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Nr. 9 / September 2010 - Grossraumbüro (PDF, 2645 kb - KV Schweiz

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«Ein bisschen Individualität<br />

muss schon sein»<br />

An die Arbeit im <strong>Grossraumbüro</strong> kann man sich gewöhnen, meint Andreas<br />

Martens, und für Probleme gibt es immer mehr wirksame Gegenmassnahmen.<br />

Interview Therese Jäggi<br />

Context: Welches sind die schlimmsten<br />

Störfaktoren im <strong>Grossraumbüro</strong>?<br />

Andreas Martens: Es geht im Wesentlichen<br />

um drei Dinge: Zum einen um störende<br />

oder ablenkende Geräusche. Man<br />

bekommt mit, was die Kollegen in der<br />

Umgebung reden. Wenn man am gleichen<br />

Projekt arbeitet, hört man genauer mit, als<br />

wenn sie etwas besprechen, mit dem man<br />

nichts zu tun hat. Ein weiterer Punkt ist<br />

die physische Nähe. Wenn sich Angestellte<br />

auf Augenhöhe direkt vis­à­vis sind,<br />

müssen sie sich schon sehr gut mögen,<br />

dass sie sich von dieser Situation nicht gestresst<br />

fühlen. Und schliesslich geht es<br />

um die Raumtemperatur und in diesem<br />

Zusammenhang um die verschiedenen<br />

Bedürfnisse.<br />

Wie kann man sich abgrenzen?<br />

Es gibt für jedes Problem verschiedene<br />

Möglichkeiten: Trennwände, Akustikdecken<br />

und andere Schallschutzmassnahmen<br />

helfen gegen akustische Störungen,<br />

durch visuelle Schranken lässt sich verhindern,<br />

dass man ständigen Blickkontakt<br />

mit dem Bürokollegen hat, wenn man<br />

über den PC hinausblickt. Bei den Geräuschen<br />

kann man eine künstliche Geräuschkulisse<br />

aktivieren, die das Sprechen<br />

der Kollegen und weitere störende<br />

Geräusche absorbiert. Bezüglich Raumtemperatur<br />

weiss man, dass sich am meisten<br />

Menschen bei 21 Grad wohlfühlen.<br />

Wer trotzdem ständig friert, muss halt<br />

eine Jacke mitnehmen ins Büro.<br />

Viele arbeiten mit Kopfhörern: Das ist<br />

dem viel zitierten Teamgeist wohl nicht<br />

besonders förderlich.<br />

Auf den Teamgeist muss sich das nicht<br />

negativ auswirken, doch ist es bestimmt<br />

nicht angenehm, wenn man sich auf diese<br />

Weise isolieren muss. Ausserdem ist es<br />

erwiesen, dass man mit Musik im Ohr<br />

weniger konzentriert arbeitet.<br />

Wie wirkt sich die Arbeit im <strong>Grossraumbüro</strong><br />

auf die Effizienz aus?<br />

context 9 – <strong>2010</strong><br />

So allgemein lässt sich das nicht sagen.<br />

Angestellte, die sich konzentrieren müssen,<br />

sind möglicherweise weniger produktiv.<br />

Das kann aber durch das Ergebnis<br />

der Teamarbeit auch wieder kompensiert<br />

werden. Dann gibt es eine ganze Reihe<br />

von Routinearbeiten, die im <strong>Grossraumbüro</strong><br />

genauso effizient geleistet werden<br />

können wie anderswo.<br />

Das <strong>Grossraumbüro</strong> ist nicht beliebt,<br />

kann man sich daran gewöhnen?<br />

Ja, auf jeden Fall. Von Untersuchungen<br />

wissen wir, dass die gleichen Befragten,<br />

die sich unmittelbar nach einem<br />

Umzug von einem Einzel­ in ein Gruppenbüro<br />

negativ äussern, zwei Jahre später zu<br />

einer positiveren Einschätzung gelangen.<br />

Aber es ist schon so: Wenn die Leute wählen<br />

könnten, würden sie sich fürs Einzelbüro<br />

entscheiden.<br />

Im <strong>Grossraumbüro</strong> gibt es mehr oder<br />

weniger beliebte Plätze. Wer sitzt wo?<br />

Diese Frage sollte im Rahmen eines<br />

fairen und transparenten Prozesses ablaufen<br />

und im Team entschieden werden.<br />

Fensterplätze sind bei uns am begehrtesten.<br />

Die sind mit mehr Prestige verbunden.<br />

In den USA beispielsweise ist es genau umgekehrt,<br />

dort sitzen die wichtigen Leute<br />

im Zentrum.<br />

Welches sind aus Arbeitnehmersicht die<br />

Vorteile?<br />

Man bekommt Vieles mit, ist immer<br />

auf dem Laufenden. Der Mensch ist ein<br />

soziales Wesen. Er interessiert sich dafür,<br />

wer mit wem spricht oder zum wie vielten<br />

Mal der Kollege zum Kaffeeautomat oder<br />

zum Kopierer geht. Die Kehrseite davon<br />

ist nur: dass all diese Dinge genauso gut<br />

auch nerven können.<br />

Wie wichtig ist Privatsphäre am Arbeitsplatz?<br />

Sehr wichtig. Das kommt in Studien<br />

regelmässig zum Ausdruck. Es gibt Tendenzen,<br />

wonach den Mitarbeitenden persönliche<br />

Gegenstände auf oder in der<br />

Umgebung ihres Arbeitsplatzes nicht<br />

zugestanden werden. Dafür gibt es eigentlich<br />

keinen vernünftigen Grund. Ein bisschen<br />

Individualität muss schon sein.<br />

Privatsphäre ist aber auch wichtig in Form<br />

von Rückzugsmöglichkeiten, wo man<br />

zwischendurch allein sein kann.<br />

Wird das Einzelbüro für immer<br />

verschwinden?<br />

Nein, sicher nicht. Auf der Teppichetage<br />

sowieso nicht. Es gibt aber auch<br />

sonst Funktionen, wo ein Einzelbüro Sinn<br />

macht, beispielsweise bei einem Personalleiter.<br />

In welche Richtung geht es?<br />

In Skandinavien ist das Kombibüro im<br />

Trend, das ist eine Kombination von <strong>Grossraumbüro</strong><br />

mit individuellen Rückzugsmöglichkeiten.<br />

Aktuell ist auch das Flexibüro,<br />

welches mit einzelnen Elementen<br />

und Inseln die Organisationsstruktur abbildet<br />

und bei Umstrukturierungen rasch<br />

wieder umgestellt werden kann.<br />

*Andreas Martens ist Ergonom und Geschäftsführer<br />

des AEH Zentrum für Arbeitsmedizin, Ergonomie<br />

und Hygiene.<br />

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