Reader zur Tagung - Deutsches Polen Institut
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Katja Bernhardt (Berlin)<br />
Stanisław Hebanowski, Zygmunt Gorgolewski, Roger Sławski<br />
Architektenbiographien zwischen Karriere und Nation<br />
Katja Bernhardt (geb. 1971) studierte Kunstgeschichte und Geschichte in Greifswald, Berlin und<br />
Posen/Poznań. Seit 2004 Doktorandin am <strong>Institut</strong> für Kultur- und Kunstwissenschaften der Humboldt<br />
– Universität zu Berlin, Promotionsthema: Gab es eine Danziger Architekturschule? Architekturtheorie<br />
und Architektenausbildung an der Technischen Hochschule Danzig 1904-1945. Seit 2005 wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Osteuropäische Kunstgeschichte an der Humboldt-<br />
Universität zu Berlin. Forschungsschwerpunkte: Kunstgeschichte in Ostmitteleuropa im 19. und 20.<br />
Jahrhundert; Architekturtheorie und Architektenausbildung.<br />
Wir nähern uns mit einer exemplarischen Studie,<br />
in deren Mittelpunkt die Biographie des<br />
aus Großpolen stammenden Architekten<br />
Zygmunt Gorgolewski steht, dem Phänomen<br />
der Migration aus der Mikroperspektive an.<br />
Gorgolewski absolvierte eine Ausbildung zum<br />
Regierungsbaumeister an der TH Charlottenburg,<br />
trat 1874 in die preußische Bauverwaltung<br />
ein und wurde 1893 zum Direktor der<br />
Staatlichen Industrie- und Gewerbeschule in<br />
Lemberg berufen.<br />
Er zeichnete sowohl in der preußischen Bauverwaltung<br />
als auch im Milieu des großpolnischen<br />
Adels für zahlreiche Bauten verantwortlich.<br />
Sein Hauptwerk, das Städtische<br />
Theater, errichtete er in Lemberg. Obwohl<br />
der vierte Platz im Wettbewerb um den deutschen<br />
Reichstag (1882) Gorgolewski in der<br />
zeitgenössischen polnischen Presse den Ruf<br />
des hervorragendsten polnischen Architekten<br />
einbrachte, verharrt sein Schaffen noch immer<br />
weitgehend im Dunkel der Architekturgeschichte.<br />
Ein Grund hierfür ist die bereits mit seinen<br />
Zeitgenossen einsetzende stereotype Wertung<br />
seines Lebens zwischen Berlin, Großpolen<br />
und Galizien unter einem polnischnationalen<br />
Paradigma, die sich für einen Zugang<br />
<strong>zur</strong> ganzen Biographie Gorgolewskis als<br />
hinderlich erweist und die zunächst selbst als<br />
wissenschaftshistorischer Aspekt des Schrei-<br />
<br />
65<br />
bens über Migration Gegenstand der Analyse<br />
sein wird. Stellt man darauf aufbauend zunächst<br />
die nationale Kategorisierung <strong>zur</strong>ück<br />
und befragt die Strategien Gorgolewskis im<br />
Umgang mit den konkreten Rahmenbedingungen,<br />
so zeigt sich, dass seine Migrationbewegung<br />
stark von einem wirtschaftlichen<br />
Kalkül geprägt waren, welches auf die Abwägung<br />
der Möglichkeiten qualifizierten beruflichen<br />
Wirkens gerichtet und eine Voraussetzung<br />
für die Assimilation im jeweiligen beruflichen<br />
Milieu war.<br />
Die Konfrontation der Beobachtungen, die<br />
aus der Analyse der Biographie Gorgolewskis<br />
gezogen werden, mit den Biographien zweier<br />
weiterer Architekten aus Großpolen, Stanisław<br />
Hebanowski (1820-1898) und Roger<br />
Sławski (1871-1963), ermöglicht langfristige<br />
Veränderungen der Wanderungsbewegungen<br />
Posener Architekten und die sich dahinter<br />
verbergenden Prozesse aufzuspüren.<br />
Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit<br />
Prof. Dr. Adam S. Labuda und geht aus einem<br />
gemeinsam mit Studenten seit 2007 am<br />
Lehrstuhl für Osteuropäische Kunstgeschichte<br />
der Humboldt-Universität zu Berlin in Angriff<br />
genommenen Forschungsprojekt hervor,<br />
welches sich der Rolle Berlins als Zentrum für<br />
Künstler und Architekten aus dem europäischen<br />
Osten in der Zeit um 1900 widmet.