehend von den 27 im Polizeilichen Auskunftssystem (PASS) zur Erfassung<br />

personenbezogener Daten registrierten Kindern, lag die Delikthäufigkeit zwischen einer<br />

und 28 strafbaren Handlungen. Sieben Kinder waren mit neun und mehr Delikten registriert.<br />

Von den insgesamt 158 begangenen Delikten wurden 64% in der Gruppe verübt (vgl. Kap.<br />

5.6.1). Hinsichtlich der Deliktarten handelt es sich überwiegend um Ladendiebstahl bzw. Diebstahl<br />

ohne erschwerende Umstände (44,3%). Ein Anteil von 20,9% der Delikte waren Sachbeschädigung,<br />

15,8% Diebstahl unter erschwerenden Umständen und 7,6 % Körperverletzung.<br />

Wie groß das „Dunkelfeld“ nicht bekannt gewordener Delikte bei diesen Kindern war, lässt sich<br />

nicht einschätzen. Es hat sich gezeigt, dass es sich bei den von <strong>ESCAPE</strong> betreuten Kindern<br />

überwiegend um eine geringe bis mittlere Delinquenzbelastung handelte. Insgesamt waren es<br />

weniger die Intensität und die Anzahl der begangenen Delikte, sondern die dahinter liegenden<br />

familiären und soziobiografischen Belastungen, die Institutionen wie den Allgemeinen Sozialen<br />

Dienst (ASD) dazu veranlassten, Kinder ins Projekt zu vermitteln.<br />

Diese Einschätzung wird auch durch die im Projektverlauf durchgeführten Fallstudien über die<br />

betreuten Kinder und ihre <strong>Familie</strong>n bestätigt. Sie ergaben, dass <strong>ESCAPE</strong> überwiegend erheblich<br />

belastete Kinder mit erhöhtem Hilfebedarf erreichte. Die durchschnittliche Risikobelastung<br />

der Kinder im Projekt lag in den untersuchten Merkmalen deutlich höher als die durchschnittliche<br />

Risikobelastung gleichaltriger Kinder im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong> bzw. in der Bundesrepublik. Erhöhte<br />

Problembelastungen lagen insbesondere in den Lebensbereichen <strong>Familie</strong> und Schule<br />

vor. Zu den familiären Belastungsfaktoren gehören der hohe Anteil allein erziehender Mütter<br />

(und damit in vielen Fällen auch der fehlende Vaterbezug), problematische Stiefelternkonstellationen,<br />

der geringe sozioökonomische Status und das geringe Bildungsniveau der Eltern, Überforderung<br />

der <strong>Familie</strong> oder auch ambivalente Eltern-Kind-Beziehungen. Einige Kinder hatten Erfahrungen<br />

mit Gewalt und alkoholkranken Müttern bzw. Vätern.<br />

38


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Was den Einfluss von Gleichaltrigen auf die soziale Entwicklung der Kinder betrifft, so überwiegen<br />

in den Äußerungen dazu befragter Eltern eher die Probleme und Risiken. Vor allem der hohe<br />

Anteil von Delikten, die in der Gruppe begangen wurden, verweist auf einen eher ungünstigen<br />

Einfluss der Peers auf die Kinder im Projekt. Auffällig ist der hohe Anteil an <strong>Familie</strong>n mit<br />

mehr als zwei Geschwistern. Dabei handelt es sich oft auch um Halb- und Stiefgeschwister. Einerseits<br />

stellen sie für die teilnehmenden Kinder wichtige Bezugs- und Vertrauensperson dar,<br />

andererseits gibt es mit Stiefgeschwistern auch häufig Probleme und Konkurrenzkonstellationen.<br />

In der Schule sind die Kinder häufig mit der Erfahrung von Überforderung und Misserfolg<br />

konfrontiert, sei es auf der Ebene der kognitiven Leistungsfähigkeit, sei es auf der Beziehungsebene.<br />

Andauernde Konflikte mit Klassenkameraden und Lehrern lassen für viele Kinder ein<br />

Klima von Unsicherheit, Angst oder Überlastung entstehen, mit dem sie nicht zurecht kommen<br />

und das sie mit unterschiedlichen Mitteln zu kompensieren versuchen. Bereits die Hälfte der<br />

<strong>Familie</strong>n haben bereits Jugendhilfeleistungen in Anspruch genommen – überwiegend handelt<br />

es sich in diesen Fällen um Sozialpädagogische <strong>Familie</strong>nhilfe und Erziehungsberatung. Auffällig<br />

ist allerdings, dass bei keinem der Kinder vor der Vermittlung in das <strong>ESCAPE</strong>-Projekt andere<br />

Formen sozialer Gruppenarbeit oder Einzelbetreuung durchgeführt wurden. Bedeutsam erscheint<br />

weiterhin, dass das Thema Heim bei den Kindern häufig auch dann eine Rolle spielt,<br />

wenn keine eigenen Erfahrungen mit Fremdunterbringung vorliegen – etwa in Form elterlicher<br />

Drohungen mit dem „Erziehungsheim“, mit denen die Sorgeberechtigten letztlich ihre eigene<br />

Hilflosigkeit und Überforderung zum Ausdruck bringen – wie im folgenden Auszug aus einem<br />

Elterninterview deutlich wird.<br />

„Na mein Mann hat generell nur bestraft mit zum Teil auch sinnlosen Bestrafungen.<br />

Also zum Beispiel Stubenarrest, das gipfelte dann darin, dass er gar nicht mehr raus<br />

sollte und ich bin gegen totaler Stubenarrest, das kann man mal zur Not machen, einen<br />

Tag, aber nicht wie er das eben dann gesagt hat, ein ganzes Jahr oder was weiß<br />

ich. Das wurde eben dann halt immer mehr. Dieses Widersprüchliche auch in der <strong>Familie</strong>,<br />

mein Mann lässt sich da nicht lenken oder reinreden und das habe ich zwar versucht<br />

vor dem Jungen nicht rumzubringen, aber das hatte er natürlich mitgekriegt. Und<br />

ich habe da versucht immer auszugleichen und zu vermitteln, vielleicht war es auch<br />

ein bisschen zu viel zu vermitteln, vielleicht hätte ich mich entscheiden sollen für einen<br />

von beiden, aber ich habe ja auch nicht weiter gewusst“<br />

Ein knappes Fünftel der Kinder (18%) hatten bereits Erfahrungen mit stationärer Unterbringung<br />

außerhalb der <strong>Familie</strong>. Vergleicht man die entsprechenden Werte der untenstehenden Tabelle<br />

mit den Zahlen des zweiten Sächsischen Kinder- und Jugendberichtes, so wird deutlich, dass<br />

die von <strong>ESCAPE</strong> betreuten Kinder gegenüber der „Normalpopulation“ in <strong>Sachsen</strong> in sehr viel<br />

größerem Umfang Hilfen zur Erziehung in Anspruch nehmen.<br />

Insgesamt lassen die vorliegenden Informationen den Schluss zu, dass es dem Projekt gelungen<br />

ist, sich in seiner Arbeit auf solche Kinder zu konzentrieren, bei denen die Delikte im Zusammenhang<br />

mit deutlichen psychosozialen Belastungen standen. Die folgende Übersicht ermöglicht<br />

eine Einschätzung zur Art und Ausprägung der Belastungsfaktoren, die dabei im Vordergrund<br />

standen. Als Grundlage der Datenerhebung diente in diesem Zusammenhang ein Elternfragebogen,<br />

der den Eltern der teilnehmenden Kinder einmalig zu Beginn der Maßnahme<br />

vorgelegt wurde. Die in der rechten Spalte aufgeführten Werte zur sächsischen „Normalpopulation“<br />

sind unterschiedlichen Quellen entnommen, die - wenn auch aufgrund der mangelnden<br />

Verfügbarkeit von Daten nicht vollständig - zumindest punktuell Anhaltspunkte für einen Vergleich<br />

bieten und deutlich machen, in welchen Lebensbereichen bei den Kindern von <strong>ESCAPE</strong><br />

von erhöhten Belastungen auszugehen ist.<br />

39


EVALUATIONSBERICHT<br />

Tabelle 5.5. Verteilung der <strong>ESCAPE</strong>-Teilnehmer auf Einflussfaktoren für delinquentes Verhalten im Vergleich zur Normalpopulation.<br />

Kategorien Faktoren Interventionsgruppe Normalpopulation<br />

(n=50)<br />

in <strong>Sachsen</strong> 1)<br />

<strong>Familie</strong> Alleinerziehend 48% 32%<br />

40<br />

Stiefelternfamilien 24% 11% 2)<br />

durchschnittliche Anzahl der Kinder<br />

in einer <strong>Familie</strong><br />

2,6 1,63 3)<br />

Arbeitslosigkeit/Sozialhilfe 40% 18,5 % ALQ 4)<br />

2,8% SHQ 5)<br />

Sozioökonomischer<br />

Status ABM 10%<br />

Schule 6)<br />

Auffälligkeiten<br />

Kinder- und<br />

Jugendhilfe<br />

Grundschule 16% 22,1%<br />

Mittelschule 42% 43,5%<br />

Gymnasium 2% 28,9%<br />

Förderschule 7)<br />

40% 5,3%<br />

mindest. eine Klassenwiederholung 32% 8) 2,6% 9)<br />

Schulschwänzen 22%<br />

Delinquenz (Hellfeld) 54% 3,3% 10)<br />

Trebegang 20%<br />

psychologisch auffällig 68%<br />

Hyperaktivität 53% 3-7% 11)<br />

Enuresis 14% 3-5% 11)<br />

Diagnostik in der Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrie<br />

Leistungen der Jugendhilfe<br />

bereits in Anspruch genommen<br />

Sozialpädagogische <strong>Familie</strong>nhilfe<br />

(§ 31)<br />

20%<br />

50%<br />

24% 1.414 12)<br />

Erziehungsberatung (§ 28) 22% 10.811 12)<br />

Tagesgruppe (§32) 8% 921 12)<br />

Stationäre Hilfe (Heim) (§ 34) 18% 3.931 12)<br />

Intensive Sozialpädagogische<br />

Einzelbetreuung (§ 35)<br />

0 64 12)<br />

Soziale Gruppenarbeit (§ 29) 0 683 12)<br />

1) Quellengrundlage: wenn nicht anders angegeben, dann Statistisches Landesamt des <strong>Freistaat</strong>es <strong>Sachsen</strong><br />

2) Ersten Dresdner Kinderstudie (2000): Ergebnis der Befragung von 2000 Kindern im Alter von 9-15 Jahre in Dresden<br />

3 )Statistisches Bundesamt<br />

4) Arbeitslosenquote in <strong>Sachsen</strong> Mai 2003<br />

5) Sozialhilfequote in <strong>Sachsen</strong> Mai 2003<br />

6) Vergleichszahlen beziehen sich auf die Verteilung der Schüler im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong> im Schuljahr 2001/2002 (Zweiter Sächsischer<br />

Kinder- und Jugendbericht, S.68)<br />

7) 26% in einer Lernbehindertenschule, 14% in einer Erziehungshilfeschule<br />

8) 81% der Klassenwiederholungen erfolgten bereits in der Grundschule<br />

9) Gesamtanteil der Klassenwiederholer im Schuljahr 2001/2002 in <strong>Sachsen</strong><br />

10) Berechnet aus der Tatverdächtigenbelastungszahl für Kinder in Sachen (Quelle: PKS <strong>Sachsen</strong> 2002)<br />

11) DSM-IV-TR, 2003<br />

12) Vergleichzahlen in absoluten Zahlen 2001 (Quelle: Zweiter Sächsischer Kinder- und Jugendbericht 2003)


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Wie die Übersicht zeigt, stammen die von <strong>ESCAPE</strong> betreuten Kinder in weit überproportionalem<br />

Maße (48%) aus Haushalten von Alleinerziehenden – in der Mehrzahl alleinerziehende Mütter.<br />

Aus den Unterlagen geht hervor, dass 42% der Kinder in der momentanen Situation ohne Vater<br />

aufwachsen. Mit 2,6 Kindern pro <strong>Familie</strong> liegt die durchschnittliche Anzahl über dem Bundesdurchschnitt.<br />

In 24% der Fälle leben die Kinder in Stiefelternfamilien. Der Anteil von Kindern aus<br />

Haushalten, die infolge von Arbeitslosigkeit besonderen Belastungen ausgesetzt sind, liegt mit<br />

40% weit mehr als doppelt so hoch wie in der sächsischen Normalpopulation (18.5%). Auffällig<br />

ist weiterhin der mit 40% sehr hohe Anteil von Förderschülern innerhalb der Klientel von<br />

<strong>ESCAPE</strong>, wobei der überwiegende Teil aus dem Lernbehindertenbereich kommt. Hoch ist weiterhin<br />

der Anteil von ca. einem Drittel der Kinder, die mindestens eine Klassenwiederholung<br />

aufwiesen. Auffällig ist zudem, dass 81% dieser Klassenwiederholungen bereits in der Grundschule<br />

erfolgten. Schon diese Hinweise zeigen die besondere Bedeutung des schulischen Umfelds<br />

und verweisen auf die Notwendigkeit einer gezielten Kooperation von Jugendhilfe und<br />

Schule zur Verbesserung der Früherkennung von Problementwicklungen und zur Frühförderung.<br />

Zu beachten ist nicht zuletzt, dass für ein Fünftel der Kinder bereits Kontakte zur Kinder-<br />

und Jugendpsychiatrie angegeben wurden.<br />

5.4.2 Die Sicht der Kinder<br />

Um einen Zugang zu den Sichtweisen der Kinder zu finden, war es wichtig, eine Gesprächssituation<br />

herzustellen, bei der nicht der Komplex „Delinquenz und Defizite“, sondern Alltagserfahrungen<br />

im Vordergrund standen. Ungeachtet dessen waren es in diesen Gesprächen oft die<br />

Kinder selbst, die von sich aus auf ihre Delikte zu sprechen kamen und zum Teil sehr persönliche<br />

Einzelheiten aus ihrem Leben erzählten, sobald in der Interviewsituation eine Vertrauensbasis<br />

hergestellt war. Bei den Gesprächen handelte es sich um Leitfadeninterviews mit narrativen<br />

Gesprächssequenzen, die sich auf die zentralen Themenbereiche <strong>Familie</strong>, Gleichaltrigengruppe,<br />

Schule und Jugendhilfe bezogen. Die nachfolgenden Aussagen können nicht die gesamte<br />

Bandbreite der in diesen Interviews angesprochenen Fragen wiedergeben, sollen aber in<br />

exemplarischer Form einen Einblick in subjektive Wahrnehmungen und Bewältigungsmuster<br />

der Kinder vermitteln.<br />

Trotz vielfältiger Schwierigkeiten sehen die Kinder die <strong>Familie</strong> als zentralen Lebensort. Im ersten<br />

Beispiel geht es um einen Jungen, der seine alkoholkranke Mutter nach einem Krebsleiden<br />

verliert und bei einer Stieffamilie aufwächst.<br />

B: [...] Also wo wir noch Babys waren [...] da hat meine richtige Mutter hat hier noch<br />

früh nur getrunken und getrunken und da hat sie mir nichts zu Essen gegeben und<br />

nichts zu trinken und [...] da haben wir gepleekt an der Treppe, da sind wir dann zu<br />

unserer Stiefmutter, die wir jetzt haben, sind wir dann hoch haben wir zu Essen gekriegt<br />

und so und meine richtige Mutter, die hat nur getrunken getrunken getrunken<br />

und geraucht und da [...] hat die dann Krebs gehabt und da ist sie auch dann gestorben.<br />

//mm// Und da ham wir jetzt unsere Stiefmutter. Die ist viel besser.<br />

Viele der befragten Kinder beklagen sich darüber, dass es ihnen an einer männlichen Bezugsperson<br />

mangelt – sei es weil die Mutter alleinerziehend ist, die Väter aufgrund beruflicher Verpflichtungen<br />

selten anwesend sind oder die Mutter ständig ihre Partner wechselt.<br />

G: Spielen. Ach so mit meinem Papa hab ich fast gar nichts weil [...] mein Papa arbeitet<br />

und meine Mutti muss ja auf die (Schwester) aufpassen, denn die ist zur Zeit krank.<br />

[...]<br />

A: Naja, die ersten drei Jahre bin ich ständig zur Schule gegangen - und so ab der<br />

vierten Klasse bin ich dann [...] einfach nicht gegangen, hab mein Zimmer zugeschlossen<br />

und weiter geschlafen, weil mein Vater arbeitet ziemlich lang und wenn der frühs<br />

nach Hause kommt, schläft der gleich ein, so müde ist der. //mm// Und ich mein, da<br />

wie soll ich sagen ich hab dann einfach weiter geschlafen [...]<br />

41


EVALUATIONSBERICHT<br />

Im folgenden Gesprächsauszug geht es darum, dass die Eltern sich an die Polizeikontakte des<br />

Kindes bereits „gewöhnt“ haben:<br />

A: Na, nach 'ner Zeit lang sind die Eltern dran gewöhnt. Da erschrecken die gar nicht<br />

mehr wenn's heißt ‘Guten Tag, Polizeirevier da und da. Wir haben ihren Sohn bei uns<br />

auf der Wache sitzen', da sagen die dann 'na toll, schon wieder'. Aber, wie gesagt,<br />

nach 'ner Zeit. Aber die erste Zeit war's auch 'oh, nee'. Hab ich auch Ärger abgekriegt<br />

aber ich mein, meine Eltern waren auch dran gewöhnt, dass ich ständig mit den Bullen<br />

zu tun hab.<br />

Ein weiterer zentraler Ort im Alltag der Kinder ist die Schule. Dass sie für ihr späteres Leben<br />

große Bedeutung besitzt, ist ihnen zumeist bewusst, auch wenn sie sie vor allem aus dem<br />

Blickwinkel von Problemen und Frustrationen erleben. Schwierigkeiten können sich aus Leistungsanforderungen<br />

ergeben, denen sie sich nicht gewachsen fühlen, oder aus Konflikten, die<br />

sich zu lange aufgestaut haben. Auf Überforderung in der Schule reagieren sie oft mit Rückzug<br />

oder Flucht. Schulbummelei und Schulverweigerung sind daher ernstzunehmende Signale für<br />

unbewältigte Probleme der Kinder, die nicht selten auch delinquente Verhaltensweisen nach<br />

sich ziehen.<br />

A: [...] in der Schulzeit, also wie gesagt, die ersten paar Jahre bin ich gegangen und<br />

dann kam aber die Zeit, wo ich einfach aufgestanden bin und wo anders hingegangen<br />

bin mit Kumpels abgehangen. Wir haben uns frühs getroffen. Statt Schule sind wir<br />

woanders hingegangen, klauen oder so was, [...] das machte mir früher mehr Spaß als<br />

Schule...(Erst) hab ich gute Leistungen gebracht aber so dann – dritte, vierte Klasse<br />

[...] fing ich dann an, langsam auf die Schule keinen Bock mehr zu haben, bin öfters<br />

nicht gegangen, was heißt öfters, so gut wie gar nicht dann mehr gegangen naja dann<br />

haben sie's dann nicht mitgemacht natürlich und dann bin ich dann wieder 'ne Weile<br />

gegangen und dann bin ich wieder nicht gegangen. [...] Naja, das war langweilig in der<br />

Schule, ich mein, dort hat's mir überhaupt kein Spaß gemacht. Ich fand's blöd in der<br />

Schule.<br />

Als Grund für seine beginnende Schulverweigerung nennt der Junge hier vor allem Langeweile<br />

(„keinen Bock mehr, kein Spaß, blöd“). Heute besucht er, mit bedingt durch seine Teilnahme an<br />

<strong>ESCAPE</strong>, den Unterricht wieder regelmäßig. In anderen Fällen hängt die Ablehnung des Unterrichts<br />

zusätzlich mit dem Erleben ständiger Überforderung zusammen.<br />

B: Manchmal hatten wir Probleme. Manchmal hatte ich keine Lust gehabt, mit Unterricht<br />

zu machen. Bin ich dann raus. [...] Also, ich bin dann raus aus dem --- nicht aus<br />

dem Schulgelände, ich bin dann raus aus dem [...] dem Haus bloß an die Tür, hab<br />

mich hingesetzt und dann kam die Lehrerin hat gesagt 'Kommste bitte mit wieder rein'.<br />

Hab ich gesagt 'nö' und da haben die gesagt 'Gut, da tu ich nen Eintrag eintragen'. Da<br />

hab ich gesagt 'Könn sie machen wenn sie wollen. Ich zerrupps eh' und dann haben<br />

die gesagt - und haben sie dann angerufen. Da haben meine Eltern mich abgeholt und<br />

dann gab's auch ziemlich Ärger.<br />

I: Mm, und warum bist du da raus?<br />

B: Weil ich dann irgendwie keine Lust mehr hatte mit Lernen, weil das dann so langweilig<br />

war und - keinen Bock mehr gehabt. [...] Naja, bei Mathe da - da hab ich auch<br />

manchmal Schwierigkeiten mit Bruchrechnung und so.<br />

Im folgenden Fall geht es um einen Jungen, der Schwierigkeiten mit seinen Mitschülern und,<br />

wie in der zitierten Passage, auch mit seiner Lehrerin hat.<br />

D: Hm, da hat Frau P. mit mir Schwierigkeiten gehabt. Nämlich da gab's mit uns Streit.<br />

Sonst haben wir uns immer gern gehabt. [...] Und wo sie mich angeschrieen hat, das<br />

war mir zu viel und dann die letzte Stunde bin ich abgehauen und da hat sie abends<br />

angerufen und hat sich entschuldigt. Und am nächsten Tag sind wir wieder Freunde<br />

geworden.<br />

Was die Gruppenorientierungen der befragten Jungen betrifft, so ging es dabei in einigen Fällen<br />

um Sichtweisen, die sich als Ergebnis starken Gruppendrucks verstehen lassen und auf eine<br />

Neutralisierung von Schuldgefühlen hinauslaufen. Da in der Gruppe Normen gelten, die abweichendes<br />

Verhalten unter Umständen dulden oder sogar gutheißen, werden Normverletzungen<br />

42


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

innerhalb der Clique als „normal“ empfunden, so dass das Begehen von Delikten plötzlich als<br />

erwünschte Verhaltensweise erscheinen kann. Geraten solche Haltungen mit konformen Orientierungen<br />

in Konflikt, so kann dies zu Verwirrung und zu Schuldgefühlen führen, wie im folgenden<br />

Beispiel.<br />

B: [...] da waren wir auf dem Abenteuerspielplatz und da war noch so ein Kumpel, das<br />

war abends so um fünf - naja, da hatten wir Langeweile und da haben wir Mülltonnen<br />

runtergehauen und da ist das Büro beschädigt worden und 'ne Mauer und da [...] sind<br />

wir dann abgehauen und da haben wir das wieder gemacht naja [...] und auf jeden Fall<br />

kam dann die Polizei hat uns die Fingerabdrücke gemacht und, ja - [...] Da war ich<br />

auch ganz schön blind. [...] Weil ich da auch Mist gebaut hab, weil das soll eigentlich<br />

nicht sein, also dass das ja eigentlich Scheiße ist, dass ich das überhaupt nicht machen<br />

dürfte.<br />

Wenn es um die Erfahrung der Kinder mit Angeboten der Jugendhilfe ging, stand nicht der institutionelle<br />

Rahmen von Jugendamt, Hilfen und Maßnahmen im Vordergrund – meist war ihnen<br />

dieser Zusammenhang kaum bewusst. Wichtiger war, ob die Angebote “Spaß machen“ und eine<br />

brauchbare Unterstützung darstellen. Das Heim als familientrennende Maßnahme wird<br />

durchweg abgelehnt und vor allem in einem Kontext von Drohung und Strafe wahrgenommen.<br />

Nur vorübergehende, zeitlich absehbare Heimaufenthalte erscheinen aus dieser Sicht als nicht<br />

ängstigend und akzeptabel.<br />

Dass das <strong>ESCAPE</strong>-Programm von den Kindern insgesamt sehr positiv erlebt wurde, lässt sich<br />

aufgrund der von ihnen geäußerten Einschätzungen auf folgende Faktoren zurückführen:<br />

� die Entscheidung für die Teilnahme wurde als freiwillig wahrgenommen<br />

� das Programm wurde als eine Form der Freizeitgestaltung und nicht der Freizeitbeschränkung<br />

gesehen<br />

� das Thema „Delinquenz“ stand nicht im Vordergrund der pädagogischen Arbeit<br />

Zum Schluss dieses Abschnitts sollen zwei Antworten auf die Frage wiedergegeben werden,<br />

wie sich die Befragten ihre Zukunft als Erwachsene vorstellen.<br />

(1) I: Und wenn du jetzt [...] drei Wünsche frei hättest was würdest du denn dann machen?<br />

B: Würd ich mir ein Auto wünschen und ein Haus und - was würd' ich mir noch wünschen?<br />

(2) I: Und wie stellst du dir das vor wenn du mal älter bist, so 20 oder so, wenn du mal<br />

erwachsen bist, hast du da irgendwelche Ziele?<br />

A: <strong>Familie</strong> gründen, arbeiten gehen - und leben.<br />

I: Und leben; und wie leben?<br />

A: Ohne Scheiße zu bauen, ganz sauberes Leben.<br />

Die Antworten der Jungen zeigen, dass sie sich an durchaus realistischen, sozial erwünschten<br />

Zukunftsvorstellungen orientieren – deliktfrei und mit dem Ziel, anerkannten Werten zu genügen.<br />

5.4.3 Fallbeispiele<br />

Exemplarisch sollen im folgenden einige Fallbeispiele herausgegriffen werden, die das breite<br />

Spektrum von Anforderungen an die pädagogische Arbeit von <strong>ESCAPE</strong> verdeutlichen und<br />

zugleich den komplexen Problemhintergrund veranschaulichen, mit dem es die Mitarbeiter des<br />

Projekts oft zu tun hatten. Es handelt sich um drei Jungen und ein Mädchen, die in sehr unterschiedlichen<br />

persönlichen und familiären Bedingungen aufgewachsen sind. Aber auch Ähnlichkeiten<br />

werden in den vier Kurzporträts deutlich. Lukas wies unter den von <strong>ESCAPE</strong> betreuten<br />

Kindern mit 28 Delikten (davon 24 in der Gruppe begangen) die weitaus höchste Delinquenzbelastung<br />

auf. Die familiäre Situation war in seinem Fall so schwierig, dass noch während seiner<br />

Teilnahme an <strong>ESCAPE</strong> eine Heimunterbringung erforderlich wurde. Albert war eines von insgesamt<br />

drei Kindern mit Migrationshintergrund, die von <strong>ESCAPE</strong> betreut wurden. Da seine Mutter<br />

