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PDF - Handbuch Arbeitsrecht

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Novemberrevolution 1918 und Weimarer Republik<br />

winn- und Verlustrechnung vorlegen. 94 Erstmals wurden zwei Betriebsratsmitglieder in den<br />

Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften entsandt (§ 70 BRG). 95<br />

Für das Tarifrecht der Weimarer Republik ist bis zuletzt die Verordnung vom 23. 12. 1918<br />

(vgl. Rn. 27) maßgebend geblieben, obwohl sie nur als ein Provisorium konzipiert worden<br />

war. 96 Der <strong>Arbeitsrecht</strong>sausschuss der Reichsregierung legte zwar 1921 durch Sinzheimer<br />

den »Entwurf eines Arbeitstarifgesetzes« vor. 97 Das Vorhaben blieb jedoch trotz anfänglicher<br />

Zustimmung von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften stecken, vor allem wegen<br />

Differenzen über die Regelung der Tariffähigkeit. 98 Es wurde nochmals 1928 bei der Zusammenarbeit<br />

zwischen Deutschland und Österreich zur Rechtsangleichung des Tarifrechts<br />

aufgegriffen, kam aber über das Stadium eines (unveröffentlichten) gemeinsamen Referentenentwurfs<br />

nicht mehr hinaus. 99 Auch ein im <strong>Arbeitsrecht</strong>sausschuss diskutierter Entwurf<br />

Oertmanns zur Rechtsstellung der Berufsvereine wurde wegen Differenzen über die Frage<br />

ihrer Haftung kein Gesetz. 100 Die Zahl der Tarifverträge stieg in der Weimarer Republik<br />

stark an: 1922 galten sie für fast 900 000 Betriebe mit 14,3 Mio. AN. 101 Man muss allerdings<br />

sehen, dass die Wirkungskraft der Tarifverträge auf der betrieblichen Ebene nur sehr begrenzt<br />

war: Die meisten Tarifverträge ließen den AG insbesondere in Entlohnungsfragen<br />

große Spielräume (z. B. die Entscheidung zwischen Zeit- und Leistungslohn). 102 Zudem gab<br />

es hinsichtlich der konkreten Eingruppierung sowie den Leistungslohnkriterien kein den<br />

heutigen §§ 87 und 99 BetrVG entsprechendes Mitbestimmungsrecht (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 31<br />

Rn. 11ff.). 103<br />

Das zivilrechtliche Arbeitskampfrecht blieb weiterhin gesetzlich nicht geregelt. Es galten<br />

praktisch unverändert die im Kaiserreich entwickelten Regeln (vgl. Rn. 21). 104 Wegen des<br />

Fehlens eines verfassungsrechtlich garantierten Streikrechts (vgl. Rn. 28) blieben fristlose<br />

Kündigungen als Reaktion auf Streiks ohne Einhaltung der Kündigungsfrist möglich. 105 Die<br />

Beschäftigung nach Abschluss eines Arbeitskampfes hing ausschließlich von der Durchsetzung<br />

einer (meist nur schuldrechtlich wirkenden) tarifvertraglichen Wiedereinstellungsklausel<br />

ab. 106 Als neues Phänomen kam die Frage mittelbarer Arbeitskampffolgen hinzu.<br />

Das RG (ebenso wie später das RAG) überbürdete das Lohnrisiko in seinem ersten Urteil<br />

über die Arbeitseinstellung bei der Kieler Straßenbahn wegen eines Streiks der Kraftwerksarbeiter<br />

unter dem Gesichtspunkt der Betriebsgemeinschaft und aus kampftaktischen Gründen<br />

den AN (zum heutigen »Arbeitskampfrisiko« vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 136 Rn. 55ff.). 107 Das<br />

Streikrecht für Beamte wurde angesichts eines drohenden Eisenbahnerstreiks durch NotVO<br />

des Reichspräsidenten Ebert vom 1. 2. 1922 (RGBl. I, S. 187) generell verneint: »Den Beamten<br />

der Reichsbahn ist ebenso wie allen übrigen Beamten nach dem geltenden Beamtenrecht die<br />

Einstellung oder Verweigerung der ihnen obliegenden Arbeit verboten.« Mit dieser von den<br />

Gerichten später einhellig gebilligten NotVO wurde die Frage des Beamtenstreikrechts für<br />

94 Vgl. »Gesetz über die Betriebsbilanz und die<br />

Betriebsgewinn- und -verlustrechnung« vom<br />

5.2.1921 (RGBl. S. 159).<br />

95 Vgl. »Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern<br />

in den Aufsichtsrat«<br />

vom 15. 2. 1922 (RGBl. S. 209); Köstler, Mitb.<br />

1986, 429.<br />

96 Vgl. Gamillscheg, KA Bd. 1, S. 115f.<br />

97 RArbBl. 1921 AT, 491; Wiederabdruck in Sinzheimer,<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong> und Rechtssoziologie,<br />

Bd. 1, 1976, S. 182ff.<br />

98 Vgl. Bohle, Einheitliches <strong>Arbeitsrecht</strong> in der<br />

Weimarer Republik, 1990, S. 34ff.<br />

99 Vgl. Bohle, a. a. O., S. 37f.<br />

100 Vgl. Bohle, a. a. O., S. 23ff.; Abdruck des Entwurfs:<br />

Anhang, S. 145ff.; zu dieser Thematik<br />

vgl. auch 34. Deutscher Juristentag, 1926 (Gutachten<br />

Nipperdey).<br />

101 Vgl. Gamillscheg, KA Bd. 1, S. 118.<br />

102 Vgl. den Tatbestand des RAG-Urteils im so genannten<br />

Ruhreisenstreit (Rn. 34; RAG<br />

29. 1.1929, Bensheimer Sammlung 5, 167).<br />

103 Vgl. Crusius/Schiefelbein/Wilke, Die Betriebsräte<br />

in der Weimarer Republik, Bd. 2, 1978,<br />

S. 167ff.<br />

104 Vgl. eingehend Kittner, Arbeitskampf, S. 429ff.<br />

105 Damals ganz h.M., vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch<br />

des <strong>Arbeitsrecht</strong>s, Bd. 2, 3. bis 5. Aufl.<br />

1932, S. 497f.; a. A. lediglich LG Frankfurt<br />

20. 7.1923, ArbR 1924, 858; Potthoff, ArbR 1925,<br />

987.<br />

106 Vgl. Hueck/Nipperdey, a. a. O., S. 90ff. m. w. N.<br />

107 RG 6. 2.1923, RGZ 106, 272; hierzu die Ideologiekritik<br />

von Kahn-Freund, Das soziale Ideal<br />

des Reichsarbeitsgerichts, 1931, Wiederabdruck<br />

bei Ramm, <strong>Arbeitsrecht</strong> und Politik.<br />

Quellentexte 1918–1933, S. 149 [173ff.].<br />

Kittner 15<br />

32<br />

33

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