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PDF - Handbuch Arbeitsrecht

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19. Jahrhundert bis 1918<br />

Die folgenlos gebliebene Paulskirchenverfassung enthielt keine ausdrücklichen sozialen<br />

Rechte, insbesondere keine Koalitionsfreiheit, 25 sondern lediglich eine dem heutigen Art. 12<br />

GG entsprechende Garantie der Berufsfreiheit (§ 158 der »Verfassung des Deutschen Reiches«).<br />

26 Allerdings formulierte der Volkswirtschaftliche Ausschuss der Versammlung den<br />

sog. Gegenentwurf einer Gewerbeordnung. 27 Mit ihm sollte Kinderarbeit beschränkt werden<br />

(etwa auf dem Niveau Preußens). Seiner Zeit weit vorgreifend sah er auch gleiche Kündigungsfristen<br />

für Fabrikinhaber und Arbeiter vor. Bemerkenswert sind die weitreichenden<br />

mitbestimmungspolitischen Vorstellungen: Es sollten Fabrikausschüsse für die Erstellung<br />

einer Fabrikordnung, zur Vermittlung von Streitigkeiten zwischen AG und AN und zur Verwaltung<br />

von Krankenunterstützungskassen eingerichtet werden. 28 Außerdem war bereits<br />

eine Art eigener Gerichtsbarkeit in Form von Fabrikschiedsgerichten vorgesehen. 29<br />

Bis zur Gründung des Deutschen Reichs 1871 war es wiederum Preußen, das den Arbeiterschutz<br />

weiterentwickelte. 30 Das betraf zum einen die Kinderarbeit: In drei Schritten wurde<br />

zwischen 1853 und 1855 das Mindestalter für Kinderarbeit auf 12 Jahre angehoben und die<br />

Höchstdauer der Arbeit gesenkt (sechs Stunden bis zum 14. Lebensjahr). In der Verordnung<br />

vom 9. 2.1849 wurden zum anderen erstmals Grenzen für Arbeitsverträge mit erwachsenen<br />

AN gezogen: durch das Truckverbot (bis 2002 in § 115 GewO, vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 30 Rn. 3) und<br />

die Aufhebung der Verpflichtung zur Arbeit an Sonn- und Feiertagen (allerdings ohne ein<br />

entsprechendes öffentlich-rechtliches Verbot). 1855 wurde im Zusammenhang mit der dritten<br />

Stufe der Verbesserungen bei der Kinderarbeit erstmals die Fabrikinspektion als selbstständige<br />

Behörde geschaffen. Sie erhielt das Recht des jederzeitigen Zutritts zu Fabriken,<br />

auch in der Nacht (allerdings auch hier mit bescheidenen praktischen Anfängen: Fabrikinspektoren<br />

nur in den Bezirken Aachen, Arnsberg und Düsseldorf). Preußen war auch führend<br />

in der Einrichtung eigener Gewerbegerichte für Arbeitsstreitigkeiten mit Beisitzern<br />

von beiden Seiten. Zunächst wurden die nach dem Vorbild des napoleonischen Frankreichs 31<br />

geschaffenen Fabrik- und Gewerbegerichte in den Rheinlanden weitergeführt und dann mit<br />

der Allgemeinen Preußischen Gewerbeordnung von 1845 für ganz Preußen eigene Gewerbegerichte<br />

geschaffen. 32<br />

Die ersten zwanzig Jahre des neu gegründeten Kaiserreichs 33 brachten wenig Neues (lediglich<br />

die Novelle vom 17.7. 1878 zur GewO mit der Einführung der obligatorischen Fabrikinspektion<br />

für das ganze Reich 34). Der Hauptgrund hierfür lag in der auf Sicherung des Status<br />

quo bedachten Politik Bismarcks als Kampf mit doppelter Zielsetzung: politische Eindämmung<br />

der Sozialdemokratie und Sicherung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit.<br />

So, wie er die Sozialdemokratie mit dem Sozialistengesetz bekämpfte, lehnte er weitere Eingriffe<br />

in die Vertragsfreiheit der Unternehmer kategorisch ab. Weitergehende Arbeiterschutzgesetze<br />

begriff er als unerträgliche Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit der<br />

deutschen Industrie auf den internationalen Märkten. Sein Konzept sah vielmehr lediglich<br />

eine flankierende Sozialversicherung bei im Übrigen unbeschränkter Unternehmerfreiheit<br />

vor, wovon er sich auch politisch eine Schwächung der sozialdemokratischen Neigungen<br />

und eine stärkere Bindung der Arbeiter an den Staat versprach. Mit beiden Zielsetzungen<br />

25 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 200.<br />

26 Zur Arbeitsverfassung im »Vormärz« vgl.<br />

Ramm, FS Söllner, 1990, S. 423.<br />

27 Abdruck bei Kühne, Die Reichsverfassung in<br />

der Paulskirche – Vorbild und Verwirklichung<br />

im späteren deutschen Rechtsleben, 1985, Anlage<br />

V C 2; vgl. Kraushaar, AuR 1990, 301.<br />

28 Vgl. Teuteberg, Geschichte der industriellen<br />

Mitbestimmung in Deutschland, 1961, S. 111;<br />

Däubler, <strong>Arbeitsrecht</strong> 1, Rn. 721.<br />

29 Vgl. Wenzel, JZ 1965, 697.<br />

30 Vgl. Anton, Geschichte der preußischen Fabrikgesetzgebung<br />

bis zu ihrer Aufnahme<br />

durch die Reichsgewerbeordnung, 1891, Neudruck<br />

1953.<br />

31 »Conseils de prud’hommes« (Räte der Gewerbesachverständigen);<br />

erste Errichtung in Lyon<br />

1806 auf Initiative der dortigen Seidenfabrikanten<br />

(vgl. Leinemann, NZA 1991, 961f.).<br />

32 Vgl. Linsenmaier, NZA 2004, 401; Stahlhacke, FS<br />

Deutscher Arbeitsgerichtsverband, 1994, S. 59.<br />

33 Vgl. Becker, Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis<br />

in Deutschland, 1995; Ramm, FS Mallmann<br />

1978, 191ff.; mit Blick auf die Betroffenheit von<br />

Frauen vgl. Hausen, Arbeiterinnenschutz,<br />

Mutterschutz und Krankenversicherung im<br />

Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in<br />

Gerhard, Hrsg., Frauen in der Geschichte des<br />

Rechts, 1997, S. 713.<br />

34 RGBl. 1878, S. 207.<br />

Kittner 5<br />

8<br />

9<br />

10

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