43


EVALUATIONSBERICHT<br />

als Aussiedlerin aus einem osteuropäischen Land kaum Deutsch sprach, musste er eine Vielzahl<br />

alltäglicher Pflichten übernehmen, die ihn letztlich überforderten. Und obwohl er, anders als<br />

seine Mutter, die deutsche Sprache schon recht gut beherrschte, wurde er von Gleichaltrigen<br />

wiederholt als „Russe“ beschimpft. Die Beispiele von Christiane und Arnd schließlich können für<br />

jene Vielzahl von Teilnehmern des Projekts stehen, in denen sich familiäre Schwierigkeiten, Erfahrungen<br />

in der Schule, Beziehungen zu Gleichaltrigen etc. in einer Art „labilem Gleichgewicht“<br />

befinden: Deutlichen Risikofaktoren, die die Lebenssituation der Kinder belasten, zum Teil auch<br />

in ihren Delikten zum Ausdruck kommen und sich ohne Hilfestellung mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

weiter verfestigen würden, stehen eine Reihe positiver, förderlicher Faktoren gegenüber.<br />

In einem Fall ist dies der erfolgreiche Schulbesuch, im anderen die verlässliche Beziehung zur<br />

Mutter. Oft waren es gerade solche Konstellationen, in denen trotz zunehmendem Hilfebedarf<br />

an vorhandenen Stärken und familiären Ressourcen angesetzt werden konnte, die <strong>ESCAPE</strong> ein<br />

erfolgreiches Arbeiten möglich machten. Auch bei Christiane und Arnd gelang es, im Verhältnis<br />

zu den Kindern wie auch zu den Eltern stabilisierend zu wirken und positive Entwicklungen zu<br />

unterstützen.<br />

Lukas<br />

Lukas wuchs bei seinen leiblichen Eltern auf. Er ist das dritte von vier Kindern. Der Vater ist ungelernter<br />

Hilfsarbeiter, arbeitet im Schichtdienst und ist selten in der <strong>Familie</strong> anwesend. Die<br />

Mutter ist Alkoholikerin. Die <strong>Familie</strong> wohnt in einer Vier-Zimmer-Wohnung in einem Hochhaus.<br />

Im Haushalt der <strong>Familie</strong> leben nur noch die beiden jüngsten Kinder: Lukas selbst und sein<br />

10jähriger Bruder, der Epileptiker ist.<br />

Lukas wuchs nach Angaben der Eltern normal auf. Er besuchte regulär die erste und zweite<br />

Klasse der Grundschule, wiederholte die dritte Klasse und begann auch die vierte. Diese beendete<br />

er jedoch nicht, sondern verweigerte seitdem permanent die Schule. Bei der Polizei ist Lukas<br />

schon seit langem bekannt, 25 Polizeimeldungen liegen unterdessen über ihn vor. Darunter<br />

befindet sich die ganze Deliktbandbreite wie Einbruchdiebstahl, Nötigung, Raub und Körperverletzung.<br />

Mit elf Jahren wurde er erstmals polizeilich registriert. Innerhalb von zehn Tagen folgten<br />

weitere Straftaten. Die Mitarbeiter im Projekt beobachteten, dass sich Lukas mit den von<br />

ihm begangenen Delikten zum Teil stark identifizierte. In der Gleichaltrigengruppe seines Stadtteils<br />

sicherte ihm sein Verhalten eine starke Stellung. Zudem erschien das abweichende Verhalten<br />

von Lukas noch in anderer Weise als funktional: es verschaffte ihm den so genannten ‘Kick’,<br />

es diente der Freizeitgestaltung und half bei der Erfüllung materieller Wünsche.<br />

Zu <strong>ESCAPE</strong> kam Lukas mit 13 Jahren, und er nahm für mehr als ein halbes Jahr am Projekt<br />

teil. Die Vermittlung des Jungen erfolgte über den ASD des Jugendamtes, wo die <strong>Familie</strong> bereits<br />

über verschiedene Hilfen zur Erziehung (Erziehungsbeistandschaft, SPFH) bekannt war.<br />

<strong>ESCAPE</strong> wurde von den Eltern als eine Möglichkeit verstanden, den Schulbesuch ihres Jungen<br />

wieder anzugehen und weitere Straffälligkeiten zu verhindern. Lukas selbst erhoffte sich dies<br />

von <strong>ESCAPE</strong> ebenso und wünschte sich zudem Menschen, mit denen er reden kann und zu<br />

denen er eine Beziehung aufbauen kann. Parallel zu der Arbeit im Projekt <strong>ESCAPE</strong> liefen seitens<br />

des Jugendamtes Vorbereitungen zum Entzug des Sorgerechts der Eltern für ihre beiden<br />

Kinder Lukas und seinem jüngeren Bruder. Während Lukas am Projekt teilnahm, wurde das<br />

Aufenthaltsbestimmungsrecht über beide Kinder einem Vormund übertragen. Lukas und seine<br />

Geschwister wurden in ein Heim aufgenommen. Seitdem besucht Lukas wieder regelmäßig die<br />

Schule.<br />

Die starke emotionale Bindung des Jungen an seine Eltern äußert sich in seinem Wunsch, in<br />

Zukunft wieder zu Hause wohnen zu dürfen und in dem Heimweh, welches er während seines<br />

Heimaufenthaltes empfindet. In der Netzwerkkarte bestätigt sich, dass Lukas in seinen Eltern<br />

weiterhin die primären Bezugspersonen sieht. Das Verhalten der alkoholkranken Mutter nimmt<br />

Lukas in Schutz, auch wenn ihn die Situation stark belastet. Auf die Frage, wer denn seine Vor-<br />

44


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

bilder seien, antwortete er: „mein Großonkel und mein Dad“. Stolz ist Lukas darauf, eines der<br />

ersten Kinder im <strong>ESCAPE</strong>-Projekt gewesen zu sein und insgesamt sieben Monate dabei gewesen<br />

zu sein. Er selbst, aber auch die Mitarbeiter, bewerten seine Teilnahme als erfolgreich und<br />

positiv. Er verließ das Projekt mit positiven Wertungen, mit dem Interesse an einer Nachbetreuung<br />

und der Teilnahme in einem Karatesportclub. Verschiedene Versuche, die Schule wieder<br />

zu besuchen, schlugen fehl, da die Eltern (insbesondere die Mutter) ihren Teil der Verantwortung<br />

und die Vereinbarungen nicht erfüllten und auch Lukas Absprachen nicht einhielt, obwohl<br />

er andererseits offenkundiges Interesse an einem regelmäßigen Schulbesuch zeigte. Bei der<br />

Bearbeitung des Themas Schule wich Lukas in den Gesprächen mit den Mitarbeitern von<br />

<strong>ESCAPE</strong> und in der Gruppe meist aus. Dabei überspielte er die unüberwindbaren Ängste vor<br />

einem erneuten Schulbeginn mit „Coolness“.<br />

Lukas´ Gruppenverhalten veränderte sich im Verlaufe der Gruppenphase von sehr dominant,<br />

selbstherrlich und z.T. rücksichtslos hin zu dem Verhalten eines Gruppenmitgliedes, welches<br />

andere Meinungen wahrnimmt und Kompetenzen der anderen auch anerkennt und für sich<br />

nutzt. Auch wenn das Verhalten des Jungen besonders bei Konflikten von Dominanzstreben<br />

und körperlichem Stärkegebaren gekennzeichnet war, konnten zunehmend auch andere Verhaltensanteile<br />

wahrgenommen werden – Offenheit für Gespräche, Rücksichtnahme auf die<br />

Meinungen anderer, Nachdenklichkeit. Seit Projektbeginn liegen über Lukas keine neuen Polizeimeldungen<br />

vor. Aufgrund der <strong>Familie</strong>nsituation war Elternarbeit und damit eine explizite Hilfe<br />

für die Eltern nicht möglich. Die einzigen Kontakte realisierten sich über eine Reihe von Hausbesuchen.<br />

Die Fallgeschichte bringt die belastete familiäre Situation zum Ausdruck, in der Lukas aufwachsen<br />

muss. Dennoch bedeutet ihm seine <strong>Familie</strong> sehr viel. Die Ambivalenz der Beziehungen<br />

wird zu einem Teufelskreis, aus dem Lukas nur mit fremder Hilfe heraus kommen kann. Obwohl<br />

Hilfen zur Erziehung in der <strong>Familie</strong> bereits zum Einsatz kamen, bezogen sich diese nie direkt<br />

auf Lukas. In einem Interview bringt er zum Ausdruck, dass er vor <strong>ESCAPE</strong> noch nie etwas mit<br />

Jugendhilfe zu tun gehabt hat. Dabei wäre es mit einem individuell abgestimmten und auf Lukas<br />

bezogenen Hilfeangebot möglicherweise schon sehr viel früher notwendig und möglich gewesen,<br />

die Situation zu verändern. Lukas konnte relativ schnell von <strong>ESCAPE</strong> überzeugt werden<br />

und zeigte die Bereitschaft, sich auf das Projekt einzulassen. <strong>ESCAPE</strong> hat ihn dort „abgeholt“,<br />

wo er stand und gab ihm die ersehnte Aufmerksamkeit. Er lernte in der Gruppenarbeit Freunde<br />

kennen und konnte Konflikte schließlich auch gewaltfrei lösen. Für seine ’Kumpels’, mit denen<br />

er die Straftaten zum Teil gemeinsam begangen hatte, hat er nach eigenen Angaben seit<br />

<strong>ESCAPE</strong> gar keine Zeit mehr, und den Kontakt zu ihnen hat er abgebrochen: „Na, und ich hab<br />

mich auch bissel gefreut drüber, von denen wegzukommen.“ Neben <strong>ESCAPE</strong> führt er sein<br />

nunmehr „straffreies“ Verhalten auch auf seine Freundin zurück, die ihn von neuen Straftaten<br />

und alten Verbindungen abhält. Er bereut seine Straftaten und wünscht sich für die Zukunft ein<br />

normales Leben. In einem anderen Zusammenhang erwidert Lukas auf die Wunschfrage allerdings:<br />

„Drei Wünsche? //mm// Ich sag mal so, (lacht) da ich in der rechten Szene bin, würd<br />

ich mir als erstes wünschen, dass alle Ausländer aus Deutschland raus gehen,//mm//<br />

und dann, dass es mehr Arbeit gibt und dass es keine Bullen mehr gibt (lacht).“<br />

Verfestigte Einstellungs- und Verhaltensmuster lassen sich nicht innerhalb weniger Wochen<br />

auflösen und bringen die Anfälligkeit und Widersprüchlichkeit von Lukas zum Ausdruck. Die<br />

Heimunterbringung kann insofern zu einer Stabilisierung der Normalitätsperspektive beitragen.<br />

Lukas nutzte die Angebote im Rahmen der Nachbetreuung regelmäßig. Auch wenn sich eine<br />

stationäre Unterbringung nicht vermeiden ließ und das Thema Schulverweigerung nur partiell<br />

bearbeitet werden konnte, hat sich gezeigt, dass es mit Hilfe von <strong>ESCAPE</strong> gelang, eine Beziehung<br />

aufzubauen und mit dem Kind gemeinsam kleine Schritte zu gehen. Wie aus den personenbezogenen<br />

Daten des LKA hervorgeht, wurde der Junge hinterher nicht wieder rückfällig<br />

(Stand Mai 2003).<br />

45


EVALUATIONSBERICHT<br />

Albert<br />

Albert wurde in einem osteuropäischen Land als uneheliches Kind geboren. Seinen Vater hat er<br />

nicht kennen gelernt. Seit ca. 1993 leben Mutter und Kind in Deutschland. Vorübergehend<br />

wohnten sie in Lagern und Aussiedlerheimen. In ihrer jetzigen Wohnung und Wohngegend fühlt<br />

sich die Mutter wohl, nur der Weg zur Schule ist sehr weit. Die Mutter war in der Zeit, als Albert<br />

an <strong>ESCAPE</strong> teilnahm, auf ABM-Basis berufstätig.<br />

Die Mutter schildert das Verhältnis zwischen ihr und Albert als sehr schwierig, geprägt von Annäherung<br />

und Ablehnung. Auch Albert äußert sich über seine Mutter selten positiv. Er verleumdet<br />

sie in der Schule, während sie ihm oft strafend und fordernd begegnet, ohne seine Bemühungen<br />

zu loben. Die Mutter bemängelt an Alberts Verhalten insbesondere, dass er immer seinen<br />

Kopf durchsetzen will, bettelt, die Mutter beschimpft, mit Gegenständen bewirft, keine Konzentration<br />

zeigt, nicht auf die Uhrzeit achtet, bei den Hausaufgaben trödelt etc. Die Mutter lehnt<br />

es ab, von dem <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter Hilfe anzunehmen; mit dem Kind solle etwas geschehen,<br />

sie selbst brauche keine Gespräche. Immer wieder äußert sie die Absicht, Albert in ein Heim zu<br />

geben, da sie mit ihm nicht klar komme. Wiederholt droht sie ihm diese Maßnahme als „Strafe“<br />

für sein Verhalten an. Albert wiederum bemängelt an seiner Mutter, dass sie immer herumschreit<br />

und eine neue Sache von ihm verlangt, ohne die alte beendet zu haben. In die Netzwerkkarte<br />

nimmt er seine Mutter gar nicht erst auf. Auch sie bestätigt, dass er mit Problemen<br />

nicht zu ihr kommen würde. Erwachsene und Mädchen beschreibt Albert überwiegend negativ,<br />

Jungen dagegen überwiegend positiv (Mitarbeiter <strong>ESCAPE</strong>).<br />

Die Mutter berichtet, der Junge habe sich während der Kindheit schneller entwickelt als andere<br />

Kinder. Gleichzeitig habe er von Geburt an problematisches Verhalten gezeigt, sei unruhig, laut,<br />

unkonzentriert, rechthaberisch, zerstörungswütig und unsicher, würde Türen knallen, mit Gegenständen<br />

werfen und schreien. Zudem sei er hyperaktiv und leide unter neurotischen Störungen.<br />

Das problematische Verhalten äußere sich zumeist dann, wenn Anforderungen an ihn gestellt<br />

würden: so z.B. in der Schule. Albert besucht die 6. Klasse einer Erziehungshilfeschule<br />

und geht ungern zur Schule. Über Lehrer äußert er sich stets negativ. Bereits in der 1. Klasse<br />

musste Albert aufgrund seiner psychischen Auffälligkeiten zur Diagnostik in die Kinder- und Jugendpsychiatrie.<br />

Besondere Schwierigkeiten gab es durch das fortgesetzte Bettnässen des<br />

Jungen. Für Albert wurde in diesem Zusammenhang ein Kuraufenthalt verordnet.<br />

Polizeilich ist Albert zweimal delinquent aufgefallen. Zum einen hatte er versehentlich beim<br />

Radfahren eine ältere Frau angefahren. Zum anderen hatte er im Auftrag zweier älterer Freunde<br />

(einer davon war 16 Jahre alt) für eine Mark ein Mädchen geschlagen. In beiden Fällen kam<br />

es zur Anzeige, eine Entschuldigung gegenüber den Opfern kam nicht zustande. Albert äußerte<br />

gegenüber dem Mitarbeiter von <strong>ESCAPE</strong>, er habe bisher noch nie eine Möglichkeit gehabt, sich<br />

zu entschuldigen, wenn etwas vorgefallen sei, auch nicht bei kleineren Dingen in der Schule. Er<br />

wisse aber, wie so etwas geht.<br />

Wenn andere Kinder ihn abweisen und hänseln, wird Albert schnell wütend und neigt dazu, sich<br />

zu schlagen. Nach den Schilderungen seiner Mutter findet er bei gleichaltrigen Kindern wenig<br />

Anerkennung, hat kaum Freunde und wird oft als „Russe“ beschimpft. Dies steigert die Wut des<br />

Jungen nur noch. Sie bemängelt, dass Albert in der Gleichaltrigengruppe das macht, was andere<br />

von ihm wollen, und dass er sich oft ausnutzen lässt.<br />

Dennoch sucht Albert, wie auch sein Verhalten im Projekt zeigt, den Kontakt zu Kindern und<br />

spielt gerne mit ihnen. So fragte er zu Beginn des Öfteren nach dem Verbleib der anderen Kinder<br />

und freute sich auf die Gruppenarbeit. Die Jugendhilfe wurde bereits mit erzieherischen Hilfen<br />

in Form von Erziehungsberatung und Sozialpädagogischer <strong>Familie</strong>nhilfe aktiv. Nach Beendigung<br />

von <strong>ESCAPE</strong> wird Albert erneut in die Psychiatrie eingewiesen und später, nach Aussagen<br />

der Mutter, in einem Heim in <strong>Sachsen</strong>-Anhalt untergebracht.<br />

46


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Das Beispiel zeigt den besonderen Hilfebedarf einer <strong>Familie</strong>, die nicht nur die Folgen eines<br />

„Kulturschocks“, sondern auch die Probleme einer gefährdeten sozialen Integration in ihr neues<br />

Umfeld bewältigen muss. Gegenüber dem Jungen zieht sich die Mutter auf eine fordernde und<br />

strafende Haltung zurück, und dem Projektmitarbeiter gegenüber betont sie ihre Unabhängigkeit<br />

als eine Person, die „keine Gespräche braucht“. Zugleich ist sie aber infolge ihrer schlechten<br />

Deutschkenntnisse selbst in einer schwachen Position, die ihr Verhältnis zu Albert belastet.<br />

Dass der Junge seine Mutter in der Netzwerkkarte „vergisst“, kann als Ausdruck des Gefühls<br />

verstanden werden, in einer schwierigen Situation allein dazustehen.<br />

Deutlich wird, dass sich aus der beschriebenen familiären Konstellation ein weitergehender Hilfebedarf<br />

bereits anbahnt. Dies zeigen sowohl die neurotischen Symptome des Jungen als auch<br />

die Tatsache, dass die Mutter aufgrund ihrer Überforderung wiederholt eine Heimunterbringung<br />

in Erwägung zieht. Das Angebot von <strong>ESCAPE</strong> wird in dieser Situation als hilfreiche Unterstützung<br />

wahrgenommen, die freilich durch eine Sozialpädagogische <strong>Familie</strong>nhilfe flankiert werden<br />

muss. Albert selbst fühlt sich während seiner Zeit im Projekt vor allem durch einen der<br />

<strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter unterstützt, zu dem sich ein gutes Vertrauensverhältnis entwickelt. Am<br />

Ende seiner Zeit bei <strong>ESCAPE</strong> gehört er einem Reitverein an.<br />

Christiane<br />

Christiane ist das jüngste von vier Kindern. Sie wächst zusammen mit einer Schwester bei ihrer<br />

Mutter auf, die vom Vater geschieden ist. Die ältere Schwester und der ältere Bruder haben den<br />

Haushalt schon verlassen. Die Mutter kann ihren Beruf als Altenpflegerin nicht mehr ausüben<br />

und bezieht Frührente. Der Vater ist berufstätig und kümmert sich regelmäßig um die Kinder.<br />

Trotzdem haben die <strong>ESCAPE</strong>–Mitarbeiter den Eindruck, dass die Mutter selbst die Scheidung<br />

noch nicht verarbeitet hat, sich von ihrem Mann verlassen und mit den elterlichen Pflichten alleingelassen<br />

fühlt.<br />

Die Mutter ist darauf bedacht, dass in ihrer Erziehung alles in geregelten Bahnen verläuft, sie ist<br />

gegenüber ihrer Tochter oft zu Kompromissen bereit, teilweise auch großzügig. Wenn es Probleme<br />

gibt, werden Gespräche geführt. Das Verhältnis zwischen Vater und Tochter ist problematisch.<br />

Nach der Scheidung der Eltern, die erst kurz zurück liegt, lebt Christiane zunächst bei ihrem<br />

Vater und ist zwischen beiden Elternteilen hin und her gerissen. Wenig später zieht sie zur<br />

Mutter. Zum Vater hat sie zwar nach wie vor Kontakt, spricht aber, auch bei <strong>ESCAPE</strong>, nur noch<br />

wenig über ihn.<br />

Christiane besucht die 7. Klasse einer Förderschule und erreicht befriedigende bis ausreichende<br />

Leistungen. Probleme ergeben sich wiederholt aus ihrer Konzentrationsschwäche, da sie<br />

dem Unterrichtsgeschehen nicht lange aufmerksam folgen kann. Ihre Schulfreunde kann sie in<br />

der Freizeit nicht sehen, weil sie auf einem Dorf in einiger Entfernung wohnt.<br />

In der Freizeit ist Christiane viel mit ihrer Clique im Heimatort zusammen. Gemeinsam genießen<br />

sie das „Abhängen“, zuweilen gehen sie gemeinsam ins Kino. Zum Zusammensein gehören Alkohol<br />

und Zigaretten. Auch ihre ersten sexuellen Erfahrungen macht Christiane mit Freunden<br />

aus der Clique. Der Mutter sind die Freunde bekannt. Den Kontakt mit einigen aus der Clique<br />

sieht sie nicht gern, weil sie den Eindruck hat, dass sie ihre Tochter zum „Mist bauen“ verleiten.<br />

Taschengeld erhält sie recht selten. Hinzu kommt, dass einige der Freunde schon fast volljährig<br />

sind. Trotzdem gehört Christiane zum festen Kern der Clique, die im Wohnort bereits durch<br />

wiederholte Ruhestörung aufgefallen ist.<br />

Zu <strong>ESCAPE</strong> kam Christiane, nachdem sie bei einem Ladendiebstahl aufgegriffen wurde. Zuvor<br />

fiel sie, zusätzlich zu den gemeinsamen Ruhestörungen in der Clique, durch Sachbeschädigung<br />

auf. Die Mutter erhofft sich von dem <strong>Modellprojekt</strong> eine persönliche Entlastung und eine Unterstützung<br />

in der Erziehung der Tochter. Sie wünscht sich, dass Christiane ihren Umgangston<br />

47


EVALUATIONSBERICHT<br />

ändert, pünktlicher wird, sich an verabredete Regeln hält und im Kontakt mit Gleichaltrigen<br />

selbständiger wird.<br />

Belastungsfaktoren und unterstützende Bedingungen halten sich in diesem Beispiel (noch) die<br />

Waage. Belastend wirken die nicht verarbeitete Trennung der Eltern, die Einflüsse einer Clique,<br />

die vor allem aus Älteren besteht und Christiane mit riskanten Verhaltensweisen konfrontiert,<br />

nicht zuletzt aber auch die Trennung von Lebensort und Schule. Letztere bringt nicht nur weite<br />

Schulwege mit sich, sondern führt auch zu einer Trennung der Lebenskreise, in denen sich<br />

Christiane bewegt – Schule und Freizeit fallen weit auseinander. Positiv erscheint demgegenüber<br />

die verlässliche Beziehung zur Mutter, die sich um Christianes Erziehung kümmert und<br />

nach konkreter Unterstützung sucht. Hier liegt zugleich die Chance für <strong>ESCAPE</strong>. Die Mitarbeiter<br />

versuchen, Christiane an ihrem Wohnort in eine Mädchengruppe einzubeziehen und auf diese<br />

Weise einen regionalen Bezug herzustellen.<br />

Arnd<br />

Arnd war dreizehn Jahre alt, als er zu <strong>ESCAPE</strong> kam. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder<br />

wuchs er bei seiner Mutter auf, die das alleinige Sorgerecht für die Kinder hat. Zur <strong>Familie</strong> von<br />

Arnd gehört auch noch ein älterer Bruder, der jedoch nicht mehr im Haushalt lebt. Die Mutter ist<br />

zum vierten Mal verheiratet, Arnds Stiefvater ist der Vater des jüngsten Bruders. Da Mutter und<br />

Stiefvater beide arbeitslos sind, muss die <strong>Familie</strong> von der Arbeitslosenhilfe der Mutter und der<br />

Sozialhilfe des Stiefvaters leben. Mit ihren Wohnbedingungen ist die <strong>Familie</strong> sehr unzufrieden.<br />

Über den Stiefvater wird berichtet, dass er über längere Zeit ein Alkoholproblem hatte, dieses<br />

aber inzwischen im Griff hat. Die Beziehung zwischen Sohn und Mutter wird als sehr gut, die<br />

zwischen Arnd und seinem Stiefvater als wechselhaft beschrieben. Zuweilen hat er den Jungen<br />

mit längerem Hausarrest bestraft. Die Mutter setzt sich sehr für ihren Sohn ein und versucht ihm<br />

bei der Lösung von Problemen zu helfen. Über die problematischen Verhaltensweisen des Jungen<br />

äußert sie sich nachsichtig („macht nichts, ich hab auch Scheiße gebaut“) – dies gehöre in<br />

seinem Alter dazu. Arnd selbst ärgert sich oft über seinen kleinen Bruder, weil er so frech zu<br />

den Eltern ist. Wenn es ihm reicht, kommt es zwischen beiden zu Rangeleien, in denen der<br />

Bruder ab und zu auch mal „eine abkriegt“.<br />

Arnd besucht die 7. Klasse der Realschule, geht gern zur Schule und erzielt dort befriedigende<br />

Leistungen. Er musste jedoch schon einmal die Schule wechseln, weil er sich auf der alten<br />

Schule oft mit einem anderen Jungen geprügelt hatte und gemeinsam mit ihm auch schon polizeilich<br />

auffällig geworden war. Arnd lässt sich sehr schnell provozieren, so dass es schnell zu<br />

Rangeleien und Prügeleien mit ihm kommt. Auf seiner neuen Schule ist Arnd bis jetzt aber nur<br />

einmal geringfügig auffällig geworden - er ritzte ein „A“ in die Tischplatte. Nach Angaben der<br />

Mutter gibt es momentan keine Probleme mit ihm. In seiner Freizeit ist Arnd im Fußballverein<br />

aktiv, ist mit seiner Clique unterwegs und läuft Inline-Skates.<br />

Mit der Polizei hatte Arnd dreimal Kontakt – alle drei Ereignisse liegen jedoch in der Zeit vor<br />

seinem Schulwechsel. Einmal ging es um Sachbeschädigung, wobei Arnd selbst sagt, er habe<br />

nur Schmiere gestanden; ein anderes Mal um Diebstahl – auch da behauptet er, nur auf die anderen<br />

gewartet zu haben; in einem Fall schließlich um Körperverletzung. Zwei dieser Delikte<br />

aus der Zeit vor der Projektteilnahme des Jungen wurden vom LKA registriert.<br />

Als Arnd zu <strong>ESCAPE</strong> kommt, ist er sich seiner Probleme schon bewusst. Er hat sich selbst zum<br />

