Nr. 9 / September 2010 - Grossraumbüro (PDF, 2645 kb - KV Schweiz
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Dossier <strong>Grossraumbüro</strong><br />
context 9 – <strong>2010</strong><br />
stehen. Auch Kadermitglieder haben<br />
keine eigenen Büros mehr, damit verkürzen<br />
sich die Wege zwischen Angestellten<br />
und Management. Neuste Techniken und<br />
natürliches Licht sollen das ihrige zu einer<br />
angenehmeren Arbeitsatmosphäre<br />
beitragen. Erste Erfahrungen wurden bereits<br />
gesammelt: Die Befürchtungen wegen<br />
zu viel Ablenkung haben sich zum<br />
Teil bewahrheitet, wie die NZZ Online<br />
festhält.<br />
Es wird anders kommuniziert<br />
Es gilt, sich zusammenzuraufen. Teamgeist<br />
ist beim Arbeiten im Büro genauso<br />
gefragt wie bei der Arbeit an und für sich.<br />
Darauf bauen modernste Büroeinrich<br />
GESCHICHTE DES GROSSRAUMBÜROS<br />
Schon im 6. Jahrhundert, im altpersischen<br />
Reich, soll es <strong>Grossraumbüro</strong>s gegeben<br />
haben. Auch die klösterlichen<br />
Schreibsäle waren eigentlich nichts anderes.<br />
Trotzdem wird die Erfindung des<br />
offenen Büroraums auf Anfang des<br />
20. Jahrhunderts datiert.<br />
Die Idee kommt aus den USA. Bis um<br />
1900 bestanden die Verwaltungen der<br />
grossen Industriebetriebe aus wenigen<br />
Männern. Auf hundert Industriearbeiter<br />
kamen zwei oder drei Bürokräfte, die in<br />
einem kleinen Raum die Buchhaltung,<br />
das Kassenwesen und die Korrespondenz<br />
erledigten.<br />
Als die Unternehmen grösser wurden,<br />
nahm die Verwaltungsarbeit jedoch zu,<br />
ebenso die Zahl der Büroangestellten.<br />
Der Dienstleistungssektor im Allgemeinen<br />
wuchs – aufgrund des Strukturwandels<br />
von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft;<br />
Banken, Versicherungen<br />
und öffentliche Verwaltungen<br />
hatten einen steigenden Bedarf an Bürofachkräften.<br />
Organisiert wurde die neue Arbeitswelt<br />
aber nach dem Modell der altbekannten<br />
industriellen Fliessbandwelt: Rationalisierung<br />
und Mechanisierung waren die<br />
Stichworte. Die Verwaltungsangestellten<br />
wurden übersichtlich in Reih und<br />
Glied gesetzt, in Räumlichkeiten, die wie<br />
Fabrikhallen gebaut waren. Nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg waren es wieder die<br />
USA, die einen neuen Trend setzten: Sie<br />
stellten Zellen ins <strong>Grossraumbüro</strong>, die<br />
berühmt-berüchtigten cubicles. Abgesehen<br />
von Grossbritannien taten sich die<br />
tungskonzepte: Sie sollen ideale Voraussetzungen<br />
für die Anforderungen moderner<br />
Teamarbeitsprozesse kreieren, ohne<br />
dabei aber die Bedürfnisse des Einzelnen<br />
aus den Augen zur verlieren. Deshalb<br />
etwa nennt der Möbeldesigner Vitra sein<br />
aktuelles Konzept «Net’n’Nest»: Das Vernetzen,<br />
«Netting», ist wichtig, aber auch<br />
der Rückzug für konzentriertes Arbeiten<br />
ins Nest. So gibt es Arbeitstische, Sofas,<br />
abgeschottete Nischen und Bereiche mit<br />
CaféAtmosphäre.<br />
Ob solche Konzepte Teamgeist und<br />
Kommunikation tatsächlich fördern, ist<br />
umstritten. Organisations und Personal<br />
Experte Norbert Thom sagte gegenüber<br />
der Handelszeitung: «Das ist ein faden<br />
europäischen Länder schwer mit dem<br />
Konzept des <strong>Grossraumbüro</strong>s. Sie besassen<br />
auch nicht Unternehmen von amerikanischem<br />
Ausmass. In Deutschland<br />
wurde Ende der 1950er-Jahre die «Bürolandschaft»<br />
geschaffen, die bald auch<br />
international angesehen war: Sie bewegte<br />
sich weg von den starren Strukturen<br />
hin zu einer abwechslungsreichen,<br />
«humaneren» Organisation des Büros.<br />
Die Gestaltung der Arbeitsplätze wurde<br />
