PDF - Handbuch Arbeitsrecht
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Nationalsozialismus<br />
IV. Nationalsozialismus<br />
Die Arbeitsverfassung des Nationalsozialismus 128 wird durch Folgendes charakterisiert:<br />
– Beseitigung der Gewerkschaften und Ablösung des freiheitlichen Kollektivvertragssystems<br />
durch Staatsdirektiven,<br />
– Ablösung des liberalen Vertragsrechts und der Betriebsverfassung durch eine nationalsozialistische<br />
Betriebsordnung und<br />
– trotz formaler Entrechtung der AN eine ideologische Aufwertung der abhängigen Arbeit<br />
und sozialpolitisches Entgegenkommen im Rahmen einer Modernisierung der industriellen<br />
Arbeit.<br />
Die Durchsetzung dieser Arbeitsverfassung gelang nicht zuletzt dank der Tatsache, dass<br />
die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten rasch von einem Rückgang der Arbeitslosigkeit<br />
begleitet war (zunächst als Folge der wirtschaftlichen Erholung und danach der<br />
Kriegsvorbereitung). Mit zunehmender Kriegsdauer trat im Übrigen die Gestaltung durch<br />
formelles Gesetzesrecht zugunsten sich vielfach überschneidender Verordnungen des Reichsarbeitsministeriums<br />
und der Vierjahresplanbehörde zurück.<br />
Alsbald nach der Machtergreifung im Staate schalteten die Nationalsozialisten die Interessenvertretungen<br />
der AN aus. Mit dem »Gesetz über Betriebsvertretungen und über<br />
wirtschaftliche Vereinigungen« vom 4. 4. 1933 (RGBl. I, S. 161) wurde den obersten Landesbehörden<br />
das Recht eingeräumt, Betriebsratswahlen zu verschieben und Betriebsratsmitgliedern,<br />
»die in staats- oder wirtschaftsfeindlichem Sinne eingestellt sind«, das Amt zu<br />
entziehen, sowie an deren Stelle willfährige AN zu Betriebsratsmitgliedern zu ernennen.<br />
Unmittelbar danach setzten die Nationalsozialisten noch ein der Arbeitnehmerschaft gegenüber<br />
positives Zeichen: Mit Gesetz vom 10. 4. 1933 (RGBl. I, S. 191) wurde der 1. Mai<br />
zum »Feiertag der nationalen Arbeit« erklärt. Am Tage nach den Maifeiern, am 2. Mai<br />
1933, wurden die freien Gewerkschaften zerschlagen. 129 Ohne Rechtsgrundlage selbst<br />
nach nationalsozialistischem Ausnahmerecht 130 wurden die Gewerkschaftshäuser besetzt,<br />
die Gewerkschaftsführer in »Schutzhaft« genommen und das Vermögen der Gewerkschaften<br />
beschlagnahmt. Daraufhin lösten sich die christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften<br />
auf und unterstellten sich dem »Arbeitskommitee zum Schutze der nationalen<br />
Arbeit«, das am 10. 5. 1933 zur Deutschen Arbeitsfront umgewandelt wurde (als<br />
»Organisation der schaffenden Deutschen der Stirn und Faust«). Ihre Aufgabe lag in der<br />
Rechtsberatung, Berufsbildungsförderung und vor allem der Organisation der Freizeitorganisation<br />
»Kraft durch Freude«. Mit Gesetz vom 19. 5. 1933 (RGBl. I, S. 285) wurden die<br />
»Treuhänder der Arbeit« als staatliche Einrichtung geschaffen. Sie traten an die Stelle der<br />
Tarifvertragsparteien und hatten die Aufgabe, »rechtsverbindlich für die beteiligten Personen<br />
die Bedingungen für den Abschluss von Arbeitsverträgen« zu regeln. Die Arbeitgeberverbände<br />
lösten sich – funktionslos geworden – im Dezember 1933 auf. Ihr hauptamtliches<br />
Personal wurde weitgehend in der Deutschen Arbeitsfront und als Treuhänder der Arbeit<br />
tätig. Ende 1934 wurden schließlich AG als Einzelmitglieder in die Deutsche Arbeitsfront<br />
aufgenommen.<br />
128 Vgl. Kranig, Lockerung und Zwang. Zur Arbeitsverfassung<br />
im Dritten Reich, 1983; ders.,<br />
<strong>Arbeitsrecht</strong> im NS-Staat (Texte und Dokumente),<br />
1984; Reifner, Hrsg., Das Recht des Unrechtsstaates.<br />
<strong>Arbeitsrecht</strong> und Staatswissenschaften<br />
im Faschismus, 1981; Rüthers, Die<br />
unbegrenzte Auslegung, 1968, S. 379ff.; Söllner,<br />
NS-Recht in historischer Perspektive,<br />
1981; Hachtmann, KJ 1984, 281; Mayer-Maly,<br />
RdA 1989, 233; Ramm, KJ 1968, 108; Wahsner,<br />
<strong>Arbeitsrecht</strong> und Arbeitsgerichtsbarkeit im<br />
Dritten Reich, in Fangmann/Paech, Hrsg.,<br />
Recht, Justiz und Faschismus nach 1933 und<br />
heute, 1984, S. 40ff.; zur tatsächlichen Situation<br />
der AN vgl. Mason, Sozialpolitik im Dritten<br />
Reich. Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft,<br />
2. Aufl. 1978; Schneider, Arbeit unter dem<br />
Hakenkreuz, 1999; insgesamt Kittner, Arbeitskampf,<br />
S. 505ff.<br />
129 Vgl. eingehend Kittner, Arbeitskampf, S. 509ff.<br />
130 § 1 der »VO des Reichspräsidenten zum<br />
Schutz von Volk und Reich« vom 28. 2. 1933<br />
(RGBl. I, S. 83) sah lediglich eine Außerkraftsetzung<br />
der allgemeinen Vereinigungsfreiheit<br />
(Art. 124 WRV), nicht dagegen der Koalitionsfreiheit<br />
(Art. 159 WRV) vor.<br />
Kittner 19<br />
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