Ziel gesetzt, in der Schule besser zu werden und keine Kontakte mehr zur Polizei zu haben.<br />

Sein Verhalten im Unterricht soll sich verbessern, und über <strong>ESCAPE</strong> äußert er sich positiv, weil<br />

ihm hier die Möglichkeit gegeben wird, seine Zeit sinnvoll zu verbringen. Von seiner beruflichen<br />

Zukunft hat Arnd klare Vorstellungen - er sieht sich in einer Karriere als Fußballprofi oder<br />

Gourmetkoch.<br />

Auch dieses letzte Beispiel zeigt eine Konstellation, in der durch die Teilnahme an <strong>ESCAPE</strong> eine<br />

Stabilisierung erreicht werden kann. Während der sechs Monate, in denen der Junge durch<br />

48


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

das Projekt betreut wird, entspannt sich die Situation zu Hause – auch die Eltern scheinen das<br />

Projekt als Entlastung zu empfinden und sind froh darüber, durch den Projektmitarbeiter Unterstützung<br />

zu erfahren. Auch kommt es nicht mehr zu weiteren Straftaten. Arnds Neigung zu impulsiven<br />

Reaktionen und seine Bereitschaft, sich auf riskante Situationen einzulassen, lässt in<br />

dieser Zeit deutlich nach. Dabei kommt Arnd zugute, dass er sich selbst Ziele setzen kann und<br />

ein Bewusstsein von den Risiken entwickelt, die eine Fortsetzung des Problemverhaltens für<br />

seine persönliche Zukunft bedeuten würde. Auch seine zufriedenstellende Schulsituation gehört<br />

zu den positiven Rahmenbedingungen.<br />

5.5 METHODEN: Pädagogische Ansätze, Arbeitsinhalte und Schwerpunkte<br />

Dieses Kapitel befasst sich mit der eigentlichen und unmittelbaren pädagogischen Arbeit. Der<br />

konzeptionelle Schwerpunkt war je nach Standort auf die „klassischen“ Handlungsmethoden:<br />

Einzelfallhilfe und soziale Gruppenarbeit ausgerichtet. Dabei geht es um den innovativen Einsatz<br />

bewährter und neuer Konzepte und die entsprechend „kindgemäße“ Umsetzung dieser<br />

Methoden. Die Anwendungspraxis dieser Methoden in der Sächsischen Jugendhilfe bewegt<br />

sich allgemein bisher noch auf recht niedrigem Niveau. Außerdem gibt es in der Anwendung<br />

bisher nur wenige Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern unter 14 Jahren. Über die gesamte<br />

Projektlaufzeit entstand in den Standorten ein breites Methodenrepertoire. Die Mitarbeiter protokollierten<br />

die methodische Arbeit auf der Grundlage gemeinsam erarbeiteter Vorlagen und<br />

gaben in Interviews darüber Auskunft.<br />

Die pädagogische Arbeit mit delinquenten Kindern zielt auf die Persönlichkeitsentwicklung und<br />

das soziale Lernen. Dabei geht es auf der Grundlage der Vermittlung von Normen und Werten<br />

um den Aufbau eines differenzierten Verhaltensspektrums und die Entwicklung von Handlungsalternativen.<br />

In diesem Zusammenhang standen vor allem die Stärkung sozialer Kompetenzen<br />

(z.B. Einfühlungsvermögen, Selbstkontrolle, positives und gewaltfreies Konfliktlöseverhalten),<br />

die Stärkung des Bewusstseins über Recht und Unrecht, die Förderung der sozialen Integration,<br />

das Erreichen eines angemessenen Selbstwertgefühls und eines positiven Selbstbildes sowie<br />

die Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln. Dazu gehört nicht zuletzt die<br />

sinnvolle Gestaltung der Freizeit.<br />

In dieser Zielformulierung findet sich wieder, was die befragten Kooperationspartner Jugendamt,<br />

Polizei und Schule von <strong>ESCAPE</strong> erwarten. Danach soll <strong>ESCAPE</strong> ein intensives Hilfeangebot<br />

sein, welches den Kindern Zuwendung zukommen lässt, ihnen Normen vermittelt und einen<br />

sinnvollen Beitrag zur Freizeitgestaltung leistet. Auch wenn sich die Aufmerksamkeit zunächst<br />

im engeren Sinne auf die Kinder bezieht, so zielt die Hilfe im weiteren und nachhaltigen Verständnis<br />

auf die Kompetenzförderung und Stärkung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten.<br />

Die positiven Zieldefinitionen bieten weitaus größere Handlungsmöglichkeiten als negativ formulierte<br />

Ziele wie z.B. Abbau von abweichendem Verhalten. Sie ermöglichen eine Orientierung<br />

und Aktivierung vorhandener Ressourcen. Selbst bei gleicher Zielsetzung und bei zum Teil ähnlicher<br />

methodischer Schwerpunktsetzung ist aufgrund der vielfältigen individuellen Einflüsse<br />

und Belastungsfaktoren der Kinder und der standortspezifischen Unterschiede wie Personalausstattung,<br />

regionale Besonderheiten und Rahmenbedingungen die Arbeitsweise in den<br />

Standorten nicht identisch. Ein bewertender Vergleich der methodischen Arbeit zwischen den<br />

Standorten sowohl der Einzelfallhilfe gegenüber Gruppenarbeit als auch der unterschiedlichen<br />

Umsetzung der Gruppenarbeit in Dresden und Riesa ist nur bedingt möglich. Dennoch sollen<br />

ansatzweise Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden.<br />

49


EVALUATIONSBERICHT<br />

5.5.1 Der Hilfeprozess<br />

Der Hilfeprozess basiert auf den pädagogischen Prinzipien: Freiwilligkeit, Lebenswelt- und Ressourcenorientierung.<br />

Auch wenn sich <strong>ESCAPE</strong> primär den handlungsmethodischen Schwerpunkten<br />

Einzelfallhilfe und soziale Gruppenarbeit widmet, geht das Verständnis dieses Hilfeansatzes<br />

darüber hinaus. Trotz der verschiedenen Konzeptionen lässt sich in allen Standorten ein<br />

ähnliches Ablaufschema der Hilfe erkennen. <strong>ESCAPE</strong> versteht sich als ein kurzfristig und zeitlich<br />

begrenztes Angebot. Der Hilfeprozess war zunächst für ca. vier Monate konzipiert. Er gliedert<br />

sich in drei Arbeitsphasen, die im Folgenden zunächst im Überblick dargestellt werden. Auf<br />

die Erfahrungen dieser Phasen wird nachfolgend noch gesondert eingegangen.<br />

Tabelle 5.6. Arbeitsphasen laut Konzeption.<br />

Vermittlungsphase Intensivphase Integrationsphase<br />

�<br />

�<br />

�<br />

Phasen- Kontaktaufnahme, 2x wöchentlich / Wiederholung früherer<br />

inhalte Abklärung des Hilfe- 2 Stunden Training in Programme,<br />

bedarfs, Motivation, der Gruppe bzw. in Ein- Integration in Vereine,<br />

Orientierung,<br />

zelfallhilfe,<br />

Verbände ... (Mobili-<br />

Beziehung aufbauen, Projekte,<br />

tätssteigerung/sozial- Vereinbarung / Kon- Freizeitgestaltung räumliche Orient.),<br />

trakt<br />

Abschiedsprogramm<br />

Auerbach<br />

(3 Monate)<br />

Dresden<br />

(4 Monate)<br />

Riesa<br />

(4 Monate)<br />

50<br />

Beginn der<br />

Elternarbeit<br />

Einzelfallarbeit<br />

ca. 2 Wochen<br />

Einzelfallarbeit und<br />

Gruppenaufbau<br />

ca. 4 Wochen<br />

Einzelfallarbeit<br />

Gruppenaufbau<br />

ca. 4 Wochen<br />

Elternarbeit<br />

Elternarbeit<br />

Einzelfallarbeit Einzelfallarbeit<br />

Gruppenaktivitäten,<br />

Gruppenfahrt<br />

Gruppenarbeit, erlebnis- Gruppe/Einzelarbeit<br />

pädagogische Freizeit<br />

8 Wochen<br />

4 Wochen<br />

Gruppenarbeit, Erlebnispädagogik<br />

Einbeziehung von Freunden<br />

12 Wochen<br />

Nachbetreuung<br />

Vereinbarungen,<br />

weiterführende Angebote,<br />

individuelle Beratung<br />

und Unterstützung<br />

teilweise offene Elternangebote<br />

Verlängerung bzw. Kontakte<br />

nach Bedarf<br />

regelmäßige offene<br />

Nachmittage,<br />

Kontakte nach Bedarf,<br />

Elternsprechstunde<br />

offener Treff<br />

Kontakte nach Bedarf<br />

(1) Vermittlungsphase: Diese Phase umfasst alle Aktivitäten zum Erreichen, Vermitteln und Heranführen<br />

der Zielgruppe an das Angebot als Grundvoraussetzung für eine gelingende Arbeit.<br />

Dabei geht es neben der Entwicklung der verschiedenen Zugangswege und der Zusammenarbeit<br />

mit anderen Institutionen auch um die Abklärung des Hilfebedarfs und der Motivation der<br />

Kinder und Eltern.<br />

(2) Intensivphase: Diese Phase stellte das eigentliche Training in Form von Einzelfallhilfe oder<br />

Sozialer Gruppenarbeit dar. Laut Vereinbarung umfasst die Intensivphase in allen Standorten<br />

zwei Kurs- bzw. Trainingseinheiten zu je zwei Stunden in der Woche. Im Zeitraum dieser intensiven<br />

Trainingsphase von mindestens acht Wochen stand in allen Standorten eine mehrtägige,<br />

erlebnispädagogische Gruppenfreizeit auf dem Programm.<br />

(3) Integrationsphase: Da es sich bei <strong>ESCAPE</strong> um ein kurzzeitiges befristetes Angebot handelt,<br />

stand in dieser Phase verstärkt die Integration der Kinder in bereits bestehende offene Freizeitangebote,<br />

Vereine etc. oder auch in weiterführende Hilfeangebote der Jugendhilfe im Vordergrund.<br />

Diese Phase bereitet den Ablöseprozess vor. Damit verbindet sich das Angebot der<br />

Nachbetreuung.


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

5.5.2 Aufbau einer Trainingseinheit und Arbeitsinhalte<br />

Eine Trainingseinheit besaß in der Regel in allen Standorten eine relativ feste Ablaufstruktur mit<br />

entsprechenden Ritualen im Rahmen sozialpädagogisch orientierter Einzel-, Partner-, Kleingruppen-<br />

und Gesamtgruppenarbeit. Im Wesentlichen setzte sich die Trainingseinheit in allen<br />

Standorten aus zwei Hauptteilen zusammen: einem thematischen Teil und einem eher freizeitund<br />

spielbetonten Teil. Bedenkt man, dass <strong>ESCAPE</strong> nach der Schule und in der Freizeit des<br />

Kindes angeboten wird, so ist insbesondere der freizeitorientierte Trainingsteil für die Motivation<br />

des Kindes unverzichtbar. Wenn es den Mitarbeitern erforderlich erschien, wurde das thematische<br />

Arbeiten auch zurückgestellt. Wiederum unterscheidet sich <strong>ESCAPE</strong> von herkömmlichen<br />

Freizeitangeboten durch inhaltlich-thematische Arbeitsanteile.<br />

Tabelle 5.7. Aufbau einer Trainingseinheit.<br />

Auerbach Dresden Riesa<br />

Reflexion und Rückblick/<br />

Warming up / Spiel 10 min<br />

Training 45 min<br />

Freizeit / Spiel / Projekt 60 min<br />

Auswertung/Tokenvergabe 5 min<br />

Zeitstruktur wird flexibel gehandhabt<br />

Ankommen 20 min<br />

Spiel 10 min<br />

Training 45 min<br />

Sport/Spiel 35 min<br />

Auswertung 10 min<br />

Ankommen / Teatime 15 min<br />

Fahrplan 10 min<br />

schnelles Spiel 10 min<br />

Training /Thema 60 min<br />

Spiel 20 min<br />

Wetterbericht/Feedback 5 min<br />

Wesentliche Arbeitsinhalte des thematischen Teils waren Elemente des Verhaltenstrainings<br />

(Rollen- und Planspiele, Belohnungssysteme), Übungen zur Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />

(Detektivbogen), Provokationstraining zur Kritikfähigkeit oder Frustrationstoleranz (heißer<br />

Stuhl), Kommunikationstraining oder auch schulische Unterstützung (alternative Lernmethoden).<br />

Durch den Einsatz von Videotechnik wurden verstärkt auch medienpädagogische Ansätze<br />

zum Einsatz gebracht. Auch Themen wie Freundschaft, Fairplay, Coolness etc. wurden in der<br />

Sprache der Kinder aufgegriffen und bearbeitet. Die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter einigten sich anfangs<br />

mit den Kindern auf ein Mindestmaß an Regeln, deren Einhaltung in Auerbach und in Dresden<br />

über ein Belohnungssystem verstärkt wurde. Die Auswertung und Punktevergabe erfolgte in einer<br />

Reflexionsrunde am Ende einer jeden Trainingseinheit. Zudem unterstützen die Mitarbeiter<br />

die Kinder bei der Alltagsbewältigung, bei der Bearbeitung von auftretenden Problemen und<br />

Konfliktsituationen.<br />

Der freizeitorientierte Trainingsteil beinhaltete handwerklich-kreative Angebote und Projekte wie<br />

Malen (Fensterbilder, T-Shirts, Seidenmalerei), Graffiti-Gestaltung, Basteln (Holzbearbeitung,<br />

Tonarbeiten), Videoclips, Visitenkarten etc., der Einsatz von Computer und Internet sowie attraktive<br />

und gesellschaftlich positiv bewertete Freizeitangebote wie Sport- und Bewegungsspiele<br />

darunter (Tisch-)Fußball, Tischtennis, Schwimmen, Pedalo, Jonglieren, Go-Kart, Einrad, Radtour,<br />

Reiten etc. sowie Brett-, Karten- und Gesellschaftsspiele wie UNO, Tabu, Halli Galli etc.<br />

Über die erlebnispädagogischen Gruppenfahrten wurden neben den intensiven gruppendynamischen<br />

Prozessen mit Kanu-, Klettertouren etc. primäre Erfahrungswelten angesprochen und<br />

„Grenzsituationen“ erzeugt.<br />

5.5.3 Methodenstatistik<br />

Die nachfolgende Tabelle stellt den Versuch dar, die methodische Arbeit hinsichtlich ausgewählter<br />

quantitativer Aspekte zu erfassen, zu beschreiben und zu vergleichen. Kinder, die das<br />

Hilfeangebot vorzeitig beendeten bzw. abbrachen, blieben in dieser Statistik weitestgehend unberücksichtigt,<br />

da diese zu einer Verzerrung beigetragen hätten. Unberücksichtigt blieb außerdem<br />

aufgrund der speziellen Situation die vierte Gruppe in Dresden. Schwierigkeiten der Erfassung<br />

und Auswertung ergaben sich aus fehlenden schriftlichen Vereinbarungen und der Tatsache,<br />

dass in der 3. Gruppe in Riesa nicht für alle Kinder eine Evaluation möglich war. Die vor-<br />

51


EVALUATIONSBERICHT<br />

liegende Statistik ist nicht über zu bewerten und lässt kaum Aussagen über die Qualität der Arbeit<br />

in den Standorten zu. Sie dient zur Orientierung für eine Leistungsbeschreibung und Finanzierung<br />

einer solchen Maßnahme.<br />

Tabelle 5.8. Methodenstatistik.<br />

Angebotscharakteristik Einzelarbeit mit<br />

Gruppenarbeit<br />

Anzahl/Spanne der Arbeitseinheiten<br />

für Einzelarbeit<br />

52<br />

Auerbach Dresden Riesa Gesamt<br />

Gruppenarbeit mit Einzelfallarbeit<br />

Gruppenarbeit<br />

mit Einzelarbeit,<br />

Einzelfallarbeit<br />

Kombination<br />

25 -57 4-10 4-12 4-57<br />

Anzahl der Gruppen 1 4 3 8<br />

Gruppen Nr. 1 2 3 4 1 2 3<br />

Anzahl der Arbeitseinheiten<br />

(je 2h) einer Gruppe<br />

- 29 27 24 9 21 24 24 9-29<br />

mittlere Beteiligung/ Anwe- Erhöhung durch 83 85 85 - 73 89 84 73-89<br />

senheit in Prozent<br />

Gruppenarbeit<br />

Anzahl Kinder in der EA / 14<br />

4 6 6 4 4 5 4<br />

33<br />

GA (davon abgebrochen)<br />

(3) (0) (1) (2) (2) (0) (1) (0) (9)<br />

Anzahl der Gruppenfahrten 2 4 4 9<br />

Spanne der Betreuungszeit<br />

in Monaten<br />

mittlere Dauer der Hilfe<br />

in Monaten<br />

Anzahl der persönlichen<br />

Elternkontakte<br />

mittlere Anzahl der persönlichen<br />

Elternkontakte<br />

4 - 10<br />

5x eine Verlängerung<br />

3x zwei Verlängerungen<br />

5-8 6-10 4-10<br />

7-8 6-7 7-8 7<br />

7-26 5-14 5-12 5-26<br />

12 10 7 10<br />

In der Tabelle ist der deutlich höhere Anteil der Einzelfallarbeit in Auerbach erkennbar. Das<br />

Spektrum reicht von 25 bis 57 Arbeitseinheiten im Einzelfall. Kinder waren durchschnittlich sieben<br />

bis acht Monate in Betreuung. Die Basisvereinbarungszeit von drei Monaten reichte in der<br />

Regel nicht aus. Verlängerungen waren möglich und kamen bei acht Kindern zur Anwendung.<br />

Jede Verlängerung für zunächst weitere drei Monate wurde erneut vereinbart. In drei Fällen<br />

wurde sogar ein zweites Mal verlängert, so dass sich die Betreuungszeit auf neun bzw. zehn<br />

Monate ausweitete. Die Dauer der Hilfe konnte sich in Auerbach individueller als in den anderen<br />

Standorten am Bedarf des Einzelfalls orientieren. Mit vier Kindern parallel in der Einzelbetreuung<br />

waren die Kapazitäten einer Personalstelle in Auerbach ausgeschöpft.<br />

In Dresden und Riesa vollzog sich eine begleitende Einzelfallhilfe in einem weitaus geringeren<br />

Umfang. Bis zu zwölf Arbeitseinheiten wurden dort im Einzelfall aufgebracht. Über den gesamten<br />

Projektzeitraum wurden in Dresden vier Gruppen mit insgesamt 20 Kindern und in Riesa<br />

drei Gruppen mit insgesamt 13 Kindern durchgeführt. Die Übersicht bringt zum Ausdruck, dass<br />

in Dresden die Abbruchrate am höchsten ausfiel. Allerdings blieb aufgrund fehlender Vereinbarungen<br />

in Riesa die Verbindlichkeit einzelner pädagogischen Beziehungen unklar. Mit Ausnahme<br />

der vierten Gruppe in Dresden lag die Anzahl der Trainingseinheiten einer Gruppe in beiden<br />

Standorten zwischen 21 und 29. Die Teilnahme der Kinder am Projekt dauerte in Dresden<br />

durchschnittlich sechs bis sieben Monate, in Riesa war sie in etwa vergleichbar mit Auerbach.<br />

Im Gegensatz zur Einzelfallhilfe ist der zeitliche Rahmen für Gruppenarbeit sehr viel klarer festlegbar.<br />

Festgeschriebene Verlängerungen der Betreuung gab es nicht.<br />

Die mittlere Beteiligung erfasst die durchschnittliche Anwesenheit der Kinder an geplanten Arbeitseinheiten<br />

und bringt deren Teilnahmebereitschaft zum Ausdruck. Für die Einzelfallhilfe in<br />

Auerbach war eine Auswertung schwierig. Nach Aussagen der Mitarbeiterin erhöhte sich aber


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

die Bereitschaft zur Teilnahme an <strong>ESCAPE</strong> mit der Einführung der offenen Gruppenarbeit im<br />

August 2002 deutlich. Sie stellte demnach eine zusätzliche Motivation für die Kinder dar. In<br />

Dresden lag die durchschnittliche Beteiligung an der Gruppenarbeit immer über 80%. Während<br />

in Riesa die durchschnittliche Beteiligung des ersten Kurses weiter unter 80% lag, vollzog sich<br />

in den beiden weiteren Kursen ein deutlicher Anstieg auf über 80%.<br />

Die Erfassung der persönlichen Elternkontakte bezog sich auf inhaltliche Gespräche, gemeinsame<br />

Aktivitäten etc., die über Terminabsprachen hinausgingen. Die Auswertung der Erhebung<br />

bedarf der Berücksichtigung des Interpretationsspielraums der Mitarbeiter. Durchschnittlich gab<br />

es in Auerbach zwölf, in Dresden zehn und in Riesa sieben persönliche Elternkontakte pro Kind.<br />

Darin kommt zum Ausdruck, dass die Elternarbeit im Standort mit dem konzeptionellen<br />

Schwerpunkt der Einzelfallhilfe gegenüber der Gruppenarbeit in Dresden und Riesa intensiver<br />

war.<br />

5.5.4 Einzelfallarbeit und soziale Gruppenarbeit<br />

Bevor auf einzelne Erfahrungen mit den beiden Handlungsmethoden näher eingegangen wird,<br />

soll zunächst auf theoretische Aspekte Bezug genommen werden.<br />

(A) Einzelfallarbeit: Die Geschichte der professionellen Einzelfallarbeit verbindet sich mit der<br />

Geschichte der Entstehung der Sozialen Arbeit sowie mit den Namen Mary Richmond (1861-<br />

1928) und Alice Salomon (1872-1948). Heute werden zahlreiche Begriffe wie Casework, Einzelfallfallhilfe,<br />

Soziale Einzelarbeit, lebensweltorientierte Individualhilfe, Fallarbeit etc. synonym<br />

verwendet (Pantucek, 1998). Die Ausdifferenzierung und Pluralisierung der Lebenswelten machen<br />

in der Sozialpädagogik eine individuelle Sicht der „Person in der Situation“ erforderlich<br />

(ebd.). Die lebensweltorientierte Einzelfallhilfe beruht dabei nicht auf dem Verständnis, dass<br />

Probleme des Individuums nur im Individuum selbst begründet liegen, sondern sie versucht<br />

vielmehr die individuelle Situation der Person in ihren komplexen Lebenszusammenhängen<br />

ernst zu nehmen, darauf flexibel zu reagieren und die Hilfe situationsadäquat und ressourcenorientiert<br />

zu gestalten. Auf zwei verschiedene praktizierte Ansätze der Einzelfallhilfe soll hier<br />

Bezug genommen werden.<br />

(1) Das KJHG nimmt im § 35 explizit auf die Handlungsmethode Einzelfallhilfe Bezug. Die Intensive<br />

Sozialpädagogische Einzelfallhilfe (ISE) nach § 35 KJHG gilt als eines der intensivsten<br />

Angebote im Rahmen der Hilfen zur Erziehung und erfordert einen Hilfeplan. Die ISE soll Jugendlichen<br />

gewährt werden, die einer intensiven Unterstützung zur sozialen Integration und zu<br />

einer eigenverantwortlichen Lebensführung bedürfen (ebd.). Die Besonderheit dieser Hilfe liegt<br />

in der Intensität der Betreuung auf der Grundlage einer pädagogisch gewachsenen Beziehung.<br />

Die ISE ist gekennzeichnet durch eine Offenheit der Betreuungsform, die sich flexibel und mobil<br />

auf den Adressaten einlässt. Die Hilfe ist in der Regel auf längere Zeit angelegt (ca. zwei Jahre)<br />

und umfasst häufig einen Umfang von ca. 20 Stunden pro Woche. Die Umsetzung der ISE erlaubt<br />

eine große Formenvielfalt. Da diese Maßnahme aufgrund der Intensität sehr teuer ist, findet<br />

sie in der Jugendhilfepraxis mit dem missverständlichen Hilfestatus einer „ultima ratio” in<br />

<strong>Sachsen</strong> nur sehr selten Anwendung (vgl. SMS, 2003, S.192).<br />

(2) Die Ambulante Intensive Betreuung (AIB) ist hingegen eine neue Form der Einzelbetreuung,<br />

die sich als eine Hilfe zur Selbsthilfe versteht, bei der der Aufbau und die Reaktivierung eines<br />

sozialen Netzwerkes im Mittelpunkt der Begleitung steht (Möbius/Klawe 2003). Der Schwerpunkt<br />

liegt dabei nicht auf der direkten methodischen Einflussnahme des Kindes bzw. des Jugendlichen<br />

auf der Grundlage einer persönlichen Beziehung, sondern vielmehr soll das zu aktivierende<br />

Netzwerk zur Veränderung und Stabilität im Leben des jungen Menschen beitragen.<br />

Die Verlagerung vom Ansatz der pädagogischen Beziehung hin zur Orientierung auf das soziale<br />

Netzwerk wird als Paradigmenwechsel bezeichnet. AIB wurde in einer dreijährigen Projektphase<br />

vom Institut für Soziale Praxis (isp) an verschieden Standorten in Deutschland u. a. auch<br />

in Leipzig erprobt. Sie wird mit den Merkmalen beschrieben: kurzfristig, intensiv, ziel-, ressourcenorientiert<br />

und flexibel. Als Zielgruppe der AIB werden bisher in der Regel 14- bis 21-jährige<br />

53


EVALUATIONSBERICHT<br />

genannt, die mit unterschiedlichsten Problemlagen und Krisensituationen konfrontiert sind. Das<br />

zu schaffende soziale Netzwerk wird unterteilt in ein so genanntes individuelles Netzwerk, das<br />

aus <strong>Familie</strong>nmitgliedern, Freunden, Bekannten, Nachbarn etc. besteht und in ein institutionelles<br />

Netzwerk, das sich aus professionellen Helfern der Bereiche Schule, Arbeit, Sozialamt, Wohnen,<br />

Ausbildung, Freizeit, Justiz, Polizei etc. zusammensetzt. AIB erfordert einen Hilfeplan und<br />

lässt sich in Kontakt-, Intensiv- und Kontrollphase einteilen. In der Kontaktphase ist eine "detaillierte<br />

Problembeschreibung" erste Voraussetzung, auf der die zu bewältigenden Schritte zur<br />

Problemlösung im weiteren Hilfeverlauf basieren. Im Bedarfsfall werden innerhalb von ca. zwei<br />

