KUNST
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das Spinnen und Zerschneiden eines Fadens entbehrt<br />
jeglicher spektakulärer Momente. Was sich aber wandelt,<br />
sind die Kontexte, in denen die Schicksalsschwestern dargestellt<br />
werden. 11<br />
Nun ein Sprung in das 16. Jahrhundert. Hendrik Goltzius<br />
(1558-1616) ist der entwerfende Künstler und vielleicht<br />
auch der Stecher eines kreisrunden Stiches (Abb. 5), der<br />
1587 oder kurz davor entstanden ist. 12 In felsiger Landschaft<br />
haben sich die Parzen niedergelassen. Ihre Körper<br />
sind, dem Zeitgeist und -stil gemäß, muskulös gestaltet.<br />
Rechts ist Klotho dabei, den Faden zu ziehen, während<br />
Lachesis, die die Spitze der pyramidalen Komposition<br />
bildet, mit weit ausladender Geste Flachs zum Spinnen<br />
herrichtet. Hier zeigt sich ein Problem, das mit dem<br />
Vorgang des Spinnens und der Dreiheit der Göttinnen<br />
zusammenhängt. Der Vorgang des Spinnens lässt sich<br />
nur schwer auf zwei oder gar drei Agierende verteilen,<br />
insofern ist die Inventionskraft des Künstlers gefragt.<br />
So kommt Goltzius zum Motiv des Flachsteilens, das<br />
im ersten Moment wie das kraftvolle Zerreißen eines<br />
mächtigen Gespinstes wirkt. Die todbringende Atropos<br />
aber sitzt ganz eindeutig unten links. Sie ist es, die mit<br />
der geöffneten Schere nach Klothos Faden zielt, um ihn<br />
zu durchtrennen. Das Füllhorn zu Füßen der Klotho ist,<br />
wie auch andere Bilddetails, eine Übernahme aus einem<br />
wenig älteren Stich der École de Fontainebleau, der auf<br />
Pierre Milan bzw. Rosso Fiorentino zurückgeht und als<br />
Zeichen blühender Kraft gedeutet wird. 13<br />
Die Zeichnung in der Graphischen Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums<br />
& Fondation Corboud (Abb. 1) ist<br />
offenbar stark von Goltzius’ Stich abhängig. Der unbekannte<br />
Künstler, die Signatur „Spranger“ des Blattes<br />
ist nicht authentisch, zeichnete mit der Feder und<br />
lavierte die Zeichnung. Die bei Goltzius stark muskulösen<br />
Frauen haben hier an Körperkraft eingebüßt und<br />
sind zudem mit Tüchern umfangen. Auffällig ist, dass<br />
das große, velumartige Tuch, das sich hinter Lachesis<br />
bläht, die nun längst nicht mehr so energisch-aggressiv<br />
agiert, von Goltzius übernommen wurde. Es erinnert –<br />
hier wie dort – an das Velum, das auf zahlreichen Darstellungen<br />
die Fortuna, das wandelbare Glück, umgibt.<br />
Das Füllhorn aber, das Goltzius übernommen hatte,<br />
lässt dieser Zeichner fort. Die Szene ist ruhiger und arkadischer<br />
gestaltet als Goltzius’ Stich und wirkt daher<br />
genrehaft, was aber durch Atropos’ Schere schnell als<br />
Fehlinterpretation entlarvt wird. Die Zeichnung wird<br />
in den Niederlanden oder auch im Umkreis des Prager<br />
Hofes anzusiedeln und bald nach dem Goltzius-Stich<br />
entstanden sein. 14<br />
Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />
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Abb. 4: Pluto und sein Gefolge, Buchholzschnitt aus: Collard<br />
Mansion 1484.<br />
Die Geschichte der Parzendarstellungen ist aufs engste<br />
mit einem euphemistischen Todesbild verbunden. Nicht,<br />
dass die Parzen nicht auch Angst und Schrecken verbreiten<br />
könnten, wenn sie den Faden durchtrennen oder das<br />
Leben kärglich und armselig verlaufen lassen, doch das<br />
Skelett als Darstellung des Todes, wie es in der europäischen<br />
Kunstgeschichte bis zum späten 18. Jahrhundert<br />
üblich war, ist noch viel schauerlicher als spinnende, oftmals<br />
junge und hübsche Frauen.<br />
Seit dem 18. Jahrhundert kommt eine andere Darstellung<br />
der Parzen – man möchte sagen in Mode: Parzen,<br />
die ihr Tun verschlafen oder am Schneiden des Fadens<br />
gehindert werden. Diese neue Kontextualisierung kann<br />
treffend auf die Worte verkürzt werden: Parzen, Gesundheit<br />
und ein langes Leben. Ein Kunstwerk, das dieser<br />
Ikonographie zum Durchbruch verhilft, ist Johann Joachim<br />
Kaendlers (1706-1775) Parzengruppe (Abb. 6) für die rus-