Modellprojekt ESCAPE - Familie - Freistaat Sachsen
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EVALUATIONSBERICHT<br />
als Aussiedlerin aus einem osteuropäischen Land kaum Deutsch sprach, musste er eine Vielzahl<br />
alltäglicher Pflichten übernehmen, die ihn letztlich überforderten. Und obwohl er, anders als<br />
seine Mutter, die deutsche Sprache schon recht gut beherrschte, wurde er von Gleichaltrigen<br />
wiederholt als „Russe“ beschimpft. Die Beispiele von Christiane und Arnd schließlich können für<br />
jene Vielzahl von Teilnehmern des Projekts stehen, in denen sich familiäre Schwierigkeiten, Erfahrungen<br />
in der Schule, Beziehungen zu Gleichaltrigen etc. in einer Art „labilem Gleichgewicht“<br />
befinden: Deutlichen Risikofaktoren, die die Lebenssituation der Kinder belasten, zum Teil auch<br />
in ihren Delikten zum Ausdruck kommen und sich ohne Hilfestellung mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
weiter verfestigen würden, stehen eine Reihe positiver, förderlicher Faktoren gegenüber.<br />
In einem Fall ist dies der erfolgreiche Schulbesuch, im anderen die verlässliche Beziehung zur<br />
Mutter. Oft waren es gerade solche Konstellationen, in denen trotz zunehmendem Hilfebedarf<br />
an vorhandenen Stärken und familiären Ressourcen angesetzt werden konnte, die <strong>ESCAPE</strong> ein<br />
erfolgreiches Arbeiten möglich machten. Auch bei Christiane und Arnd gelang es, im Verhältnis<br />
zu den Kindern wie auch zu den Eltern stabilisierend zu wirken und positive Entwicklungen zu<br />
unterstützen.<br />
Lukas<br />
Lukas wuchs bei seinen leiblichen Eltern auf. Er ist das dritte von vier Kindern. Der Vater ist ungelernter<br />
Hilfsarbeiter, arbeitet im Schichtdienst und ist selten in der <strong>Familie</strong> anwesend. Die<br />
Mutter ist Alkoholikerin. Die <strong>Familie</strong> wohnt in einer Vier-Zimmer-Wohnung in einem Hochhaus.<br />
Im Haushalt der <strong>Familie</strong> leben nur noch die beiden jüngsten Kinder: Lukas selbst und sein<br />
10jähriger Bruder, der Epileptiker ist.<br />
Lukas wuchs nach Angaben der Eltern normal auf. Er besuchte regulär die erste und zweite<br />
Klasse der Grundschule, wiederholte die dritte Klasse und begann auch die vierte. Diese beendete<br />
er jedoch nicht, sondern verweigerte seitdem permanent die Schule. Bei der Polizei ist Lukas<br />
schon seit langem bekannt, 25 Polizeimeldungen liegen unterdessen über ihn vor. Darunter<br />
befindet sich die ganze Deliktbandbreite wie Einbruchdiebstahl, Nötigung, Raub und Körperverletzung.<br />
Mit elf Jahren wurde er erstmals polizeilich registriert. Innerhalb von zehn Tagen folgten<br />
weitere Straftaten. Die Mitarbeiter im Projekt beobachteten, dass sich Lukas mit den von<br />
ihm begangenen Delikten zum Teil stark identifizierte. In der Gleichaltrigengruppe seines Stadtteils<br />
sicherte ihm sein Verhalten eine starke Stellung. Zudem erschien das abweichende Verhalten<br />
von Lukas noch in anderer Weise als funktional: es verschaffte ihm den so genannten ‘Kick’,<br />
es diente der Freizeitgestaltung und half bei der Erfüllung materieller Wünsche.<br />
Zu <strong>ESCAPE</strong> kam Lukas mit 13 Jahren, und er nahm für mehr als ein halbes Jahr am Projekt<br />
teil. Die Vermittlung des Jungen erfolgte über den ASD des Jugendamtes, wo die <strong>Familie</strong> bereits<br />
über verschiedene Hilfen zur Erziehung (Erziehungsbeistandschaft, SPFH) bekannt war.<br />
<strong>ESCAPE</strong> wurde von den Eltern als eine Möglichkeit verstanden, den Schulbesuch ihres Jungen<br />
wieder anzugehen und weitere Straffälligkeiten zu verhindern. Lukas selbst erhoffte sich dies<br />
von <strong>ESCAPE</strong> ebenso und wünschte sich zudem Menschen, mit denen er reden kann und zu<br />
denen er eine Beziehung aufbauen kann. Parallel zu der Arbeit im Projekt <strong>ESCAPE</strong> liefen seitens<br />
des Jugendamtes Vorbereitungen zum Entzug des Sorgerechts der Eltern für ihre beiden<br />
Kinder Lukas und seinem jüngeren Bruder. Während Lukas am Projekt teilnahm, wurde das<br />
Aufenthaltsbestimmungsrecht über beide Kinder einem Vormund übertragen. Lukas und seine<br />
Geschwister wurden in ein Heim aufgenommen. Seitdem besucht Lukas wieder regelmäßig die<br />
Schule.<br />
Die starke emotionale Bindung des Jungen an seine Eltern äußert sich in seinem Wunsch, in<br />
Zukunft wieder zu Hause wohnen zu dürfen und in dem Heimweh, welches er während seines<br />
Heimaufenthaltes empfindet. In der Netzwerkkarte bestätigt sich, dass Lukas in seinen Eltern<br />
weiterhin die primären Bezugspersonen sieht. Das Verhalten der alkoholkranken Mutter nimmt<br />
Lukas in Schutz, auch wenn ihn die Situation stark belastet. Auf die Frage, wer denn seine Vor-<br />
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