Wochen zunächst akute Notlagen beseitigt. Die Intensivphase umfasst einen Zeitraum von genau<br />

zwölf Wochen, in der gemeinsam durch das Kind und den verantwortlichen Sozialpädagogen<br />

so genannte "VIPs" aus privaten und professionellen Bereichen gefunden werden sollen,<br />

die dem jungen Menschen in Zukunft Halt und Sicherheit geben können. Dafür werden je nach<br />

Bedarf im Durchschnitt pro Jugendlichen zehn Stunden in der Woche aufgebracht. In AIB werden<br />

Zielvereinbarungen abgeschlossen, die den Begleitungsprozess strukturieren. Während<br />

dieser Zeit wird für akute Krisensituationen eine 24-stündige Erreichbarkeit des Sozialarbeiters<br />

gewährleistet. Am Ende der dreimonatigen Intensivphase soll ein wirksames individuelles Unterstützungskonzept<br />

gefunden sein. In der Kontrollphase werden nach zwei, sechs und 18 Monaten<br />

die ehemals begleiteten Jugendlichen nochmals kontaktiert, um die gegenwärtigen Lebensumstände<br />

zu prüfen und notfalls erneut kurzfristig tätig zu werden. Die Hilfe wird in Leipzig<br />

über eine einzelfallbezogene Maßnahmenpauschale mit einem Gesamtstundenumfang von 164<br />

h gewährt und erfolgt in Anlehnung an § 30 KJHG (Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer) in<br />

möglicher Kombination mit § 41 (Hilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung).<br />

Die beiden vorgestellten Ansätze verweisen auf die unterschiedlichen sozialpädagogischen Zugänge<br />

und möglichen methodischen Schwerpunkte der Einzelfallhilfe. Dennoch kann von einer<br />

alternativen Bandbreite einzelfallorientierter Hilfen in der Praxis der Jugendhilfe nicht die Rede<br />

sein. Dafür ist die eine Hilfe zu kostenintensiv und die andere Hilfe noch zu wenig in der Praxis<br />

bewährt. <strong>ESCAPE</strong> reiht sich mit eigener Akzentuierung in die Angebote der Einzelfallhilfe ein<br />

und bietet eine weitere Alternative. Die Einzelfallhilfe im Standort Auerbach versteht sich als eine<br />

kurzfristige und zeitlich befristet Hilfe auf der Basis einer persönlichen Beziehung zwischen<br />

Kind und Pädagogen. Die Hilfe kann im Vorfeld eines aufwendigen Hilfeplanverfahrens möglich<br />

werden. Mit der begleitenden Eltern- bzw. <strong>Familie</strong>narbeit verbindet sich der Anspruch, die Ressourcen<br />

im sozialen Netzwerk zu stärken.<br />

(B) Soziale Gruppenarbeit: In Deutschland kann die Jugendbewegung, als romantisierende Reaktion<br />

auf die unromantischen Bedingungen der industrialisierten Arbeits- und Lebensrealitäten,<br />

als wichtiger historischer Ausgangspunkt für die Gruppenpädagogik angesehen werden (Geißler/Hege<br />

1992). Die Entwicklung der Gruppenpädagogik beruht auf Erkenntnissen der Kleingruppenforschung,<br />

die sich insbesondere mit dem Namen Kurt Lewin (1890-1947) verbinden.<br />

Darin kommt die sozialisierende Funktion und Bedeutung der Gruppe zum Ausdruck, die man<br />

sich in der Gruppenpädagogik für Lern- und Erziehungsprozesse nutzbar macht. Insbesondere<br />

Ende der 60er Jahre konnte sich in Deutschland die soziale Gruppenarbeit in der Sozialen Arbeit<br />

als eigenständige Methode durchsetzen. Die Gruppe wird in Abgrenzung zur Einzelfallhilfe<br />

gezielt als Medium für gruppendynamische Prozesse und vielfältige Interaktionsmöglichkeiten<br />

genutzt.<br />

Soziale Gruppenarbeit steht als Oberbegriff für Angebote einer Pädagogischen Beratung und<br />

Betreuung. In der Jugendhilfepraxis kommen verschiedene gruppenpädagogische Konzepte<br />

zum Einsatz. Dabei lassen sich zwei grundsätzliche Organisationsformen der Gruppenarbeit<br />

unterscheiden: (1) die kursbezogene Gruppenform, die zeitlich befristet ist, eine feste Struktur<br />

aufweist, in der Regel Themen bearbeitet und klare Zielvorstellungen formuliert. Die Aufnahme<br />

erfolgt bei allen Teilnehmern gleichzeitig, ebenso beenden alle den Kurs gleichzeitig (vgl. Münder<br />

1998). Sie ermöglicht einen geschützten Rahmen und eine vertrauensvolle Atmosphäre. Im<br />

54


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Gegensatz dazu sind (2) offene, fortlaufende Gruppenformen längerfristig angelegt. Sie ermöglichen<br />

durch die offene Struktur ein ständiges „Kommen und Gehen“ und damit wechselnde<br />

Teilnehmer. Die Aufnahmen können zu jedem Zeitpunkt erfolgen.<br />

Das KJHG nimmt im Rahmen der Hilfen zur Erziehung im § 29 explizit auf die soziale Gruppenarbeit<br />

Bezug. Die Teilnahme an sozialer Gruppenarbeit kann bei der Überwindung von Entwicklungsschwierigkeiten<br />

und Verhaltensproblemen helfen. Für die Anwendungspraxis empfiehlt der<br />

Gesetzgeber ältere Kinder und Jugendliche. Eine Form der sozialen Gruppenarbeit ist der Soziale<br />

Trainingskurs für straffällige Jugendliche und Heranwachsende, der sich als ambulante<br />

Maßnahme zur Vermeidung stationärer Sanktionen bewährt hat und in der Jugendgerichtshilfepraxis<br />

verstärkt zur Anwendung kommt. Die rechtlichen Grundlagen ergeben sich aus dem § 29<br />

KJHG und dem § 10 Jugendgerichtsgesetz (JGG). Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal<br />

der Sozialen Gruppenarbeit nach § 29 KJHG gegenüber dem Sozialen Trainingskurs nach § 10<br />

JGG ist das Prinzip Freiwilligkeit. Richterliche Weisungen, die zur Teilnahme am Trainingskurs<br />

verpflichten, setzen nicht unbedingt die Motivation eines Jugendlichen an einem Trainingskurs<br />

voraus. Im Umgang mit delinquenten Kindern lassen sich im Rahmen der Sozialen Gruppenarbeit<br />

bewährte Elemente und Erfahrungen aus den Sozialen Trainingskursen wie z.B. Provokationstraining/Anti-Aggressionskurs,<br />

Erlebnispädagogik etc. übertragen, wenn sie in kindgerechter<br />

Form aufbereitet werden. Die Anwendungspraxis der Sozialen Gruppenarbeit nach § 29 KJHG<br />

ist in <strong>Sachsen</strong> sehr gering und als Methode daher unterentwickelt (Zweiter Sächsischer Jugendbericht).<br />

Ein Hilfeplan wäre dazu eigentlich nicht unbedingt erforderlich. Im DVJJ-Journal<br />

2/2001 (Nr.172, 141-150) veröffentlichte Hennig Fischer eine Leistungs- und Qualitätsentwicklungsbeschreibung<br />

für soziale Gruppenarbeit und Soziale Trainingskurse. Erfahrungen sozialer<br />

Gruppenarbeit mit delinquenten strafunmündigen Kindern gibt es bisher nur sehr wenige (Seybold<br />

1996: Sozialer Trainingskurs für Kinder, Welz-Stadelbauer/Schäfer: GRUPPE e.V., soziale<br />

Gruppenarbeit für strafunmündige Kinder). Vor diesem Hintergrund griffen die Standorte Dresden<br />

und Riesa schwerpunktmäßig das Konzept der sozialen Gruppenarbeit auf und erprobten<br />

eine entsprechende Anwendung für diese Zielgruppe. Beide Standorte arbeiteten in der Organisationsform<br />

einer festen Gruppe. In Dresden orientierte sich die Gruppenarbeit am Gruppenphasenmodel<br />

von Bernstein und Lowy (1975) und in Riesa gestaltet sich die Gruppenphase in<br />

Anlehnung an Gudjons „Interaktionsbeziehungen“ (1995).<br />

(C) Erfahrungen aus Einzelfallarbeit und Gruppenarbeit:<br />

� Die Erfahrungen der dreijährigen Modellzeit belegen, dass es weder die Methode Einzelfallhilfe<br />

noch die Methode soziale Gruppenarbeit gibt. Vielmehr handelt es sich dabei um sehr<br />

verschiedene Methoden, Verfahren und Techniken, die die Sozialpädagogen auf der Grundlage<br />

ihrer Erfahrungen, Fähigkeiten und Möglichkeiten mehr oder weniger lebendig und kreativ<br />

zum Einsatz bringen. Dabei geht es nicht um den Einsatz und die Abarbeitung möglichst<br />

vieler Methoden und Übungen, sondern um ein systematisches und zielorientiertes<br />

Vorgehen. Die konzeptionelle Umsetzung realisierte sich in den Standorten mit unterschiedlicher<br />

Qualität.<br />

� Zunächst kann allgemein festgestellt werden, dass sich sowohl Einzelfallarbeit als auch soziale<br />

Gruppenarbeit als wirksame Hilfeform für delinquente Kinder eignet. Keine der beiden<br />

erprobten Handlungsmethoden ist bei Kindern generell der anderen vorzuziehen. Die Methodenwahl<br />

sollte sich an den individuellen Bedingungen und Voraussetzungen orientieren.<br />

Während sich in der Gruppenarbeit soziale Lernprozesse unter Gleichaltrigen effizient auswirken,<br />

kann über die Einzelfallhilfe eine sehr viel individuellere Bezugnahme auf die Bedürfnisse<br />

des Kindes erfolgen und auf aktuelle Probleme reagiert werden.<br />

� Die Erfahrungen der Mitarbeiter lassen Tendenzen einer besseren Eignung einer Methode<br />

hinsichtlich des Alters und des Geschlechts erkennen. Alter: Während die „Jüngeren“ dieser<br />

Altersgruppe (8-12 Jahre) sich leichter für Einzelfallarbeit motivieren lassen, bevorzugen die<br />

55


EVALUATIONSBERICHT<br />

„Älteren“ (ca. 11-14Jahre) eher Gruppenarbeit und drängen darauf, mit Gleichaltrigen zusammen<br />

zu sein. Darin bestätigt sich die Empfehlung des KJHG, bei Gruppenarbeit mit älteren<br />

Kindern zu arbeiten. Allerdings konnten auch erhebliche Entwicklungsunterschiede in<br />

der Altersgruppe der 8-14jährigen festgestellt werden, die bei falscher Zusammenstellung<br />

der Gruppe sehr schnell auch zur Überforderung bzw. Unterforderung beigetragen haben.<br />

Geschlecht: Die Gruppenarbeit war insbesondere für die Jungen ein hoher Motivationsfaktor.<br />

Hingegen genossen die Mädchen eher die Zeit der ungeteilten Zuwendung der MitarbeiterInnen<br />

in der Einzelsituation.<br />

� Für die Gruppenarbeit bestätigte sich, dass es am besten ist, wenn zwei Sozialpädagogen<br />

beiderlei Geschlechts mitarbeiten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des überdurchschnittlich<br />

hohen Anteils an Eineltern-<strong>Familie</strong>n. Durch die Anwesenheit eines männlichen<br />

und eines weiblichen Mitarbeiters ist eine geschlechtsspezifische Arbeit möglich, und<br />

die Kinder können somit den Umgang von Erwachsenen beiderlei Geschlechts erleben. Bestehende<br />

Einstellungen über das Verhalten von Mann und Frau können dadurch neu überdacht<br />

werden. Das Bezugspersonenprinzip der beiden weiblichen Mitarbeiter in Riesa zur<br />

Erhöhung der Beziehungsintensität kann eine geschlechtsbezogene Ausgewogenheit nicht<br />

ausgleichen.<br />

� In <strong>ESCAPE</strong> wurde sowohl mit reinen Jungengruppen, mit gemischten Gruppen als auch mit<br />

einer reinen Mädchengruppe gearbeitet. So wie jede Gruppe eine ganz eigene Dynamik und<br />

Atmosphäre entwickelt, so unterscheiden sich bei unterschiedlicher Geschlechterzusammensetzung<br />

auch die Themen.<br />

� Die Basis für das Erreichen der pädagogischen Ziele von <strong>ESCAPE</strong> ist der Aufbau einer Beziehungsebene,<br />

die von Vertrauen, Echtheit und Offenheit geprägt ist und somit zu einer<br />

(lern)förderlichen Atmosphäre beiträgt. Ein Mitarbeiter umschrieb die Bedeutung mit den<br />

Worten „Die Beziehung ist mehr als das Angebot“.<br />

� Eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende Beziehungsarbeit ist eine vom Kind getragene<br />

Entscheidung zur Teilnahme an <strong>ESCAPE</strong>. Der eigene Entschluss gibt dem Kind von<br />

Beginn an das Gefühl, ernst genommen zu werden und am Geschehen partizipieren zu dürfen.<br />

Um einem noch unschlüssigen oder auch ablehnenden Kind einen Eindruck zu vermitteln<br />

von dem, was bei <strong>ESCAPE</strong> zu erwarten ist, hat sich wie in Auerbach die Möglichkeit einer<br />

Probezeit von ca. zwei Wochen bewährt. Der Prozess der Entscheidungsfindung des<br />

Kindes kann somit pädagogisch genutzt bzw. unterstützt werden und hilft, Ängste zu überwinden.<br />

„Also entschieden haben, hab eigentlich ich, weil - wenn ich nicht wollte, dass ich hier<br />

her will, wär ich auch nicht hier her gekommen. Aber ich hab mal gesagt, das wird bestimmt<br />

ganz lustig, mal hier her gehen und gucken. Kann ja immer noch dann mal<br />

raus gehen. Und so bin ich hierher gekommen und es hat mir gefallen. Deswegen bin<br />

ich drinnen geblieben.“ (Interview mit einem Kind)<br />

� Die Erfahrungen der Projektmitarbeiter haben gezeigt, dass die Kontakt- und Motivationsphase<br />

zu den Eltern und den Kindern im Vorfeld der Einbindung in das Projekt sehr zeitintensiv<br />

ist. Es bestehen mindestens zwei Chancen, die vermittelte Klientel für das <strong>ESCAPE</strong>-<br />

Angebot zu erreichen: einerseits können über das zur Teilnahme bereite Kind im Verlauf der<br />

Hilfe zunächst abweisende Eltern aufgeschlossen werden, anderseits kann über die<br />

Bereitschaft der Eltern die Motivation des Kindes erarbeitet werden. Dort wo die Eltern gegenüber<br />

der Hilfe eine positive Grundhaltung einnahmen, beteiligten sich die Kinder auch<br />

sehr viel regelmäßiger am Training. Eine Vereinbarung, in der sich die Kinder zur Teilnahme<br />

und die Eltern zur Mitarbeit verpflichten, erhöht den Grad der Verbindlichkeit und gibt dem<br />

Handeln einen zeitlichen und inhaltlichen Rahmen. Mit der schriftlichen Vereinbarung erfolgte<br />

der Übergang in die Intensivphase.<br />

� Die Motivation des Kindes ist eine grundlegende Voraussetzung für den Hilfeprozess. Im<br />

Gegensatz zur Gruppenarbeit konnte in der Einzelfallarbeit beobachtet werden, dass die<br />

56


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Motivation der Kinder im Verlauf der Hilfe zunehmend abnimmt. Dies erfordert einen erhöhten<br />

Motivationsaufwand. Es empfiehlt sich daher eine Kombination aus Einzelfallarbeit und<br />

Gruppenarbeit. Ohne die Schwerpunktsetzung aufzugeben, können durch den kombinierten<br />

Einsatz beider Methoden die Vorteile des jeweiligen Ansatzes genutzt und die Nachteile minimiert<br />

werden. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen ergänzt in Auerbach die soziale<br />

Gruppenarbeit das Konzept der Einzelfallhilfe. Seit August 2002 wird soziale Gruppenarbeit<br />

mit einem fortlaufenden Charakter einmal wöchentlich zusätzlich angeboten. Die<br />

Teilnahmebereitschaft und Motivation der Kinder im Projekt stieg dadurch spürbar an.<br />

� So wie in Auerbach die Gruppenarbeit zunehmend ins Konzept integriert wurde, so weitete<br />

sich umgekehrt die Gruppenarbeit in Riesa auf die intensivere Einzelfallhilfe aus. Zwar waren<br />

in Dresden und Riesa Anteile von Einzelfallarbeit in geringem Umfang von Anfang an<br />

ergänzend enthalten, um auch den individuellen Erfordernissen Rechnung tragen zu können.<br />

Dies hatte aber nicht den Status einer eigenen Hilfeform. Diese Erweiterung war dem<br />

Nachteil einer kursbezogenen Gruppenarbeit geschuldet, dass eine Gruppe nur bei einer<br />

bestimmten Anzahl von Kindern und zu einem bestimmten Zeitpunkt möglichst mit allen<br />

gleichzeitig beginnen sollte. Dieser Aspekt verstärkt sich insbesondere in ländlich geprägten<br />

Regionen, wo weitere Anfahrtswege, verschiedene Schulorte und geringerer lokalisierbarer<br />

Bedarf die Zusammenstellung einer Gruppe erschweren. Um mit dem Angebot zeitnah reagieren<br />

zu können, und nicht nur auf den Beginn einer nächsten Gruppe vertrösten zu müssen,<br />

eignet sich der methodische Einsatz von Einzelfallarbeit.<br />

� Die Gruppenarbeit erfolgte im Projekt mit maximal sechs Kindern. Auch wenn diese Anzahl<br />

aus der Sicht der Mitarbeiter als optimal eingestuft wird, halten zwei Sozialpädagogen noch<br />

eine geringfügige Ausweitung für denkbar. Die Erfahrungen haben außerdem gezeigt, dass<br />

die Gruppen mit vier Kindern eigentlich für die gruppenpädagogische Arbeit zu klein waren.<br />

Dort wirkt sich bereits das Fehlen eines Kindes auf die gesamte Trainingsplanung und den<br />

Prozess aus.<br />

� Zur Motivation trug in Auerbach und Dresden der verhaltenstherapeutische Ansatz eines<br />

Belohnungssystems bei. Im Training gesammelte Belohnungspunkte können, nach dem Erreichen<br />

einer vorher bestimmten Punktzahl, durch die Kinder in Freizeitaktivitäten u. a. eingelöst<br />

werden. Dieser Ansatz hat sich im Projekt bei dieser Altersgruppe sehr bewährt. Die<br />

damit verbundene regelmäßige Auswertung diente nicht nur der Motivation und Durchsetzung<br />

vereinbarter Regeln, sondern auch einer Selbst- und Fremdreflexion sowie der Mitbestimmung<br />

und Mitgestaltung im Sinne selbstbestimmter Erlebniseffekte.<br />

� Der fachliche Anspruch von <strong>ESCAPE</strong> geht über die Angebote der Freizeitgestaltung hinaus.<br />

Je realitätsnäher die Inhalte und Übungen sind, umso leichter ist ein Transfer in den Alltag<br />

der Kinder. Weitestgehend war in den Standorten ein systematisches Vorgehen und eine<br />

inhaltliche Struktur deutlich erkennbar. Die methodische Umsetzung orientiert sich an einem<br />

zeitlichen Rahmen. Bewährt haben sich der wiederholte Einsatz von Übungen mit Variationen<br />

und erhöhtem Schwierigkeitsgrad. Es lassen sich in der Gruppenarbeit drei Entwicklungsstufen<br />

herausarbeiten (1) Kennen lernen/Vertrauensaufbau/Regeln, (2) Kooperation/Teamfähigkeit,<br />

(3) Auseinandersetzung/Konfrontation. Dort wo ständig neue Übungen,<br />

Spiele etc. eingesetzt wurden, ging zum Teil die Systematik verloren und blieb die Weiterentwicklung<br />

auf dem Niveau der zweiten Entwicklungsstufe stehen.<br />

� In keinem Standort stand das delinquente Verhalten im Vordergrund der Arbeit. Dennoch<br />

wurde es in unterschiedlicher Form thematisiert und bearbeitet. Die Einzelfallarbeit ermöglichte<br />

eine individuellere Auseinandersetzung mit dem Fehlverhalten. So fanden dort auch<br />

ganz gezielt und erfolgreich Wiedergutmachungsleistungen statt, die mit pädagogischer Begleitung<br />

eine Opferperspektive vermittelte und Gelegenheit zur verständigungsorientierten<br />

Konfliktschlichtung ermöglichte. Die Einzelfallhilfe ermöglicht mehr Zeit für den Einzelnen,<br />

und damit verbunden auch entsprechend breiteren Raum für individuelle Zuwendung und<br />

57


EVALUATIONSBERICHT<br />

Anerkennung. Während die Gruppenarbeit eher einen geschlossenen Rahmen bietet, kann<br />

die Einzelarbeit methodisch intensiver in das soziale Umfeld hineinwirken. In einem Standort<br />

kamen hingegen in der sozialen Gruppenarbeit Elemente aus Sozialen Trainingskursen und<br />

Anti-Aggressionstraining wie heißer Stuhl etc. in abgewandelter und kindgemäßer Weise<br />

zum Einsatz. Die Erfahrungen waren in verschiedenen Gruppen nicht in gleicher Weise positiv.<br />

Positive Erfahrungen gab es hingegen bei der Übertragung der Gruppenleitung auf die<br />

Kinder. Jedes Kind durfte dabei einmal das Training der Gruppe selber leiten und gestalten.<br />

� Die konzeptionelle Überlegung in Riesa, auch Freunde der Zielgruppe in <strong>ESCAPE</strong> einzubeziehen,<br />

um Stigmatisierungen vorzubeugen, blieb ohne Erfolg. Die Einführung des offenen<br />

Freizeitangebotes mit dem „Tag der offenen Tür“ rückte diesem Ansatz zwar ein wenig näher,<br />

allerdings wurden die anfänglichen gescheiterten Versuche zu schnell negativ verallgemeinert<br />

und dieses Ziel im Projektverlauf sehr früh aus dem Auge verloren.<br />

� Aus den Erfahrungsberichten aller Standorte leitet sich eine allgemein positive Bilanz der<br />

ergänzenden mehrtägigen erlebnispädagogischen Gruppenfahrten ab. Die Gemeinschaft ist<br />

in dieser Zeit sehr viel intensiver. Die Gruppenfahrten dienen, neben den gruppendynamischen<br />

Effekten auch dem Zwecke primärer Erlebnisse und der Konfrontation mit Grenzerfahrungen.<br />

Die Wirkung dieser erlebnispädagogischen Fahrten wird in Frage gestellt, wenn<br />

diese lediglich Klassenfahrtcharakter im Verständnis einer Aneinanderreihung von Events<br />

beinhalten wie Museum, Kino, Mc Donald´s etc. Auch wenn es Situationen gab, in denen<br />

die Ereignisse eskalierten, so konnten diese doch meist konstruktiv weiterverarbeitet werden.<br />

Von Bedeutung ist deshalb die zeitliche Einordnung im Gesamtprogramm. Die Fahrten<br />

sollten einerseits nicht zu früh angesetzt werden, da eine gewisse Vertrauensebene notwendig<br />

ist, andererseits auch nicht zu spät, damit die Dynamiken weiterverarbeitet und<br />

nutzbar gemacht werden können. Es empfiehlt sich, diese Maßnahme im zweiten Drittel zu<br />

platzieren.<br />

� Die konzeptionell angedachte Dauer der Hilfe von vier Monaten konnte in keinem Standort<br />

umgesetzt werden. Die Möglichkeit der Verlängerung der Einzelfallhilfe im Standort Auerbach<br />

hat sich bewährt. Realistischer erscheint als Orientierungsmaß eine Betreuungszeit<br />

von ca. sechs Monaten in Abhängigkeit vom Einzelfall oder auch unter Berücksichtigung<br />

von Ausfallzeiten in den Schulferien. Eine geläufige Faustregel besagt, dass erzieherische<br />

Hilfen über sechs Monate einen Hilfeplan nach § 36 KJHG erforderlich machen. <strong>ESCAPE</strong><br />

könnte somit mit einer Dauer von sechs Monaten einem Hilfeplan vorgelagert sein.<br />

5.5.5 Eltern- und <strong>Familie</strong>narbeit<br />

In der Jugendhilfe nahm Elternarbeit lange Zeit nur eine Randposition ein. Die Hilfe richtete sich<br />

ausschließlich auf das Kind bzw. den Jugendlichen. Das soziale Umfeld des Kindes fand dabei<br />

nur wenig Berücksichtigung. Erst im Rahmen der Methodendiskussion in den 60er Jahren und<br />

später dann mit dem neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz und den lebensweltorientierten Konzepten<br />

der Jugendhilfe zu Beginn der 90er Jahre gewann Elternarbeit immer mehr an Bedeutung.<br />

Die Intensivierung von Elternarbeit resultiert aus der Einsicht, dass Kinder und Jugendliche<br />

„im Kontext ihrer Lebenslage in ihrer sozialen Situation gesehen werden müssen, dass Hilfe<br />

oft nur in solchem Kontext effektiv sein kann“ (BMJFFG 1990, S. 79). Die sozialpädagogische<br />

Aufgabe in der Elternarbeit ist dementsprechend, „dass sie Müttern, Vätern und Kindern dabei<br />

hilft, tragfähige und befriedigende Beziehungen zu entwickeln, mit Krisensituationen fertig zu<br />

werden und ihre Innen- und Außenbeziehungen so zu gestalten, dass alle Mitglieder des <strong>Familie</strong>nsystems<br />

die Chance zur Selbstverwirklichung erhalten“ (Leube 1996, S. 159). Ziel ist somit<br />

die Handlungskompetenz der Eltern derart zu erweitern, dass sie fähig sind, Probleme und Aufgaben<br />

so weit wie möglich selbst zu lösen. Gerade wenn es um die Bewältigung von Delinquenz<br />

bei Kindern geht, ist vor allem die Interaktion in der <strong>Familie</strong> von Bedeutung (vgl. Rieker<br />

2001, S. 5). In einer Teiluntersuchung wurden dazu die Mitarbeiter in den Standorten und am<br />

58


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Projekt beteiligte Eltern befragt sowie Protokolle ausgewertet. Die Ergebnisse lassen sich wie<br />

folgt zusammenfassen.<br />

� Elternarbeit ist ein gesetzlich fixierter und methodisch unverzichtbarer Bestandteil. Sie stellt<br />

eine wichtige Voraussetzung für die Nachhaltigkeit der Hilfe dar und erfordert viel Zeit. Die<br />

