BfN -Skripten 146 - Bundesamt für Naturschutz
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Zustände, sondern Entwicklungsbedingungen geschützt werden. Schutzgebietsflächen, auf denen<br />
Prozessschutz gewährleistet ist, nahmen nach KNAPP (1995) 0,51% der Fläche der Bundesrepublik<br />
Deutschland ein, wobei die Tendenz leicht steigend ist.<br />
Ein Schutz der so definierten natürlichen Prozesse kann u.U. <strong>für</strong> den <strong>Naturschutz</strong> ungeahnte Perspektiven<br />
beinhalten, da er den Grundstein <strong>für</strong> die Entstehung von oft verlorenen Primärhabitaten darstellen<br />
kann. So erschafft die natürliche Dynamik orts- und zeitversetzt dauerhaft intakte Primärhabitate.<br />
Beispielsweise entstehen an unverbauten Flüssen durch die natürliche Dynamik der Flussläufe immer<br />
wieder neue Umlagerungsstrecken, Lehmabbrüche, Brennen und Altwässer, so dass stets verschiedenste<br />
Sukzessionsstufen vorhanden sind.<br />
In Abhängigkeit von Geotopparametern sowie biotischen und abiotischen Interaktionen können die<br />
Prozesse zur Herausbildung verschiedener räumlicher, z.T. temporärer Vegetationsmuster führen<br />
(vgl. FELINKS & WIEGLEB 1998). In den Wäldern sind es hauptsächlich natürliche endogene und<br />
exogene Störungen, die temporär neue Lebensräume bzw. Entwicklungsphasen schaffen (z.B. lichte<br />
Waldstrukturen oder Offenlandflächen).<br />
Folgende Faktoren, die die natürlichen Prozesse beeinflussen und somit den Prozessschutz in seiner<br />
reinen Form in Frage stellen könnten, müssen jedoch berücksichtigt werden:<br />
- So ist es zum Beispiel strittig, inwiefern Großtiere im nacheiszeitlichen Mitteleuropa einen Einfluss<br />
auf natürliche Prozesse hatten bzw. haben würden.<br />
- Nahezu alle Standorte sind anthropozoogen verändert bzw. beeinflusst. So wurde eine eventuell<br />
unnatürliche Ausgangslage <strong>für</strong> natürliche Dynamiken geschaffen, die aus heutiger naturschutzfachlicher<br />
Sicht negative Folgen nach sich ziehen kann (z.B. Neophytenproblematik).<br />
- Eutrophierung verändert viele Biotope nachhaltig, wodurch zunehmend Arten vom Aussterben<br />
bedroht werden. So kann es ein Anliegen des <strong>Naturschutz</strong>es sein, Arten durch Pflegemaßnahmen<br />
(z.B. Magerrasenmahd) zu sichern, bis dieser ausschließlich anthropogene Faktor entfällt und<br />
diese Arten unter den dann herrschenden Sukzessionsdynamiken überleben könnten.<br />
Prozessschutz im Wald bedarf wegen der Randeffekte der Ausweisung entsprechend große Vorrangflächen.<br />
In diesen Gebieten darf keine direkte anthropogene Beeinflussung stattfinden. Die Strategie<br />
des integrativen <strong>Naturschutz</strong>es im Wald muss daher durch segregierende Maßnahmen ergänzt werden<br />
(segregativer Prozessschutz). Da<strong>für</strong> spricht auch, dass ein bewirtschafteter Wald trotz größtmöglicher<br />
Naturnähe nie einem ursprünglichen Naturwald, der sich etwa nach dem Mosaik-Zyklus-<br />
Konzept (REMMERT 1993) ungehindert entwickelt, entsprechen kann. Die Zielsetzung Prozessschutz<br />
erfordert also Gebiete und Zeiträume, die so großflächig und dauerhaft gesichert sind, dass „permanent<br />
sämtliche Entwicklungsphasen des Ökosystems [...] präsent sind, damit auch Habitatspezialisten<br />
langfristig überleben können“ (JEDICKE 1995).<br />
Daher ist ein Netz von Waldschutzgebieten notwendig. Diese dienen zudem der besseren Einschätzung<br />
der natürlichen Arten- und Biotopausstattung. Nach Ansicht der Autoren ist es unerlässlich,<br />
hierzu weitere und vor allem kontinuierlich andauernde Forschungsprojekte durchzuführen und bestehende<br />
Zieldefinitionen kritisch zu hinterfragen. Dies trifft besonders zu, wenn bisher nur wenig<br />
berücksichtigte Artengruppen in die Forschung mit einbezogen werden.<br />
Parallel befinden sich auch <strong>für</strong> den Waldbau Prozessschutzkonzepte in der Diskussion, die natürliche<br />
Prozesse weitgehend in die Bewirtschaftung integrieren oder durch aktive Eingriffe beschleunigen<br />
(integrativer Prozessschutz). „Im Sinne des Prozessschutzes soll die Nutzung nachhaltig unter weitmöglichster<br />
Schonung des Naturhaushalts mit seinen Prozessen erfolgen, welche zugleich positive<br />
Effekte auf den <strong>Naturschutz</strong> (Kulturlandschaftsschutz) zeigt – ohne eine bewusst oder gezielt betriebene<br />
Pflege“ (JEDICKE 1997). Nach dem Prozessschutzkonzept von STURM (1993) orientiert sich<br />
dabei die Waldbewirtschaftung an den „ungestörten natürlichen, waldökosystemaren Prozessen und<br />
erklärt die potenzielle natürliche Vielfalt als Ergebnis der natürlichen Walddynamik zu ihrem Leitbild.<br />
Demnach strebt die Waldnutzung keine stabilen Waldzustände an, sondern dynamische Systeme.<br />
Sukzession, der Wechsel der Baumartenzusammensetzung, natürliche Störungen wie Windwurf,<br />
Feuer, Überschwemmungen oder Insektenkalamitäten werden bewusst zugelassen.“<br />
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