02.03.2013 Aufrufe

Nr. 9 / September 2010 - Grossraumbüro (PDF, 2645 kb - KV Schweiz

Nr. 9 / September 2010 - Grossraumbüro (PDF, 2645 kb - KV Schweiz

Nr. 9 / September 2010 - Grossraumbüro (PDF, 2645 kb - KV Schweiz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

22<br />

Dossier <strong>Grossraumbüro</strong><br />

context 9 – <strong>2010</strong><br />

stehen. Auch Kadermitglieder haben<br />

keine eigenen Büros mehr, damit verkürzen<br />

sich die Wege zwischen Angestellten<br />

und Management. Neuste Techniken und<br />

natürliches Licht sollen das ihrige zu einer<br />

angenehmeren Arbeitsatmosphäre<br />

beitragen. Erste Erfahrungen wurden bereits<br />

gesammelt: Die Befürchtungen wegen<br />

zu viel Ablenkung haben sich zum<br />

Teil bewahrheitet, wie die NZZ Online<br />

festhält.<br />

Es wird anders kommuniziert<br />

Es gilt, sich zusammenzuraufen. Teamgeist<br />

ist beim Arbeiten im Büro genauso<br />

gefragt wie bei der Arbeit an und für sich.<br />

Darauf bauen modernste Büroeinrich­<br />

GESCHICHTE DES GROSSRAUMBÜROS<br />

Schon im 6. Jahrhundert, im altpersischen<br />

Reich, soll es <strong>Grossraumbüro</strong>s gegeben<br />

haben. Auch die klösterlichen<br />

Schreibsäle waren eigentlich nichts anderes.<br />

Trotzdem wird die Erfindung des<br />

offenen Büroraums auf Anfang des<br />

20. Jahrhunderts datiert.<br />

Die Idee kommt aus den USA. Bis um<br />

1900 bestanden die Verwaltungen der<br />

grossen Industriebetriebe aus wenigen<br />

Männern. Auf hundert Industriearbeiter<br />

kamen zwei oder drei Bürokräfte, die in<br />

einem kleinen Raum die Buchhaltung,<br />

das Kassenwesen und die Korrespondenz<br />

erledigten.<br />

Als die Unternehmen grösser wurden,<br />

nahm die Verwaltungsarbeit jedoch zu,<br />

ebenso die Zahl der Büroangestellten.<br />

Der Dienstleistungssektor im Allgemeinen<br />

wuchs – aufgrund des Strukturwandels<br />

von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft;<br />

Banken, Versicherungen<br />

und öffentliche Verwaltungen<br />

hatten einen steigenden Bedarf an Bürofachkräften.<br />

Organisiert wurde die neue Arbeitswelt<br />

aber nach dem Modell der altbekannten<br />

industriellen Fliessbandwelt: Rationalisierung<br />

und Mechanisierung waren die<br />

Stichworte. Die Verwaltungsangestellten<br />

wurden übersichtlich in Reih und<br />

Glied gesetzt, in Räumlichkeiten, die wie<br />

Fabrikhallen gebaut waren. Nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg waren es wieder die<br />

