Modellprojekt ESCAPE - Familie - Freistaat Sachsen
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EVALUATIONSBERICHT<br />
Albert<br />
Albert wurde in einem osteuropäischen Land als uneheliches Kind geboren. Seinen Vater hat er<br />
nicht kennen gelernt. Seit ca. 1993 leben Mutter und Kind in Deutschland. Vorübergehend<br />
wohnten sie in Lagern und Aussiedlerheimen. In ihrer jetzigen Wohnung und Wohngegend fühlt<br />
sich die Mutter wohl, nur der Weg zur Schule ist sehr weit. Die Mutter war in der Zeit, als Albert<br />
an <strong>ESCAPE</strong> teilnahm, auf ABM-Basis berufstätig.<br />
Die Mutter schildert das Verhältnis zwischen ihr und Albert als sehr schwierig, geprägt von Annäherung<br />
und Ablehnung. Auch Albert äußert sich über seine Mutter selten positiv. Er verleumdet<br />
sie in der Schule, während sie ihm oft strafend und fordernd begegnet, ohne seine Bemühungen<br />
zu loben. Die Mutter bemängelt an Alberts Verhalten insbesondere, dass er immer seinen<br />
Kopf durchsetzen will, bettelt, die Mutter beschimpft, mit Gegenständen bewirft, keine Konzentration<br />
zeigt, nicht auf die Uhrzeit achtet, bei den Hausaufgaben trödelt etc. Die Mutter lehnt<br />
es ab, von dem <strong>ESCAPE</strong>-Mitarbeiter Hilfe anzunehmen; mit dem Kind solle etwas geschehen,<br />
sie selbst brauche keine Gespräche. Immer wieder äußert sie die Absicht, Albert in ein Heim zu<br />
geben, da sie mit ihm nicht klar komme. Wiederholt droht sie ihm diese Maßnahme als „Strafe“<br />
für sein Verhalten an. Albert wiederum bemängelt an seiner Mutter, dass sie immer herumschreit<br />
und eine neue Sache von ihm verlangt, ohne die alte beendet zu haben. In die Netzwerkkarte<br />
nimmt er seine Mutter gar nicht erst auf. Auch sie bestätigt, dass er mit Problemen<br />
nicht zu ihr kommen würde. Erwachsene und Mädchen beschreibt Albert überwiegend negativ,<br />
Jungen dagegen überwiegend positiv (Mitarbeiter <strong>ESCAPE</strong>).<br />
Die Mutter berichtet, der Junge habe sich während der Kindheit schneller entwickelt als andere<br />
Kinder. Gleichzeitig habe er von Geburt an problematisches Verhalten gezeigt, sei unruhig, laut,<br />
unkonzentriert, rechthaberisch, zerstörungswütig und unsicher, würde Türen knallen, mit Gegenständen<br />
werfen und schreien. Zudem sei er hyperaktiv und leide unter neurotischen Störungen.<br />
Das problematische Verhalten äußere sich zumeist dann, wenn Anforderungen an ihn gestellt<br />
würden: so z.B. in der Schule. Albert besucht die 6. Klasse einer Erziehungshilfeschule<br />
und geht ungern zur Schule. Über Lehrer äußert er sich stets negativ. Bereits in der 1. Klasse<br />
musste Albert aufgrund seiner psychischen Auffälligkeiten zur Diagnostik in die Kinder- und Jugendpsychiatrie.<br />
Besondere Schwierigkeiten gab es durch das fortgesetzte Bettnässen des<br />
Jungen. Für Albert wurde in diesem Zusammenhang ein Kuraufenthalt verordnet.<br />
Polizeilich ist Albert zweimal delinquent aufgefallen. Zum einen hatte er versehentlich beim<br />
Radfahren eine ältere Frau angefahren. Zum anderen hatte er im Auftrag zweier älterer Freunde<br />
(einer davon war 16 Jahre alt) für eine Mark ein Mädchen geschlagen. In beiden Fällen kam<br />
es zur Anzeige, eine Entschuldigung gegenüber den Opfern kam nicht zustande. Albert äußerte<br />
gegenüber dem Mitarbeiter von <strong>ESCAPE</strong>, er habe bisher noch nie eine Möglichkeit gehabt, sich<br />
zu entschuldigen, wenn etwas vorgefallen sei, auch nicht bei kleineren Dingen in der Schule. Er<br />
wisse aber, wie so etwas geht.<br />
Wenn andere Kinder ihn abweisen und hänseln, wird Albert schnell wütend und neigt dazu, sich<br />
zu schlagen. Nach den Schilderungen seiner Mutter findet er bei gleichaltrigen Kindern wenig<br />
Anerkennung, hat kaum Freunde und wird oft als „Russe“ beschimpft. Dies steigert die Wut des<br />
Jungen nur noch. Sie bemängelt, dass Albert in der Gleichaltrigengruppe das macht, was andere<br />
von ihm wollen, und dass er sich oft ausnutzen lässt.<br />
Dennoch sucht Albert, wie auch sein Verhalten im Projekt zeigt, den Kontakt zu Kindern und<br />
spielt gerne mit ihnen. So fragte er zu Beginn des Öfteren nach dem Verbleib der anderen Kinder<br />
und freute sich auf die Gruppenarbeit. Die Jugendhilfe wurde bereits mit erzieherischen Hilfen<br />
in Form von Erziehungsberatung und Sozialpädagogischer <strong>Familie</strong>nhilfe aktiv. Nach Beendigung<br />
von <strong>ESCAPE</strong> wird Albert erneut in die Psychiatrie eingewiesen und später, nach Aussagen<br />
der Mutter, in einem Heim in <strong>Sachsen</strong>-Anhalt untergebracht.<br />
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