Untitled - Hessisches Landestheater Marburg
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deR selBstmöRdeR<br />
SaTIrIScHE KomödIE nacH nIKoLaJ r. Erdmann (1902–1970)<br />
von HanSJörg bETScHarT (*1955)<br />
PrEmIErE 06. novEmbEr 2010, büHnE<br />
rEgIE HanSJörg bETScHarT<br />
ZuKunfTSmodELL:<br />
SELbSTmordunTErnEHmEr<br />
von Hansjörg Betschart<br />
Herbert Huber findet keinen Schlaf. Da ist ein Bett.<br />
Da ist seine Frau. Da ist die Nacht. Aber da ist<br />
kein Job! Wie soll er es bloß anstellen, ohne Anstellung<br />
zu leben? Herbert ist kein Arbeitsloser,<br />
der aufgibt: Er hat Elan. Er hat einen Business-<br />
Plan. Und er hat Ideen! Hat man schon von<br />
einem berühmten Autofahrer gehört? Ja! Oder<br />
einem gutbezahlten Geiger? Ja. Aber von einem<br />
Weltstar, der Tuba bläst? Nein! Das ist dann<br />
die Marktlücke! Das ist dann die Geschäftsidee<br />
für die Ich-AG. Die Ausrüstung ist rasch bei der<br />
Nachbarschaft geliehen. Und schon geht es los<br />
mit dem Klein-Unternehmen »Huber bläst Tuba,<br />
AG«. Die Noten sind da. Das Unternehmen ist<br />
gegründet. Die Auftritte können gebucht werden!<br />
Jetzt bleibt nur noch eine Frage: Wie spielt<br />
man auf einer Tuba? Wieder ist Herbert um den<br />
Schlaf gebracht. So eine Tuba will geübt sein.<br />
Und Talent erfordert sie auch. Als Herbert das<br />
klar wird, bricht er in Verzweiflung die Übungsstunde<br />
ab: Wovon soll der denn jetzt sein Leben<br />
bezahlen? Mit seinem Leben? Herbert ahnt<br />
nicht, was seine unbedachte Äußerung auslöst.<br />
Wer laut den Selbstmord erwähnt, dem drohen<br />
ungebetene Zuhörer: Manch ein Unzufriedener<br />
kriegt Wind von einem Selbstmord-Plan, manch<br />
einer findet daran Gefallen, und bald klopfen<br />
an Herbert Hubers Tür illustre Zeitgenossen, die<br />
gern etwas von dem Selbstmord hätten: Warum<br />
sich sinnlos umbringen? Warum nicht mit<br />
Grund? Es gibt so viele Gründe? All die EU-Verordnungen.<br />
Das Bankensterben. Die Jugendgewalt.<br />
Die Steuersenkung! (Oder Erhöhung?) Bald<br />
steht Herbert als Selbstmord-Unternehmer im<br />
Mittelpunkt gesellschaftlicher Interessen. Mit<br />
jedem Vorschuss, der für seinen Selbstmord anfällt,<br />
wird das Leben schöner. Mit einem Mal ist<br />
er als Selbstmörder in bester Gesellschaft und<br />
ein gesuchter Gast in den Medien. Herbert fängt<br />
an, sein gefeiertes Leben zu schätzen. Nicht<br />
früh genug, um in Ruhe sterben zu können. Zu<br />
spät, um davon ein Leben anzufangen. Und zu<br />
kurz, um in Rente zu gehen, denn der Tod ist<br />
verabredet. Morgen um zwölf soll er sein. Frei<br />
und willig. Und wieder ist Herbert um den Schlaf<br />
gebracht.<br />
Autor<br />
»Der Selbstmörder« ist das zweite<br />
große Stück Nikolaj R. Erdmanns,<br />
das aber, im Gegensatz zu seinem<br />
überaus populären Erstlingswerk<br />
»Das Mandat« (1925), bei den Vor-<br />
bereitungen zur Aufführung abgesetzt<br />
wurde und in der Sowjet-<br />
union erst während der Perestrojka<br />
1987 auf die Bühne kam. Das<br />
Stück stammt aus der Gogolschen<br />
Tradition, zu der sich Erdmann in<br />
mehreren direkten Anspielungen<br />
und Zitaten ausdrücklich bekennt.<br />
Die Ähnlichkeiten in der dra-<br />
matischen Konstruktion sind<br />
augenfällig: Groteske Überspitzung<br />
der Charaktere und eine<br />
geschickte Kombination von<br />
Situationskomik und geschliffenem<br />
Wortwitz sind die häufigsten<br />
Stilmittel von Erdmanns Satire.<br />
Regie<br />
Hansjörg Betschart arbeitet als<br />
Regisseur in Schweden, Deutschland,<br />
der Schweiz und Österreich<br />
sowie als Regiedozent in Zürich.<br />
Er verfasst Romane und ist<br />
Übersetzer schwedischer Literatur<br />
und Dramatik. Betschart<br />
schreibt eine neue Stückfassung<br />
des »Selbstmörders« und<br />
beginnt 2010/2011 eine Inszenierungsreihe<br />
in <strong>Marburg</strong>.<br />
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