Das Spinnen, bis ins späte 18. Jahrhundert überall eine alltägliche Verrichtung, symbolisierte seit der Antike die Vergänglichkeit menschlichen Lebens. In allen sozialen Schichten wurden diese Arbeit verrichtet, doch unter unterschiedlichen Vorzeichen. Was wohlhabenden Frauen Zeitvertreib am Abend war, diente armen ganztags als mühevoll-kärglicher Broterwerb. Dies spiegelt sich beispielsweise im Sprichwort wider: „Spinnen am Morgen bringt Kummer und Sorgen. Spinnen am Abend erquickend und labend.“ Das Spinnen ist untrennbar mit weiblicher Tugendhaftigkeit verbunden, was vermutlich auch bei der Beurteilung der Parzen seit dem Mittelalter mitschwingen dürfte. 6 Da die Wolle bzw. der Flachs auf dem Spinnrocken chaotisch ungeordnet ist, bringt der Vorgang des Spinnens Ordnung. Die ungeordneten Fasern werden in eine geordnete und damit beherrschbare Struktur überführt sowie im späteren Weben auf ein Neues geordnet und in ein System eingebracht. Die Parzen ordnen analog also nicht nur die Wolle, sie ordnen und bestimmen gleichzeitig auch den Gang der Welt und führen durch Leben(lassen) und Sterben(lassen) eine Systematik ein. Mit der Christianisierung Italiens, Griechenlands und dem übrigen Europa ging der Glaube an die alten Götter verloren, doch das gesamte Mittelalter hindurch war die antike Mythologie bekannt und auch Thema der künstlerischen, literarischen und theologischen Auseinandersetzung. Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008 62 WiSSenSChaF tliC he BeriC hte Abb. 2: Glasbecher, Böhmen, 1830/ 1840, H 11,8 cm, Museum für Angewandte Kunst Köln, Inv.-Nr. F 953. Die Mythologie konnte fortbestehen, weil sie in starkem Maße uminterpretiert und so dem neuen Glauben nutzbar gemacht und unterworfen wurde. Christliche Ausdeutungen der Mythen waren üblich, was verhinderte, dass sie in Vergessenheit gerieten. In der Renaissance änderte sich der Zugang zum griechisch-römischen Mythos dadurch, dass der Kenntnisstand antiker Kunstwerke und antiker Literatur- und Kulturgeschichte wuchs. 7 So blieben auch die Parzen stets Thema der christlichen Mythographen, wobei die Vielgestaltigkeit des Berichteten eher zu-, denn abnimmt. Fulgentius (um 500), Isidor von Sevilla (gestorben 636) oder die Vaticanischen Mythographen, drei Autoren des 7. Jahrhunderts, deren Identität unbekannt ist und deren Texte nach Handschriften im Vatican benannt werden, erwähnen die Parzen. Dies setzt sich über Zwischenstufen fort bis hin zum quellenreichen Werk des Giovanni Boccaccio, den Genealogie Deorum, die seit 1347 entstanden sind. 8 Auch gehen die Parzen ein in die großen Dichtungen des Mittelalters wie etwa in den Rosenroman (Verse 19.763-19.831), wo die betreffenden Verse um 1290 von Jean de Meun gedichtet wurden. Meist werden in diesen Werken die Parzen als Göttinnen aus dem Gefolge von Pluto und Proserpina aufgefasst. Ein Holzschnitt, der 1484 der ersten, in Brügge gedruckten Ausgabe des Ovidius moralizatus beigegeben wurde, tradiert dies bildlich sehr eindrucksvoll (Abb. 4). 9 Ein fürchterliches Untier reißt seinen (Höllen-)Rachen auf, um für Pluto und sein Gefolge einen Thronraum zu schaffen. In der Mitte thront der Gott der Unterwelt, an den sich von rechts Proserpina, seine Gattin, schmiegt. Der dreiköpfige Cerberus dient dem Gott als Fußschemel. Rechts im Bild sind mit Schlangenhaaren die Furien zu erkennen, und links haben sich die drei Parzen zur Spinnarbeit eingefunden. Klotho zieht Wolle aus einem Standrocken und spinnt sie, Lachesis ist mit Haspel und Spindel beschäftigt, im Vordergrund sitzt Atropos am Boden. Der Faden wird von ihr durch den Mund geführt, sie ist im Begriff, ihn mit einer Schere zu durchtrennen. 10 Die Parzen werden hier als scheinbar harmlose Spinnerinnen und Wollarbeiterinnen gezeigt, wie sie der spätmittelalterlichen Lebenswirklichkeit entsprungen sein könnten. Wüsste der Betrachter nicht um ihr todbringendes Tun, und gäbe es nicht die enge Beziehung zum Herrn über das Totenreich, könnte dieses Handarbeiten für eine Genreszene gehalten werden. Diese sehr früh entwickelte Ikonographie wird sich bis in das späte 19. Jahrhundert behaupten können, jedoch unter stilistischen und zeittypischen Wandlungen. Insofern ist die reine Bildanalyse der Parzen schnell beendet, denn
Abb. 3: Umkreis David Levy Elkan: Ehrenurkunde für Dr. Johann Benedikt Daniel Nückel, 1863, Aquarell und Gouache, Kölnisches Stadtmuseum, Graphische Sammlung. Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008 WiSSenSChaF tliC he BeriC hte 63