KUNST
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seinen vornehmen Stand<br />
bezeichnet, fügt sich ebenfalls<br />
harmonisch ein. Hell<br />
und glatt leuchtet das mit<br />
Präzision ausgearbeitete<br />
Gesicht des wohl 13 bis<br />
15 Jahre jungen Mannes<br />
hervor. Trotz der Jugend<br />
lässt das Gesicht schon<br />
bestimmte Wesenszüge<br />
erkennen: Selbstsicherheit,<br />
Standesbewusstsein, vielleicht<br />
sogar eine Spur von<br />
Arroganz; der junge Mann<br />
kennt seine Position, deren<br />
Bedeutung ihm natürlich<br />
durch sein Umfeld<br />
ständig bewusst wird. Im<br />
Gegensatz zur sorgfältigen<br />
Ausarbeitung des Gesichts<br />
ist das Gewand fast flüchtig<br />
gemalt, wodurch die stofflichen Qualitäten aber besonders<br />
intensiv zur Geltung kommen: Die glänzende rötliche Seide<br />
und die kostbaren Spitzen erscheinen greifbar. Thomas<br />
Reade ist nicht im Stil der Zeit um 1775, also in der Mode des<br />
ausgehenden Rokoko, gekleidet, sondern trägt ein Kostüm,<br />
das der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstammt.<br />
Auf die Gründe hierfür wird später einzugehen sein.<br />
Die wichtigsten Lebensdaten von Thomas Reade sind<br />
bekannt. Er war der Sohn des 5. Baronet John Reade und<br />
lebte von 1762-1837. Sein wenige Minuten vor ihm geborener<br />
Zwillingsbruder John erbte Familientitel und Besitzungen.<br />
Thomas Reade heiratete Catherine Hill, aus der<br />
Ehe gingen vier Kinder hervor; der älteste Sohn, John Edmund<br />
Reade, wurde als Dichter bekannt. Die Familie lebte<br />
in Barton Manor in Berkshire in Südengland. 1<br />
Ausgehend vom ungefähren Alter des Portraitierten<br />
wird das Bildnis um 1775 datiert. Die Malerin Angelika<br />
Kauffmann befand sich zu dieser Zeit auf der Höhe ihres<br />
Ruhmes und ließ sich ihre Arbeiten entsprechend honorieren.<br />
Für ein Halbfigurenportrait mit Hand, dem Bildnis<br />
des Thomas Reade entsprechend, nahm sie 40 Guineas,<br />
eine stattliche Summe, die den Preisen ihrer beiden berühmtesten<br />
Portraitisten-Kollegen in England entsprach,<br />
Joshua Reynolds (1723-1792) und Thomas Gainsborough<br />
(1727-1788). 2 Allein dieses Preisniveau zeigt die Bedeutung,<br />
die Angelika Kauffmann zu Lebzeiten hatte, zweifellos<br />
ganz ungewöhnlich für eine Malerin im 18. Jahrhundert.<br />
Welche Herkunft und welcher Werdegang ermöglichten<br />
Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />
WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />
diese zu ihrer Zeit einzigartige<br />
Karriere?<br />
Angelika Kauffmann<br />
wurde 1741 als Tochter<br />
eines Wandermalers<br />
aus Vorarlberg in Chur<br />
in der Schweiz geboren.<br />
Der Vater Joseph Johann<br />
Kauffmann stammte aus<br />
Schwarzenberg im Bregenzer<br />
Wald. Dem Heimatort<br />
ihres Vaters war Angelika<br />
Kauffmann lebenslang<br />
verbunden und ließ auch<br />
ihren Verwandten dort<br />
finanzielle Unterstützung<br />
zukommen. Zwei ihrer<br />
Selbstbildnisse zeigen sie<br />
in Bregenzerwälder Tracht:<br />
Als junges Mädchen portraitierte<br />
sie sich als Malerin mit Pinsel, Palette und Malstock<br />
in dieser Kleidung, 3 später entstand ein Brustbildnis<br />
in der Tracht (Abb. 2), das der Malerin offensichtlich viel<br />
bedeutete, denn es hing bis zu ihrem Lebensende in ihrem<br />
Haus in Rom. 4 Da Frauen zu ihrer Zeit noch keinen Zugang<br />
zu Akademien erhielten, übernahm der Vater selbst die<br />
Ausbildung seiner hochbegabten Tochter. Ihm assistierte<br />
Angelika, die das einzige Kind blieb, bereits als Sechsjährige.<br />
Als Angelika 17 Jahre alt war, starb ihre Mutter, was<br />
Vater und Tochter noch enger aneinander band. 1762<br />
gingen sie zusammen nach Italien; sie erhielten Zugang<br />
zu vielen der berühmten Privatgalerien, und Angelika kopierte<br />
die großen Maler der Renaissance zu Studienzwecken.<br />
Von 1764 bis 1766 lebten Vater und Tochter in Rom;<br />
die polyglotte, gebildete, attraktive und liebenswürdige<br />
Malerin wurde bald zu einem Mittelpunkt der dortigen<br />
Ausländer-Kolonie. Sie schloss Freundschaft mit Johann<br />
Joachim Winckelmann (1717-1768), der sie in die Welt der<br />
Antike einführte und den sie in einem frühen Meisterwerk<br />
von hoher Sensibilität portraitierte.<br />
Abb. 2: Angelika Kauffmann: Selbstbildnis in<br />
Bregenzerwälder Tracht, 1781, Öl auf Leinwand, 61,4 x 49,2 cm,<br />
Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck.<br />
Zu Angelika Kauffmanns Freunden in Rom zählten der<br />
amerikanische Maler Benjamin West (1738-1820), der<br />
sich 1763 in London niederließ, und die Engländerin Lady<br />
Wentworth, auf deren Initiative die Malerin 1766 nach<br />
London übersiedelte. Lady Wentworth und Benjamin<br />
West führten sie in die Londoner Gesellschaft und in die<br />
maßgeblichen Künstlerkreise ein; sie wurde bald mit Aufträgen<br />
überhäuft und verdiente schnell ein Vermögen. Zu<br />
ihrem Erfolg trug sicherlich die Anpassung an den eng-