Einbeziehung der Eltern besaß in allen Standorten eine hohe Relevanz. Dennoch waren die<br />

konzeptionellen Überlegungen in Bezug auf die Elternarbeit nur wenig konkret. Aufgrund der<br />

strukturellen Anfangsschwierigkeiten begann eine Intensivierung der Elternarbeit erst im<br />

zweiten Projektjahr.<br />

� Die Reaktionen der Eltern auf das delinquente Verhalten ihrer Kinder sind häufig straforientiert<br />

(Fernsehverbot, Stubenarrest) und lassen fehlende erzieherische Kompetenzen erkennen.<br />

Ziele der Elternarbeit sind daher die Erarbeitung von Bewältigungs- und Handlungsstrategien<br />

und die Überwindung von Hilflosigkeit, um von Seiten der Eltern angemessener<br />

auf das abweichende Verhalten ihrer Kinder reagieren zu können.<br />

� Das Interesse der Eltern besteht vor allem in einer schnellen Symptombeseitigung, d.h. der<br />

Vermeidung von erneutem straftatverdächtigem Verhalten. Ihre Erwartungen beziehen sich<br />

somit in erster Linie auf das Kind und sie zeigen kaum ein Interesse an einer weitergehenden<br />

Hilfestellung für sich selbst. Die Pädagogen dagegen sind um eine grundlegende Intervention<br />

bemüht.<br />

� Bei den Eltern zeigt sich häufig ein fehlender Problembezug und die Fähigkeit Zusammenhänge<br />

zwischen familialer Situation und dem abweichenden Verhalten des Kindes zu erkennen.<br />

Eine zentrale Aufgabe in der Elternarbeit besteht deshalb darin, eine Problemeinsicht<br />

bei diesen Eltern zu entwickeln sowie das Bewusstsein für bestehende Zusammenhänge<br />

zu fördern.<br />

� Aufgrund der schwierigen Erreichbarkeit und mangelnden Kooperation einiger Eltern ließ<br />

sich die Elternarbeit in den Standorten nur schwer systematisch durchführen. Manche Eltern<br />

entzogen sich der Hilfe permanent, zu anderen gelang der Kontakt nur über Gehstrukturen.<br />

So war der Hausbesuch mitunter die einzige Möglichkeit, manche <strong>Familie</strong>n zu erreichen.<br />

� Die Elternarbeit zeigte bei einem auf wenige Monate befristeten Training seine Grenzen im<br />

Hinblick auf den Beziehungsaufbau. Erfahrungen haben gezeigt, dass die Motivation der Eltern<br />

im Hilfeverlauf tendenziell zunimmt. Eltern die anfangs das Projekt ablehnten, suchen<br />

im Projektverlauf zunehmend das Gespräch und die Beratung. Überwiegend waren es die<br />

Mütter, die im Kontakt mit den <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeitern standen.<br />

� Bei den Eltern lassen sich hinsichtlich der Bereitschaft zur Zusammenarbeit tendenziell drei<br />

Gruppen unterscheiden, die mit hoher, mittlerer und geringer Motivation beschrieben werden<br />

können. Die Bereitwilligkeit zur Kooperation steht im Zusammenhang damit, welche<br />

Rolle das Hilfeangebot für die Eltern spielt und welche Erwartungen die Eltern an das Projekt<br />

haben. Das Projekt wird von den Eltern vielfach als gute Freizeitmöglichkeit betrachtet,<br />

was für die Eltern gleichzeitig die größte Unterstützung darstellt. Von Seiten der Eltern wird<br />

das delinquente Verhalten der Kinder auch auf fehlende und unangemessene Freizeitangebote<br />

zurückgeführt. Bei Eltern, die das Projekt als reine Freizeitbeschäftigung betrachten,<br />

besteht keine wirkliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Diese Eltern entziehen sich vielmehr<br />

der Verantwortung für die Problemlösung und delegieren die Verantwortung an das<br />

Projekt. Höhere Motivation ist hingegen bei den Eltern erkennbar, die das Projekt als Anstoß<br />

sehen, Hilfe anzunehmen. Diese Eltern sehen die Bedeutung des Projektes neben der Beschäftigung<br />

des Kindes hauptsächlich in der konkreten Einflussnahme auf das Kind (Verhaltensänderung)<br />

sowie vereinzelt in einer Hilfestellung für die <strong>Familie</strong>.<br />

� Wichtige Bestandteile der Elternarbeit sind sowohl Hausbesuche als auch im Projekt stattfindende<br />

Gespräche. Hausbesuche lassen oft eine ungezwungene Atmosphäre entstehen,<br />

die sich insgesamt positiv auf die Zusammenarbeit mit den Eltern auswirkt. Zum anderen<br />

zeigt sich, dass das Kennenlernen der Projektarbeit in den Räumlichkeiten eine intensivere<br />

59


EVALUATIONSBERICHT<br />

Auseinandersetzung mit der Thematik bei den Eltern ermöglicht, da beim Hausbesuch häufig<br />

Störfaktoren auftreten können.<br />

� Eine besondere Bedeutung in der informellen Elternarbeit kommt den „Tür- und Angel-<br />

Gesprächen“ zu, da sie den Vertrauensaufbau zwischen Eltern und Pädagogen fördern, einen<br />

regelmäßigen Austausch gewährleisten sowie die Gelegenheit bieten, Eltern mit ihrem<br />

Kind unbefangen zu erleben.<br />

� Inhalte der Elterngespräche sind vor allem das Erleben der Kinder bei <strong>ESCAPE</strong> (Entwicklungen<br />

der Kinder während der Gruppenarbeit), Entwicklungsprozesse zu Hause sowie teilweise<br />

Erziehungsberatung, Paarberatung und Problembearbeitung der Eltern.<br />

� Eine positive Resonanz fand im Standort Dresden die Einführung einer wöchentlichen Elternsprechstunde<br />

zur Beratung sowie eines monatlichen Elterntreffs. Der Elterntreff diente<br />

dabei vor allem als Freizeitangebot und zum gegenseitigen Austausch zwischen den Eltern.<br />

Beide Angebote stellten eine wirksame niedrigschwellige Ergänzung dar. Die geplante Elterngruppe,<br />

die parallel zur Kindergruppe einmal wöchentlich stattfinden sollte, kam nicht<br />

zustande.<br />

� <strong>Familie</strong>narbeit geht über Elternarbeit hinaus und bezieht alle <strong>Familie</strong>nmitglieder bzw. Personen<br />

im Nahraum des Kindes mit ein. Der Einsatz einer Netzwerkkarte eignete sich am Beginn<br />

der Maßnahme gut, um mit dem Kind über die <strong>Familie</strong> und das soziale Netzwerk ins<br />

Gespräch zu kommen, um dann auch Personen zu finden, die im sozialen Nahraum für das<br />

Kind eine Ressource darstellen. Dennoch fand eine konkrete Einbeziehung der gesamten<br />

<strong>Familie</strong> in den Hilfeprozess kaum statt. Vereinzelt erfolgten gemeinsame Ausflüge oder<br />

Freizeitaktivitäten, an denen auch Geschwister teilnahmen. In den meisten Fällen jedoch<br />

beschränkte sich der Kontakt auf einen bzw. beide Elternteile. Die Kontakte mit Geschwistern<br />

waren eher spontaner und informeller Natur.<br />

� Gemeinsame Ausflüge vermittelten den Mitarbeitern einen direkten Einblick in den persönlichen<br />

Umgang der Eltern mit ihren Kindern und umgekehrt erlebten die Eltern den Umgang<br />

der Mitarbeiter mit ihren Kindern. Eine solche Konstellation ermöglicht ein effektives „Lernen<br />

am Modell“.<br />

� Elternarbeit hat ihre Grenze bei den <strong>Familie</strong>n, die aufgrund ihrer Problemlagen zum Teil einer<br />

therapeutischen Behandlung bedürfen. Die Aufgabe des Projekts wird daher darin gesehen,<br />

den Bedarf erkennbar zu machen und eine Vermittlung in andere Hilfeangebote zu<br />

gewährleisten.<br />

� Insgesamt gewann die Elternarbeit im Laufe der Projektzeit an Bedeutung und auch an Intensität.<br />

Die Elterngespräche liefen zielgerichteter ab. Zudem wurden die Eltern mehr und<br />

bewusster bei der Zielbestimmung wie auch bei Kontakten zur Schule, Sozialpädagogischen<br />

<strong>Familie</strong>nhilfe oder Fachärzten etc. mit einbezogen. Der Grad der Einbeziehung der<br />

Eltern ist entscheidend für die Wirksamkeit des Hilfeangebotes. Die Elternarbeit konnte in<br />

Ansätzen entwickelt werden, dennoch entsprach sie insgesamt nicht der hohen Relevanz,<br />

die ihr beigemessen wird. Die Mitarbeiter brachten in allen Standorten zum Ausdruck, dass<br />

die Möglichkeiten für die Elternarbeit im Rahmen von <strong>ESCAPE</strong> nur sehr begrenzt sind.<br />

Dennoch lassen sich noch erhebliche Ressourcen vermuten.<br />

5.5.6 Soziale Integration und Nachbetreuung<br />

Jede pädagogische Intervention ist eine Beziehung auf Zeit. In einem auf Selbsthilfe und Autonomie<br />

ausgerichteten Verständnis von Hilfe sollte sich der Pädagoge überflüssig machen. Ein<br />

auf persönliche Beziehungsarbeit ausgerichtetes Konzept erfordert daher einen geplanten Prozess<br />

der sozialen Integration und eine behutsame Ablösung. Damit verbindet sich die pädagogische<br />

Gratwanderung von Nähe und Distanz. Je intensiver eine Beziehung ist und je länger sie<br />

besteht, umso mehr Energie und Beachtung braucht der Prozess der Ablösung (vgl. Geißler<br />

1992). Die Klientel muss darauf vorbereitet und frühzeitig damit konfrontiert werden. Dazu be-<br />

60


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

darf es der Transparenz über die zeitliche Struktur der Maßnahme. Eine abrupte Beendigung<br />

kann Verlustängste erzeugen, zu Überforderungen führen und den Erfolg der Hilfe gefährden.<br />

Schwellensituationen von der Gegenwart in die Zukunft können durch Reflexion, Rituale und<br />

Zeremonien erleichtert werden. Die Betrachtung der gemeinsamen Zeit und das Aufzeigen von<br />

Perspektiven können dabei ganz hilfreich sein (ebd.). „Loslassen vs. Binden“ berührt aber<br />

zugleich auch das Thema Auslastungszahlen und finanzielle Interessen eines Trägers. Keinesfalls<br />

darf eine Entscheidung zur Verlängerung einer Maßnahme als Selbstzweck dienen. Die<br />

Phase „danach“ stellt in Konzeptionen oftmals eine Schwachstelle dar.<br />

� In allen Modellstandorten werden die Kinder aus dem Projekt verabschiedet. Der Abschluss<br />

von <strong>ESCAPE</strong> wird vorbereitet und der Übergang in Form von Nachbetreuung begleitet. Der<br />

Prozess zur sozialen Integration, Ablösung und Nachbetreuung gestaltete sich allerdings<br />

unterschiedlich intensiv. Dass es sich bei <strong>ESCAPE</strong> um ein kurzfristiges und zeitlich begrenztes<br />

Angebot handelt, muss allen Beteiligten von Beginn an mit der schriftlichen Vereinbarung<br />

und möglichst einem darin vorläufig festgelegten Zeitpunkt bewusst gemacht<br />

werden.<br />

� Der Ablöseprozess erfolgt schrittweise durch eine Verringerung der Intensität des Trainings<br />

die verbunden ist mit einer Vergrößerung der Abstände zwischen den Kurseinheiten und einer<br />

zunehmenden Freizeitorientierung. Zugleich vollzieht sich eine verstärkte individuelle Integrationsarbeit.<br />

Dazu bedarf es einerseits der Kenntnisse über die Interessen und Stärken<br />

der Kinder, andererseits der Kenntnisse über vorhandene Möglichkeiten und Angebote im<br />

Stadtgebiet. Auf diese Weise soll zugleich auch in den Sozialraum hineingewirkt und dieser<br />

entsprechend dem Bedarf der Kinder mitgestaltet werden. Im Dresdner Konzept lag darin<br />

explizit der Sozialraum- und Regionalbezug im Stadtteil Dresden-Prohlis begründet. Im<br />

Konzept in Auerbach war aus diesem Grund die regionale Erforschung der Lebenswelt vorgesehen.<br />

� In Dresden beginnt diese soziale Integration eigentlich bereits mit der ersten Kurseinheit.<br />

Eine Stadtralley führt die Kinder mit Aufgaben durch den Stadtteil. Bereits dabei lernen die<br />

Kinder verschiedene Einrichtungen und Freizeitangebote kennen. So kam es sogar vor,<br />

dass Kinder bereits dabei ein neues Hobby für sich entdeckten. Die Konsequenz war eine<br />

unregelmäßige Teilnahme an <strong>ESCAPE</strong> aufgrund dieser Hobbyaktivitäten. Auch wenn der<br />

Junge die Vereinbarung von <strong>ESCAPE</strong> nicht befolgte, kann das in diesem Beispiel positiv<br />

bewertet werden.<br />

� Die Außenorientierung der Integrationsphase kann sich gestalten in Form von Absprachen<br />

für Probetrainings in Sportvereinen, Hobbymannschaften etc. oder im begleiteten Ausprobieren<br />

verschiedener Freizeitaktiviten, -einrichtungen und –angebote, die eine gewisse Regelmäßigkeit<br />

ermöglichen und sozial-akzeptiertes Freizeitverhalten entwickeln helfen. Wenn<br />

erforderlich, wird auch in andere weiterführende Hilfemaßnahmen der Jugendhilfe vermittelt,<br />

ggf. unter Einbeziehung der ASD-Mitarbeiter des Jugendamtes.<br />

� Die Bedeutung der Abschiedsrituale wurde in allen Standorten entsprechend berücksichtigt<br />

und drückt sich sehr unterschiedlich aus. Es werden Abschlussfeiern und z.T. auch Abschlussfahrten<br />

durchgeführt, die mit den Kindern geplant und vorbereitet werden. In Dresden<br />

wurde eine zweitägige Abschlussfahrt für alle <strong>ESCAPE</strong>-Kinder durchgeführt, die während<br />

der Modellphase im Projekt waren.<br />

� In einem Abschlussgespräch i.d.R. gemeinsam mit dem Kind und den Eltern erfolgt eine Reflexion<br />

und subjektive Einschätzung der Hilfe und es werden Perspektiven für ein mögliches<br />

weiteres Vorgehen, zum Beispiel die Möglichkeit der Nachbetreuung, aufgezeigt. Diese Gespräche<br />

setzen einerseits den Schlusspunkt der Maßnahme, andererseits signalisieren sie,<br />

dass die <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter weiterhin als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.<br />

� In Auerbach bewährte sich ein Abschlussbrief an die Kinder, der ihnen nochmals eine Wertschätzung<br />

vermitteln soll und die Erinnerungen an die Zeit im Projekt dokumentiert.<br />

61


EVALUATIONSBERICHT<br />

� Mit dem Angebot der Nachbetreuung bleiben die Sozialpädagogen den Kindern und Eltern<br />

als Ansprechpartner erhalten, und umgekehrt bekommen die Mitarbeiter Rückmeldungen<br />

über den Erfolg ihrer Arbeit. In Auerbach läuft auch die Nachbetreuung in Einzelbetreuung<br />

mit der ergänzenden Möglichkeit, einmal wöchentlich an einer Gruppe teilzunehmen. In<br />

Dresden erfolgt die Nachbetreuung 14tägig als gruppenübergreifendes Freizeitangebot, wofür<br />

eine Einverständniserklärung der Eltern benötigt wird. In Riesa geben im Rahmen der<br />

Nachbetreuung die „selbst organisierten Treffen“ die Möglichkeit die Räume und offenen<br />

Angebote von <strong>ESCAPE</strong> weiter zu nutzen und mit den Mitarbeitern im Gespräch zu bleiben.<br />

� Auch wenn das Angebot der Nachbetreuung in den Standorten unterschiedlich angenommen<br />

wurden, stellt sie im Gesamtkonzept einen bedeutenden Aspekt von <strong>ESCAPE</strong> dar. Insbesondere<br />

in Dresden gab es eine sehr positive Resonanz der Nachbetreuungsangebote.<br />

Das ging so weit, dass Kinder darüber auch in Erfahrung bringen, welche Kinder denn als<br />

nächstes von <strong>ESCAPE</strong> betreut werden.<br />

� <strong>ESCAPE</strong> übernimmt somit für die Kinder, die Hilfe benötigen, eine Vermittlungsfunktion in<br />

Freizeitangebote und Einrichtungen.<br />

� Oft wurde eine weiterführende Hilfe von den Mitarbeitern empfohlen. Keinesfalls darf es zu<br />

einem unvermittelten Weiterreichen des Kindes an die nächste Institution kommen, das eine<br />

bereits bestehende Vertrauensbeziehung zwischen dem Sozialarbeiter und dem Kind unterbricht.<br />

5.6 Wirksamkeit und Akzeptanz<br />

Bekanntlich ist der Erfolg einer pädagogischen Intervention schwer nachzuweisen. Die Bewertungsmaßstäbe<br />

werden je nach Zugang, Berufs- und Forschungsverständnis unterschiedlich<br />

angesetzt. Oberstes Ziel der Jugendhilfe ist die Förderung der Entwicklung des jungen Menschen<br />

und die Erziehung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit (§1 KJHG). Pädagogische<br />

Langzeiteffekte bedürfen einer kontinuierlichen Förderung und Zuwendung. So lassen sich<br />

nur bedingt durch kurzfristige Fremdhilfemaßnahmen tiefgreifende Veränderungen erzielen.<br />

Vielmehr muss es gelingen, Prozesse in Gang zu setzen, deren Erfolg sich nicht unmittelbar<br />

nach Abschluss der Maßnahme einstellt, sondern darüber hinaus reicht. Dennoch kann sich die<br />

Pädagogik einer Qualitätsdiskussion und einem Bewertungsanspruch nicht entziehen. Im Rahmen<br />

der wissenschaftlichen Begleitung wurde mittels quantitativer und qualitativer Instrumente<br />

der Versuch unternommen, einzelne Aspekte hinsichtlich der Wirksamkeit und Akzeptanz des<br />

<strong>Modellprojekt</strong>es <strong>ESCAPE</strong> herauszuarbeiten. Dazu gehören eine Recherche über die Rückfälligkeit<br />

der teilnehmenden Kinder, eine Analyse über mögliche Einstellungsänderungen, die subjektive<br />

Bewertung der Hilfe durch die Kinder, Eltern und Sozialarbeiter sowie eine Auswahl ausgewählter<br />

Interviewaussagen über das <strong>ESCAPE</strong>-Angebot.<br />

5.6.1 Rückfalligkeit<br />

Die Rückfälligkeit bzw. Legalbewährung stellt ein für die Außenwahrnehmung bedeutsames Erfolgskriterium<br />

eines Interventionsprogramms für Kinder mit delinquentem Verhalten dar. Die<br />

Rückfallquote gibt die Anzahl bzw. den Anteil der Kinder wieder, die nach dem Hilfsprogramm<br />

erneut durch delinquente Verhaltensweisen in Erscheinung getreten sind. Die Zeiträume zwischen<br />

Beendigung der einzelnen Maßnahmen und der Evaluation des <strong>Modellprojekt</strong>s betragen<br />

zwei bis 27 Monate. Die Datengrundlage zur Erfassung der Rückfälligkeit ist die Sonderrecherche<br />

des sächsischen Landeskriminalamtes im Polizeilichen Auskunftssystem (PASS) vom<br />

Stand 31. Mai 2003 bezogen auf die Regionen der Modellstandorte. Somit beziehen sich die<br />

folgenden Ergebnisse ausschließlich auf das polizeiliche Hellfeld. In dieser Recherche können<br />

daher keine vollständig zuverlässigen Angaben über die Rückfälligkeit der teilnehmenden Kinder<br />

erwartet werden.<br />

62


Tabelle 5.9. Kinder im Projekt, die im Polizeilichen Auskunftssystem in <strong>Sachsen</strong> (PASS) erfasst sind.<br />

Name 1)<br />

Geschlecht/<br />

Ort im Projekt<br />

<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Tatzeit und<br />

<strong>ESCAPE</strong> Straftaten Straftaten<br />

Alter in Monaten vor während nach einzeln in Gruppe gesamt<br />

Albert m/11 Auerbach 9 2 2 3 1 4<br />

Clemens m/12 Auerbach 6/Abbrecher 1 4 5 5<br />

Hans m/12 Auerbach 9 3 1 2 3<br />

Jörg m/12 Auerbach H.n.n.b. 2) 2 2 2<br />

Moritz m/12 Auerbach 7 2 1 3 3<br />

Theo m/13 Auerbach 5 2 2 2<br />

Arnd m/13 Auerbach 6 2 2 2<br />

Rolf m/12 Auerbach/EFR 3) 8 1 1 1<br />

Lukas m/13 DD-Prohlis 7 27 1 4 24 28<br />

Till m/13 DD-Prohlis 1/Abbrecher 9 1 2 8 10<br />

Matthias m/9 DD-Prohlis 2/Abbrecher 11 12 14 9 23<br />

Richard m/8 DD-Prohlis Abbrecher 1 2 2 1 3<br />

Marek m/14 DD-Prohlis 5 5 4 6 3 9<br />

Silvio m/12 DD-Prohlis 5 2 1 1 2<br />

Emil m/13 Riesa 3/Abbrecher 1 2 2 1 3<br />

Oskar m/14 Riesa 5 13 3 10 13<br />

Norbert m/11 Riesa 7 1 1 1<br />

Achim m/13 Riesa 6/Abbrecher 9 3 2 10 12<br />

Daniel m/13 Riesa 6/Abbrecher 5 5 5<br />

Axel m/13 Riesa 7 5 2 3 5<br />

Bernd m/13 Riesa 7 2 2 2<br />

Nora w/10 Riesa 4/Abbrecher 2 2 2<br />

Karsten m/11 Riesa/GRH 4) 8 1 1 1<br />

Jana w/14 Riesa/GRH 7 1 1 1<br />

Carmen w/13 Riesa/GRH 7 4 4 4<br />

Katrin w/13 Riesa/GRH 7 1 1 1<br />

Pascal m/12 Riesa/GRH 8 11 11 11<br />

N=27 23/m 4/w Gesamt 123 5/10 8/25 56 102/64% 158<br />

1)<br />

Namen geändert<br />

2)<br />

<strong>ESCAPE</strong>-Hilfe ist noch nicht beendet<br />

3)<br />

EFR… Ellefeld, Falkenstein und Rodewisch (territoriale Einbeziehung der angrenzenden Gemeinden von Auerbach)<br />

4) GRH…Landkreis Riesa Großenhain<br />

In der Tabelle sind die teilnehmenden Kinder mit geänderten Namen erfasst, die mindestens<br />

einmal mit straftatrelevantem Verhalten in Erscheinung getreten sind und dabei von der Polizei<br />

erfasst wurden. Dabei handelt es sich insgesamt um 27 Kinder (in Auerbach acht, in Dresden<br />

sechs, in Riesa dreizehn), vier davon sind weiblich. Drei Kinder sind aus dem Dunkelfeld ins<br />

Projekt vermittelt und erst während bzw. nach <strong>ESCAPE</strong> erstmalig polizeilich erfasst wurden.<br />

Von den insgesamt 27 Kindern sind fünf Kinder während der <strong>ESCAPE</strong>- Maßnahme mit insgesamt<br />

zehn Delikten und acht Kinder nach der Maßnahme mit insgesamt 25 Delikten erneut aufgefallen.<br />

In Auerbach fiel ein Kind während und nach <strong>ESCAPE</strong> auf. Unter den acht Kindern waren<br />

allein fünf Kinder, die die Hilfe vorzeitig beendet bzw. abgebrochen haben. So gesehen<br />

reduziert sich die Anzahl der rückfälligen Kinder, die das Projekt abgeschlossen haben auf drei.<br />

Bezieht man die Gesamtanzahl der registrierten Rückfälle nach <strong>ESCAPE</strong> auf die Grundgesamtheit<br />

der 55 Teilnehmer, so ergibt sich eine Rückfallquote von 14,5%, bezieht man sich nur<br />

63


EVALUATIONSBERICHT<br />

auf die rückfälligen Kinder, die das Projekt beendet haben, so ergibt sich eine Rückfallquote von<br />

5,4%. Diese geringe Quote kann durchaus als ein Erfolg der Hilfe gesehen werden.<br />

Um genauere Angaben über die Rückfälligkeit zu erhalten, wäre es günstiger, zum einen die<br />

Kinder selbst, aber auch die Eltern oder das Jugendamt zu befragen. Zum anderen sollte der<br />

zeitliche Abstand zwischen Beendigung der Intervention und Feststellung der Rückfälligkeit<br />

größer sein, um die Nachhaltigkeit der Maßnahme besser einschätzen zu können.<br />

5.6.2 Einstellungsänderungen<br />

Eine wichtige Voraussetzung für eine Verhaltensänderung der Kinder ist die Änderung ihrer Einstellungen<br />

und ihres Erlebens. Zur Erfassung potentieller Veränderungen, die im Sinne der Zielstellung<br />

und der Wirksamkeit des Projektes interpretiert werden können, diente der Einsatz des<br />

Persönlichkeitsfragebogen PFK 9-14 Jahre von Seitz und Rausche (1992) im Prä-Post-Design<br />

(vgl. Teiluntersuchung VII im Anhang). Die erste Erhebung fand jeweils unmittelbar zu Beginn<br />

der Maßnahme statt. Die Post-Erhebung wurde mit Beendigung der Intervention durchgeführt.<br />

Der PFK 9-14 zielt auf eine möglichst breite und gleichzeitig differenzierte Erfassung der kindlichen<br />

Persönlichkeit. Im PFK 9-14 werden drei Äußerungsbereiche der Persönlichkeit des Kindes<br />

unterschieden: Verhaltensstile (VS) – nach außen manifestierte und von außen beobachtbare<br />

Charakteristika des Verhaltens; Motive (Mo) – dynamische Antriebe als Beweggründe des<br />

Verhaltens, wie Bedürfnisse, Einstellungen, Werthaltungen; Selbstbildaspekte (SB) – qualitative<br />

Aspekte der Bewertung des eigenen Verhaltens und Erlebens auf Basis der eigenen Selbstwahrnehmung<br />

und Selbstreflexion. Da nicht alle Kinder in die Untersuchung einbezogen werden<br />

konnten, handelt es sich um eine Stichprobe von 34 Kindern (elf Auerbach, dreizehn Dresden,<br />

zehn Riesa). Ungünstige Einflussfaktoren der Untersuchung sind: die kleine Stichprobe,<br />

die Selbsteinschätzung der Kinder, drei verschiedene Standorte mit unterschiedlichen Mitarbeitern,<br />

