Friedrich Ani Tatort München - Boersenblatt.net
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SACHBUCH_LEBENSGESCHICHTE<br />
Der Sport brachte ihm Erfolg – aber dann stürzte Charly Graf ab. Heute ist der Ex-<br />
Schwergewichtsmeister und Ex-Häftling Sozialarbeiter: Er leitet Boxkurse für Jugendliche.<br />
„Ich sehe<br />
mich nicht<br />
als Vorbild“<br />
INTERVIEW: ALEXANDER KLUY<br />
E s<br />
ist eine außergewöhnliche Lebensgeschichte<br />
mit einigen Höhen und heftigen<br />
Abstürzen. Geboren wurde Charly<br />
Graf als unehelicher Sohn der Arbeiterin<br />
Elisabeth Graf und des schwarzen US-amerikanischen<br />
Gefreiten Charles Blackwell,<br />
der kurz nach der Geburt seines Sohnes in<br />
die USA zurückkommandiert wurde. Am<br />
14. November 1969 gab der „Ali vom Waldhof“<br />
sein Debüt als Profi boxer. Nach ersten<br />
Erfolgen trieb es ihn ins Mannheimer Rotlichtmilieu.<br />
Wegen Glücksspiels, Zuhälterei<br />
und Körperverletzung saß er mit Unterbrechungen<br />
sechseinhalb Jahre in Haft, wo<br />
er den RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock<br />
kennenlernte. Boock ermunterte Graf, wieder<br />
mit dem Boxen anzufangen. Nach seiner<br />
Haftentlassung arbeitete er zwölf Jahre<br />
lang in verschiedenen Berufen, unter anderem<br />
als Lastwagenfahrer und bei einem<br />
Viehauktionator. Der zweimal geschiedene<br />
Vater von drei Kindern engagierte sich ehrenamtlich<br />
an mehreren Schulen als Laienlehrer,<br />
unter anderem für schwer erziehbare<br />
Jugendliche, und lebte von Sozialhilfe.<br />
Die Stadt Mannheim stellte ihn<br />
schließlich am 1. April 2008 als Betreuer für<br />
sozial auffällige Jugendliche fest an. Über<br />
sein Leben hat er nun ein Buch geschrieben<br />
– und mit dem Buchjournal über seine Erfahrungen<br />
gesprochen.<br />
Herr Graf, Sie leiten heute Boxkurse für gefährdete<br />
Jugendliche. Wie geht es Ihnen damit –<br />
fi nden Sie sich in den Jugendlichen wieder?<br />
Charly Graf: Ja, und vor allem anfangs<br />
war das auch eine Art Selbsttherapie für<br />
© Gudrun-Holde Ortner<br />
mich. Es hat immer wieder Déjà-vu-Erlebnisse<br />
gegeben, weil ich aus ähnlichen familiären<br />
Strukturen komme wie viele der<br />
Jungs, mit denen ich heute zusammenarbeite.<br />
Wie sie wurde ich nicht wirklich erzogen,<br />
und wie sie habe ich nur aus der Ferne<br />
mitbekommen, wie es ist, positiven<br />
Werten zu folgen.<br />
Sind Sie für die Jugendlichen ein Vorbild?<br />
Ich versuche, den Jungs und Mädchen<br />
viel von meinem Leben zu erzählen, von<br />
der Gefängniszeit. Manchmal sitzen wir<br />
zusammen und reden stundenlang miteinander.<br />
Viele sind schon vor mir in Tränen<br />
ausgebrochen – als ich über mich erzählte<br />
^ Charly Graf, geboren 1951, wuchs in der Mannheimer<br />
Obdachlosensiedlung „Benzbaracken“ auf. 1985<br />
wurde er Deutscher Schwergewichtsmeister im Boxen.<br />
Er war mehrere Male im Gefängnis, unter anderem<br />
wegen Körperverletzung.<br />
Heute ist er Sozialarbeiter.<br />
Charly Graf mit Armin Himmelrath:<br />
Kämpfe für dein Leben. Der Boxer<br />
und die Kinder vom Waldhof.<br />
Patmos, 200 S., 19,90 € (D) •<br />
20,50 € (A) • 30,50 sFr.<br />
76<br />
Boxen – und Spaß haben: Charly Graf will<br />
„seine“ Kids auf neue Wege bringen<br />
und sie sich darin erkannten. Das,<br />
wovon ich rede, habe ich auch erlebt.<br />
Daher kann ich mich gut in<br />
bestimmte Situationen einfühlen.<br />
Und ich präsentiere mich so, dass<br />
ich kein Vorbild sein kann. Meistens<br />
sage ich, dass meine Gewalttaten<br />
in jungen Jahren nur mit<br />
meiner Angst zu tun hatten. Dass<br />
ich ein sehr ängstlicher Junge<br />
war, der versuchte, das durch den<br />
Sport zu kompensieren. Im Grunde<br />
genommen sind Gewalttäter<br />
Angsthasen. Und das möchte keiner<br />
sein.<br />
Setzen Sie das Boxen auch deshalb bei<br />
Ihrer Arbeit mit den Jugendlichen<br />
ein, weil es dort Regeln gibt?<br />
Boxen ist eine besondere Stresssituation.<br />
In dieser Anspannung Regeln einzuhalten<br />
ist wichtig. Für die meisten der Jungs<br />
ist das etwas Neues.<br />
Gab es auch Fehlschläge, Enttäuschungen?<br />
Natürlich. Es ist ja nicht so, dass Sie<br />
durch Boxen sofort ein besserer Mensch<br />
werden. Manchmal stoße ich an meine<br />
Grenzen. Aber die Tendenz ist sehr positiv.<br />
Vor 14 Tagen war ich in einem Supermarkt,<br />
ein junger Mann in Anzug und Krawatte<br />
sprach mich an. Er war ein Schüler von<br />
mir, galt als hochgradig aggressiv und als<br />
hoffnungsloser Fall. Heute ist er der Filialleiter.<br />
Kommen gewaltbereite Jugendliche auch deshalb<br />
zu Ihnen, um besser kämpfen zu lernen,<br />
und nicht nur, weil sie mit ihren Aggressionen<br />
anders umgehen wollen?<br />
Einige kamen wohl mit diesem Vorsatz.<br />
Die merkten aber schnell, dass Boxen anstrengendes<br />
Konditionstraining und richtig<br />
hart ist. Am Anfang war auch tatsächlich<br />
umstritten, ob man gewaltbereiten<br />
Jungs auch noch eine Boxtechnik beibringen<br />
soll. Aber gerade bei den schwierigen<br />
Jugendlichen ist das Gegenteil eingetreten:<br />
Sie bauten ihre Aggressionen ab. <br />
buchjournal 1/2011