01.03.2013 Aufrufe

PDF - Handbuch Arbeitsrecht

PDF - Handbuch Arbeitsrecht

PDF - Handbuch Arbeitsrecht

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Allgemeines<br />

steht – ungeachtet der zwischenzeitigen Entscheidung für die Gewerbefreiheit – in einer langen<br />

kameralistischen Tradition. Sie ist aber auch eine Folge des lange Zeit erfolgreichen Bemühens<br />

der herrschenden Kräfte, einen Zusammenschluss der Arbeiter und deren kollektive<br />

Aktion zu verhindern (vgl. Rn. 19). Damit gab es niemanden anderen als den Staat<br />

selbst, um als änderungsbedürftig empfundene Missstände zu beheben. Das ist nachhaltig<br />

strukturprägend geworden. Ungeachtet aller inzwischen gesellschaftspolitisch begründeten<br />

und rechtlich abgesicherten Prärogative der Tarifvertragsparteien (<strong>Handbuch</strong>, § 8 Rn. 179), ist<br />

bis heute die quantitative und qualitative Dominanz staatlichen Rechts für die Regelung<br />

der Arbeitsbeziehungen in Deutschland unverkennbar. Dem entspricht es als ein Grundmuster<br />

gewerkschaftlicher Politik, dass für die meisten der aus dem Arbeitsleben herrührenden<br />

Probleme Forderungen an den staatlichen Gesetzgeber gerichtet werden, statt sie<br />

selbst tarifvertraglich lösen zu wollen (sogar dort, wo der Tarifvertrag sich als Werbemittel<br />

aufdrängen würde, wie etwa bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§41). Klassisches Gegenbeispiel sind die USA: Angesichts der konsequenten sozialpolitischen<br />

Abstinenz des Staates blieb für kompensatorische arbeitsrechtliche Interventionen<br />

überhaupt nichts anderes übrig als die Erzwingung von Tarifverträgen durch die Gewerkschaften<br />

(mit deren anhaltendem Niedergang nimmt sich die staatliche Arbeitsgesetzgebung<br />

zunehmend elementarer Schutzprobleme an, z. B. für werdende Mütter, schwerbehinderte<br />

Menschen oder ältere AN). 15<br />

Komplett ist eine Geschichte des <strong>Arbeitsrecht</strong>s nur durch einen gleichzeitigen Blick auf die<br />

Entwicklung des Sozialrechts. Es ist zum einen unverzichtbar, damit es überhaupt einen auf<br />

Vertragsfreiheit beruhenden Arbeitsmarkt geben kann. 16 Zum anderen gehen vom Sozialrecht<br />

handfeste Rückwirkungen auf das <strong>Arbeitsrecht</strong> aus (vgl. eingehend <strong>Handbuch</strong>, § 17<br />

Rn. 12ff.). Für das Sozialrecht gilt die Priorität der staatlichen Gestaltung geradezu kategorial.<br />

Dabei darf die deutsche Tradition nicht den Blick dafür verstellen, dass es weitestgehend<br />

eine Frage politischer Zweckmäßigkeit ist, ob ein bestimmter Komplex sozialrechtlich oder<br />

arbeitsrechtlich oder arbeitsteilig gelöst wird (z. B. die materielle Sicherung der AN im<br />

Krankheitsfalle). Auch in dieser Hinsicht zeigt ein Blick auf Länder ohne ausgebaute staatliche<br />

Sozialgesetzgebung, dass adäquate Lösungen dort auf dem Wege arbeitsrechtlicher<br />

Vereinbarungen angestrebt werden (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 17 Rn. 4).<br />

Die Entwicklung von <strong>Arbeitsrecht</strong> (und Sozialrecht) ist in ihren Details ebenso wie hinsichtlich<br />

der großen Linien ein getreues Abbild der jeweiligen geschichtlichen Epoche. Dabei<br />

fällt der Unterschied zwischen kollektivem <strong>Arbeitsrecht</strong> und Individualarbeitsrecht sowie<br />

Arbeitsschutzrecht auf. Das kollektive <strong>Arbeitsrecht</strong>, insbesondere hinsichtlich der Rechtsstellung<br />

der Gewerkschaften und des Tarifvertragssystems, ist jeweils eng mit den großen<br />

System-Umbrüchen verbunden, die die deutsche Geschichte kennzeichnen: Die November-Revolution<br />

bringt die volle Anerkennung von Gewerkschaften und Tarifvertrag (vgl.<br />

Rn. 25, 27), der Nationalsozialismus beseitigt beides (vgl. Rn. 41f.) und seine Niederlage<br />

führt zu deren erneuten Anerkennung (vgl. Rn. 53ff.). Hinsichtlich des Arbeitsschutzrechts<br />

ist dagegen – ungeachtet durchaus signifikanter parteipolitischer Unterschiede – eine bemerkenswert<br />

kontinuierliche Aufwärtsentwicklung zu beobachten, gewissermaßen als technisch<br />

unerlässliche Begleiterscheinung der sich immer dichter entwickelnden Industriegesellschaft.<br />

Eine Gegenbewegung setzte erstmals mit der Deregulierungs- und Flexibilisierungspolitik<br />

der konservativ-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl ein.<br />

Wiederum anders sieht es hinsichtlich des hauptsächlich durch Rspr. und <strong>Arbeitsrecht</strong>swissenschaft<br />

entwickelten Arbeitsvertragsrechts aus: Diesbezüglich kommt es erst deutlich nach<br />

Gründung der Bundesrepublik zur Herausbildung eines wirklich vertragsrechtlichen Verständnisses.<br />

Davor herrschte mit bemerkenswerter Kontinuität das bereits in der Weimarer<br />

Republik vorbereitete, im Nationalsozialismus voll entfaltete und später lange konservierte<br />

15 Vgl. Reimann, Einführung in das US-amerikanische<br />

Privatrecht, 1997, S. 270ff.; zum Kündigungsschutzrecht<br />

s. Kittner/Kohler, BB 2000,<br />

Beil. 4.<br />

16 Vgl. Kittner, FS Kissel, 1994, S. 499 [500];<br />

Schmidt, AuR 1997, 461.<br />

Kittner 3<br />

5<br />

6

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!