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74<br />

seinen vornehmen Stand<br />

bezeichnet, fügt sich ebenfalls<br />

harmonisch ein. Hell<br />

und glatt leuchtet das mit<br />

Präzision ausgearbeitete<br />

Gesicht des wohl 13 bis<br />

15 Jahre jungen Mannes<br />

hervor. Trotz der Jugend<br />

lässt das Gesicht schon<br />

bestimmte Wesenszüge<br />

erkennen: Selbstsicherheit,<br />

Standesbewusstsein, vielleicht<br />

sogar eine Spur von<br />

Arroganz; der junge Mann<br />

kennt seine Position, deren<br />

Bedeutung ihm natürlich<br />

durch sein Umfeld<br />

ständig bewusst wird. Im<br />

Gegensatz zur sorgfältigen<br />

Ausarbeitung des Gesichts<br />

ist das Gewand fast flüchtig<br />

gemalt, wodurch die stofflichen Qualitäten aber besonders<br />

intensiv zur Geltung kommen: Die glänzende rötliche Seide<br />

und die kostbaren Spitzen erscheinen greifbar. Thomas<br />

Reade ist nicht im Stil der Zeit um 1775, also in der Mode des<br />

ausgehenden Rokoko, gekleidet, sondern trägt ein Kostüm,<br />

das der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstammt.<br />

Auf die Gründe hierfür wird später einzugehen sein.<br />

Die wichtigsten Lebensdaten von Thomas Reade sind<br />

bekannt. Er war der Sohn des 5. Baronet John Reade und<br />

lebte von 1762-1837. Sein wenige Minuten vor ihm geborener<br />

Zwillingsbruder John erbte Familientitel und Besitzungen.<br />

Thomas Reade heiratete Catherine Hill, aus der<br />

Ehe gingen vier Kinder hervor; der älteste Sohn, John Edmund<br />

Reade, wurde als Dichter bekannt. Die Familie lebte<br />

in Barton Manor in Berkshire in Südengland. 1<br />

Ausgehend vom ungefähren Alter des Portraitierten<br />

wird das Bildnis um 1775 datiert. Die Malerin Angelika<br />

Kauffmann befand sich zu dieser Zeit auf der Höhe ihres<br />

Ruhmes und ließ sich ihre Arbeiten entsprechend honorieren.<br />

Für ein Halbfigurenportrait mit Hand, dem Bildnis<br />

des Thomas Reade entsprechend, nahm sie 40 Guineas,<br />

eine stattliche Summe, die den Preisen ihrer beiden berühmtesten<br />

Portraitisten-Kollegen in England entsprach,<br />

Joshua Reynolds (1723-1792) und Thomas Gainsborough<br />

(1727-1788). 2 Allein dieses Preisniveau zeigt die Bedeutung,<br />

die Angelika Kauffmann zu Lebzeiten hatte, zweifellos<br />

ganz ungewöhnlich für eine Malerin im 18. Jahrhundert.<br />

Welche Herkunft und welcher Werdegang ermöglichten<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

diese zu ihrer Zeit einzigartige<br />

Karriere?<br />

Angelika Kauffmann<br />

wurde 1741 als Tochter<br />

eines Wandermalers<br />

aus Vorarlberg in Chur<br />

in der Schweiz geboren.<br />

Der Vater Joseph Johann<br />

Kauffmann stammte aus<br />

Schwarzenberg im Bregenzer<br />

Wald. Dem Heimatort<br />

ihres Vaters war Angelika<br />

Kauffmann lebenslang<br />

verbunden und ließ auch<br />

ihren Verwandten dort<br />

finanzielle Unterstützung<br />

zukommen. Zwei ihrer<br />

Selbstbildnisse zeigen sie<br />

in Bregenzerwälder Tracht:<br />

Als junges Mädchen portraitierte<br />

sie sich als Malerin mit Pinsel, Palette und Malstock<br />

in dieser Kleidung, 3 später entstand ein Brustbildnis<br />

in der Tracht (Abb. 2), das der Malerin offensichtlich viel<br />

bedeutete, denn es hing bis zu ihrem Lebensende in ihrem<br />

Haus in Rom. 4 Da Frauen zu ihrer Zeit noch keinen Zugang<br />

zu Akademien erhielten, übernahm der Vater selbst die<br />

Ausbildung seiner hochbegabten Tochter. Ihm assistierte<br />

Angelika, die das einzige Kind blieb, bereits als Sechsjährige.<br />

Als Angelika 17 Jahre alt war, starb ihre Mutter, was<br />

Vater und Tochter noch enger aneinander band. 1762<br />

gingen sie zusammen nach Italien; sie erhielten Zugang<br />

zu vielen der berühmten Privatgalerien, und Angelika kopierte<br />

die großen Maler der Renaissance zu Studienzwecken.<br />

Von 1764 bis 1766 lebten Vater und Tochter in Rom;<br />

die polyglotte, gebildete, attraktive und liebenswürdige<br />

Malerin wurde bald zu einem Mittelpunkt der dortigen<br />

Ausländer-Kolonie. Sie schloss Freundschaft mit Johann<br />

Joachim Winckelmann (1717-1768), der sie in die Welt der<br />

Antike einführte und den sie in einem frühen Meisterwerk<br />

von hoher Sensibilität portraitierte.<br />

Abb. 2: Angelika Kauffmann: Selbstbildnis in<br />

Bregenzerwälder Tracht, 1781, Öl auf Leinwand, 61,4 x 49,2 cm,<br />

Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck.<br />

Zu Angelika Kauffmanns Freunden in Rom zählten der<br />

amerikanische Maler Benjamin West (1738-1820), der<br />

sich 1763 in London niederließ, und die Engländerin Lady<br />

Wentworth, auf deren Initiative die Malerin 1766 nach<br />

London übersiedelte. Lady Wentworth und Benjamin<br />

West führten sie in die Londoner Gesellschaft und in die<br />

maßgeblichen Künstlerkreise ein; sie wurde bald mit Aufträgen<br />

überhäuft und verdiente schnell ein Vermögen. Zu<br />

ihrem Erfolg trug sicherlich die Anpassung an den eng-

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