Modellprojekt ESCAPE - Familie - Freistaat Sachsen
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<strong>Modellprojekt</strong> <strong>ESCAPE</strong><br />
2.2 Umgang mit Kinderdelinquenz: Rechtsgrundlagen, institutionelle Zuständigkeiten<br />
und Verfahrensweisen<br />
Neben der über Jahrzehnte geführten Diskussion über das Verhältnis von Erziehung und Strafe<br />
im Rahmen des Jugendstrafrechts weitete sich in den 90er Jahren die Aufmerksamkeit zunehmend<br />
auch auf den Bereich der Kinderdelinquenz aus. Unter Berücksichtigung der geistigen<br />
und sittlichen Reife gelten Kinder unter 14 Jahren in Deutschland als strafunmündig (§ 19<br />
StGB). Dies hat zur Folge, dass die Justiz Straftaten von Kindern nicht weiter verfolgt und Strafverfahren<br />
sofort einstellt. Aus diesem Grund stellt das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII/<br />
KJHG) den allgemeinen rechtlichen Handlungs- und Bezugsrahmen für den Umgang mit delinquenten<br />
Kindern dar. Die zuständige Behörde ist das Jugendamt. Im Unterschied zum strafrechtlich<br />
klar geregelten und verbindlichen Vorgehen bei Jugendlichen sind die Verfahrensweisen<br />
in Bezug auf strafunmündige Kinder rechtlich nur sehr wenig fixiert. Es handelt sich um eine<br />
Grauzone mit bundesweit sehr heterogenen Verfahrensweisen und fehlenden Verbindlichkeiten<br />
zwischen den zuständigen Institutionen an der Schnittstelle von Kinderdelinquenz (DJI 1999).<br />
Die Polizei steht in der Bearbeitungspraxis meist an vorderster Front. Der durch das Legalitätsprinzip<br />
bedingte Strafverfolgungszwang der Polizei in Deutschland erfordert auch bei geringfügigen<br />
Delikten von Kindern Ermittlungsaktivitäten und die Meldung an die Staatsanwaltschaft.<br />
Sobald Kinder und Jugendliche als Tatverdächtige ermittelt werden, bildet die 1996 novellierte<br />
und bundesweit gültige Polizeidienstvorschrift 382 (PDV) zur „Bearbeitung in Jugendsachen“<br />
die Richtlinie für polizeiliches Handeln. Darin werden Mindeststandards für eine polizeiliche Jugendarbeit<br />
gesetzt, die den Ansprüchen einer zeitgemäßen Bewältigung normabweichenden<br />
Verhaltens junger Menschen in notwendiger Kooperation mit anderen jugendbezogenen Kontrollinstanzen<br />
genügen soll (Hübner/Kerner 1997).<br />
Die Umsetzung soll sich mit besonders geschulten Polizeibeamten – so genannten Jugendsachbearbeitern<br />
– nach dem Grundsatz „Prävention geht vor Repression“ (Vorwort PDV) realisieren.<br />
Zunehmend wird dafür sogar das Tatortprinzip der Polizei zu Gunsten des Wohnortprinzips<br />
aufgegeben. Die Meldungspflicht an das Jugendamt besteht bei einer „Gefährdung“ des<br />
Kindes: „Das Jugendamt und sonst zuständige Behörden sind unverzüglich zu unterrichten,<br />
wenn schon während der polizeilichen Ermittlungen erkennbar wird, dass Leistungen der Jugendhilfe<br />
in Frage kommen. In allen anderen Fällen ist spätestens mit der Abgabe der Ermittlungsvorgänge<br />
an die Staatsanwaltschaft das Jugendamt zu unterrichten, sofern eine Gefährdung<br />
Minderjähriger [...] vorliegt... (PDV 832). Was heißt aber für den einzelnen diensthabenden<br />
Polizeibeamten „Gefährdung“? Die Schwierigkeit besteht auch darin, dass sich in der<br />
Mehrzahl der Fälle eine Gefährdung nicht einzig und allein aus der bloßen Tatsache einer Deliktbegehung<br />
ableitet. In der Praxis führt diese Kann-Bestimmung zu einem Ermessensspielraum,<br />
der Unsicherheiten erzeugt und willkürlichen Entscheidungen Vorschub leistet. Wie Jugendämter<br />
dann wiederum auf die Meldungen der Polizei reagieren, ist vor dem Hintergrund<br />
kommunaler Selbstverwaltungsstrukturen der Jugendhilfe ebenfalls sehr unterschiedlich und<br />
bisher noch relativ wenig bekannt. Das KJHG macht keine konkreten Aussagen darüber, wie im<br />
Falle polizeilicher Mitteilungen mit straftatverdächtigen Kindern zu verfahren ist.<br />
Delinquentes Verhalten von Kindern muss nicht zwangsläufig zu Reaktionen der Jugendhilfe<br />
führen, denn ihr Tätigwerden orientiert sich nicht in erster Linie an Delinquenz, sondern am erzieherischen<br />
Bedarf im Einzelfall. Die Konsequenzen für begangene Straftaten von strafunmündigen<br />
Kindern liegen zunächst primär in der Verantwortung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten.<br />
Der Staat ordnet seinen Einfluss im Erziehungsbereich auch im Fall von Kinderdelinquenz<br />
dem natürlichen Recht der Eltern auf Erziehung unter, aber verpflichtet sie zugleich zur elterlichen<br />
Sorge (Art. 6 GG, §1626 f. BGB). Deshalb werden nach Abschluss der Ermittlungen in der<br />
Regel zuerst die Eltern von der Polizei informiert und Kinder mit ihren Eltern gemeinsam im Ermittlungsverfahren<br />
zur Anhörung geladen.<br />
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