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PDF - Handbuch Arbeitsrecht

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Entwicklungslinien – Zukunft des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

Phänomene sind Flexibilisierung des Arbeitseinsatzes hinsichtlich der Arbeitszeit (vgl.<br />

<strong>Handbuch</strong>, §§ 26, 27), Outsourcing (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 4 Rn. 65ff.), Telearbeit (vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§118) und »neue Selbständigkeit« (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 3 Rn. 105).<br />

– Die Arbeitsproduktivität steigt, ohne dass sich eine Veränderung der Entwicklung abzeichnet.<br />

Eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung ist unwahrscheinlich; jede Annäherung an<br />

eine Arbeitslosenzahl von 3 Mio. in Deutschland gilt als großer Erfolg.<br />

– Die Beschäftigungssegmente verschieben sich weg von Industriearbeit zu Dienstleistungen<br />

und Angestelltenarbeit. Die Nachfrage nach weniger qualifizierten Tätigkeiten sinkt.<br />

Der Anteil von Teilzeitarbeit steigt (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 121).<br />

– Der Organisationsgrad bei Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sinkt. Die einen<br />

verlieren an Zustimmung bei jugendlichen Berufsanfängern, die anderen gewinnen kaum<br />

neu gegründete Betriebe als normale Mitglieder (zur sog. OT-Mitgliedschaft vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§ 8 Rn. 5). Ein verstärkt individualistisches Lebensgefühl, das nicht zuletzt von größeren<br />

individuellen Entfaltungsmöglichkeiten in der Arbeit gespeist wird, führt zur Abstinenz<br />

gegenüber Großorganisationen.<br />

– Der Grad der Tarifbindung nimmt ab, in Ostdeutschland stärker als im Westen.<br />

– Die Nichteinhaltung von Tarifverträgen nimmt zu, durchaus auch im Zusammenwirken<br />

von AG und BR (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 10 Rn. 172ff.).<br />

Dazu kommt die Krise der aus arbeitsabhängigen Beiträgen gespeisten sozialen Sicherungssysteme<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 15 Rn. 7). Sie geraten sowohl wegen der anhaltenden Arbeitslosigkeit<br />

als auch aus demographischen Gründen an ihre Beitrags- und damit Leistungsgrenzen.<br />

Eine radikale Konsequenz daraus, dass das »alte« <strong>Arbeitsrecht</strong> mit der neuen Realität nicht<br />

mehr so recht zusammenzupassen scheint, lautet nicht selten: Anpassung durch Abbau. »Betriebliche<br />

Bündnisse für Arbeit« und eine Neudefinition des Günstigkeitsprinzips legen<br />

nahe, auf den Schutz des <strong>Arbeitsrecht</strong>s zu verzichten, wenn dies der Beschäftigungssicherung<br />

dient (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 8 Rn. 67). Die theoretische Flankierung liefert die Forderung<br />

nach »Deregulierung«. Deren zentrales Credo, das z. B. den arbeitsrechtlichen Konzepten<br />

der konservativ-liberalen Koalition zugrunde lag, lautet: »Weniger arbeitsrechtlicher Schutz<br />

erhöht die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen« (vgl. Rn. 97). 360 Als Fundamentalthese<br />

speist sich das »Deregulierungs«-Verlangen aus der auch im <strong>Arbeitsrecht</strong> bisweilen vertretenen<br />

These, das <strong>Arbeitsrecht</strong> sei eigentlich »marktwirtschaftskonträr«. 361 Diese Sicht ist jedoch<br />

falsch. Eine Marktwirtschaft kann nur funktionieren bzw. funktioniert umso besser, je<br />

»freier« sie in dem Sinne ist, dass alle Beteiligten sich mit (tendenziell) gleicher Marktmacht<br />

austauschen. In der Sprache der Ökonomie heißt das: Die Transaktionskosten aller Beteiligten<br />

müssen gleich und so niedrig wie möglich sein. Wo dies nicht der Fall ist, greift das Recht<br />

korrigierend ein, um die Rahmenbedingungen eines »vollkommenen Vertrages« herbeizuführen.<br />

Das heißt: Intervention zur Kompensation ungleicher Marktmacht ist marktwirtschaftskonform.<br />

Es zeigt sich vielmehr, dass die Schutzpflicht-Konzeption des BVerfG zum<br />

»Ausgleich gestörter Verhandlungsparität« (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 1 Rn. 14) den ökonomischen<br />

Anforderungen an eine staatliche Intervention zur Ermöglichung einer für alle Beteiligten<br />

freien – und damit sozialen – Marktwirtschaft entspricht. 362 »Deregulierung« aus Prinzip<br />

verbietet sich sowohl aus ökonomischen als auch aus verfassungsrechtlichen Gründen. Die<br />

aus beiden Richtungen zutreffende Frage kann allein der in der gegebenen Situation richtigen<br />

Regulierung gelten. Das zielt ökonomisch gesehen auf Effizienz und verfassungsrechtlich<br />

auf die Verhältnismäßigkeit des jeweiligen Eingriffs (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 7 Rn. 19).<br />

Das <strong>Arbeitsrecht</strong> der Zukunft kann nicht am Reißbrett skizziert werden. Wenn die genannten<br />

Entwicklungen und Trends ernst genommen werden und verhindert werden soll, dass die<br />

360 Ausgangspunkt: Kronberger Kreis, Mehr<br />

Mut zum Markt, 1983; vgl. Deregulierungskommission,<br />

Marktöffnung und Wettbewerb,<br />

1991.<br />

361 Vgl. Zöllner, ZfA 1994, 324; hierzu Kittner, AuR<br />

1995, 385.<br />

362 Vgl. eingehend Kittner, FS Dieterich,<br />

S. 279 m. w.N.; vgl. auch Pfarr, WSI-Mitt. 2003,<br />

313; Hanau, Deregulierung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

–Ansatzpunkte und verfassungsrechtliche<br />

Grenzen, 1997; Blanke, FS Gnade, S. 25;<br />

Linnenkohl, JbArbR 1992, 127.<br />

Kittner 49<br />

137<br />

138

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