Methoden und regionalen Einflüssen. Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich wie<br />

folgt zusammenfassen.<br />

Für die Gesamtstichprobe sind nur geringe Effekte erkennbar, die in der Heterogenität der Probanden,<br />

Standorte und Methode begründet liegen. Ein positiver Nebeneffekt der Intervention ist<br />

der gesteigerte schulische Ehrgeiz für einen großen Teil der gesamten Stichprobe. Diese Veränderung<br />

lässt eine verstärkte Orientierung an kulturellen und gesellschaftlichen Idealen vermuten.<br />

Bei einen Drittel der Kinder führte die Maßnahme zu einer erhöhten Offenheit gegenüber<br />

sozialen Kontakten und zur Abnahme der allgemeinen sowie spezifischen Angst. Eine negative<br />

Entwicklung zeigte sich im Bereich des aggressiven Verhaltens, da die meisten Teilnehmer<br />

nach der Maßnahme mehr aggressive und oppositionelle Motive für ihr Verhalten angeben.<br />

Worauf dies zurückzuführen ist, konnte nicht zufriedenstellend geklärt werden. Differenziertere<br />

Ergebnisse lassen sich durch Betrachtung der einzelnen Standorte darstellen.<br />

Im Vergleich der drei Modellstandorte sind unterschiedliche Erfolge erkennbar. In der Einzelfallhilfe<br />

in Auerbach konnten auf vier Skalen positive Veränderungen nachgewiesen werden. Bei<br />

den Kindern wurde ein stärkeres Selbstwertgefühl aufgebaut, da sie sich nach der Intervention<br />

weniger ängstlich fühlten, mehr Selbstvertrauen äußerten und sich anderen Kindern gegenüber<br />

weniger unterlegen fühlten. Außerdem wurden für acht der elf Probanden positive Veränderungen<br />

entweder auf dem Faktor „Emotionalität“ oder dem Faktor „Aktives Engagement“ festgestellt.<br />

Die Arbeitsweise in Auerbach zielte somit vorrangig auf die differenzierte Selbstwahrnehmung<br />

sowie positive Selbstbewertung, Abnahme von Angst und Steigerung der Sozialkompetenz.<br />

In Dresden konnten für die Gesamtgruppe wünschenswerte Veränderungen auf zwei Skalen<br />

abgebildet werden und zehn von dreizehn Probanden lassen Verbesserungen auf einem<br />

der zwei benannten Faktoren erkennen. Die Intervention bewirkte bei den Kindern eine realistischere<br />

Einschätzung der eigenen Person, allerdings mit der Folge, dass sich einige Kinder im<br />

Vergleich mit anderen negativer beurteilten als vorher. Das Interesse an sozialer Interaktion<br />

konnte bei dem Teil der Kinder gefördert werden, die positive Veränderungen auf dem Faktor<br />

64


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

„Aktives Engagement“ zeigten. Die Arbeitsschwerpunkte lagen in Dresden auf der Erhöhung<br />

der Sozialkompetenz und der Steigerung der Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung.<br />

In Riesa haben sich auf zwei Skalen positive Veränderungen nachweisen lassen.<br />

Durch die Intervention konnte bei den Kindern das Vertrauen in sich und ihr eigenes Tun gestärkt<br />

werden. Außerdem nahm das Bedürfnis an aggressiven Verhaltensweisen ab. Die Arbeitsziele<br />

lassen dort Akzentuierungen auf den Abbau des aggressiven Verhaltens und die Förderung<br />

der Selbsteinschätzung erkennen.<br />

Im Vergleich der beiden Arbeitsmethoden Einzelfall- und Gruppenarbeit lassen sich keine allgemeinen<br />

Aussagen zur besseren Wirksamkeit einer Methode treffen. Sowohl in Auerbach<br />

(Einzelfallhilfe) als auch in Dresden (Gruppenarbeit) erzielten über 70% der Probanden auf<br />

mindestens einem Faktor wünschenswerte Veränderungen. Mit beiden Methoden kann demzufolge<br />

wirksam interveniert werden. Während Einzelfallhilfe die intensivere Arbeitsweise mit<br />

emotionalen Erlebensinhalten ermöglicht, kann Gruppenarbeit soziales Engagement fördern.<br />

Die Gegenüberstellung der gesetzten Interventionsziele mit den erreichten Ergebnissen zeigt,<br />

dass einige Ziele realisiert werden konnten. Zieht man die Charakteristika der Probanden und<br />

die Kürze der Interventionsmaßnahmen in Betracht, so kann das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> hinsichtlich<br />

der erzielten Veränderungen sehr positiv bewertet werden. Es wäre unrealistisch zu<br />

erwarten, dass alle Interventionsziele bei allen Kindern ereicht werden könnten. Vielmehr lag<br />

die Bedeutung der Intervention darin, bei jedem einzelnen Kind spezifische Defizite im Erleben<br />

und Verhalten auszugleichen und vorhandene Ressourcen für die Entwicklung neuer Handlungsalternativen<br />

zu nutzen. Zudem ist es nicht ungewöhnlich, dass gerade in der Förderung<br />

von Kindern und Jugendlichen nicht jede Interventionsmaßnahme bei allen Probanden intendierte<br />

Wirkungen hat.<br />

5.6.3 Subjektive Beurteilungen der Hilfe<br />

Die subjektive Beurteilung der Hilfe durch die beteiligten Personen gibt Aufschluss über die Akzeptanz<br />

der Maßnahme und kann als zentrales Kriterium des Hilfeverlaufs und Hilfeerfolgs gesehen<br />

werden. Dazu wurden den teilnehmenden Kindern, Eltern und Mitarbeitern nach Beendigung<br />

des Programms ein Fragebogen zur Beurteilung der Hilfe/des Trainings (FBH) in Anlehnung<br />

an den Fragebogen zur Beurteilung der Behandlung (FBB) von Mattejat/Remschmidt<br />

(1998) vorgelegt. Der FBB wurde entwickelt als ein Instrument zur Therapieevaluation und zur<br />

Qualitätssicherung bei der Behandlung von Kindern, Jugendlichen und ihren <strong>Familie</strong>n. Die<br />

Abbildung auf der nächsten Seite gibt einen Überblick über die Ergebnisse dieser Befragung.<br />

Die Werte der Skalen liegen zwischen 0 und 4. Je höher der Skalenwert ist, umso günstiger<br />

wird die Maßnahme beurteilt. Aus den absoluten Skalenwerten ist somit unmittelbar ersichtlich,<br />

wie positiv bzw. negativ die Intervention beurteilt wird. In diese Untersuchung fließen Angaben<br />

für 34 Kinder ein.<br />

Die Ergebnisse der Fragebögen zur Beurteilung der Hilfe geben für die Gesamtbeurteilung eine<br />

allgemein positive Einschätzung des <strong>Modellprojekt</strong>s wieder. Die Intervention zeigt in allen Fällen<br />

mäßige bis deutliche Erfolge. Mit dem Verlauf des Interventionsprogramms sind die beteiligten<br />

Personen teilweise bis vollständig zufrieden. Die Gesamteinschätzungen der Intervention reichen<br />

von mäßigen bis sehr guten Urteilen, so dass das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> durch seine Beurteiler<br />

die Gesamtnote „gut“ erhält. Es ist auffällig, dass die Mitarbeiter von <strong>ESCAPE</strong> die Interventionen<br />

im Durchschnitt ungünstiger beurteilen als die Kinder. Die Eltern hingegen bewerten<br />

die Maßnahmen positiver als die Kinder. Diese Verteilung ist nach Angaben von Mattejat/<br />

Remschmidt (1998) nicht ungewöhnlich. Zum einen sind die Dimensionen der Mitarbeiterversion<br />

stärker differenziert, während die Beurteilungen der Eltern relativ pauschal gehalten sind.<br />

Zum anderen bewerten Intervenierende häufig sich selbst und ihre Arbeit kritischer und setzen<br />

höhere Ansprüche an den Erfolg einer Intervention. Die Eltern auf der anderen Seite haben<br />

nicht selten andere Bewertungsmaßstäbe und beurteilen selbst kleinere Veränderungen als Erfolg<br />

für die Intervention.<br />

65


EVALUATIONSBERICHT<br />

Tabelle 5.10. Übersicht zur Interpretation der FBH-Ergebnisse.<br />

66<br />

FBH-Skalen Wertebereich<br />

Ergebnisqualität (Hilfeerfolg)<br />

Prozessqualität (Hilfeverlauf)<br />

Gesamtbeurteilung<br />

(„Benotung“ der Hilfe)<br />

Mitarbeiterversion<br />

Kindversion<br />

Elternversion<br />

Gesamturteil<br />

Erfolg Kind (E1)<br />

Erfolg <strong>Familie</strong> (E2)<br />

Kooperation Kind (P1)<br />

Kooperation Mutter (P2)<br />

Kooperation Vater (P3)<br />

Mitarbeiter-Gesamtskala (G1)<br />

Erfolg der Hilfe (E3)<br />

Beziehung zum Mitarbeiter (P4)<br />

Rahmenbedingung (P5)<br />

Kind-Gesamtskala (G2)<br />

Erfolg der Hilfe (E4)<br />

Verlauf (P6)<br />

Eltern-Gesamtskala (G3)<br />

Ergebnisqualität (EG)<br />

Prozessqualität (PG)<br />

Gesamtbeurteilung (G)<br />

E1 Erfolg Kind (N=34)<br />

E2 Erfolg <strong>Familie</strong> (N=33)<br />

P1 Kooperation Kind (N=34))<br />

P2 Kooperation Mutter (N=29)<br />

P3 Kooperation Vater (N=11)<br />

PG Mitarbeiter-Gesamtskala (N=34)<br />

0 � x � 0.5 0.5 < x � 1.5 1.5 < x � 2.5 2.5 < x � 3.5 3.5 < x � 4.0<br />

Völlig erfolglos<br />

(keine Fortschritte)<br />

Völlig unzufrieden<br />

Überwiegend<br />

erfolglos (geringeFortschritte)<br />

Überwiegend<br />

unzufrieden<br />

Teilweise<br />

erfolgreich<br />

(mäßige Fortschritte)<br />

Teilweise zufrieden<br />

Überwiegend<br />

erfolgreich<br />

(deutliche Fortschritte)<br />

Überwiegend<br />

zufrieden<br />

Vollständig<br />

erfolgreich<br />

(sehr gute Fortschritte)<br />

Vollständig zufrieden<br />

Schlecht Unzureichend Mäßig Gut Sehr gut<br />

0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4<br />

E3 Erfolg der Hilfe Kindversion (N=30)<br />

P4 Beziehung zum Mitarbeiter (N=30)<br />

P5 Rahmenbedingungen der Hilfe (N=30)<br />

G2 Kind-Gesamtskala (N=30)<br />

E4 Erfolg der Hilfe Elternversion (N=27)<br />

P6 Verlauf der Hilfe (N=27)<br />

G3 Eltern-Gesamtskala (N=27)<br />

EG Ergebnisqualität Gesamtwert (N=34)<br />

PG Prozessqualität Gesamtwert (N=34)<br />

G Gesamtbeurteilung (N=34)<br />

Abbildung 3.22. Ergebnisse der Mitarbeiter-, Kind- und Elternbefragung mit dem FBH. (E) Ergebnisqualität, (P) Prozessqualität, (G)<br />

Gesamtbeurteilung.<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Mitarbeiter, Kinder und Eltern insgesamt Erfolge<br />

in der <strong>ESCAPE</strong>-Hilfe sehen und mit dem Verlauf zufrieden waren. Die Kinder nahmen das<br />

Projekt gut an und auch die Eltern äußerten ihre Zufriedenheit gegenüber der Maßnahme. Das<br />

<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> erhält somit eine positive Beurteilung, welche die Akzeptanz dieser<br />

Form der Intervention verdeutlicht.


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Interviews, Meinungen, Stimmen…<br />

Die zahlreichen Interviews, die im Verlauf der Projektzeit im Rahmen der wissenschaftlichen<br />

Begleitung geführt wurden, bieten einen Fundus an Daten mit subjektiven Sichtweisen der verschiedensten<br />

beteiligten Personen und Projektpartner. Sie spiegeln ein sehr buntes Meinungsspektrum<br />

in Bezug auf das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> wider. Zum überwiegenden Teil bestätigen<br />

sie die positiven Erfahrungen und Ergebnisse, zum Teil äußern sie sich aber auch kritisch<br />

gegenüber dem Angebot von <strong>ESCAPE</strong>. Bei der folgenden Auswahl an Zitaten handelt es sich<br />

um Aussagen, die sich zu unterschiedlichen Erhebungszeitpunkten auf <strong>ESCAPE</strong> beziehen und<br />

in Ergänzung zu den Ergebnissen der oben dargestellten Untersuchungen einen kleinen<br />

qualitativen Eindruck vermitteln.<br />

Kinder<br />

„Naja, am Anfang hab ich mir das alles anders vorgestellt. Ich dacht, hier kommen irgendwelche<br />

Idioten rein. Aber ich mein, das war total cool. Den einen kannte ich<br />

schon. Das ist auch einer von <strong>ESCAPE</strong>.“<br />

„Ich hab das total anders erwartet, dass das hier so öde ist, ständig nur quatschen.<br />

Naja, 'warum habt ihr das gemacht' und so, was aber - so war's halt nicht.“<br />

„Ich fand das eigentlich Spitze...“<br />

„[…], (<strong>ESCAPE</strong>) hat mir eigentlich auch sehr gut gefallen vor allem das mit den Punkten<br />

hier (deutet auf das Belohnungssystem) also alles so, die Regeln, Wörter, die wir<br />

nicht sagen dürfen...“<br />

Eltern<br />

Eine Mutter äußert auf die Frage, welche Erfahrungen sie mit <strong>ESCAPE</strong> für sich ableitet:<br />

„...das man sich nicht scheuen sollte, wenn man Probleme hat, auch Hilfe zu suchen<br />

und anzunehmen. [...] Der Weg zum Jugendamt hat mich viel Überwindung gekostet.<br />

„Mir ist wichtig, dass es eben wirklich Alternativprogramme gibt für die Kinder, was<br />

nicht nur immer unbedingt Sport sein muss und was eben weg ist von der Straße. Und<br />

da wäre es wünschenswert, dass das Projekt hier bleibt und auch weitergeführt wird.<br />

Aus welchen Gründen auch immer und was hier unternommen wird, ist total egal,<br />

wichtig ist, die Kinder kommen von der Straße weg, in eine gewisse Beaufsichtigung.“<br />

„... und wenn das (<strong>ESCAPE</strong>) nicht gewesen wäre, dann hätte er – glaube ich – noch<br />

mehr Mist gebaut.“<br />

„Ich würde auf alle Fälle sagen, dass Projekt ist super und es ist wirklich angebracht<br />

für solche Kinder.“<br />

„Die haben hier (<strong>ESCAPE</strong>) ganz andere Möglichkeiten, die werden hier daraufhin geschult,<br />

der (JUNGE) sieht uns nur als Eltern, dass wir nur schimpfen. Hier bekommt er<br />

es auf einen anderen Weg gesagt, dass es falsch ist, was er macht und wie er sich zu<br />

verhalten hat.“<br />

Schule<br />

„Mal gut zureden, manch einem fehlt nur mal wirklich der Ansprechpartner, jemand der<br />

sich für seine Probleme wirklich interessiert, dass wir Schüler haben, gerade fünfte<br />

und sechste Klasse, die mit ihren Problemen Null wissen wohin. Die hätten dort jemanden,<br />

der ihnen gleichzeitig mal zeigt, mach es doch mal so und der auch Grenzen<br />

aufzeigt. Bei paralleler Zuwendung dann.“<br />

„[...] Der Trend in der Zwischenzeit ist immer mehr, dass wir Eltern hier haben zu Gesprächen<br />

in der Schule, die sagen: „Was soll ich machen, die Probleme sind zu Hause<br />

ähnlich“ und dort denke ich, ist es wichtig vor allem bei den Kleineren, was ja Altergruppe<br />

<strong>ESCAPE</strong> ist, dass man denen mal eine Lösung anbietet“<br />

67


EVALUATIONSBERICHT<br />

68<br />

Auf die Frage hin was <strong>ESCAPE</strong> leisten kann antwortete die Mitarbeiterin der Schule:<br />

„Zuwendung. Die Aufmerksamkeit für das Kind. Ihm vielleicht wirklich mal auch nur<br />

zuhören.“<br />

„Das Projekt ist, sowie wir es verstanden haben, für Kinder, die schon gestrandet sind,<br />

sagen wir mal so, die schon kriminell geworden sind. Das sind im Prinzip hier die wenigsten.<br />

[...] Aber gefährdet sind viele, die das Projekt eigentlich gar nicht aufgreift. [...]<br />

Das war mein erster Gedanke, wo ich gesagt habe, und die, das Mittelfeld, die noch<br />

nicht kriminell geworden sind, was ist da. Muss erst mein Kind kriminell werden, damit<br />

es so ein Angebot kriegt.“<br />

<strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter<br />

„Also ich würde mal sagen, so dass es sehr, sehr viel Sinn macht die Altersgruppe und<br />

wahrscheinlich auch unsere Zielgruppe speziell [...] mit dieser Gruppenarbeit zu erreichen.<br />

Ich denke mal, das ist ein ideales Angebot, um die zu motivieren, also dass sie<br />

freiwillig kommen und um sie bei der Stange zu halten und gleichzeitig die Möglichkeit<br />

zu haben, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln.“<br />

„Ich denke, es gibt ja auch die Kinder, wo weitergearbeitet wird oder wo jetzt innerhalb<br />

der Zeit oder danach was passiert und ich denke trotzdem, dass es für alle was gebracht<br />

hat [...] und ich denke, wenn die sich positiv äußern, das hat schon was gebracht.“<br />

„Mehr Anfragen, die wir bearbeiten können, weil ich denke, es hat sich gezeigt, relativ<br />

gut die Leute zu motivieren, teilzunehmen, ich finde da liegt der Hund begraben, dass<br />

wir zu wenig Anfragen haben und ja wünschen würde ich mir auch noch, dass es mit<br />

der Elternarbeit noch besser vorangeht, also dass es klapp, wie wir uns das vorstellen[...],<br />

dass Gruppenarbeit kombiniert wird, also dass Elternarbeit irgendwann auch<br />

mal gleichberechtigt neben dem Angebot für die Kinder läuft.“<br />

„Für mich ist es immer noch eine Testphase. Eine Ausprobierphase. Was mir immer<br />

wieder deutlich wird, was von ganz anderen gesagt wird, die jetzt das Projekt gar nicht<br />

kennen: In drei Monaten kannst du kein Kind verändern.[...] Und das hinterfragt eben<br />

immer wieder diesen kurzen Ansatz. Da ist eben ein Zwiespalt für mich daraus, wenn<br />

genug Kinder sich für das Projekt melden, soll man eben möglichst viele hindurchschleusen<br />

oder soll man möglichst mit dem Einzelnen sehen, dass es voran geht.“<br />

Kinder- und Jugendhilfe<br />

„Als das <strong>Modellprojekt</strong> damals angeboten wurde und ich die ersten Informationen vom<br />

Landesjugendamt bekam, war ich sofort Feuer und Flamme. [...] Nun ist das <strong>Modellprojekt</strong><br />

auch installiert und meine Euphorie ist etwas zurückgegangen. Ich glaube jetzt,<br />

dass es vom Ansatz her mit dieser Zielgruppensache eine Stigmatisierung gegeben<br />

hat. Das müsste man dann beim nächsten Mal, also was wir schon besprochen haben,<br />

dieser Ansatz her breiter anlegen.“<br />

„[...] für uns war da nicht so viel Neues beschrieben, was wir nicht auch schon kennen<br />

oder haben.“<br />

„Jetzt können wir der Reaktion auf Kinderdelinquenz mehr Nachdruck verleihen, mit<br />

<strong>ESCAPE</strong> haben wir ja jetzt etwas anzubieten. Ohne adäquate Hilfeangebote, die man<br />

den Eltern anbieten kann, ist es viel schwieriger mit den Eltern zu argumentieren.“<br />

Jugendhilfeplaner<br />

Die Interviews mit den Jugendhilfeplanern der jeweiligen Standorte wurden im 1. Quartal 2003<br />

durchgeführt und sind im Anhang in der Teiluntersuchung A I weiter ausgeführt. Zu diesem<br />

Zeitpunkt war bereits absehbar, wie es mit der Arbeit in den Standorten nach der Modellzeit<br />

weitergehen wird. Die Aussagen spiegeln wider, in wie weit es den Standorten in den drei Jahren<br />

gelungen ist, dass Jugendamt von der Qualität der Arbeit mit den Kindern und den <strong>Familie</strong>n<br />

zu überzeugen.


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Auerbach<br />

„Wir haben jetzt ein besonderes Angebot für eine Zielgruppe, die wir bisher noch nicht<br />

ansprechen konnten. Die eher etwas vernachlässigt wurde. [...]. Ich möchte nicht sagen,<br />

dass da gar nichts gelaufen ist, aber das war eher punktuell. [...] <strong>ESCAPE</strong> hat<br />

uns gezeigt, welche Ressourcen bisher ungenutzt blieben. [...] Es war ein von allen<br />

gewolltes Projekt.“<br />

„Unsere Strategie ist, wir wollen versuchen das Budget, was da ist für die teuren Erziehungshilfen,<br />

umzuleiten in den präventiven Bereich.“<br />

Dresden<br />

„Das schöne an <strong>ESCAPE</strong> ist, dass es konzeptionell lernfähig gewesen ist, dass macht<br />

es mir sympathisch und so hat es auch sich seinen Ruf und Stellenwert erarbeiten<br />

können.[...] Unabhängig von <strong>ESCAPE</strong>, wird ein Angebot dieser Art voraussichtlich<br />

dauerhaft in welcher Form auch immer notwendig sein.“<br />

Riesa<br />

„Es hat sich gezeigt, dass es für <strong>ESCAPE</strong> in dieser Form keinen Bedarf gibt. Das<br />

<strong>ESCAPE</strong>-Angebot ist zu starr und kostenintensiv. [...] Bloß für diese Zielgruppe zwei<br />

Leute zu bezahlen, das kann sich der Landkreis eigentlich - dass muss man auch<br />

ganz ehrlich sagen – nicht leisten. [...] Als ergänzendes Angebot, ja. [...] wir werden<br />

das Projekt definitiv am 30.03. beenden.“<br />

69


EVALUATIONSBERICHT<br />

6. Zusammenfassung der Ergebnisse<br />

6.1. Allgemeine Schlussfolgerungen<br />

<strong>Modellprojekt</strong>e in sozialen Arbeitsfeldern werden von Praktikern und Institutionen oft mit Skepsis<br />

betrachtet, obwohl sich ein entsprechender Handlungsbedarf meist direkt aus der Praxis ableitet.<br />

Das mit <strong>Modellprojekt</strong>en verbundene Hinterfragen gewohnter Handlungsmuster und Alltagsroutinen<br />

sowie mögliche Veränderungen erzeugen Verunsicherungen, fordern die Bereitschaft<br />

zu Mehraufwand und die Auseinandersetzung mit der eigenen Fachlichkeit. Dazu lässt<br />

die zumeist reagierende statt agierende Praxis wenig Zeit. Hinzu kommen die bisherigen Erfahrungen,<br />

dass sich <strong>Modellprojekt</strong>e mit viel Aufwand und Aktionismus lediglich auf die Modelllaufzeit<br />

beschränken und aus verschiedenen Gründen dann doch nicht in die Regelpraxis überführt<br />

werden. Betritt man ein solches Neuland, braucht es daher überzeugende fachliche Argumente<br />

und Geduld, um in der Praxis sich zu bewähren und akzeptiert zu werden.<br />

Das <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> hatte dazu knapp drei Jahre Zeit und steht nun am Übergang in die<br />

Regelpraxis und zugleich in der Verantwortung, sowohl den fachpolitischen Diskurs weiterzuführen<br />

als auch alle relevanten Akteure weiterhin in die Arbeit einzubeziehen. Nach drei sehr<br />

arbeitsintensiven und interessanten Projektjahren stellt sich am Ende der Modellphase die Frage:<br />

Was hat das Projekt geleistet und bewirkt? Entsprechen die Ergebnisse den Intentionen der<br />

Projektausschreibung? Wie der Bericht zeigt, können seitens der wissenschaftlichen Begleitung<br />

des Projekts keine pauschalen Antworten darauf gegeben werden, denn <strong>ESCAPE</strong> liefert keine<br />

Patentrezepte, aber fachliche Argumente für ein pädagogisches Handlungsverständnis im Umgang<br />

mit delinquenten Kindern. Die dargestellten Ergebnisse im <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong>, die<br />

hier noch einmal zusammengefasst werden sollen, verweisen auf die Möglichkeiten und Grenzen<br />

pädagogischer Interventionen der Jugendhilfe.<br />

� Die unterschiedlichen institutionellen und konzeptionellen Rahmenbedingungen sowie die<br />

regionalen Besonderheiten und Kooperationspartner der drei Modellstandorte sorgten im<br />

Projektprozess für eine jeweils eigene Dynamik. Die Ergebnisse müssen von daher differenziert<br />

und im jeweiligen Kontext betrachtet werden. Unter Berücksichtigung dieser Unterschiede<br />

kann es nicht darum gehen, die Bedingungen und Voraussetzungen aller Standorte<br />

zu vereinheitlichen, sondern es soll daraus vielmehr ein allgemeiner Handlungsrahmen der<br />

Jugendhilfe im Umgang mit delinquenten problembelasteten Kindern abgeleitet werden, der<br />

den Kindern frühzeitig professionelle Hilfe ermöglicht und institutionelle Verfahrensunsicherheiten<br />

in der Praxis bewältigen hilft.<br />

� <strong>ESCAPE</strong> hat an einer institutionellen Schnittstelle Aufmerksamkeit erzeugt, Kooperationsprozesse<br />

in Gang gesetzt und zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den<br />

zuständigen Institutionen beigetragen, auch wenn dabei strukturelle Grenzen der Kooperation<br />

sichtbar und spürbar geworden sind. Die institutionelle Einbindung und Akzeptanz von<br />