USA, die einen neuen Trend setzten: Sie<br />

stellten Zellen ins <strong>Grossraumbüro</strong>, die<br />

berühmt-berüchtigten cubicles. Abgesehen<br />

von Grossbritannien taten sich die<br />

tungskonzepte: Sie sollen ideale Voraussetzungen<br />

für die Anforderungen moderner<br />

Teamarbeitsprozesse kreieren, ohne<br />

dabei aber die Bedürfnisse des Einzelnen<br />

aus den Augen zur verlieren. Deshalb<br />

etwa nennt der Möbeldesigner Vitra sein<br />

aktuelles Konzept «Net’n’Nest»: Das Vernetzen,<br />

«Netting», ist wichtig, aber auch<br />

der Rückzug für konzentriertes Arbeiten<br />

ins Nest. So gibt es Arbeitstische, Sofas,<br />

abgeschottete Nischen und Bereiche mit<br />

Café­Atmosphäre.<br />

Ob solche Konzepte Teamgeist und<br />

Kommunikation tatsächlich fördern, ist<br />

umstritten. Organisations­ und Personal­<br />

Experte Norbert Thom sagte gegenüber<br />

der Handelszeitung: «Das ist ein faden­<br />

europäischen Länder schwer mit dem<br />

Konzept des <strong>Grossraumbüro</strong>s. Sie besassen<br />

auch nicht Unternehmen von amerikanischem<br />

Ausmass. In Deutschland<br />

wurde Ende der 1950er-Jahre die «Bürolandschaft»<br />

geschaffen, die bald auch<br />

international angesehen war: Sie bewegte<br />

sich weg von den starren Strukturen<br />

hin zu einer abwechslungsreichen,<br />

«humaneren» Organisation des Büros.<br />

Die Gestaltung der Arbeitsplätze wurde<br />

aus den Arbeitsabläufen und den Bedürfnissen<br />

der Angestellten abgeleitet.<br />

Trennwände, Pflanzen, Teppichböden<br />

und Akustikdecken sollten das Arbeitsklima<br />

verbessern.<br />

Der Boom dieser Art von <strong>Grossraumbüro</strong><br />

dauerte bis Ende der 1970er-Jahre. Mit<br />

dem Aufkommen der Computer hielten<br />

Stellwände Einzug und die Idee des offenen<br />

Büros ging wieder etwas verloren.<br />

Gleichzeitig nahm das Unbehagen zu, in<br />

einem <strong>Grossraumbüro</strong> arbeiten zu müssen.<br />

Mit der neuen Autonomie, die Arbeitgeber<br />

ihren Angestellten zugestanden,<br />

wurden diese selbstbewusster und wagten,<br />

Kritik an der Arbeitsumgebung zu<br />

äus sern.<br />

Bis heute hat das <strong>Grossraumbüro</strong> seinen<br />

schlechten Ruf behalten – der von internationalen<br />

Studien zur Befindlichkeit<br />

von Angestellten über die Jahre bestätigt<br />

worden ist. Dennoch wird seit einigen<br />

Jahren wieder auf industrieartige offene<br />

Arbeitsstrukturen gesetzt, sogenannte<br />

«open spaces». In der <strong>Schweiz</strong> entstehen<br />

sogar wieder Arbeitslofts nach alter amerikanischer<br />

Art. ajm<br />

scheiniges Argument. <strong>Grossraumbüro</strong>s<br />

finden sich auch dort, wo der Fachaustausch<br />

nichts zur Sache tut.»<br />

Beispiele aus der Praxis zeigen, dass<br />

der gewünschte Austausch nicht überall<br />

klappt. Andrea Ruckstuhls Bürokolleg/<br />

innen loben, dank der räumlichen Nähe<br />

sei der Austausch erfreulich unkompliziert.<br />

Sie stellen aber fest, dass sie – beispielsweise<br />

um einen mehrseitigen Bericht<br />

zu lesen – im Büro deutlich länger<br />

brauchen als zu Hause. Sie arbeiten deshalb<br />

mehrheitlich mit Kopfhörern und<br />

Musik im Ohr. Wobei auch das kontraproduktiv<br />

für die Produktivität sein kann,<br />

wie Arbeitsmediziner Andreas Martens<br />

sagt (siehe Interview S. 25).<br />

Peter Henseler meint gegenüber Context,<br />

bei gleichen oder ähnlichen Tätigkeiten<br />

ist für ihn die enge Form der<br />

Zusammenarbeit wichtig. Es gebe viele<br />

Absprachen untereinander und bei Abwesenheiten<br />

oder Stellvertretungen wisse<br />

jeder über die Projekte der Kolleg/innen<br />

Bescheid. «Der stete gegenseitige Austausch<br />

über die aktuellen Projekte – oft<br />

auch nur beim Mithören eines Anrufs –<br />

hat letztlich auch einen nicht zu unterschätzenden<br />

Synergieeffekt.»<br />

Dennoch hat Peter Henseler festgestellt,<br />

dass «die Kommunikation völlig<br />

anders verläuft». Personen, die ins grosse<br />

Büro kommen, verhalten sich anders als<br />

früher beim Betreten von Kleinbüros:<br />

Damals habe man – bevor man zum Geschäftlichen<br />

kam – eher mal gefragt, wie<br />

es gehe oder je nachdem auch einmal<br />

einen Spruch gemacht. «Heute kommt<br />

man auf leisen Sohlen, beschränkt sich<br />

auf sein Anliegen, macht nicht länger als<br />

nötig und geht wieder.» Auch die Art, wie<br />

man eine Frage oder ein Problem formuliert,<br />

habe sich verändert – nicht zuletzt<br />

durch die «unfreiwilligen» Zuhörer.<br />

Verlust des Status<br />

Die grösste Herausforderung im Open­<br />

Space­ respektive im Multi­Space­Büro<br />

ist also ebenfalls der Lärm. Innenausstatter<br />

greifen deswegen zu Vorhängen,<br />

Trennwänden und Pflanzen zur Abschottung.<br />

Studien belegen, dass Angestellte<br />

besser auf Pflanzen reagieren als zum<br />

Beispiel auf Farben. Perforierte Möbel<br />

schlucken heute bis zu vierzig Prozent an<br />

Schall. Dennoch sind Headsets im <strong>Grossraumbüro</strong><br />

gang und gäbe.<br />

Aber auch in diesen Büros heisst es:<br />

Spielregeln aufstellen (siehe Tipps für<br />

ein angenehmes Klima, S. 24). Wobei das<br />

klappen kann: Hans Inauen schreibt in

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!