aus den Arbeitsabläufen und den Bedürfnissen<br />
der Angestellten abgeleitet.<br />
Trennwände, Pflanzen, Teppichböden<br />
und Akustikdecken sollten das Arbeitsklima<br />
verbessern.<br />
Der Boom dieser Art von <strong>Grossraumbüro</strong><br />
dauerte bis Ende der 1970er-Jahre. Mit<br />
dem Aufkommen der Computer hielten<br />
Stellwände Einzug und die Idee des offenen<br />
Büros ging wieder etwas verloren.<br />
Gleichzeitig nahm das Unbehagen zu, in<br />
einem <strong>Grossraumbüro</strong> arbeiten zu müssen.<br />
Mit der neuen Autonomie, die Arbeitgeber<br />
ihren Angestellten zugestanden,<br />
wurden diese selbstbewusster und wagten,<br />
Kritik an der Arbeitsumgebung zu<br />
äus sern.<br />
Bis heute hat das <strong>Grossraumbüro</strong> seinen<br />
schlechten Ruf behalten – der von internationalen<br />
Studien zur Befindlichkeit<br />
von Angestellten über die Jahre bestätigt<br />
worden ist. Dennoch wird seit einigen<br />
Jahren wieder auf industrieartige offene<br />
Arbeitsstrukturen gesetzt, sogenannte<br />
«open spaces». In der <strong>Schweiz</strong> entstehen<br />
sogar wieder Arbeitslofts nach alter amerikanischer<br />
Art. ajm<br />
scheiniges Argument. <strong>Grossraumbüro</strong>s<br />
finden sich auch dort, wo der Fachaustausch<br />
nichts zur Sache tut.»<br />
Beispiele aus der Praxis zeigen, dass<br />
der gewünschte Austausch nicht überall<br />
klappt. Andrea Ruckstuhls Bürokolleg/<br />
innen loben, dank der räumlichen Nähe<br />
sei der Austausch erfreulich unkompliziert.<br />
Sie stellen aber fest, dass sie – beispielsweise<br />
um einen mehrseitigen Bericht<br />
zu lesen – im Büro deutlich länger<br />
brauchen als zu Hause. Sie arbeiten deshalb<br />
mehrheitlich mit Kopfhörern und<br />
Musik im Ohr. Wobei auch das kontraproduktiv<br />
für die Produktivität sein kann,<br />
wie Arbeitsmediziner Andreas Martens<br />
sagt (siehe Interview S. 25).<br />
Peter Henseler meint gegenüber Context,<br />
bei gleichen oder ähnlichen Tätigkeiten<br />
ist für ihn die enge Form der<br />
Zusammenarbeit wichtig. Es gebe viele<br />
Absprachen untereinander und bei Abwesenheiten<br />
oder Stellvertretungen wisse<br />
jeder über die Projekte der Kolleg/innen<br />
Bescheid. «Der stete gegenseitige Austausch<br />
über die aktuellen Projekte – oft<br />
auch nur beim Mithören eines Anrufs –<br />
hat letztlich auch einen nicht zu unterschätzenden<br />
Synergieeffekt.»<br />
Dennoch hat Peter Henseler festgestellt,<br />
dass «die Kommunikation völlig<br />
anders verläuft». Personen, die ins grosse<br />
Büro kommen, verhalten sich anders als<br />
früher beim Betreten von Kleinbüros:<br />
Damals habe man – bevor man zum Geschäftlichen<br />
kam – eher mal gefragt, wie<br />
es gehe oder je nachdem auch einmal<br />
einen Spruch gemacht. «Heute kommt<br />
man auf leisen Sohlen, beschränkt sich<br />
auf sein Anliegen, macht nicht länger als<br />
nötig und geht wieder.» Auch die Art, wie<br />
man eine Frage oder ein Problem formuliert,<br />
habe sich verändert – nicht zuletzt<br />
durch die «unfreiwilligen» Zuhörer.<br />
Verlust des Status<br />
Die grösste Herausforderung im Open<br />
Space respektive im MultiSpaceBüro<br />
ist also ebenfalls der Lärm. Innenausstatter<br />
greifen deswegen zu Vorhängen,<br />
Trennwänden und Pflanzen zur Abschottung.<br />
Studien belegen, dass Angestellte<br />
besser auf Pflanzen reagieren als zum<br />
Beispiel auf Farben. Perforierte Möbel<br />
schlucken heute bis zu vierzig Prozent an<br />
Schall. Dennoch sind Headsets im <strong>Grossraumbüro</strong><br />
gang und gäbe.<br />
Aber auch in diesen Büros heisst es:<br />
Spielregeln aufstellen (siehe Tipps für<br />
ein angenehmes Klima, S. 24). Wobei das<br />
klappen kann: Hans Inauen schreibt in