<strong>ESCAPE</strong> gestaltet sich umso schwieriger, je komplexer die regionalen Strukturen der Institutionen<br />

ausgeprägt sind. Die überschaubaren Verständigungsebenen und kurzen Wege<br />

zwischen den Kooperationspartnern in Auerbach vereinfachten die Zusammenarbeit. Dagegen<br />

wirkten sich die anonymen und komplexeren Großstadtstrukturen wie in Dresden erschwerend<br />

auf die Entwicklung der Kooperationen aus. Potentielle Kooperationspartner sollten<br />

von Beginn an - möglichst bereits in der Konzeptentwicklungsphase – ins Projekt einbezogen<br />

und daran beteiligt werden.<br />

� Interventionserfolge hängen von der Art der Kooperationsbeziehungen ab. Eine gute Kooperation<br />

kann die Früherkennung problembelasteter <strong>Familie</strong>n fördern. Eine wichtige Voraussetzung<br />

zur Erreichbarkeit der Zielgruppe liegt im schnellen Reagieren sowie im verständigungsorientierten<br />

und verbindlichen Zusammenwirken der beteiligten Institutionen. Ver-<br />

70


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

schiedene Formen der Kooperation bilden die Basis der Entwicklung einer Zusammenarbeit,<br />

die sich auf verschiedene Kooperationsbeziehungen übertragen lassen:<br />

� persönliche Kontaktaufnahme und Festlegung von Ansprechpartnern<br />

� Kommunikationssysteme und Informationsaustausch mit regelhaften Zeiten<br />

� gegenseitige Öffnung von Fortbildungsangeboten und Durchführung gemeinsamer<br />

Fortbildungsveranstaltungen<br />

� Mitgliedschaft in Ausschüssen und Gremien<br />

� Dem <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong> ist es mit überarbeiteten Zugangskriterien gelungen, Kinder in<br />

das Interventionsprogramm zu integrieren, deren Entwicklung durch delinquenzfördernde<br />

Risikofaktoren belastet ist. Die durchschnittliche Risikobelastung der Kinder im Projekt lag in<br />

den untersuchten Merkmalen deutlich höher als die durchschnittliche Risikobelastung<br />

gleichaltriger Kinder im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>. Zu den Risikofaktoren zählen unvollständige<br />

<strong>Familie</strong>nstrukturen, geringer sozioökonomischer Status, unterdurchschnittliche kognitive<br />

Leistungen und eine hohe Prävalenz psychischer Auffälligkeiten. Auch wenn jedes Kind seine<br />

ganz eigene Lebensgeschichte und Sichtweise auf die Welt hat, lassen sich dadurch in<br />

der individuellen Vielfalt der Problemkonstellationen vielfach Gemeinsamkeiten in der Fallstruktur<br />

erkennen.<br />

� Kinder, die in ihrer Entwicklung erheblich beeinträchtigt sind, brauchen frühzeitig professionelle<br />

Hilfe und Förderung. In Anbetracht der nachgewiesenen hohen Risiko- und Problembelastung<br />

der Kinder im Projekt ist mehrfach auffälliges delinquentes Verhalten ein ernst zu<br />

nehmender Indikator für das Tätigwerden der Jugendhilfe mit ihren Kooperationspartnern.<br />

Repressive Maßnahmen, wie geschlossene Unterbringung oder Ausweitung des Strafmündigkeitsalters,<br />

stellte für keines der Kinder im Projekt eine adäquate und fachliche Alternative<br />

dar.<br />

� Bei extrem belasteten Kindern stößt <strong>ESCAPE</strong> allerdings aufgrund der konzeptionell angelegten<br />

zeitlichen Befristung der Hilfe von ca. sechs Monaten und den damit verbundenen<br />

begrenzten Möglichkeiten hinsichtlich der Einbeziehung und Einflussnahme auf das gesamte<br />

<strong>Familie</strong>nsystem deutlich auch an Grenzen. Weiterführende Hilfen - darunter auch Fremdunterbringung<br />

- können mit <strong>ESCAPE</strong> nicht ausgeschlossen werden. Wenn auch eine<br />

Fremdunterbringung durch die Angebote nicht verhindert bzw. ersetzt werden kann, so können<br />

doch über die Vermittlungen positiver Erfahrungen und Angebote des sozialen Lernens<br />

Verhaltensänderungen bewirkt werden und die Kinder zugleich in Freizeitangebote integriert<br />

werden. Mit <strong>ESCAPE</strong> filtern sich Fälle heraus, bei denen es verstärkt einer längerfristigen<br />

und zum Teil auch therapeutischen Intervention wie beispielsweise der aufsuchenden <strong>Familie</strong>ntherapie<br />

bedarf. <strong>ESCAPE</strong> ist daher eher ein Präventivangebot im Bereich der Früherkennung<br />

und -förderung für Kinder in so genannten Kippkonstellationen.<br />

� Mit <strong>ESCAPE</strong> verbindet sich die Diskussion von Spezialisierung und Integration von Angeboten<br />

der Jugendhilfe. Eine Spezialisierung liefert einerseits wichtige Impulse für die Qualifizierung<br />

von Jugendhilfe, da Spezialwissen notwendige Fachlichkeit garantiert, andererseits<br />

verlangt die gesellschaftliche Pluralisierung lebensweltorientierte und entspezialisierte Angebote.<br />

Weder das eine noch das andere darf aus dem Blick verloren werden. Der zielgruppenorientierte<br />

Ansatz ist ein erster Schritt des Tätigwerdens und schließt eine Öffnung und<br />

Ausweitung z.B. auf andere Verhaltensindikatoren für problembelastete Kinder nicht aus.<br />

Von einer Ausgrenzung delinquenter Kinder kann bei <strong>ESCAPE</strong> keine Rede sein, denn die<br />

Arbeit versteht sich als eine sozial-integrative Hilfe, die in die Lebenswelt der Kinder hineinwirken<br />

soll. Weder die beteiligten Eltern noch die Kinder erlebten die Hilfe als stigmatisierend,<br />

vielmehr fand <strong>ESCAPE</strong> bei den meisten beteiligten Kindern und Eltern große Akzeptanz.<br />

� Die Untersuchung macht deutlich, dass für delinquente Kinder ein Bedarf an Hilfe besteht.<br />

Der Bedarf an Jugendhilfeangeboten für die Altersgruppe der 9-14jährigen geht allerdings<br />

71


EVALUATIONSBERICHT<br />

72<br />

über die Zielgruppe des Projekts hinaus. Diese Altersgruppe ist durch Übergangsphänomene<br />

charakterisiert, die in mehrfacher Hinsicht ein Problem der „Lücke“ kenntlich machen.<br />

Von der Jugendhilfe sollte dieses Problem aufmerksamer beobachtet und in die Planung<br />

pädagogischer Angebote einbezogen werden. Von Lücken lässt sich im Zusammenhang mit<br />

folgenden entwicklungspsychologischen und institutionellen Übergangssituationen sprechen:<br />

� „Nicht-Mehr-Kind“ – „Noch-Nicht-Jugendlicher“<br />

� „Nicht-Mehr-Hort“ – „Noch-Nicht-in-Freizeiteinrichtungen“<br />

� Übergang von Grundschule auf Mittelschule/Gymnasium (weitere Schullaufbahn)<br />

� fehlende Verzahnung zwischen Schule und Jugendhilfe<br />

� Die Erfahrungen der dreijährigen Modellzeit belegen, dass es weder die Methode Einzelfallhilfe<br />

noch die Methode soziale Gruppenarbeit gibt. Sowohl Einzelfallarbeit als auch soziale<br />

Gruppenarbeit eignen sich als wirksame Hilfeform für delinquente Kinder. Keine der beiden<br />

erprobten Handlungsmethoden ist bei Kindern generell der anderen vorzuziehen. Die Methodenwahl<br />

sollte sich an den individuellen Bedingungen und Voraussetzungen orientieren.<br />

� Auch wenn die Strukturen sich nur sehr langsam entwickelten, über <strong>ESCAPE</strong> nicht alle potentiell<br />

in Frage kommenden <strong>Familie</strong>n erreicht werden konnten, einige Kinder das Projekt<br />

vorzeitig beendeten oder gar rückfällig wurden, kann für die Projektlaufzeit eine insgesamt<br />

positive Bilanz gezogen werden. Die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen tragen<br />

trotz der genannten Einschränkungen zum Nachweis der gewünschten pädagogischen<br />

Wirksamkeit und Akzeptanz des Interventionsprogramms bei. Das <strong>Modellprojekt</strong> hat entwicklungsgefährdete<br />

Kinder integriert. Es interveniert verstärkt in den Bereichen Selbstwahrnehmung/Selbsteinschätzung,<br />

Erhöhung des Selbstwertgefühls und Entwicklung sozialer<br />

Kompetenzen, um eine Reduktion delinquenter Verhaltensweisen und den Aufbau von<br />

sozialadäquaten Handlungsalternativen zu bewirken. Zudem ist eine geringe Rückfallquote<br />

delinquent handelnder Kinder zu verzeichnen, die das Projekt beendet haben.<br />

� Ein Indiz für die erfolgreiche Umsetzung des Projektauftrags ist die Überführung der Modellphase<br />

in ein Regelangebot der kommunalen Jugendhilfe. Das KJHG bietet für eine inhaltliche<br />

Zuordnung einen großen Spielraum (vgl. Kap.7). Nur in Kombination mit bestehenden<br />

Angeboten wird <strong>ESCAPE</strong> entsprechend flexibel und finanzierbar sein. Allen Standorten ist<br />

es gelungen, die öffentliche Jugendhilfe von der präventiven Arbeit zu überzeugen. Besonders<br />

erfreulich ist, dass <strong>ESCAPE</strong> in Auerbach und Dresden unter diesem Namen weiterläuft.<br />

Während sich <strong>ESCAPE</strong> in Auerbach über Pauschalfinanzierung mit den Regionen<br />

Reichenbach und Adorf/Oelsnitz sogar auf weitere Standorte im Vogtlandkreis ausweitet,<br />

wird <strong>ESCAPE</strong> in Dresden allerdings beschränkt auf die soziale Gruppenarbeit, über vereinbarte<br />

Fachleistungsstunden einzelfallfinanziert. Aufgrund einiger Schwierigkeiten schien<br />

<strong>ESCAPE</strong> in Riesa zunächst nach der Modellphase auszulaufen. Schließlich entstand dann<br />

doch noch ein Nachfolgeprojekt - zunächst unter dem Namen „Spielräume“, später dann<br />

benannt als K.A.P. (Kids and Parents) – pauschalfinanziert in Anbindung an die familienorientierte<br />

Gemeinwesenarbeit im Stadtteilhaus Riesa-Gröba.<br />

� Die konzeptionelle Umsetzung realisierte sich in den Standorten mit unterschiedlicher Qualität.<br />

Insbesondere den Modellstandorten Auerbach und Dresden kann ein hohes Maß an<br />

Fachlichkeit bescheinigt werden. Zukunftsweisende <strong>Modellprojekt</strong>e benötigen qualifiziertes<br />

und hoch motiviertes Personal mit Berufserfahrung, was die Widerstände und Schwierigkeiten<br />

in der Praxis aushält und mit den regionalen Strukturen vertraut ist. Dazu müssen den<br />

Trägern aber auch entsprechende materielle Ressourcen zu Verfügung gestellt werden.


6.2. Fazit<br />

<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Was ist das Neue und Innovative an <strong>ESCAPE</strong>? Zusammenfassend lässt sich das erprobte Hilfeangebot<br />

wie folgt beschreiben:<br />

� <strong>ESCAPE</strong> beschränkt sich nicht nur auf einzelne handlungsmethodische Ansätze, sondern<br />

umfasst einen Gesamtansatz des Tätigwerdens bei Kinderdelinquenz. Das Leistungsspektrum<br />

beinhaltet Kooperation, Vermittlung, pädagogische Arbeit mit dem Kind, Elternarbeit,<br />

Nachbetreuung sowie sozialräumliche Orientierungs- und Integrationshilfe.<br />

� <strong>ESCAPE</strong> trägt zu einer intitutionsübergreifenden Zusammenarbeit und zur Schaffung von<br />

Verbindlichkeiten zwischen den Kooperationspartnern bei und ermöglicht Früherkennung<br />

und Frühförderung.<br />

� <strong>ESCAPE</strong> ist ein ambulantes Angebot der freien Jugendhilfe für delinquente und problembelastete<br />

Kinder zwischen 9 und 14 Jahren und deren <strong>Familie</strong>n, wobei hier delinquentes bzw.<br />

abweichendes Verhalten zum Anlass genommen wird, um den Hilfebedarf zu prüfen.<br />

� <strong>ESCAPE</strong> ist eine kurzfristige und flexible Hilfemaßnahme, die über relativ niedrigschwellige<br />

und unkonventionelle Zugangswege bereits im Vorfeld eines Hilfeplanverfahrens bzw. über<br />

ein verkürztes Hilfeplanverfahren in Anspruch genommen werden kann. Dabei können auch<br />

aufgrund von Gehstrukturen schwerer erreichbare <strong>Familie</strong>n an das Hilfesystem herangeführt<br />

werden, ohne gleichsam den Eltern das Gefühl zu vermitteln, sie hätten bei der Erziehung<br />

ihres Kindes versagt. Jugendhilfe kann somit frühzeitig als Partner wahrgenommen werden.<br />

� <strong>ESCAPE</strong> schlägt eine Brücke zwischen bestehenden niedrigschwelligen offenen Angeboten<br />

der Jugendhilfe und relativ hochschwelligen Hilfen zur Erziehung. Es füllt eine Angebotslücke<br />

und leistet wichtige soziale Integrationsarbeit.<br />

7. Ausblick<br />

Was bleibt? Neben der wesentlichen – und sich hoffentlich weiter durchsetzenden - Erkenntnis,<br />

dass dem abweichenden Verhalten von Kindern sehr gut mit ausschließlich pädagogischen Mitteln<br />

begegnet werden kann, auch die Erkenntnis, dass die Umsetzung neuer Strategien, Arbeitsansätze<br />

und Methoden im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe mit Hilfe von <strong>Modellprojekt</strong>en<br />

angemessen geplant und realisiert werden kann. Immerhin ist es für <strong>Modellprojekt</strong>e kennzeichnend,<br />

dass sie ausreichend Spielraum für das Ausprobieren unterschiedlicher Strategien<br />

bieten und Fehler, anders als in der Regelpraxis, nicht zwingend mit finanziellen Einbußen verbunden<br />

sind, sondern neue inhaltliche Erkenntnisse ermöglichen.<br />

Und dennoch: Modellprogramme können nicht die einzige Antwort auf neue Problemlagen von<br />

Kindern und Jugendlichen sein. Neben den finanziellen Aspekten, die eine solche Strategie<br />

mindestens fragwürdig erscheinen lassen, wiegen die inhaltlichen Aspekte ebenso deutlich.<br />

Dies kann dazu führen, dass die Jugendhilfe der Anforderung, sich inhaltlich, organisatorisch<br />

und methodisch weiterzuentwickeln, lediglich mit dem Verweis auf bestehende <strong>Modellprojekt</strong>e<br />

begegnet und dabei übersieht, dass die dort gewonnenen Einsichten auf struktureller Ebene<br />

umgesetzt werden müssten. Außerdem lassen Modellprogramme an mancher Stelle vergessen,<br />

dass sowohl die vorhandenen gesetzlichen Grundlagen, in diesem Fall das Kinder- und Jugendhilfegesetz,<br />

als auch die bestehenden Jugendhilfestrukturen es durchaus zulassen, Neues<br />

zu implementieren. Die an einigen Stellen immer wieder geführten Diskussionen um Veränderungen<br />

im KJHG ignorieren, dass das Gesetz an vielen Stellen ausreichend Möglichkeiten vorhält,<br />

die es erlauben, über die gesetzlich fixierten und nun fast schon „traditionellen“ Angebote<br />

hinaus, Arbeitsansätze zu entwickeln, die veränderten inhaltlichen Anforderungen entsprechen.<br />

So ist z.B. in den Kommentaren zu den Erziehungshilfen ausdrücklich die Rede davon, dass es<br />

73


EVALUATIONSBERICHT<br />

sich bei den in den §§ 28 – 35 beschriebenen Angebotsformen um einen offenen Katalog handelt,<br />

der jederzeit ergänzt werden kann. (vgl. Münder 1998).<br />

Diese Offenheit lässt sich ebenso für andere Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe, etwa die offene<br />

Jugendarbeit oder die Jugendsozialarbeit feststellen, gilt also für verschiedene Handlungsfelder<br />

und Zielgruppen.<br />

Bezogen auf die Arbeit mit delinquenten Kindern bzw. straffälligen Jugendlichen wird im Folgenden<br />

auf einige dieser Möglichkeiten näher eingegangen, wobei die Auswahl insofern nicht<br />

ganz zufällig ist, als sie sich auf Angebote bezieht, in deren Rahmen die ehemaligen <strong>Modellprojekt</strong>e<br />

ihre Arbeit künftig fortsetzen werden.<br />

Tabelle 7.1. Perspektiven für Angebote wie <strong>ESCAPE</strong><br />

<strong>ESCAPE</strong><br />

Beschreibung<br />

als integriertes und ergänzendes<br />

Angebot in der Jugendarbeit,Jugendsozialarbeit<br />

oder dem Jugendschutz<br />

74<br />

§§ Anmerkung Ergänzungen<br />

§ 11, §13 Entwicklung der KINDER-<br />

SOZIALARBEIT<br />

oder auch im Kontext von Präventionsarbeit<br />

in Schulen...<br />

Jugendschutz §14 Präventive Projekte<br />

als ergänzendes Angebot<br />

der Jugendgerichtshilfe<br />

als eigenes Angebot im Bereich<br />

der Hilfen zur Erziehung<br />

(HZE)<br />

Soziale Gruppenarbeit<br />

ISE<br />

Erziehungsbeistand<br />

als integriertes und ergänzendes<br />

Angebot der HZE<br />

(Erziehungsberatung,<br />

SPFH, Tagesgruppe,<br />

Heim…)<br />

§ 52/§ 27ff Präventionsarbeit mit Spezialisten<br />

für soziale Gruppenarbeit<br />

§ 27ff<br />

§ 29<br />

§ 35<br />

§ 30<br />

das gesamte Leistungsspektrum<br />

von <strong>ESCAPE</strong><br />

§ 27ff in Kombination mit einer Qualifizierung<br />

der Mitarbeiter in den bestehenden<br />

Einrichtungen<br />

§ 16 Eltern- und <strong>Familie</strong>narbeit<br />

durch Kombination mit<br />

<strong>Familie</strong>nbildung und Förderung,<br />

§ 78 a Vereinbarungen über<br />

Leistungsangebote, Entgelte<br />

und Qualitätsentwicklung<br />

Als eine erste Möglichkeit der Überführung der <strong>ESCAPE</strong>-Projekte in bestehende Strukturen bietet<br />

sich die Integration des Angebotes in die Jugendarbeit (§11 KJHG) oder die Jugendsozialarbeit<br />

(§13) an. Unter der Maßgabe, dass Angebote der Jugendarbeit jungen Menschen, die<br />

„[...] zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote [...]“ (§11, Abs. 1 KJHG) bereitstellen<br />

soll, ist es durchaus denkbar, dass dies auch Angebote umfasst, die sich an delinquente<br />

Kinder und Jugendliche wenden. Nimmt man den weiter oben beschriebenen Befund ernst,<br />

dass diese Kinder in erster Linie Schwierigkeiten im Aufwachsen haben, die aber nicht in jedem<br />

Fall auch gravierend sind, dann sind außerschulisch angesiedelte Projekte, die neben der Bildung<br />

im weiteren Sinne auch Hilfe und Beratung umfassen, überall dort angebracht, wo sich<br />

kein erzieherischer Bedarf erkennen lässt. An die bereits etablierte Praxis in diesem Bereich<br />

stellt sich damit die Anforderung, sich neuen, manchmal vielleicht unbequemen, Zielgruppen<br />

stärker zu öffnen als dies bisher der Fall war. Trotzdem können auch in diesem Bereich „normale“<br />

Kinder und Jugendliche gleichzeitig Zielgruppe der Angebote sein. Im Gegenteil, gerade die<br />

Arbeit mit heterogenen Zielgruppen wäre hier wichtig und pädagogisch erwünscht.<br />

Ebenfalls nahezu ausgeschlossen ist bisher die Arbeit mit delinquenten Kindern im Rahmen der<br />

Jugendsozialarbeit. Während die verschiedenen Gruppen der Jugendlichen mit abweichendem<br />

Verhalten, also z. B. Jugendliche mit rechtsextremistischer Orientierung, hier sehr wohl Berücksichtigung<br />

finden, gilt dies nicht gleichermaßen für Kinder. Dies verwundert in Zeiten, da allerorten<br />

davon die Rede ist, dass die Zielgruppen der Jugendarbeit immer jünger werden, „Lücke-


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

kids“ geradezu als eine vernachlässigte Zielgruppe der Kinder- und Jugendhilfe gelten. Und<br />

auch aus der inhaltlichen Beschreibung der Jugendsozialarbeit als „arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit<br />

oder Jugendberufshilfe“ lässt sich diese Konzentration auf Jugendliche nicht<br />

ableiten. Denn gerade in der Jugendsozialarbeit - als eines der ältesten Arbeitsfelder der Kinder-<br />

und Jugendarbeit - hat es in den letzten Jahren enorme Veränderungen gegeben, und<br />

zwar sowohl hinsichtlich ihrer Angebote als auch in Bezug auf die Zielgruppen. Es kann längst<br />

nicht mehr die Rede davon sein, dass es sich hierbei ausschließlich um Angebote für Jugendliche<br />

handelt (vgl. Jugendpolitisches Programm der Sächsischen Staatsregierung 1996). So ist<br />

immer dann, wenn von schulischer Integration die Rede ist, automatisch die Rede auch von<br />

Kindern. Und so wäre es nur folgerichtig, die Entwicklung von Arbeitsansätzen einer „Kindersozialarbeit“<br />

in den Blick zu nehmen und dabei auch die hier in Rede stehende Zielgruppe der<br />

Kinder mit abweichendem Verhalten zu berücksichtigen. Gerade wenn man davon ausgeht,<br />

dass es nicht in jedem Fall immer wieder neue und spezielle Angebote sein müssen, in die Kinder<br />

mit abweichendem Verhalten integriert werden, bieten sich bestehende Maßnahmen im<br />

Rahmen der Jugendsozialarbeit an, die an Schulen oder im schulischen Umfeld angesiedelt<br />

sind. Damit werden die Kinder nicht in erster Linie über die Probleme angesprochen, die sie<br />

„machen“, sondern es wird ihnen zuallererst einmal Hilfe bei Problemen angeboten, die sie haben<br />

- z. B. im schulischen Bereich.<br />

Auch eine Integration der entwickelten Arbeitsansätze in die Jugendschutzarbeit (§14 KJHG) ist<br />

denkbar. Da hier ohne das Instrument des Hilfeplanes gearbeitet wird, geht es eher um die Kinder,<br />

die keine „verfestigte Karriere“ aufweisen, sondern bei denen das delinquente Verhalten als<br />

Ausdruck einer Suchbewegung angesehen werden kann. So werden am Standort Riesa die in<br />

den letzten drei Jahren entwickelten Arbeitsansätze und Erfahrungen in ein gemeinwesenorientiertes<br />

Projekt integriert, das im Rahmen des Jugendschutzes präventive Arbeit anbietet. Es ist<br />

davon auszugehen, dass in den Fällen, in denen dieses Angebot an seine Grenzen stößt, die<br />

Kinder und Jugendlichen in bestehende Projekte der Erziehungshilfen integriert werden, beispielsweise<br />

in Einrichtungen der Erziehungsberatung.<br />

Als auf den ersten Blick ungewöhnlich und eigentlich nicht für die Zielgruppe der unter 14jährigen<br />

geeignet, erweist sich die inhaltliche Anbindung und Verknüpfung der Projektarbeit mit<br />

der Arbeit der Jugendgerichtshilfe, wie sie an den Standorten Auerbach und Dresden teilweise<br />

realisiert wird. Diese Vorgehensweise erweist sich indes insofern als eine gute Möglichkeit die<br />

Arbeit weiterzuführen, als hier die fachlichen Ressourcen, die Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe<br />

in ihrer Arbeit mit den Jugendlichen entwickeln konnten, behutsam auf die Arbeit mit den<br />

Kindern übertragen werden. Konkret heißt dies z.B., dass es Angebote der sozialen Gruppenarbeit<br />

geben kann, die sich sehr eng an den sozialen Trainingskursen für Jugendliche orientieren.<br />

Damit wird garantiert, dass, auch wenn es sich dabei um ein ausschließlich präventives<br />

Angebot handelt, Erfahrungen aus der Arbeit mit straffälligen Jugendlichen in diese Arbeit einfließen<br />

und eine Schwerpunktsetzung auf das abweichende Verhalten ermöglichen.<br />

Es dürfte selbstverständlich sein, dass die über die inhaltliche Arbeit der JGH hinausgehenden<br />

Strukturen, also etwa die partielle Zusammenarbeit mit der Polizei und der Justiz für die Arbeit<br />

mit den Kindern völlig unberücksichtigt bleiben, also nicht etwa schon „präventiv“ mit der Polizei<br />

über in Kürze strafmündig werdende „Problemfälle“ verhandelt wird.<br />

Die im Vogtlandkreis vorgenommene Ausweitung der Arbeit mit delinquenten Kindern folgt in<br />

den anderen Standorten Reichenbach und Adorf/Oelsnitz eher der bisherigen Praxis, d. h. die<br />

neuen Angebote sind den Erziehungshilfen zugeordnet, wobei ausdrücklich darauf verwiesen<br />

wird, dass alle Hilfeangebote ohne oder mit verkürztem Hilfeplan realisiert werden. So ist ein<br />

schneller und unkomplizierter Beginn der Arbeit möglich, der eine Spezifizierung und Erweiterung<br />

des Hilfeplanes zu einem späteren Zeitpunkt, nicht ausschließt.<br />

Ferner sei noch auf die nahe liegende Möglichkeit verwiesen, die Arbeit mit Kindern, die mit<br />

abweichendem Verhalten auffallen, in Angebote der Hilfen zur Erziehung zu integrieren. Auch<br />

75


EVALUATIONSBERICHT<br />

hier geht es ausdrücklich nicht um gesondert zu schaffende Angebote, sondern um die Integration<br />

der Kinder in bereits bestehende Einrichtungen bzw. Maßnahmen. Das schließt ein, dass<br />

bestehende Angebote konzeptionell für dieses Angebot geöffnet werden. Grundsätzlich können<br />

dabei alle Angebotsformen (§§27 ff KJHG) dieser Zielgruppe geöffnet werden. Die Entscheidung<br />

darüber, welches Angebot angemessen ist, hängt dabei ausschließlich vom Hilfebedarf<br />

ab. Eine solche Integration setzt allerdings voraus, dass die Mitarbeiter in den jeweiligen Einrichtungen<br />

entsprechend qualifiziert sind. Neben einer Qualifikation im engeren Sinne schließt<br />

das in diesem Arbeitsgebiet den professionellen und kooperativen Umgang mit (potentiellen)<br />

Kooperationspartnern, also der Polizei und gegebenenfalls der Justiz ein. Hier können bestehende<br />

Projekte auf die Erfahrungen der Mitarbeiter des <strong>ESCAPE</strong>- Programms zurückgreifen.<br />

Abschließend soll noch auf die Möglichkeiten der Förderung im Bereich der <strong>Familie</strong>nbildung<br />

nach § 16 KJHG verwiesen werden. Der Anspruch einer begleitenden Eltern- bzw. <strong>Familie</strong>narbeit<br />

im Rahmen der Maßnahme erlaubt auch kreative Querverbindungen.<br />

Mit der hier beschriebenen Fortführung der Arbeit wird nicht nur dokumentiert, dass eine zentrale<br />

Erwartung an ein Modellprogramm, nämlich die Arbeit nach der Modellphase in ein Regelangebot<br />

zu überführen, erfolgreich bewältigt wurde – und zwar von allen drei Standorten. Darüber<br />

hinaus bestätigt sich, dass die gesetzliche und inhaltliche Regelpraxis ausreichend „Nischen“<br />

für Neuentwicklungen bereithält. Voraussetzung für die Implementierung in die Regelpraxis im<br />

Fall der <strong>ESCAPE</strong> – Projekte war es dabei allerdings, dass die Arbeit mit delinquenten Kindern<br />

flexibel mit bereits existierenden Angeboten verknüpft wird. Dies ist nicht nur unter finanziellen,<br />

sondern darüber hinaus auch unter pädagogischen Gesichtspunkten sinnvoll: So kann einerseits<br />

eine Stigmatisierung der Kinder vermieden und gleichzeitig ihre mittel- und langfristige Integration<br />

in andere Angebote realisiert werden.<br />

8. Schluss<br />

Kindliche Lebenswelten haben viele Seiten und Ausdrucksformen. Erwachsene tun sich in ihrem<br />

rationalen Denken oft schwer, sich in die Welt der Kinder hineinzuversetzen. Dass für Erwachsene<br />

ganz andere Dinge im Leben wichtig sind als für Kinder, wird bereits in dem allseits<br />

bekannten Buch „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry eindrücklich beschrieben. Nur<br />

selten gelingt es, im öffentlichen Raum die Perspektive des Kindes einzunehmen - wie in der<br />

Aufschrift auf einem Hinweisschild am Zugang zu einem öffentlichen Spielplatz, auf dem sinngemäß<br />

zu lesen war: „Diesen Platz dürfen Erwachsene nur in Begleitung von Kindern betreten.“<br />

Um Kinder in ihren Ausdrucksformen zu verstehen, muss ihre Sicht der Dinge in die pädagogische<br />

Arbeit einfließen. Erziehung versteht sich dabei als eine Kunst, einerseits die notwendige<br />

Anpassung an gesellschaftliche Normen zu leisten und andererseits die Autonomie des Einzelnen<br />

zu stärken. Dazu bedarf es der Sensibilität für die Situation und der Ausgewogenheit des<br />

Anspruchs von „Fördern und Fordern“. Dazu braucht es aber auch Erzieher mit Vorbildfunktion.<br />

Grenzen zu setzen und aufzuzeigen ist legitim und notwendig. Dabei aber auszugrenzen und<br />

bei Verstößen gleichsam die ganze Person in Frage zu stellen, hinterlässt prägende Spuren.<br />

Projekte wie <strong>ESCAPE</strong> nehmen Politik und Jugendhilfe nicht aus der Pflicht, das Thema Kinderdelinquenz<br />

ganzheitlich anzugehen und gesamtgesellschaftlich zu diskutieren. Der wichtigsten<br />

Sozialisationsinstanz <strong>Familie</strong> darf nicht erst politische Aufmerksamkeit geschenkt werden, wenn<br />

sie den gesellschaftlichen Erwartungen nicht entspricht. Es bedarf vielmehr einer generellen<br />

Entlastung, Förderung und Unterstützung der <strong>Familie</strong> auf den verschiedensten Ebenen unserer<br />

Wohlstandsgesellschaft, in der Kinder zunehmend ein Armutsrisiko darstellen. Junge Menschen<br />

brauchen Zukunftsperspektiven und Rahmenbedingungen für eine förderliche und wertgetragene<br />

Persönlichkeitsentwicklung.<br />

76


Literaturverzeichnis<br />

<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Das folgende Verzeichnis enthält zusätzlich zu der im vorliegenden Abschlussbericht verwendeten<br />

Literatur auch sämtliche Quellen, die in den Teiluntersuchungen herangezogen wurden.<br />

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Lamnek, S.: Qualitative Sozialforschung. 2 Bde. Weinheim (Beltz), 1995.<br />

Leitner, W.: kindliche Lebenswelten unter besonderer Berücksichtigung der Situation von<br />

Scheidungswaisen im familiären und schulischen Kontext. In: Seibert, Norbert: Kindliche<br />

Lebenswelten. Eine mehrperspektivische Annäherung. Bad Heilbrunn, 1999.<br />

Leube, K.: Elternarbeit. In: Kreft, Mielenz: Wörterbuch Sozialer Arbeit. Weinheim und Basel<br />

1996.<br />

Loeber, R.: Developmental Continuity, Change, and Pathways in Male Juvenile Problem Behaviors<br />

and Delinquency. In J. D. Hawkins (Hrsg.), Delinquency and Crime – Current Theories<br />

(S. 68-148) Cambridge, 1996: University Press.<br />

Lüders, Ch.: Kinderdelinquenz - noch eine Herausforderung für die Kinder- und Jugendhilfe? In:<br />

Müller, S.; H. Peter (Hrsg.): Kinderkriminalität. Empirische Befunde, öffentliche Wahrnehmung,<br />

Lösungsvorschläge. Opladen (Leske und Budrich), 1998, S. 51-81<br />

Mand, J.: Lernbehinderung als soziale Benachteiligung. In: Eberwein, H. (Hrsg.): Handbuch<br />

Lernen und Lern-Behinderung. Weinheim und Base (Beltz), 1996, S. 165-175.<br />

Mattejat, F. & Remschmidt, H.: Fragebögen zur Beurteilung der Behandlung (FBB). Handanweisung.<br />

Göttingen (Hogrefe), 1998.<br />

Mayring, P.: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken.<br />

5. Auflage, Weinheim, Basel (Beltz), 2002.<br />

79


EVALUATIONSBERICHT<br />

McEvoy, A. & Welker, R. (). Antisocial Behavior, Academic Failure, and School Climate: A Critical<br />

Review. Journal of Emotional and Behavioral Disorders, 8, 130-140, 2000.<br />

Melzer, W.: Statement beim Hearing „Jugendhilfe und Schule“. In: vds – Fachverband für Behindertenpädagogik<br />

(Hrsg.): Mitteilungen aus dem Landesverband <strong>Sachsen</strong> e.V.. Leipzig,<br />

2001, Heft 1/2001, 34-37.<br />

Meuser, M. / Nagel, U.: ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. In: Garz, D. /<br />

Kraimer, K. (Hrsg.): Qualitativ-empirische Sozialforschung. Opladen (Westdeutscher<br />

Verlag GmbH), 1991, S. 441-471.<br />

Meyer, H.: Schulpädagogik. Band I: Für Anfänger. Berlin (Cornelsen Scriptor),1997.<br />

Möbius, T./ Klawe, W. (Hg.): AIB - Ambulante Intensive Begleitung. Handbuch für eine innovative<br />

Praxis in der Jugendhilfe. Weinheim, Berlin, Basel 2003<br />

Moffitt, T. E.: Adolescence-Limited and Life-Course-Persistent Antisocial Be-havior: A Developmental<br />

Taxonomy. Psychological Review, 100, 674-701,1993.<br />

Müller, F.W.: „Hurra, wir haben einen Konflikt!“ Einrichtungsübergreifende Fortbildung zu Gewalt<br />

in Kindertagesstätten, Horten und Grundschulen. In: Deutsches Jugendinstitut<br />

(Hrsg.): Wider der Ratlosigkeit im Umgang mit Kinderdelinquenz. Präventive Ansätze<br />

und Konzepte. München, 2000, S. 24-36.<br />

Müller, S./Peter, H. (Hrsg.): Kinderkriminalität. Empirische Befunde, öffentliche Wahrnehmung,<br />

Lösungsvorschläge. Opladen (Leske und Budrich), 1998.<br />

Münder, J. et al.: Frankfurter Lehr- und Praxiskommentar zum KJHG/SGBVIII, 3. Auflage,<br />

Münster (Votum), 1998.<br />

Münder, J.: Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG). In: Otto, H.-U. / Thiersch, H. (Hrsg.): Handbuch<br />

der Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Neuwied, Kriftel (Luchterhand), 2001, S. 1001-<br />

1019.<br />

Mutzeck, W.: Verhaltensgestörtenpädagogik und Erziehungshilfe. Bad Heilbrunn/Obb. (Klinkhardt)<br />

2000.<br />

Nestmann, F.: <strong>Familie</strong> als soziales Netzwerk und <strong>Familie</strong> im sozialen Netzwerk. In: Böhnisch,<br />

L./Lenz, K. (Hrsg.): <strong>Familie</strong>n – Eine interdisziplinäre Einführung. Weinheim und München<br />

(Juventa), 1997.<br />

Niebes, L. / Becher, B. / Pollmann, A.: Schulgesetz und Schulordnungen im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>:<br />

Praxiskommentar mit Hinweisen zum Lehrerdienstrecht. Stuttgart (u.a.): Boorberg, 2001.<br />

Niehaus, J./Gerstein, H.: Fragen und Beobachtungen zur Rolle der Jugendhilfe bei der Verhinderung<br />

von Jugendkriminalität. In: DVJJ-Journal 4/2000: 378-379.<br />

Olweus, D.: Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten – und tun können. Bern<br />

(Huber), 1996.<br />

Ostendorf, H.: Vorrang der Prävention vor Repression. In: Schmidt-Gödelitz, A.; C. Pfeiffer; J.<br />

Ziegenspeck (Hrsg.): Kinder- und Jugendkriminalität in Deutschland. Ursachen, Erscheinungsformen,<br />

Gegensteuerung. Bericht über eine Tagung der "Friedrich-Ebert-Stiftung"<br />

in Berlin. Lüneburg: Ed. Erlebnispädagogik 1997, S. 87-92.<br />

Pantucek, P.: Lebensweltorientierte Individualhilfe. Eine Einführung für soziale Berufe. Freiburg<br />

(Lambertus) 1998<br />

Pieper, A. (Hrsg.): Aristoteles. ausgew. und vorgestellt von Annemarie Pieper. München 1995<br />

Plewig, H.-J.: Was braucht der kleine Willy? Zum aktuellen Umgang mit dem Phänomen ‘Kinder-Kriminalität’.<br />

In: Müller, S.; H. Peter (Hrsg.): Kinderkriminalität. Empirische Befunde,<br />

öffentliche Wahrnehmung, Lösungsvorschläge. Opladen (Leske und Budrich), 1998, S.<br />

277-288.<br />

Pongratz, E.: Zum Umgang mit kindlicher Delinquenz. Eine Untersuchung zum Dunkelfeld und<br />

zur Prävention von Kinderdelinquenz in Grundschulen. Heidelberg: Univ., Diss. 1999.<br />

Reichling, U.: Die Absenkung des Strafmündigkeitsalters: Wirksames Mittel zur Bekämpfung<br />

der Kinder- und Jugendkriminalität. In: Gehl, G. (Hrsg.): Kinder- und Jugendkriminalität.<br />

Über den Umgang mit einem gesellschaftspolitischen Sprengsatz. Perspektiven und<br />

Konzepte. Weimar: Dadder 2000, S. 77-81.<br />

Retzmann, E.: Familiäre Interaktion und delinquentes Verhalten bei Kindern. Eine explorative<br />

Studie zur Planung und Durchführung eines Elterntrainings. In: Interdisziplinäre Beiträge<br />

zur Kriminologischen Forschung. Band 13. Köln, Berlin, Bonn, München 1986.<br />

80


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Sächsisches Staatsministerium für Kultus (1992a): Verwaltungsvorschrift des Sächsischen<br />

Staatsministeriums für Kultus zur Auswahl und Bestellung von Beratungslehrern im<br />

<strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>. In: Sächsisches Staatsministerium für Kultus: Amtsblatt des Sächsischen<br />

Staatsministeriums für Kultus. Dresden: Nr. 10/1992, 49-50.<br />

Sächsisches Staatsministerium für Kultus (1992b): Verwaltungsvorschrift des Sächsischen<br />

Staatsministeriums für Kultus zur Tätigkeit von Beratungslehrern an den Schulen im<br />

<strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>. In: Sächsisches Staatsministerium für Kultus: Amtsblatt des Sächsischen<br />

Staatsministeriums für Kultus. Dresden: Nr. 10/1992, 50-52.<br />

Sächsisches Staatsministerium für Kultus (1996): Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums<br />

für Kultus über Förderschulen im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong> (Schulordnung Förderschulen<br />

– SOFS). In: Niebes, L. / Becher, B. / Pollmann, A. (2001): Schulgesetz und Schulordnungen<br />

im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>: Praxiskommentar mit Hinweisen zum Lehrerdienstrecht.<br />

Stuttgart (u.a.): Boorberg.<br />

Sächsisches Staatsministerium für Kultus (1997): Konzept des Sächsischen Staatsministeriums<br />

für Kultus zur Schuljugendarbeit. In: Sächsisches Staatsministerium für Kultus: Amtsblatt<br />

des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus. Dresden: Nr. 4/1997, 106-108.<br />

Sächsisches Staatsministerium für Kultus (1999a): Förderrichtlinie des Sächsischen Staatsministeriums<br />

für Kultus zur Gewährung von Zuwendungen für Projekte der Schuljugendarbeit<br />

in Kooperation mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. In: Sächsisches<br />

Staatsministerium für Kultus: Ministerialblatt des Sächsischen Staatsministeriums für<br />

Kultus. Dresden: Nr. 1/1999, 2-3.<br />

Sächsisches Staatsministerium für Kultus (1999b): Verwaltungsvorschrift des Sächsischen<br />

Staatsministeriums für Kultus über die schulpsychologische Beratung im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>.<br />

In: Sächsisches Staatsministerium für Kultus: Ministerialblatt des Sächsischen<br />

Staatsministeriums für Kultus. Dresden: Nr. 12/1999, 382-383.<br />

Sächsisches Staatsministerium für Kultus (2000): Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums<br />

für Kultus über die Zuständigkeiten bei Ordnungsmaßnahmen (Ordnungsmaßnahmenzuständigkeitsverordnung<br />

– ZustOrdVO). In: Sächsisches Staatsministerium für<br />

Kultus: Ministerialblatt des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus. Dresden: Nr.<br />

10/2000.<br />

Sächsisches Staatsministerium für Kultus / Sächsisches Staatsministerium für Soziales, Gesundheit,<br />

Jugend und <strong>Familie</strong> (Hrsg.) (2001): Entwurf eines Positionspapier des SMK<br />

und des SMS zur Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe im <strong>Freistaat</strong> <strong>Sachsen</strong>.<br />

Unveröffentlicht<br />

Saint-Exupéry, A.: Der kleine Prinz. 5. Aufl. Berlin 1975.<br />

Sander, U./ R. Vollbrecht: Zwischen Kindheit und Jugend. Träume, Hoffnungen und Alltag 13-<br />

bis 15jähriger. Weinheim, München (Juventa),1985.<br />

Schäfer, H.: Zum Umgang mit delinquenten Kindern - eine Einführung. In: Arbeitsstelle Kinder –<br />

und Jugendkriminalitätsprävention / Bundesjugendkuratorium (Hrsg.): Wider der Ratlosigkeit<br />

im Umgang mit Kinderdelinquenz. Präventive Ansätze und Konzepte. München<br />

(DJI Verlag), 2000.<br />

Schäfers, B.: Gesellschaftlicher Wandel in Deutschland. Ein Studienbuch zur Sozialstruktur und<br />

Sozialgeschichte. Stuttgart, 1995.<br />

Schneider, U./Sengling, S.: Die <strong>Familie</strong> im Schatten sozialpolitischer Herausforderungen. In:<br />

Hohmeier, J.; Mair, H. (Hrsg.): Eltern- und <strong>Familie</strong>narbeit. <strong>Familie</strong>n zwischen Selbsthilfe<br />

und professioneller Hilfe. Freiburg im Breisgau 1989.<br />

Schone, R.: Hilfe und Kontrolle. In: Schröer, W. /Struck, N. / Wolff, M. (Hrsg.): Handbuch Kinder-<br />

und Jugendhilfe. Weinheim und München 2002, S. 945-958<br />

Schroer, W., N. Struck, M. Wolff(Hrsg.): Handbuch Kinder- und Jugendhilfe. München, Weinheim<br />

(Juventa), 2002.<br />

Sedlmeier, P.: Jenseits des Signifikanztest-Rituals: Ergänzungen und Alternativen. Methods of<br />

Psychological Research – online, 1, 45-68, 1996.<br />

Seitz, W. & Rausche, A.: Persönlichkeitsfragebogen für Kinder zwischen 9 und 14 Jahren (PFK<br />

9-14). Handanweisung (3., überarb. und erg. Aufl.). Göttingen (Hogrefe),1992.<br />

Selman, R. L.: Die Entwicklung des sozialen Verstehens. Entwicklungspsychologische und klinische<br />

Untersuchungen. Frankfurt a.M. (Suhrkamp), 1984.<br />

81


EVALUATIONSBERICHT<br />

Seybold, H.: Soziale Trainingskurse für Kinder. Bericht über ein <strong>Modellprojekt</strong>. In: Jugendwohl.<br />

(hg. Dt. Caritasverband e.V.Freiburg) 77.Jg., H.7, S. 332-341<br />

Silbereisen, R./ Wiesner, M.: Delinquentes Verhalten in Ost und West. Jahreshäufigkeit, Schweregrad<br />

und Verlaufsmuster. In: Silbereisen, R.; J. Zinnecker (Hrsg.): Entwicklung im sozialen<br />

Wandel. Weinheim (Beltz), 1999, S. 251-270.<br />

Steffen, W.: Delinquenz strafunmündiger Kinder. In: Deutsches Jugendinstitut: Der Mythos der<br />

Monsterkids. Strafunmündige "Mehrfach- und Intensivtäter". Ihre Situation – Grenzen<br />

und Möglichkeiten der Hilfe. München (DJI Verlag), 1999, S. 5-14.<br />

Stickelmann, B./ Frühauf, H.P.: Kindheit und sozialpädagogisches Handeln. Auswirkungen der<br />

Kindheitsforschung. Weinheim, München (Juventa) 2003<br />

Stimmer, F. (Hrsg.): Lexikon der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit. München, Wien 2000.<br />

Stouthamer-Loeber, M., Loeber, R. & Wei, E. (2002). Risk and promotive effects in the explanation<br />

of persistent serious delinquency in boys. Journal of Consulting & Clinical Psychology,<br />

70, 111-123.<br />

Straus, F.: Netzwerkarbeit. Die Netzwerkperspektive in der Praxis. In: Textor, M. R. (Hrsg.): Hilfen<br />

für <strong>Familie</strong>n. Ein Handbuch für psychosoziale Berufe. Frankfurt am Main,1990.<br />

Strieder, T.: <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong>. Hilfeangebote für Kinder mit abweichendem Verhalten. In:<br />

Stickelmann, B./ Frühauf, H.P.: Kindheit und sozialpädagogisches Handeln. Auswirkungen<br />

der Kindheitsforschung. Weinheim, München (Juventa) 2003<br />

Textor, M. R. (Hrsg.): Hilfen für <strong>Familie</strong>n. Ein Handbuch für psychosoziale Berufe. Frankfurt am<br />

Main, 1991.<br />

Thiersch, H.: Lebensweltorientierte Soziale Arbeit. Aufgaben der Praxis im sozialen Wandel.<br />

Weinheim und München 1995.<br />

Thiersch, H.: Notizen zum Zusammenhang von Lebenswelten, Flexibilität und flexiblen Hilfen.<br />

In: Friedhelm Peters et al (Hrsg.):Integrierte Erziehungshilfen. Qualifizierung der Jugendhilfe<br />

durch Flexibilisierung und Integration, Farnkfurt am Main, 1998.<br />

Thomas, K.: Kinderdelinquenz: Erscheinungsformen, Ursachen, Prävention. Projektbericht. Bremen:<br />

Hochschule für öffentliche Verwaltung Bremen 1998.<br />

Thomas, K.: Der Kinderdelinquenz Einhalt gebieten – aber wie? In: Zeitschrift für Rechtspolitik,<br />

32. Jahrgang Heft 5 1999. S.193 – 196.<br />

Tillmann, K.-J. (u.a.): Schülergewalt als Schulproblem: verursachende Bedingungen, Erscheinungsformen<br />

und pädagogische Handlungsperspektiven. Weinheim, München (Juventa),<br />

1999.<br />

von Wolffersdorff, Ch.: Jugendkriminalität in Deutschland – Über den Umgang mit schwierigen<br />

Jugendlichen und das neue Bedürfnis nach "law and order". In: Bendit, R.; Erler,<br />

W./Nieborg, S./Schäfer, H. (Hrsg.): Kinder- und Jugendkriminalität. Strategien der Prävention<br />

und Intervention in Deutschland und den Niederlanden. Opladen<br />

(Leske+Budrich), 2000.<br />

von Wolffersdorff, Ch.: Kinder- und Jugenddelinquenz. In: Wolfgang Schroer et.al.(Hrsg.):<br />

Handbuch Kinder- und Jugendhilfe, Weinheim, München (Juventa), 2002, S.495-525.<br />

von Wolffersdorff, Ch.: Kinder- und Jugendkriminalität: Gewalt im Brennpunkt der pädagogischen<br />

Diskussion. In: Stickelmann, B./ Frühauf, H.P.: Kindheit und sozialpädagogisches<br />

Handeln. Auswirkungen der Kindheitsforschung. Weinheim, München (Juventa) 2003<br />

Warnke, A.: Elternarbeit. In: Speck, O./Martin, K. L. (Hrsg): Handbuch der Sonderpädagogik<br />

Bd.10, Sonderpädagogik und Sozialarbeit. Berlin, 1990.<br />

Welz-Stadelbauer, B. / Schäfer, H.: Soziale Gruppenarbeit für strafunmündige Kinder. In: Deutsches<br />

Jugendinstitut (Hrsg.): Wider der Ratlosigkeit im Umgang mit Kinderdelinquenz.<br />

Präventive Ansätze und Konzepte. München, 2000, S. 161-173.<br />

Witzel, A.; Auswertung problemzentrierter Interviews. Grundlagen und Erfahrungen. In Reiner<br />

Strobl, Andreas Böttger: Wahre Geschichten? Zu Theorie und Praxis qualitativer Interviews,<br />

Baden Baden, 1996.<br />

Witzel, A.: Das problemzentrierte Interview. In: Jüttemann, G. (Hrsg.): Forschung in der Psychologie.<br />

Heidelberg (Roland Asanger Verlag), 1989, S. 227-255.<br />

Wocken, H.: Integration heißt auch: Arbeit im Team. Bedingungen und Prozesse kooperativer<br />

Arbeit. In: Pädagogik. 41. Jg., 18 – 22, 1991.<br />

82


<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />

Wolff, M.: Integrierte Hilfen und ihre Perspektiven für die Flexibilisierung von Jugendhilfe. Einige<br />

Befunde der wissenschaftlichen Begleitung des Verbunds Sozialpädagogischer Projekte<br />

e.V. Dresden.*<br />

Zimmer, E.: Systemische Arbeit mit Kindern und deren <strong>Familie</strong>n – Integrative <strong>Familie</strong>nhilfe. In:<br />

Arbeitsstelle Kinder – und Jugendkriminalitätsprävention / Bundesjugendkuratorium<br />

(Hrsg.): Wider der Ratlosigkeit im Umgang mit Kinderdelinquenz. Präventive Ansätze<br />

und Konzepte. München (DJI Verlag), 2000.<br />

Zimmermann, P.: Grundwissen Sozialisation. Opladen 2000<br />

Zitzmann, R. J.: Kinderdelinquenz. Ursachen, Hintergründe und Ergebnisse einer empirischen<br />

Untersuchung über delinquente Kinder in Mainz. Mainz: Univ., Fachbereich Medizin,<br />

Diss. 1981.<br />

Internetquellen:<br />

Bundesdatenschutzgesetz vom 20. Dezember 1990, Stand: 06/94. URL:<br />

http://www.datenschutz-berlin.de/informat/bdsg/bdsg1.htm#bdsg_nr16<br />

Bundesministerium des Inneren / Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Erster Periodischer Sicherheitsbericht.<br />

http://www.bmi.bund.de/Downloads/5.pdf am 13.07.2002 um 20:29<br />

Uhr.<br />

Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (2001): Weiterentwickelte Empfehlung<br />

und Arbeitshilfe für den Ausbau und die Verbesserung der Zusammenarbeit der Kinder-<br />

und Jugendhilfe mit der Schule. http://www.deutscherverein.de/portal/stellungnahmen/200103<br />

am 24.05.2002 um 9:48 Uhr.<br />

Hamburgisches Schulgesetz vom 16. April 1997<br />

(HmbSG)http://lbs.hh.schule.de/welcome.phtml?unten=/schulgesetz/schulgesetz.htm am<br />

28.07.2002 um 10:51 Uhr<br />

Sächsisches Landesamt für <strong>Familie</strong> und Soziales (2000): Verzeichnis der Jugendämter im <strong>Freistaat</strong><br />

<strong>Sachsen</strong>. Chemnitz.<br />

Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (1994):<br />

Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik<br />

Deutschland. http://www.kmk.org/doc/beschl/sopae94.pdf am 02.07.2002 um 17:27<br />

Uhr.<br />

Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (1999):<br />

Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Lernen und zum Förderschwerpunkt emotionale<br />

und soziale Entwicklung. http://www.kmk.org/doc/beschl/sopäle.pdf<br />

http://www.kmk.org/doc/beschl/emotsozentw.pdf am 02.07.2002 um 17:16<br />

Pressespiegel<br />

Die nachfolgenden Seiten enthalten gesammelte Presseartikel. Sie umfassen alle Veröffentlichungen<br />

der Printmedien zum <strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong>, sofern sie dem Projektmanagement und<br />

der wissenschaftlichen Begleitung bekannt geworden sind.<br />

83

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